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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 10/15
vom
14. Oktober 2015
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
-2-
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 23. September 2015 in der Sitzung am 14. Oktober 2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Prof. Dr. Krehl,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
in der Verhandlung
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
in der Verhandlung
als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte
Justizangestellte
in der Verhandlung,
bei der Verkündung
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
-3-
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Frankfurt am Main vom 25. Juni 2014 mit den
Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Totschlags und der tateinheitlich begangenen gefährlichen Körperverletzung freigesprochen. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die das Urteil mit der Sachrüge angreift, hat Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts traf der von der Zeugin
B.
herbeigerufene Angeklagte, der bereits zuvor Alkohol getrunken und
Cannabis konsumiert hatte, am Abend des 12. September 2013 in deren Wohnung auf den dort bereits anwesenden Nebenkläger. Alle drei tranken zusammen weiter Alkohol, bis der Nebenkläger im Laufe des Abends sein Handy vermisste und dem Angeklagten vorwarf, er habe dieses entwendet. Dieser bestritt
dies vehement, der Nebenkläger beharrte auf seinem Vorwurf, was den Angeklagten, der daraufhin mit 2-3 Schlägen eine Glasscheibe beschädigte, in Rage
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versetzte. Er verließ die Wohnung der Zeugin B.
, der Nebenkläger folgte
ihm und warf ihm dort erneut vor, das Handy entwendet zu haben. Der Angeklagte antwortete weinerlich, er habe das Handy nicht. Es kam zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf der Angeklagte ausrief: "Hör auf, Du bringst mich
noch um". Schließlich schaffte es der Angeklagte, den Nebenkläger zu beruhigen, beide gingen wieder in die Wohnung der Zeugin B.
zurück, wo sich
der Angeklagte für die zerbrochene Glasscheibe entschuldigte.
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Im weiteren Verlauf des Abends - alle hatten weiter Alkohol getrunken fragte der Angeklagte den Nebenkläger, ob er ihm 0,5 g Kokain zum Preis von
30 Euro verkaufe, wobei er angab, 25 Euro hierfür am Geldautomaten holen zu
wollen. Der Nebenkläger lehnte ab und äußerte sich abfällig über den Angeklagten; er zeigte demonstrativ auf 1000 Euro Bargeld, die er bei sich hatte, und
sagte, er habe das Geld des Angeklagten nicht nötig. Der Angeklagte ärgerte
sich und teilte dem Nebenkläger mit, dieser könne seinen "Schmodder" behalten, er hole sich jetzt etwas Besseres. Der Angeklagte ging in Richtung Wohnungstür, als die Zeugin B.
ihn am Arm festhielt und bat, nach Hause zu
gehen, worauf der Angeklagte kurz die Wohnung verließ. Der Nebenkläger, der
sich seinerseits über die Aussage des Angeklagten geärgert hatte, stand hastig
von der Couch auf, ging schnell in Richtung des Angeklagten und drohte, ihn
fertig machen zu wollen. Der Angeklagte, der zwischenzeitlich wieder in die
Wohnung zurückgekehrt war, hielt nunmehr ein Messer mit einer Klingenlänge
von 15 cm vor seiner Brust und rief in Richtung des Nebenklägers, dieser solle
ihn in Ruhe lassen und sich "verpissen". Die Zeugin B.
ging, nachdem
sie dies gehört hatte, schleunigst in Richtung des Wohnzimmers, um nicht zwischen die Fronten zu geraten. Der Nebenkläger ging ungeachtet des Messers
auf den Angeklagten los und schlug ihm mit der rechten Faust zweimal gegen
den Kopf. Daraufhin stach der Angeklagte dem Nebenkläger mit dem Messer
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ca. 4 cm unterhalb der rechten Brustwarze in den Brustkorb, um ihn erheblich
zu verletzen. Dabei nahm er den Tod des Nebenklägers nicht billigend in Kauf.
Der Nebenkläger erlitt infolge der Stichverletzung einen Pneumothorax sowie
eine Lungeneinblutung. Unmittelbar nach dem Stich sah der Angeklagte, dass
der Nebenkläger stark blutete, führte ihn ins Wohnzimmer zurück und entschuldigte sich bei ihm, er habe das nicht gewollt. Der Nebenkläger verabschiedete
sich mit den Worten "Ich sterbe" und ging vor das Haus, wohin ihm der Angeklagte folgte. Vorher hatte er mit seinem Handy den Notruf angewählt und das
Telefon der Zeugin B.
gegeben, damit diese Rettungskräfte informieren
solle. Nachdem der Angeklagte und der Nebenkläger in Richtung Gehweg gegangen waren, gingen sie in die Wohnung zurück. Vor dem Eintreffen der alarmierten Rettungskräfte ging der Angeklagte erneut vor das Haus und warf einen
bei sich geführten Schlagring in ein Gebüsch neben der Haustür. Der Angeklagte, der Nebenkläger und die Zeugin B.
standen während des gesamten
Tatzeitraums erheblich unter Alkoholeinfluss.
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Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung verwirklicht habe, seine Tat aber
durch Notwehr gerechtfertigt sei.
5
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
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Die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte habe in Notwehr gehandelt, ist nicht frei von Rechtsfehlern.
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a) Das Landgericht ist aufgrund der getroffenen Feststellungen zwar zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte durch die Faustschläge des
Nebenklägers rechtswidrig angegriffen worden ist, auch wenn man berücksich-
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tigt, dass der Angeklagte den Nebenkläger aufgefordert hatte, ihn in Ruhe zu
lassen und "sich zu verpissen". Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass
darin ein rechtswidriger Angriff des Angeklagten auf die Handlungsfreiheit des
Nebenklägers gelegen hätte, wären die Faustschläge aber schon kein erforderliches Mittel zur Abwehr dieses Angriffs.
8
b) Die Strafkammer hat auch noch ohne Rechtsfehler angenommen,
dass die Notwehrhandlung des Angeklagten erforderlich war.
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Rechtlich unbedenklich ist die Strafkammer dabei davon ausgegangen,
dass der Angeklagte durch das sichtbare Vorzeigen des Messers dessen Einsatz konkludent angedroht hat. Entgegen der Ansicht der Revision hat sich das
Landgericht auch in ausreichendem Maße mit der Frage befasst, ob dem Angeklagten in der konkreten Situation ein weniger gefährliches Verteidigungsmittel
zur Abwehr des Angriffs zur Verfügung stand. Die Strafkammer hat rechtlich
unbedenklich dargelegt, dass die Erfolgsaussichten seiner Verteidigungshandlung erheblich eingeschränkt gewesen wären, hätte er versucht, auf weniger
sensible Körperpartien des Nebenklägers wie beispielsweise Arme oder Beine
einzustechen. Ein Versuch des Angeklagten, gezielt auf die Extremitäten des
Nebenklägers einzustechen, die wesentlich schwerer zu treffen sind als der
Rumpfbereich, wäre angesichts der räumlichen Enge des Tatorts sowie der Alkoholisierung des Angeklagten, bei der ohne nähere Darlegung auch von einer
Beeinträchtigung der motorischen Fähigkeiten ausgegangen werden kann, mit
einem unzumutbar hohen Fehlschlagrisiko einhergegangen.
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Keiner ausdrücklichen Erörterung bedurfte es entgegen der Ansicht der
Revision im Übrigen, ob der Angeklagte vorrangig zur Abwehr des Angriffs seinen in der Hosentasche mitgeführten Schlagring hätte einsetzen müssen. Zu
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Recht hat der Generalbundesanwalt darauf hingewiesen, dass es bereits nicht
ersichtlich sei, warum der Schlagring im Vergleich zum Messer ein milderes,
weniger gefährliches Mittel gewesen sein sollte.
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c) Rechtlichen Bedenken begegnet allerdings die Annahme des Landgerichts, eine Einschränkung des Notwehrrechts sei auch nicht unter sozialethischen Gesichtspunkten geboten. Es ist schon fraglich, auf welcher Tatsachengrundlage die Strafkammer ihre rechtlichen Erwägungen angestellt hat. So
erscheint es nach den insoweit unklaren Feststellungen denkbar, dass die
feindselige Bemerkung des Nebenklägers, er werde den Angeklagten fertig machen, gefallen ist, bevor der Angeklagte das Haus verlassen und sodann mit
einem Messer in der Hand zurückgekehrt ist. In diesem Fall erscheint es nicht
von vornherein ausgeschlossen, dass der Angeklagte einen weiteren Angriff
durch den Nebenkläger im Hinblick auf das von ihm hervorgeholte Messer vorhergesehen und den darauf folgenden Einsatz "geplant" oder zumindest mit ihm
gerechnet hat. Insoweit unterläge sein Notwehrrecht im Hinblick auf ein sozialethisch zu missbilligendes Vorverhalten Einschränkungen (vgl. BGH, NStZ-RR
2015, 303, 304), mit denen sich das Landgericht, das im Übrigen schon nicht
mitteilt, worauf es die Feststellung, der Nebenkläger habe geäußert, den Angeklagten fertig machen zu wollen, gestützt hat, nicht auseinander gesetzt hat.
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Aber auch dann, wenn man davon ausginge, dass der Nebenkläger den
Angeklagten erst im Augenblick, als er ihn mit einem Messer vor sich stehen
sah, mit den Worten angriff, ihn fertig machen zu wollen, ist - schon mit Blick
auf die Vorgeschichte und die Bitte der Zeugin, die Wohnung zu verlassen - zu
erwägen, ob nicht das Notwehrrecht des Angeklagten deshalb Einschränkungen unterliegt. Die Erwägungen des Landgerichts, das sich zwar mit der Frage
einer Einschränkung des Notwehrrechts unter sozial-ethischen Gesichtspunk-
-8-
ten befasst, greifen diese Umstände nicht auf und erweisen sich deshalb als
fehlerhaft.
Fischer
Appl
Ott
Krehl
Zeng