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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 105/14
vom
7. Mai 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags
-2-
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 7. Mai 2014 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts – Schwurgericht – Bielefeld vom 8. November 2013 mit
den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier
Jahren und neun Monaten verurteilt. Die gegen diese Verurteilung gerichtete
Revision des Angeklagten, die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt
ist, hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
I.
2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
-3-
3
Am Tattag, dem 2. März 2013, suchte der Angeklagte, der nicht damit
einverstanden war, dass sich seine Ehefrau von ihm getrennt und ein eigenes
Appartement im Schwesternheim eines Krankenhauses bezogen hatte, diese
gegen 17.00 Uhr in ihrer neuen Wohnung auf. Unmittelbar nachdem sie ihn
eingelassen hatte, schlug er ihr mehrfach rechts und links seitlich fest an den
Kopf und zog sie von hinten an den Haaren, wodurch sie zu Fall kam. Er kniete
sich sodann auf die Brust der auf dem Rücken liegenden Geschädigten und
würgte sie mit beiden Händen unter erheblichem Kraftaufwand mindestens
20 Sekunden lang mit bedingtem Tötungsvorsatz am Hals. Nachdem sie vergeblich versucht hatte, seine Hände zu lösen, wurde sie bewusstlos. Als sie
nach einer nicht mehr feststellbaren Zeitspanne das Bewusstsein wieder erlangte, saß der Angeklagte auf einem Sofa im Wohnzimmer, sprach vor sich hin
und äußerte sinngemäß Folgendes: „Ich habe sie nicht töten können. Teufel,
Du stirbst nicht.“ Als er bemerkte, dass die Geschädigte noch lebte, warf er ihr
eine Grapefruit an den Kopf, die er in der Hand gehalten hatte. Die Geschädigte
weinte und hatte Luftnot, kroch in Richtung der Wohnungstür und gelangte
schließlich auf den Flur. Gegenüber der als Krankenschwester tätigen Zeugin
K.
, die herbeigeeilt war, um der Geschädigten zu helfen, äußerte sich der
Angeklagte sinngemäß u.a. dahin, er habe sie (die Geschädigte) gewürgt; sie
sei aber nicht gestorben, sie sei eine Teufelin.
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Das Landgericht hat angenommen, der Versuch des Angeklagten, seine
Ehefrau zu töten, sei fehlgeschlagen, weshalb ein strafbefreiender Rücktritt im
Sinne von § 24 Abs. 1 StGB nicht in Betracht komme. Schon den Äußerungen
des Angeklagten im Wohnzimmer sei zu entnehmen, dass er sein Vorhaben als
gescheitert betrachtet habe; er habe den Taterfolg aus seiner Sicht mit den bereits eingesetzten oder den zur Hand liegenden Mitteln nicht mehr erreichen
können. Zudem habe sich seine subjektiv angenommene physische Unmög-
-4-
lichkeit zur Tatvollendung in seiner Äußerung gegenüber der Zeugin K.
ma-
nifestiert.
II.
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Die Annahme des Landgerichts, der Versuch des Angeklagten, seine
Ehefrau zu töten, sei fehlgeschlagen, begegnet durchgreifenden rechtlichen
Bedenken.
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1. Zwar ist das Landgericht im rechtlichen Ansatzpunkt zutreffend davon
ausgegangen, dass ein fehlgeschlagener Versuch dann vorliegt, wenn die Tat
nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt, oder wenn er subjektiv die Vollendung
nicht mehr für möglich hält, wobei es auf die Tätersicht nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung ankommt. Erkennt der Täter zu diesem Zeitpunkt
oder hat er eine entsprechende subjektive Vorstellung dahin, dass es zur Herbeiführung des Erfolges eines erneuten Ansetzens bedürfte, etwa mit der Folge
einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs, liegt ein Fehlschlag vor (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom
25. November 2004 – 4 StR 326/04, NStZ 2005, 263, 264; Urteil vom
8. Februar 2007 – 3 StR 470/06, NStZ 2007, 399).
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2. Indem sie für die Beurteilung des insoweit maßgeblichen Vorstellungsbildes des Angeklagten (sog. Rücktrittshorizont) nur dessen Äußerungen
im Wohnzimmer und gegenüber der Zeugin K.
herangezogen hat, hat die
Strafkammer insoweit aber auf einen rechtlich unzutreffenden Zeitpunkt abgestellt. Diese Äußerungen fielen erst, als die Geschädigte, die vom Angeklagten
-5-
über einen Zeitraum von zwanzig Sekunden bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt
worden war, nach einer nicht mehr genau feststellbaren weiteren Zeitspanne
das Bewusstsein wieder erlangte und der Angeklagte sich mittlerweile im
Wohnzimmer auf ein Sofa gesetzt und eine Zigarette angezündet hatte; das
Zusammentreffen mit der Zeugin K.
erfolgte zu einem noch späteren Zeit-
punkt. Was sich der Angeklagte, der körperlich in der Lage war, die Geschädigte zwanzig Sekunden lang mit erheblichem Kraftaufwand bis zum Eintritt der
Bewusstlosigkeit zu würgen, unmittelbar nach Beendigung des Würgens der
Geschädigten vorstellte, insbesondere, ob ihm danach ein Weiterhandeln aus
tatsächlichen (physischen) Gründen unmöglich war, ist den Urteilsgründen nicht
zu entnehmen. Die Annahme, der Tötungsversuch sei fehlgeschlagen, und ein
strafbefreiender Rücktritt ausgeschlossen, erweist sich danach als nicht hinreichend tatsachenfundiert.
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2. Der Rechtsfehler zwingt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils; gerade vor dem Hintergrund der festgestellten, zeitlich nachfolgenden Äußerungen des Angeklagten liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass dieser durch bloßes
Nichtweiterhandeln strafbefreiend vom unbeendeten Versuch im Sinne von § 24
Abs. 1 Satz 1 Fall 1 StGB zurückgetreten sein könnte.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Versuch eines
Tötungsdeliktes insbesondere dann nicht beendet im Sinne von § 24 Abs. 1
Satz 1 Fall 2 StGB, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes
für möglich hält, aber nach alsbaldiger Erkenntnis seines Irrtums, also im Wege
einer Korrektur seines Rücktrittshorizonts, von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993
– GSSt 1/93,
BGHSt
39,
221,
227 f.;
Urteil
vom
1. Dezember
2011
– 3 StR 337/11, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 14, Tz. 7
-6-
mwN). Danach ist es hier nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Angeklagte, als die Geschädigte nach dem zwanzig Sekunden dauernden Würgevorgang in Bewusstlosigkeit verfiel, zunächst davon ausging, zur Tatbestandsverwirklichung alles Erforderliche getan zu haben. In dem nach Ende der Bewusstlosigkeit der Geschädigten festgestellten Ausspruch des Angeklagten und
dem Wurf der Grapefruit an ihren Kopf, nachdem er bemerkt hatte, dass sie
noch lebte, kann danach zum Ausdruck gekommen sein, dass er sich nun in
der Vorstellung erschüttert sah, alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu haben, gleichwohl nichts weiter zur Tatvollendung unternahm.
Sost-Scheible
Cierniak
Mutzbauer
Franke
Bender