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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 580/09
vom
30. Juni 2010
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
-2-
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 30. Juni 2010 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Erfurt vom 24. Juni 2009 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Unfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer als Schwurgericht zurückverwiesen.
Gründe:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und seine (erneute)
Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die auf die Verletzung
formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit
der Sachrüge im Rechtsfolgenausspruch Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich
unbegründet.
2
1. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht das Vorliegen erheblich
verminderter Schuldfähigkeit ausgeschlossen hat, halten einer rechtlichen
Nachprüfung nicht stand. Die Kammer ist - sachverständig beraten - zu der Ansicht gelangt, dass bei dem Angeklagten keine krankhafte seelische Störung
aufgrund seines Alkoholgenusses vorgelegen habe (UA S. 33). Auch sei bei
ihm keine Psychose oder psychosomatische Störung festzustellen gewesen.
-3-
Die schon in einem vorangegangenen Strafverfahren im Jahre 2004 gestellte
Diagnose einer kombinierten Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F 61.0) mit emotionaler Instabilität und mangelnder Impulskontrolle, narzisstischen, dissozialen
und sadistischen Zügen und einer Alkoholabhängigkeit in einer beginnenden
chronischen Phase habe sich erneut bestätigt. Diese Störung habe sich jedoch
nicht in der Tat ausgewirkt (UA S. 35). Bei dem Angeklagten seien zwei Gemütszustände zu unterscheiden. Im Zustand seiner Persönlichkeitsstörung
handele der Angeklagte in höchster Erregung mit hoher Impulsivität und könne
seine Verhaltensweisen aufgrund einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung
nicht steuern. Hiervon sei der Zustand der "schönen Stimmung" oder auch des
"schönen Gefühls" zu unterscheiden. Es handele sich dabei um einen leichten
Rauschzustand, den der Angeklagte gezielt über Stunden und möglicherweise
sogar Tage herbeiführe, indem er sich, verstärkt durch Alkohol, in Gewaltfantasien ergehe. Kennzeichnend seien massive Gewaltfantasien, die der Angeklagte spätestens seit dem 12. Lebensjahr entwickelt habe (UA S. 35). Er habe im
Laufe der Zeit gelernt, diesen Zustand immer weiter zu verfeinern und diesen
durch entsprechendes Verhalten - verstärkt durch eine mittelgradige Alkoholisierung - regelrecht hervorzurufen. Es handele sich bei dem beschriebenen Zustand um einen von dem Angeklagten gezielt gesteuerten Zustand, in dem er
sein Verhalten vollständig beherrsche und ohne pathologische Einflüsse voll
schuldfähig handele. In einem solchen Zustand habe sich der Angeklagte bei
der ihm vorgeworfenen Tat befunden (UA S. 36).
3
2. Diese Begründung trägt die Verneinung einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit nicht. Sie ist lückenhaft und widersprüchlich.
4
Nachvollziehbar hat die Strafkammer zwar noch dargelegt, dass bei dem
Angeklagten grundsätzlich zwei Gemütszustände zu unterscheiden seien und
er während der verfahrensgegenständlichen Tat im Zustand der "schönen
-4-
Stimmung" gehandelt habe. Dass dieser Zustand weder eine schwere seelische
Abartigkeit noch eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung darstellt und auch nicht
zu einer relevanten Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit geführt haben
soll, lässt sich den Ausführungen des Landgerichts aber nicht (mehr) zweifelsfrei entnehmen. Das Landgericht geht auf der Grundlage der sachverständigen
Äußerung ohne weitere Erläuterung davon aus, dass es sich dabei um einen
gezielt gesteuerten Zustand handelt, in dem der Angeklagte sein Verhalten vollständig beherrsche. Dies liegt angesichts des Umstands, dass Auslöser dieses
Verhaltens Gewaltfantasien sein sollen, die der Angeklagte situationsbezogen
schon in seiner Kindheit entwickelt hat, allerdings nicht auf der Hand. Das
Landgericht hätte sich deshalb zunächst eingehender damit auseinandersetzen
müssen, ob die genannten Fantasien den Angeklagten gewissermaßen ungewollt in bestimmten Situationen "überkommen" - wofür unter anderem sprechen
könnte, dass sie ursprünglich Reaktion auf Demütigungen durch nahe stehende
Mitmenschen waren - oder ob er sie - mittlerweile losgelöst von jedem Bezug zu
täglichem Erleben oder dem Konsum von Alkohol - tatsächlich selbst entwickelt.
Die Hinweise der Kammer in diesem Zusammenhang, der Angeklagte benutze
in bestimmten Situationen sich zurecht gelegte Gewaltszenarien (UA S. 36) und
habe es im Laufe der Zeit gelernt, diesen von Gewaltfantasien geprägten Zustand immer weiter zu verfeinern, entbehren dabei jeder tatsächlichen Grundlage und können vom Revisionsgericht so nicht nachvollzogen werden. Sie stehen im Übrigen im Widerspruch zu der an anderer Stelle mitgeteilten Einschätzung des Sachverständigen, der Angeklagte werde weiter von Gewaltfantasien
"bestimmt" (UA S. 40). Dies legt vielmehr nahe, dass der Angeklagte sich nicht
von sich aus gezielt Gewaltszenarien ausmalt, sondern diesen jedenfalls auch
unfreiwillig ausgesetzt ist.
5
Unabhängig davon, ob die Gewaltfantasien heute noch immer eine nicht
gesteuerte Reaktion auf Erlebtes sind oder sich im Sinne der Herbeiführung
-5-
eines "schönen Zustands" verselbständigt haben, hätte sich die Kammer weiter
der Frage stellen müssen, ob und welche Mittel der Angeklagte zur Verfügung
hat, mit diesen einmal aufgekommenen Fantasien umzugehen, ob er also uneingeschränkt in der Lage ist, mit seinen Fantasien auch ohne Begehung gewaltbesetzter Straftaten zurechtzukommen.
6
Ohne nähere Erläuterung geht das Landgericht davon aus, dass er trotz
Gewaltfantasien sein Verhalten vollständig beherrschen könne. Dafür könnte
zwar sprechen, dass in der Vergangenheit schon das Ausmalen der Gewaltszenarien zu dem offenbar angestrebten und erlösenden "Gefühl der Beruhigung, Entspannung und Befriedigung" geführt hat, es also einer tatsächlichen
Umsetzung der eigenen Gewaltgedanken hierfür nicht bedurfte. Zu berücksichtigen sind aber auch die progrediente Entwicklung seiner Fantasien, die schließlich bereits zur Tötung von Menschen geführt hat, sowie der Umstand, dass zur
Beherrschung der Fantasien bereits - erfolgreich - Medikamente eingesetzt
worden sind, die zum Nachlassen zuvor vorhandener Tötungsfantasien geführt
haben (UA S. 40). Dies weist zumindest darauf hin, dass es sich beim Umgang
mit diesen Fantasien nicht allein um vom Angeklagten steuerbare Vorgänge,
sondern um eine psychische Erkrankung handeln könnte, die sich - unter zusätzlicher Berücksichtigung der alkoholbedingten Enthemmung des Angeklagten - auf die Frage seiner Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB ausgewirkt haben könnte. Dem stünde im Übrigen auch nicht entgegen, dass der Angeklagte - wie die Kammer festgestellt hat (UA S. 20, 36, 41) - seinen "schönen
Zustand" ausgekostet und ausgelebt hat. Denn dies besagt noch nichts darüber, ob er in der Tatsituation noch uneingeschränkt in der Lage war, sein Verhalten zu steuern. Dies gilt um so mehr, als einige Bemerkungen des Angeklagten und auch sein Verhalten während und nach der Tat (etwa Streicheln des
Kopfes des Opfers mit einem leichten Lächeln und den Worten "Du bist ein Gu-
-6-
ter") nicht ohne Weiteres die Einschätzung tragen, er genieße es voller "Wollust", sein Opfer zu quälen und zu demütigen.
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3. Die lückenhaften und widersprüchlichen Erwägungen des Landgerichts führen zur Aufhebung des Strafausspruchs. Aber auch die Anordnung der
Sicherungsverwahrung kann keinen Bestand haben. Die Ermessensentscheidung der Kammer nach § 66 Abs. 3 StGB ist wesentlich von Erwägungen zu
den Gewaltfantasien des Angeklagten und seinem gefühllos in die Realität umgesetzten Ausleben seines schönen Gefühls geprägt (UA S. 41). Es lässt sich
nicht ausschließen, dass eine andere Beurteilung der Fantasienwelt des Angeklagten in einem neuen Verfahren, insbesondere auch unter Berücksichtigung
der schon bestehenden Anordnung von Sicherungsverwahrung, zu einem anderen, für den Angeklagten günstigeren Ergebnis führen könnte.
8
Dagegen wird der Schuldspruch von den festgestellten Mängeln der Entscheidung nicht berührt. Der Senat schließt aus, dass ein neues Tatgericht
- auch bei nahe liegender Einschaltung eines anderen Sachverständigen - zu
einem Ausschluss der Schuldfähigkeit des Angeklagten gelangen könnte.
Rissing-van Saan
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