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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 108/12
vom
30. August 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
-2-
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. August
2012, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Schmitt,
Dr. Quentin,
Reiter
als beisitzende Richter,
Bundesanwältin
in der Verhandlung,
Staatsanwältin
bei der Verkündung
als Vertreterinnen der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
,
Rechtsanwalt
als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
-3-
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Detmold vom 15. November 2011 wird als unbegründet verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels
und die hierdurch der Nebenklägerin im Revisionsverfahren
entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung jeweils in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der
Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Sein Rechtsmittel
hat keinen Erfolg.
I.
2
Nach den Feststellungen stellte sich der Angeklagte am 6. April 2010 im
Verlauf eines Streites vor seine auf einem Sofa sitzende Ehefrau, packte sie an
den Schultern und drückte sie in Rückenlage, um mit ihr den Geschlechtsverkehr zu vollziehen. Nachdem es dem Angeklagten zunächst nicht gelungen
war, der sich wehrenden Geschädigten die Schlafanzughose auszuziehen, versetzte er ihr mehrere Faustschläge in das Gesicht, unter das Kinn und in die
Rippen. Als die Geschädigte daraufhin jede Gegenwehr aufgab, zog ihr der Angeklagte die Schlafanzughose nach unten und vollzog den Geschlechtsverkehr.
-4-
3
Bei einer weiteren Auseinandersetzung am 17. Mai 2010, während der
es der Zeugin gelang, einen Camcorder einzuschalten, „um später ein Beweisstück zu haben“, stieß der Angeklagte seine Ehefrau auf eine Couch und drückte ihr den Mund zu, bis sie Luftnot bekam. Als die Geschädigte aus der Wohnung fliehen wollte, brachte sie der Angeklagte zu Boden, setzte sich auf sie
und hielt sie „mit hartem Griff an den Handgelenken fest“. Sodann entblößte er
seinen erigierten Penis und führte eine Hand der schreienden Geschädigten an
sein Geschlechtsteil heran. Die andere Hand hielt er fest umklammert. Nachdem die Geschädigte masturbierende Bewegungen an dem Penis des Angeklagten vorgenommen hatte, weil sie keinen anderen Ausweg sah, forderte der
Angeklagte von ihr die Durchführung des Oralverkehrs und rutschte mit seinem
Becken in Richtung ihres Kopfes. Der Geschädigten gelang es nun, den Angeklagten durch einen Stoß mit dem Knie aus dem Gleichgewicht zu bringen und
wegzulaufen. Der Angeklagte, der zwischenzeitlich einen Samenerguss gehabt
hatte, setzte ihr nach und warf sie auf ein Sofa. Anschließend kam es zu einer
Rangelei, bei der der Angeklagte der Geschädigten Boxhiebe und Ohrfeigen
versetzte. Nachdem es ihm erneut gelungen war, sich auf die Geschädigte zu
setzen, wischte er seinen Penis an ihrem Gesicht ab und beschmierte sie mit
seinem Sperma. Aufgrund der Tat erlitt die Geschädigte verschiedene Prellungen und Blutergüsse.
II.
4
Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
5
1. Die Rüge des Angeklagten, das Landgericht habe gegen § 265 Abs. 4,
§ 140 Abs. 1, § 145 Abs. 3 StPO und Art. 6 Abs. 3 MRK verstoßen, weil es die
Hauptverhandlung nicht von Amts wegen ausgesetzt oder zumindest unter-
-5-
brochen hat, obwohl dies zur Vorbereitung der Verteidigung des Angeklagten
geboten gewesen sei, ist nicht zulässig erhoben. Sie wäre auch unbegründet.
6
a) Nach dem Vorbringen der Revision wurde der Angeklagte am ersten
Hauptverhandlungstag, dem 28. September 2011, von seinem Wahlverteidiger
Rechtsanwalt P.
vertreten. Nachdem er keine Angaben zur Sache ge-
macht hatte, vernahm das Gericht die Nebenklägerin und fünf weitere Zeugen.
Am zweiten Verhandlungstag (12. Oktober 2011), zu dem der Angeklagte ebenfalls mit Rechtsanwalt P.
erschienen war, wurden vier weitere Zeugen
vernommen, Abschriften von Mitteilungen auf einem Anrufbeantworter verlesen
und die Tonbandaufnahme eines Camcorders angehört. Im Anschluss an die
Verlesung der Abschriften machte die Nebenklägerin weitere Angaben zur
Sache. Rechtsanwalt P.
stellte mehrere Beweisanträge und verlas nach
Anhörung der Tonbandaufnahme eine als Anlage zu Protokoll genommene
Erklärung. Danach wurde die Hauptverhandlung unterbrochen und Termin zur
Fortsetzung der Hauptverhandlung auf den 31. Oktober 2011 um 13.00 Uhr
bestimmt.
7
Am 31. Oktober 2011 zeigte Rechtsanwalt P.
dem Gericht um
11.15 Uhr an, dass er das Mandat niedergelegt habe. Der Angeklagte erschien
um 12.45 Uhr ohne Verteidiger bei Gericht und erklärte, dass er nicht in der
Lage gewesen sei, das von seinem Wahlverteidiger geforderte Honorar aufzubringen. Gegen 13.20 Uhr stellte sich dem Angeklagten der vom Gericht verständigte Rechtsanwalt S.
vor und nahm Einsicht in die Akte. In diesem
Zusammenhang erklärte Rechtsanwalt S.
dem Angeklagten, dass er
überlegen müsse, ob er die Verteidigung in der Kürze der Zeit vorbereiten könne; eine weitere Verzögerung, die durch eine Wiederholung des Verfahrens
entstehen würde, könne aber kaum im Interesse des Angeklagten liegen. Da-
-6-
nach wurde die Hauptverhandlung um 13.45 Uhr fortgesetzt und Rechtsanwalt
S.
für den Angeklagten als Pflichtverteidiger bestellt. Ein Antrag auf
Aussetzung oder Unterbrechung der Hauptverhandlung wurde nicht gestellt. In
der Folge vernahm das Gericht bis 15.00 Uhr vier Zeugen. Danach wurde die
Hauptverhandlung unterbrochen und Termin zur Fortsetzung auf den 15. November 2011 bestimmt. Im Hauptverhandlungstermin vom 15. November 2011
vernahm das Gericht drei weitere Zeugen. Anschließend verlas Rechtsanwalt
S.
einen Beweisantrag und eine gegen die Nebenklägerin erstattete
Strafanzeige. Nachdem das Gericht die Mitschrift der Tonaufzeichnung des
Camcorders verlesen hatte, wurde die Nebenklägerin nochmals vernommen
und die Beweisaufnahme geschlossen. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft,
der Nebenklägervertreter und der Verteidiger hielten ihre Schlussvorträge. Nach
einer abschließenden Erklärung des Angeklagten wurde die Sitzung um
12.00 Uhr unterbrochen und um 12.30 Uhr mit der Urteilsverkündung fortgesetzt.
8
Nach Ansicht der Revision hat das Landgericht seine Fürsorgepflicht verletzt, weil es die Hauptverhandlung nach dem Verteidigerwechsel nicht von
Amts wegen ausgesetzt oder zumindest unterbrochen hat. Zwar sei Rechtsanwalt S.
„über den Inhalt der bisherigen Aussagen durch andere Beteilig-
te unterrichtet“ worden, „wobei die Unterrichtung nicht durch den Angeklagten
erfolgte“ (Revisionsbegründung Rechtsanwalt R.
, S. 27), doch sei eine
Wiederholung der wesentlichen Teile der Hauptverhandlung nicht erfolgt. Das
Landgericht habe die Nebenklägerin nach dem Verteidigerwechsel lediglich ergänzend vernommen.
9
b) Dieses Vorbringen entspricht nicht den Anforderungen des § 344
Abs. 2 Satz 2 StPO.
-7-
10
Danach muss der Beschwerdeführer, der eine Verletzung des Verfahrensrechts geltend machen will, die den Mangel enthaltenden Tatsachen angeben. Dies hat so vollständig und genau zu geschehen, dass das Revisionsgericht aufgrund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler
vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (BGH, Urteil vom
15. November 2001 – 4 StR 215/01, NStZ 2002, 216; Urteil vom 6. Februar
1980 – 2 StR 729/79, BGHSt 29, 203).
11
Die Darstellung des prozessualen Geschehens ist unvollständig, weil
nicht im Einzelnen mitgeteilt wird, von wem, wann und in welchem Umfang der
neue Verteidiger über den Inhalt der bisherigen Aussagen unterrichtet worden
ist. Dies war hier erforderlich, weil die Frage, ob eine Aussetzung oder Unterbrechung der Hauptverhandlung geboten war, nur beurteilt werden kann, wenn
feststeht, welche Informationen über den bisherigen Verfahrensgang dem neuen Verteidiger zur Verfügung standen. Dazu bedurfte es nicht nur näherer Angaben zum Zeitpunkt und zum Inhalt der erfolgten Unterrichtung, sondern auch
zur Person des Unterrichtenden, weil daraus Schlüsse auf die Vollständigkeit
und Zuverlässigkeit der übermittelten Informationen gezogen werden können.
12
Der in der Revisionshauptverhandlung von dem Wahlverteidiger erhobene Einwand, ihm sei ein weiter gehendes Vorbringen nicht möglich gewesen,
weil er erst in der Revisionsinstanz beauftragt worden sei und sein Mandant
über keine näheren Informationen verfügt habe, führt zu keinem anderen Ergebnis. Unter diesen Umständen hätte der Wahlverteidiger bei dem nach wie
vor beigeordneten Pflichtverteidiger Erkundigungen einholen können und müssen, um den geltend gemachten Verfahrensmangel ausreichend mit Tatsachen
zu belegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. September 2005 – 2 BvR 93/05;
-8-
BGH, Beschluss vom 23. November 2004 – 1 StR 379/04, NStZ 2005, 283,
284).
13
c) Die Rüge wäre aber auch nicht begründet.
14
aa) Nach § 265 Abs. 4 StPO hat das Gericht von Amts wegen oder auf
Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten
Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Verteidigung angemessen erscheint. Verfahrensvorgänge können eine veränderte Sachlage im Sinne des
§ 265 Abs. 4 StPO herbeiführen, wenn sie geeignet sind, die Fähigkeit des
Angeklagten zu einer sachgerechten Verteidigung zu beschränken. Der Wechsel des Verteidigers während der laufenden Hauptverhandlung ist ein solcher
Verfahrensvorgang. Er schafft selbst dann eine veränderte Sachlage, wenn der
neue Verteidiger – wie hier – sogleich an die Stelle des früheren tritt (BGH, Beschluss vom 2. Februar 2000 – 1 StR 537/99, NJW 2000, 1350; Urteil vom
25. Oktober 1963 – 4 StR 404/63, VRS 26, 46, 47; vgl. Beschluss vom 24. Juni
2009 – 5 StR 181/09, NStZ 2009, 650; Urteil vom 25. Juni 1965 – 4 StR 309/65,
NJW 1965, 2164, 2165; Urteil vom 19. Juni 1958 – 4 StR 725/57, NJW 1958,
1736, 1737). Kommt es zu einem Verteidigerwechsel, weil nach § 145 Abs. 1
Satz 1 StPO ein neuer Pflichtverteidiger bestellt werden muss, wird § 265
Abs. 4 StPO nicht von § 145 Abs. 3 StPO verdrängt, weil diese Bestimmung nur
eine ergänzende, aber keine abschließende Regelung für diese Fallgestaltung
enthält (BGH, Urteil vom 25. Juni 1965 – 4 StR 309/65, NJW 1965, 2164, 2165;
Urteil vom 17. Juli 1973 – 1 StR 61/73, JR 1974, 247).
15
Ob auf eine veränderte Sachlage nach § 265 Abs. 4 StPO in Ausübung
der prozessualen Fürsorgepflicht mit einer Aussetzung der Hauptverhandlung
zu reagieren ist, steht im pflichtgemäß auszuübenden Ermessen des Gerichts
-9-
und hängt vom Einzelfall ab (BGH, Beschluss vom 25. Juni 2002 – 5 StR 60/02,
NStZ-RR 2002, 270; Beschluss vom 2. Februar 2000 – 1 StR 537/99, NJW
2000, 1350; Urteil vom 19. Juni 1958 – 4 StR 725/57, NJW 1958, 1736, 1738).
Anstelle einer Aussetzung kann es bei einem Verteidigerwechsel auch ausreichend sein, wichtige Verfahrensabschnitte zu wiederholen, um dem neuen Verteidiger Gelegenheit zu geben, sich ein umfassendes eigenes Urteil von dem
Beweisergebnis zu machen (BGH, Urteil vom 25. Oktober 1963 – 4 StR 404/63,
VRS 26, 46, 47 f.; vgl. Beschluss vom 2. Februar 2000 – 1 StR 537/99, NJW
2000, 1350).
16
bb) Hiervon ausgehend bestand keine Notwendigkeit, die Hauptverhandlung von Amts wegen auszusetzen oder zu unterbrechen, nachdem dies weder
von dem Verteidiger, noch dem Angeklagten beantragt oder angeregt worden
war.
17
Ein nach § 145 Abs. 1 Satz 1 StPO neu bestellter Verteidiger hat als
unabhängiges Organ der Rechtspflege grundsätzlich selbst zu beurteilen, ob er
für die Erfüllung seiner Aufgabe hinreichend vorbereitet ist (BGH, Beschlüsse
vom 24. Juni 2009 – 5 StR 181/09, NStZ 2009, 650; vom 24. Juni 1998
– 5 StR 120/98, BGHR StPO § 265 Abs. 4 Verteidigung, angemessene 5; Urteil
vom 24. November 1999 – 3 StR 390/99, wistra 2000, 146, 147). Hält er die ihm
verbleibende Vorbereitungszeit für nicht ausreichend, kann er durch einen Antrag nach § 145 Abs. 3 StPO eine Unterbrechung oder Aussetzung der Hauptverhandlung erzwingen. Dies ist nicht geschehen. Zwar hat das Gericht über
die Frage, ob die Fürsorgepflicht eine Aussetzung der Hauptverhandlung nach
§ 265 Abs. 4 StPO gebietet, unabhängig von Anträgen und Erklärungen der
Beteiligten zu entscheiden, doch kommt bei dieser Entscheidung der Einschätzung des neu bestellten Verteidigers und seinem Prozessverhalten eine maß-
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gebliche Bedeutung zu. Stellt der neue Verteidiger seine Fähigkeit zu sachgerechter Verteidigung nicht in Frage, will er vielmehr die Hauptverhandlung ohne
zeitliche Verzögerung fortsetzen und gibt auch der Angeklagte nicht zu erkennen, dass er mehr Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung benötigt, so ist das
Gericht in der Regel nicht dazu berufen, seine Auffassung von einer angemessenen Vorbereitungszeit gegen den Verteidiger durchzusetzen und von diesem
nicht angestrebte prozessuale Maßnahmen zu treffen (vgl. BGH, Beschluss
vom 24. Juni 2009 – 5 StR 181/09, NStZ 2009, 650, 651; Urteil vom
2. November 1976 – 1 StR 590/76, MDR 1977, 767, 768; Urteil vom 25. Juni
1965 – 4 StR 309/65, NJW 1965, 2164, 2165).
18
Ein solcher Fall liegt hier vor. Wie sich aus dem Revisionsvorbringen
ergibt, war die Entscheidung des neuen Verteidigers, nicht nach § 145 Abs. 3
StPO vorzugehen und keinen Aussetzungsantrag zu stellen, von der Erwägung
geleitet, dass es unter den gegebenen Umständen den Interessen des Angeklagten eher entspricht, die bereits begonnene Hauptverhandlung in einem
Durchgang zu Ende zu bringen. Der Angeklagte hat dieser ihm mitgeteilten Abwägung nicht widersprochen und auch seinerseits keinen Aussetzungs- oder
Unterbrechungsantrag gestellt. Bei dieser Sachlage war das Landgericht nur
dann gehalten, von Amts wegen eine Aussetzung oder Unterbrechung der
Hauptverhandlung anzuordnen, wenn sich die dem Prozessverhalten des Angeklagten und seines Verteidigers zu entnehmende Einschätzung der Sachund Rechtslage als evident interessenwidrig dargestellt hätte und ohne diese
Maßnahmen eine effektive Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 c MRK) unter keinem
Gesichtspunkt mehr gewährleistet gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom
25. Oktober 1963 – 4 StR 404/63, VRS 26, 46, 47). Dies war jedoch nicht der
Fall. Den Anklagevorwürfen lagen übersichtliche Lebenssachverhalte zugrunde.
Zentrales Beweismittel waren die Angaben der Nebenklägerin, die nach dem
- 11 -
Verteidigerwechsel nochmals vernommen wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte der
neue Verteidiger 14 Tage Zeit, sich in den Fall einzuarbeiten und die ihm erteilten Informationen zu ihren bisherigen Angaben sowie dem übrigen Beweisergebnis auszuwerten und gegebenenfalls zu ergänzen. Die Revision trägt nicht
vor, dass bei der erneuten Vernehmung der Nebenklägerin Fragen oder Vorhalte des Verteidigers zurückgewiesen worden sind. Der Umstand, dass sich der
Verteidiger in der Lage sah, gegen die Nebenklägerin eine Strafanzeige zu erstatten und diese Anzeige vor deren nochmaliger Vernehmung in der Hauptverhandlung zu verlesen, lässt erkennen, dass er den bisherigen Angaben der
Nebenklägerin entgegenzutreten vermochte. Schließlich wurde auch die als
belastendes Beweismittel herangezogene Audioaufzeichnung durch die Verlesung ihrer Verschriftlichung ein zweites Mal zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht.
19
2. Die Rüge, das Landgericht habe mit der Bestellung von Rechtsanwalt
S.
zum Pflichtverteidiger gegen § 142 Abs. 1 StPO verstoßen, ist nicht
begründet.
20
Die Auswahl eines Pflichtverteidigers ist nur dann nach § 142 Abs. 1
StPO ermessens- und damit rechtsfehlerhaft, wenn der ausgewählte Verteidiger
aus nachvollziehbaren Gründen nicht das Vertrauen des Angeklagten genießt
oder objektiv keine Gewähr für eine sachgerechte Verteidigung bietet (BGH,
Urteil vom 3. Dezember 1991 – 1 StR 456/91, NJW 1992, 850; vgl. Beschluss
vom 3. September 1986 – 3 StR 355/86, NStZ 1987, 217 bei Pfeiffer/Miebach).
Ein Vertrauensmangel wird von dem Angeklagten nicht behauptet. Der Umstand, dass der vormalige Wahlverteidiger Rechtsanwalt P.
mit dem
Prozessstoff besser vertraut war, belegt nicht, dass der nach seiner Mandats-
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niederlegung zum Pflichtverteidiger bestellte Rechtsanwalt S.
für eine
Führung der von ihm übernommenen Verteidigung objektiv ungeeignet war.
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3. Der Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO liegt schon deshalb nicht
vor, weil der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt ohne Verteidiger war. Auf eine
mangelnde Vorbereitung des anwesenden Verteidigers kann die Rüge nicht
gestützt werden (BGH, Urteil vom 24. November 1999 – 3 StR 390/99, NStZ
2000, 212, 213).
22
4. Die Rüge, das Landgericht habe entgegen § 244 Abs. 3 und 6 StPO
einen am 12. Oktober 2011 gestellten Beweisantrag auf Einvernahme der Zeugin
D.
weder erledigt noch verbeschieden, deckt keinen
Rechtsfehler auf.
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Der Antrag auf Einvernahme der Zeugin war kein Beweisantrag im Sinne
des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO, weil die Zeugin nur durch die Angabe ihres
Namens und ihres Wohnortes (Köln) bezeichnet worden ist. Eine eindeutige
Ermittlung ihrer genauen Anschrift aus den weiteren im Antrag enthaltenen Angaben war nicht möglich (BGH, Urteil vom 8. Dezember 1993 – 3 StR 446/93,
BGHSt 40, 3, 6 f.). Dementsprechend hatte der Vorsitzende den Verteidiger
darauf hingewiesen, dass die Zeugin geladen werden soll, wenn ihre Anschrift
bekannt ist. In dem von der Revision herangezogenen Rechtsanwaltsschreiben
vom 24. August 2004 wurde eine Frau zwar mit vollständiger Anschrift, aber
unter einem anderen Namen bezeichnet. Der Antrag vom 12. Oktober 2011
enthielt weder einen Hinweis auf dieses Schreiben, noch die Information, dass
die benannte Person früher einen anderen Namen führte und es sich bei ihr um
die nunmehr benannte Zeugin handelte. Unter diesen Umständen drängte sich
die Ladung der Zeugin dem Gericht auch nicht auf.
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5. Die Rüge, das Landgericht habe mit der Verlesung des Protokolls der
von der Nebenklägerin heimlich gefertigten Audioaufzeichnung gegen ein aus
Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Art. 2 Abs. 1 GG, § 201 StGB abzuleitendes Beweisverbot
verstoßen, ist nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
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Das Revisionsvorbringen des Angeklagten lässt unerwähnt, dass die
dem verlesenen Protokoll zugrunde liegende Audioaufzeichnung bereits am
zweiten Hauptverhandlungstag angehört wurde und der damalige Wahlverteidiger dazu eine Erklärung verlesen hat. Die Entscheidung der Frage, ob im Strafprozess von einer Audioaufzeichnung zu Beweiszwecken Gebrauch gemacht
werden darf, die von einer Privatperson ohne Einverständnis des Angeklagten
gefertigt worden ist, hängt von einer Abwägung des öffentlichen Interesses an
einer vollständigen Wahrheitsermittlung einerseits und dem schutzwürdigen
Interesse des Angeklagten an einer Nichtverwertung der unter Verletzung seines Persönlichkeitsrechts hergestellten Audioaufzeichnung andererseits ab
(BGH, Urteil vom 12. April 1989 – 3 StR 453/88, BGHSt 36, 167, 173; Urteil
vom 9. Juli 1987 – 4 StR 223/87, BGHSt 34, 397, 401). Für diese Abwägung ist
es von wesentlicher Bedeutung, ob die Audioaufzeichnung bereits in anderer
Form zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden ist und wie sich
der Angeklagte dazu gestellt hat. Beides wäre deshalb mitzuteilen gewesen.
III.
26
Auch die Sachrüge hat keinen Erfolg.
27
Die Beweiswürdigung des Landgerichts lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Schuld des Angeklagten
auf die Angaben der mehrfach vernommenen Nebenklägerin und mehrere an-
- 14 -
dere Beweismittel gestützt. Eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation lag
daher nicht vor (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 2002 – 3 StR 6/02, NStZ 2002,
556 f.; Urteil vom 28. Mai 2003 – 2 StR 486/02, NStZ-RR 2003, 268, 269;
Maier, NStZ 2005, 246 mwN). Die Entwicklungsgeschichte der Aussage wurde
im Zusammenhang mit den Feststellungen und den Angaben der Zeugin Se.
erörtert. Einer darüber hinausgehenden Darstellung der Angaben der Nebenklägerin bedurfte es entgegen der Auffassung der Revision nicht, weil sich der
maßgebliche Aussageinhalt aus den hierauf gestützten umfangreichen Feststellungen ergibt.
28
Die von der Revision gegen die Strafzumessung vorgebrachten Einwendungen zeigen aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 4. April
2012 angeführten Gründen keinen Rechtsfehler auf.
Mutzbauer
Roggenbuck
Quentin
Schmitt
Reiter