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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 ARs 7/09
vom
7. Juli 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung u. a.
hier: Anfragebeschluss des 5. Strafsenats vom 10. März 2009 - 5 StR 530/08
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Juli 2009 beschlossen:
Der beabsichtigten Entscheidung des 5. Strafsenats steht Rechtsprechung des 3. Strafsenats nicht entgegen.
Gründe:
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1. Der 5. Strafsenat beabsichtigt zu entscheiden:
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"Erfolgt nach Entfernung des Angeklagten während einer Zeugenvernehmung gemäß § 247 StPO in seiner andauernden Abwesenheit eine förmliche Augenscheinseinnahme, die mit der Vernehmung in engem Sachzusammenhang steht, so ist dem Angeklagten bei seiner Unterrichtung nach § 247
Satz 4 StPO das in seiner Abwesenheit in Augenschein genommene Objekt
vorzuzeigen; das ist im Zusammenhang mit der Unterrichtung zu protokollieren.
Bei einer so gestalteten Unterrichtung ist der absolute Revisionsgrund des
§ 338 Nr. 5 StPO nicht erfüllt."
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Er hat deshalb bei den übrigen Strafsenaten angefragt, ob an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.
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2. Rechtsprechung des 3. Strafsenats steht der beabsichtigten Entscheidung nicht entgegen. Soweit der Senat in der Vergangenheit Urteile aufgrund
von Verfahrensrügen aufgehoben hat, mit denen beanstandet worden war, dass
in Abwesenheit des nach § 247 Satz 1 oder 2 StPO ausgeschlossenen Angeklagten neben der Zeugenvernehmung auch ein Augenschein vorgenommen
wurde, war das Augenscheinsobjekt dem Angeklagten jeweils nachträglich nicht
vorgezeigt worden (vgl. Senat StV 1984, 102; 2002, 8; BGHR StPO § 338 Beruhen 2; Beschl. vom 20. Februar 2002 - 3 StR 345/01).
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3. Der Senat regt aber an, die Frage dem Großen Senat für Strafsachen
wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache nach § 132 Abs. 4 GVG vorzulegen.
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In der Sache tritt der Senat der beabsichtigten Entscheidung entgegen.
Er ist der Auffassung, dass die Verwertung des in Abwesenheit des Angeklagten erhobenen Augenscheinsbeweises nur dann statthaft ist, wenn die Augenscheinseinnahme in Anwesenheit des Angeklagten und auch im Übrigen fehlerfrei wiederholt wird, der Beweisgegenstand als solcher damit ordnungsgemäß in
die Verhandlung eingeführt wird (vgl. BGH StV 2002, 8). Der vom anfragenden
Senat vorgeschlagene Weg ist keine fehlerfreie Wiederholung der Beweisaufnahme.
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a) Der 5. Strafsenat will, wie auch aus der Zusammenschau mit der am
selben Tag in der Sache 5 StR 460/08 erfolgten Anfrage deutlich wird, im Ergebnis erreichen, dass der Begriff der Vernehmung in § 247 StPO denselben
Bedeutungsgehalt erhält, den die Rechtsprechung der Vernehmung beigegeben
hat, für deren Dauer nach §§ 171 a ff. GVG die Öffentlichkeit von der Verhandlung ausgeschlossen wird. Dem vermag der Senat nicht zuzustimmen.
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Eine Auslegung des Begriffs der Vernehmung in § 247 StPO dahingehend, dass die mit ihr in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Sachbeweiserhebungen vom Ausschluss umfasst sind, ist nicht möglich. Die Vernehmung eines Zeugen und die Erhebung von Sachbeweisen sind voneinander
getrennte Verfahrensvorgänge. Die Erhebung von Sachbeweisen in Abwesenheit des nach § 247 StPO ausgeschlossenen Angeklagten ist nach dem klaren
Wortlaut des Gesetzes nicht zulässig. Insoweit ist die Rechtslage anders als bei
den Vorschriften zum Ausschluss der Öffentlichkeit. Die §§ 171 a ff. GVG erlauben den Ausschluss entweder "für die Verhandlung" oder "für einen Teil da-
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von". Eine ausdrückliche gesetzliche Beschränkung auf die "Vernehmung" besteht im Gegensatz zu § 247 StPO nicht. Neben dem Wortlaut spricht auch die
Systematik gegen eine ausdehnende Auslegung. § 247 StPO schränkt das
Recht des Angeklagten ein, an der Hauptverhandlung teilzunehmen und sich
gegen den Tatvorwurf zu verteidigen. Die Vorschrift ist als Ausnahmevorschrift
eng auszulegen. Zur Sicherung der Verfahrensposition des Angeklagten besteht die Pflicht des Vorsitzenden zur Unterrichtung über den wesentlichen Inhalt der Zeugenaussage. Demgegenüber ist der Vorsitzende nicht verpflichtet,
die Öffentlichkeit nach deren Wiederzulassung über das während des Ausschlusses Geschehene zu unterrichten, da dies dem Regelungszweck der
§§ 171 a ff. GVG widerstreiten würde.
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Im Übrigen lässt sich aus der unterschiedlichen Grenzziehung im Anwendungsbereich des § 247 StPO einerseits und in denjenigen der §§ 171 a ff.
GVG andererseits sowie den hierdurch gegebenenfalls begründeten Schwierigkeiten in der Rechtsanwendung für sich gesehen kein durchschlagendes Argument für eine Änderung gerade der Rechtsprechung zu § 247 StPO gewinnen;
denn eine einheitliche Handhabung ließe sich in gleicher Weise dadurch herstellen, dass die Rechtsprechung zu §§ 171 a ff. GVG an diejenige zu § 247
StPO angepasst wird.
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b) Bei der vom anfragenden Senat als ausreichend angesehenen Verfahrensweise, dem Vorzeigen des Augenscheinsobjekts, handelt es sich der Sache nach um einen Versuch der Heilung des zuvor geschehenen Verfahrensverstoßes. Hierzu ist nach Auffassung des 3. Strafsenats indes die vollständige
Wiederholung des Augenscheins notwendig. Dies entspricht bisheriger Rechtsprechung (BGH StV 1984, 102; 2002, 8). Eine andere, dahinter zurückbleibende Form der Heilung zuzulassen (oder auch nur für diesen Fall den absoluten
Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO zu verneinen), würde die bereits jetzt nur
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schwer übersehbare Rechtsprechung lediglich weiter komplizieren. Zudem wäre
auch nur beim Augenschein eine solche Form der Heilung möglich. Die fehlerhaft in Abwesenheit des ausgeschlossenen Angeklagten vorgenommene Urkundenverlesung könnte keinesfalls dadurch ausgeglichen werden, dass der
Angeklagte sich die Urkunde selbst durchlesen kann.
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Zu der Heilung in Form der fehlerfreien Wiederholung der Sachbeweisaufnahme wird der Zeuge, der während des in Abwesenheit des Angeklagten
durchgeführten Augenscheins anwesend war, nicht mehr benötigt, denn es
handelt sich um einen gerichtlichen Augenschein, an dem alle Mitglieder des
Gerichts teilnehmen müssen und bei dem den Prozessbeteiligten die Gelegenheit zur Besichtigung gegeben werden muss (Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozess S. 239). Der Zeuge gehört deshalb nicht zu den
Personen, deren Anwesenheit erforderlich ist.
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c) Den berechtigten Belangen des Zeugen- und Opferschutzes wird
durch die sorgfältige Beachtung der Verfahrensbestimmungen am besten
Rechnung getragen werden (vgl. BGH NStZ 2000, 440, 441). Dazu gehören
auch die Vorschriften über die Sitzungsniederschrift (vgl. hierzu nur BGH NStZ
1999, 522; 2002, 384; StV 2004, 306).
Becker
von Lienen
RiBGH Dr. Schäfer befindet
sich im Urlaub und ist daher
gehindert zu unterschreiben.
Becker
Sost-Scheible
Mayer