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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 ARs 7/09
vom
7. Juli 2009
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes
hier: Anfragebeschluss des 5. Strafsenats vom 10. März 2009
- 5 StR 460/08
-2-
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Juli 2009 beschlossen:
Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, wonach die Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen ein selbständiger
Verfahrensabschnitt und - in der Regel - wesentlicher Teil der
Hauptverhandlung ist.
Gründe:
1
1. Der 5. Strafsenat beabsichtigt zu entscheiden:
2
"Die fortdauernde Abwesenheit des nach § 247 StPO während einer
Zeugenvernehmung entfernten Angeklagten bei der Verhandlung über die Entlassung des Zeugen begründet nicht den absoluten Revisionsgrund des § 338
Nr. 5 StPO."
3
Er hat deshalb bei den übrigen Strafsenaten angefragt, ob an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.
4
2. Der Senat hält an seiner gegenteiligen Rechtsprechung (BGHR StPO
§ 247 Abwesenheit 3, 15 und 19; StV 2000, 240) fest, wonach die Verhandlung
über die Entlassung eines Zeugen ein selbständiger Verfahrensabschnitt und
- in der Regel - wesentlicher Teil der Hauptverhandlung ist. Soweit er in einer
früheren Entscheidung (NStZ 1998, 425, 426) eine der Rechtsansicht des anfragenden Senats zustimmende Auffassung angedeutet hat, nimmt er hiervon
Abstand.
5
Der 5. Strafsenat will, wie auch aus der Zusammenschau mit der am selben Tag in der Sache 5 StR 530/08 erfolgten Anfrage deutlich wird, im Ergebnis
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erreichen, dass der Begriff der Vernehmung in § 247 StPO denselben Bedeutungsgehalt erhält, den die Rechtsprechung der Vernehmung beigegeben hat,
für deren Dauer nach §§ 171 a ff. GVG die Öffentlichkeit von der Verhandlung
ausgeschlossen wird. Dem vermag der Senat nicht zuzustimmen. Er verweist
insoweit auf seine Antwort in jenem Anfrageverfahren.
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a) Die Vernehmung des Zeugen und die Verhandlung über seine Entlassung sind, wie sich schon aus § 248 Satz 2 StPO ergibt, zwei voneinander zu
trennende Vorgänge. Nach dem Abschluss der Vernehmung erhalten die
Staatsanwaltschaft und der Angeklagte - darüber hinaus die Verfahrensbeteiligten, die zuvor ein Fragerecht nach § 240 Abs. 2 StPO hatten (Diemer in KK
6. Aufl. § 248 Rdn. 3), - Gelegenheit, sich dazu zu äußern, ob der Zeuge entlassen werden kann.
7
b) Die wesentliche Bedeutung der Verhandlung über die Entlassung des
Zeugen liegt darin, dass mit der Entlassung des Zeugen das Fragerecht nach
§ 240 Abs. 2 Satz 1 StPO endet. Will der Angeklagte, dass ein bereits vernommener und entlassener Zeuge nochmals gehört wird, so muss er einen Beweisantrag stellen, den das Gericht nur dann unter Bindung an die Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 StPO durch Beschluss nach § 244 Abs. 6 StPO zu
bescheiden hat, wenn der schon vernommene Zeuge zum Beweis einer neuen
Behauptung benannt ist, zu der er noch nicht gehört worden war; beschränkt
sich das Begehren darauf, einen bereits gehörten Zeugen zum selben Beweisthema erneut zu vernehmen, dann braucht das Gericht dem nur im Rahmen
seiner Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) nachzukommen, ohne an die Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 StPO gebunden zu sein (BGHR StPO § 244
Abs. 6 Beweisantrag 32 m. w. N.).
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c) Für diese in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelte
Konsequenz aus der Entlassung eines Zeugen gibt es gute, in der Strukturierung und damit zügigen Durchführung des Verfahrens und im Schutz des Zeugen vor wiederholten Ladungen liegende Gründe. Es erscheint nicht sinnvoll,
diese hergebrachte Rechtsprechung zu ändern und dadurch zu verkomplizieren, dass für den Fall der Entlassung des Zeugen ohne Einverständnis eines
Verfahrensbeteiligten das Gericht verpflichtet sein soll, ohne Beweisantrag den
Zeugen erneut zu laden.
9
d) Den berechtigten Belangen des Zeugen- und Opferschutzes wird
durch die sorgfältige Beachtung der Verfahrensbestimmungen am besten
Rechnung getragen (vgl. BGH NStZ 2000, 440, 441). Dem Zeugen kann durch
eine Unterrichtung des Angeklagten über den Aussageinhalt und durch eine
sich anschließende Verhandlung über die Entlassung des Zeugen in dessen
Abwesenheit ohne Weiteres eine Konfrontation mit dem Angeklagten erspart
werden.
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e) Der anfragende Senat verweist zu Recht darauf, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu der Frage, was im Zusammenhang mit dem
Verfahren nach § 247 StPO einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung darstellt, nicht frei von Widersprüchen ist. Sie ist jedenfalls nur schwer zu überblicken und trägt - weil umfangreicher als diejenige zu der eigentlich einzuhaltenden Vorschrift - erheblich zur Verunsicherung der Tatrichter bei. Dies liegt auch
darin begründet, dass der Bundesgerichtshof über die Eingrenzung des absoluten Revisionsgrundes (§ 338 Nr. 5 StPO) sowie über die Anforderungen an den
Revisionsvortrag (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) erkennbar immer wieder bestrebt
war, im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit und des Opferschutzes einer Revision den Erfolg zu versagen. Die vorgeschlagene Verfahrensweise beseitigt
diesen Zustand indes nicht, sondern fügt nur eine weitere Besonderheit hinzu.
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Becker
von Lienen
RiBGH Dr. Schäfer befindet
sich im Urlaub und ist daher
gehindert zu unterschreiben.
Becker
Sost-Scheible
Mayer