|
BUNDESGERICHTSHOF
|
|
BESCHLUSS
|
|
2 StR 57/17
|
|
vom
|
|
1. Juni 2017
|
|
in dem Sicherungsverfahren
|
|
gegen
|
|
|
|
ECLI:DE:BGH:2017:010617B2STR57.17.0
|
|
|
|
-2-
|
|
|
|
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 1. Juni 2017 gemäß § 349 Abs. 4
|
|
StPO beschlossen:
|
|
|
|
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 16. September 2016 mit den zugehörigen
|
|
Feststellungen aufgehoben.
|
|
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
|
|
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
|
|
des Landgerichts zurückverwiesen.
|
|
|
|
Gründe:
|
|
1
|
|
|
|
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, weil er bei aufgehobener Einsichtsfähigkeit am 29. September 2015 einen fremden PKW und am 13. März 2016 einen
|
|
mit Kleidung gefüllten Rollkoffer in einem von ihm genutzten Gebäude in Brand
|
|
gesetzt hat. Die Revision des Beschuldigten hat mit der Sachrüge Erfolg.
|
|
|
|
2
|
|
|
|
1. Nach Überzeugung des sachverständig beratenen Landgerichts war
|
|
der Beschuldigte aufgrund einer schizoaffektiven, gegenwärtig manischen Störung sowie einer Polytoxikomanie „seit September 2015 und auch zu den Tatzeiten akut psychotisch“, wodurch bei beiden Straftaten seine Einsichtsfähigkeit
|
|
vollständig aufgehoben gewesen sei. Es ist ohne Weiteres der Auffassung des
|
|
Sachverständigen gefolgt, wonach bei dem bis zur ersten Tat im September
|
|
|
|
-3-
|
|
|
|
2015 unauffälligen Beschuldigten „Auffassungs- und Konzentrationsstörungen“,
|
|
„Zeitgitterstörungen“ und „Ideenflucht“, „Beziehungs- und Beeinträchtigungswahn“, der „systemische Züge“ aufweise, sowie „Größen- und Allmachtsideen“
|
|
bestünden. Die Affektivität des Beschuldigten sei „maniform und dysphorisch
|
|
gereizt“, er selbst sei psychomotorisch unruhig und deutlich antriebsgesteigert;
|
|
seine Zukunftsvorstellungen seien situativ verzehrt und wegen fehlender Wahrnehmung der eigenen Einschränkung besitze er „kein realistisches Lebens- und
|
|
Zukunftskonzept.“
|
|
3
|
|
|
|
2. Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht hinreichend belegt.
|
|
|
|
4
|
|
|
|
a) Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Unterzubringenden zur
|
|
Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder
|
|
im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfordert prinzipiell eine
|
|
mehrstufige Prüfung (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 30. März 2017 - 4 StR
|
|
463/16, NStZ-RR 2017, 165, 166 und Senat, Urteil vom 1. Juli 2015 - 2 StR
|
|
137/15, NJW 2015, 3319, 3320; vgl. auch Boetticher/Nedopil/Bosinski/Saß,
|
|
NStZ 2005, 57 ff.). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Täter eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass
|
|
sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu
|
|
subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die
|
|
festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische
|
|
Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein.
|
|
Hierzu ist der Richter für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen
|
|
eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung einer aufgehobenen oder
|
|
|
|
-4-
|
|
|
|
erheblich beeinträchtigten Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Täters zur
|
|
Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Täters in der
|
|
konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit
|
|
ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2017 - 4 StR 463/16,
|
|
NStZ-RR 2017, 165, 166; Beschluss vom 28. Januar 2016 - 3 StR 521/15,
|
|
NStZ-RR 2016, 135).
|
|
5
|
|
|
|
b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil in mehrfacher
|
|
Hinsicht nicht gerecht.
|
|
|
|
6
|
|
|
|
aa) Das angefochtene Urteil lässt bereits eine Auseinandersetzung mit
|
|
dem Schweregrad der angenommenen psychischen Störung vermissen. Damit
|
|
ist aber zu besorgen, dass das Landgericht in rechtsfehlerhafter Weise davon
|
|
ausgegangen ist, bereits die Diagnose einer schizoaffektiven Störung führe ohne Weiteres zur Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit gemäß §§ 20, 21 StGB.
|
|
|
|
7
|
|
|
|
bb) Das Urteil nimmt zudem keinerlei wertende Betrachtung zur Tatrelevanz der Störung vor. Dieses darf nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedoch regelmäßig nicht offenbleiben (vgl. etwa BGH, Urteil vom
|
|
29. September 2015 - 1 StR 287/15, NJW 2016, 341, 342; Beschluss vom
|
|
22. April 2008 - 4 StR 136/08, NStZ-RR 2009, 46 f. und Senat, Beschluss vom
|
|
12. November 2004 - 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 351 f.).
|
|
|
|
8
|
|
|
|
Für die Frage eines Ausschlusses oder einer erheblichen Verminderung
|
|
der Schuldfähigkeit kommt es maßgeblich darauf an, in welcher Weise sich die
|
|
festgestellte und unter eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumierende psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglich-
|
|
|
|
-5-
|
|
|
|
keiten des Beschuldigten in der konkreten Tatsituation ausgewirkt hat. Die Beurteilung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit kann daher - von offenkundigen Ausnahmefällen abgesehen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Mai 1997 - 1 StR
|
|
17/97, NStZ 1997, 485, 486) - nicht abstrakt, sondern nur in Bezug auf eine bestimmte Tat erfolgen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 - 1 StR
|
|
56/15, NJW 2016, 728, 729; Urteil vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03, BGHSt
|
|
49, 45, 54). Beurteilungsgrundlage ist das konkrete Tatgeschehen, wobei neben der Art und Weise der Tatausführung auch die Vorgeschichte, der Anlass
|
|
zur Tat, die Motivlage des Beschuldigten und sein Verhalten nach der Tat von
|
|
Bedeutung sein können (vgl. BGH, Urteile vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03
|
|
aaO mwN; vom 4. Juni 1992 - 5 StR 122/91, BGHSt 37, 397, 402). An einer
|
|
solchen spezifisch tatbezogenen Auseinandersetzung fehlt es hier.
|
|
9
|
|
|
|
c) Die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten als Grundlage
|
|
für die Anordnung nach § 63 StGB bedarf daher insgesamt neuer Prüfung
|
|
durch den Tatrichter.
|
|
|
|
10
|
|
|
|
3. Sollte gemäß § 416 Abs. 2 StPO das Sicherungsverfahren in das
|
|
Strafverfahren überzuleiten sein (zur Möglichkeit einer Überleitung nach Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht vgl. Meyer-Goßner,
|
|
StPO, 60. Aufl., § 416 Rn. 5 mwN), wird auf § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO hinge-
|
|
|
|
-6-
|
|
|
|
wiesen. Der neue Tatrichter wird zudem eingehender als bislang geschehen
|
|
darzulegen haben, inwieweit der Beschuldigte zur schweren Brandstiftung unmittelbar angesetzt hat.
|
|
Appl
|
|
|
|
Eschelbach
|
|
Grube
|
|
|
|
Zeng
|
|
Schmidt
|
|
|
|
|