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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 439/05
vom
14. Dezember 2005
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer Vergewaltigung u.a.
-2-
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. Dezember
2005, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Bode,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Professor Dr. Fischer,
Oberstaatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
-3-
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Bonn vom 23. Februar 2005
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte im
Fall 6 der Urteilsgründe der besonders schweren Vergewaltigung und im Fall 8 der Urteilsgründe der besonders
schweren sexuellen Nötigung schuldig ist,
b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben im Einzelstrafausspruch in den Fällen 6 und 8 der Urteilsgründe
sowie im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen
-4-
Gründe:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in sieben
Fällen (Fälle 1 bis 7) und wegen versuchter Vergewaltigung (Fall 8) zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die
Staatsanwaltschaft erhebt mit ihrem zulässig beschränkten Rechtsmittel die
Sachrüge und erstrebt im Fall 6 eine Verurteilung des Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 1 StGB) und
im Fall 8 wegen besonders schwerer sexueller Nötigung (§ 177 Abs. 1, Abs. 4
Nr. 1 StGB). Außerdem beanstandet sie den gesamten Strafausspruch. Das
Rechtsmittel hat Erfolg, soweit es sich gegen den Schuld- und Strafausspruch
in den genannten Fällen und gegen die Gesamtfreiheitsstrafe richtet. In diesem
Umfang wird es auch vom Generalbundesanwalt vertreten. Im Übrigen ist das
Rechtsmittel unbegründet.
I.
2
Das Landgericht hat im Wesentlichen festgestellt:
3
a) Fall 6:
4
Der Angeklagte hatte seine Lebensgefährtin, die Nebenklägerin, bereits
in den Fällen 1 bis 5 vergewaltigt, als er sie am Morgen des 28. Dezember 2003
im Kinderzimmer weckte und den Geschlechtsverkehr verlangte. Die Nebenklägerin lehnte dies ab. Daraufhin holte er seine Matratze, legte sie vor das Bett
der Nebenklägerin, packte die schlaftrunkene Frau, zog sie zu sich auf die Matratze und riss ihr trotz heftiger Gegenwehr Jogging- und Unterhose herunter.
Dann hielt er ihr eine spitze Haushaltsschere mit knapp 10 cm Schneidelänge
vor den Schambereich. Dabei sagte er: "Wenn du still hältst, geht alles ganz
schnell!". Die Nebenklägerin erschrak beim bloßen Anblick der spitzen Schere
-5-
und bewegte sich aus Angst nicht mehr. Der Angeklagte schnitt ihr die Schamhaare oberhalb der Scheide ab und äußerte erniedrigende Beleidigungen. Anschließend legte er die Schere griffbereit neben die Matratze, rieb den Scheidenbereich der Nebenklägerin mit Babyöl ein und vollzog mit ihr, die weiterhin
Angst vor der Schere hatte, gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr bis
zum Samenerguss.
5
Nach Beendigung des Geschlechtsverkehrs kündigte der Angeklagte
eine baldige Wiederholung an. Um dem zuvorzukommen, zog sich die Nebenklägerin Jeans und Pullover an und ging in die Küche. Der Angeklagte folgte ihr
und pickte ihr mit einem großen Küchenmesser auf die Hose, damit sie sie auszöge. Die Nebenklägerin weigerte sich. Um seiner Forderung Nachdruck zu
verleihen, hielt er ihr das Messer an die Kehle. Als dies die Nebenklägerin nicht
beeindruckte, legte er das Messer wieder weg. Nach einem Gerangel zog sich
die Nebenklägerin aus Protest schließlich selbst aus und schlug mit ihren Jeans
heftig um sich. In diesem Moment klingelte das Telefon und der Bruder des Angeklagten kündigte sein baldiges Erscheinen an. Daraufhin ließ der Angeklagte
von der Nebenklägerin ab.
6
Diese Tat hat das Landgericht im Schuldspruch als Vergewaltigung gewertet, in den Urteilsgründen (UA S. 48) jedoch die Qualifikation des Beisichführens eines gefährlichen Werkzeugs (§ 177 Abs. 3 Nr. 1 StGB) für verwirklicht
erachtet, ohne dies aber im Tenor zum Ausdruck zu bringen, und hat hierfür
eine Einzelfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verhängt. Eine
Qualifikation nach § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB hat das Landgericht nicht geprüft.
7
b) Fall 8:
8
In den Morgenstunden des 4. Januar 2004 kam es zum Streit zwischen
dem Angeklagten und der Nebenklägerin. Der Angeklagte war bereit aus der
-6-
Wohnung auszuziehen, wollte aber den gemeinsamen Sohn gegen den Willen
der Nebenklägerin und trotz der nächtlichen Stunde gleich mitnehmen. Als sich
die Nebenklägerin schützend vor die Tür des Kinderzimmers stellte, holte er ein
großes Küchenmesser und eine große Fleischgabel mit 14 cm langen Zinken.
Als der Angeklagte bemerkte, dass die Nebenklägerin telefonisch Hilfe herbeirief, legte er Küchenmesser und Fleischgabel aus der Hand, nahm der Nebenklägerin das Telefon weg, zerstörte es und trat und würgte die Nebenklägerin.
9
Sodann nahm der Angeklagte die Fleischgabel wieder an sich und hielt
sie der Nebenklägerin drohend vor Bauch und Brust, drängte sie ins Wohnzimmer und forderte sie auf, sich auszuziehen. Mit der Fleischgabel tippte er jeweils auf das Kleidungsstück, das sie als nächstes ausziehen sollte. Aus Angst
vor weiteren Schlägen und der vorgehaltenen Fleischgabel entkleidete sie sich
vollständig. Dann drückte sie der Angeklagte unter weiterem Vorhalten der
Fleischgabel über das Seitenteil des Sofas nach hinten, während ihre Unterschenkel herunterhingen. Der am Unterleib entblößte Angeklagte legte sich nun
mit der Fleischgabel in der Hand über die Nebenklägerin und versuchte, mit
seinem erigierten Glied ungeschützt und gegen den Willen der Nebenklägerin in
ihre Scheide einzudringen, wobei er sich sexualbezogen herabwürdigend über
die Nebenklägerin äußerte. Dem Angeklagten gelang es jedoch wegen der heftigen Gegenwehr der Nebenklägerin nicht, in ihre Scheide einzudringen. Er
konnte mit seinem Penis lediglich die äußeren Schamlippen berühren. In diesem Augenblick klingelte die telefonisch herbeigerufene Polizei.
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Diesen Vorfall hat das Landgericht im Schuldspruch als versuchte Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 Nr. 1, 22 StGB) bezeichnet, in den Urteilsgründen
(UA S. 48) jedoch die Qualifikation des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB für verwirklicht
erachtet, weil der Angeklagte die Nebenklägerin mit der Fleischgabel bedroht
habe. Bei der Strafzumessung hat das Landgericht einen minder schweren Fall
-7-
im Sinne von § 177 Abs. 5 Alt. 2 StGB angenommen, weil es beim Versuch der
Vergewaltigung geblieben sei, und deshalb im Hinblick auf § 50 StGB von einer
Strafrahmenmilderung nach § 23 Abs. 2 StGB abgesehen. Es hat für diese Tat
eine Einzelfreiheitsstrafe von vier Jahren verhängt.
II.
11
Die angefochtenen Schuldsprüche halten der sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand.
12
1. Im Fall 6 ist der Angeklagte auf der Grundlage der rechtsfehlerfreien
Feststellungen der besonders schweren Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 Nr. 1,
Abs. 4 Nr. 1 StGB) schuldig (zur Tenorierung vgl. Tröndle/Fischer, StGB
53. Aufl. § 177 Rdn. 78 m.w.N.).
13
Das Landgericht hat in den Urteilsgründen bereits selbst dargelegt, dass
der Angeklagte dadurch, dass er beim erzwungenen Geschlechtsverkehr mit
der Nebenklägerin die spitze Haushaltsschere griffbereit neben sich liegen hatte, zumindest die bereits in der Anklage angenommene Qualifikation des Beisichführens eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne von § 177 Abs. 3 Nr. 1
StGB verwirklicht hat. Dementsprechend hat das Landgericht bei der Strafzumessung für diese Tat auch den Strafrahmen des § 177 Abs. 3 StGB zugrunde
gelegt (UA S. 50).
14
Das Landgericht hätte jedoch darüber hinaus berücksichtigen müssen,
dass der Angeklagte die Haushaltsschere bei der Tatbegehung auch verwendet
hat. Er hatte sie nach der anfänglichen Bedrohung der Nebenklägerin beim
Schneiden der Schamhaare auch beim Vollzug des Geschlechtsverkehrs noch
griffbereit neben der Matratze liegen und hat somit die Schere als gefährliches
Werkzeug nicht nur bei sich geführt, sondern auch in diesem Tatstadium noch
-8-
als Drohmittel verwendet. Hierfür genügt es, dass der Täter das gefährliche
Werkzeug bei der Tat konkludent als Drohmittel einsetzt. Das gilt jedenfalls
dann, wenn der Täter - wie hier der Angeklagte - auf Grund der Nähe zum Tatopfer diesem jederzeit ohne Weiteres mit der spitzen Haushaltsschere Verletzungen beibringen kann (vgl. BGH NStZ 2001, 369; NStZ-RR 1999, 7; Tröndle/Fischer aaO Rdn. 84; Eser in Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl. § 250 Rdn.
29 jeweils m.w.N.) und das Tatopfer wegen seiner fortbestehenden Angst vor
der Schere den ungewollten Geschlechtsverkehr über sich ergehen lässt. Dass
der Angeklagte die Haushaltsschere bei dem erzwungenen Geschlechtsverkehr
bewusst und gewollt zur konkludenten Bedrohung der Nebenklägerin neben die
Matratze gelegt hat, hat das Landgericht unter den gegebenen Umständen hinreichend festgestellt. Dies hat zur Folge, dass der Angeklagte der besonders
schweren Vergewaltigung schuldig ist.
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2. Im Fall 8 führen die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des
Landgerichts ebenfalls zu einer Änderung des Schuldspruchs, weil das Tatgeschehen rechtlich als vollendete besonders schwere sexuelle Nötigung (§ 177
Abs. 4 Nr. 1 StGB) zu werten ist (zur Tenorierung vgl. Tröndle/Fischer aaO
Rdn. 78 m.w.N.). Der Angeklagte hat, was das Landgericht verkannt hat, die
sexuelle Nötigung der Nebenklägerin nicht nur versucht, sondern mit dem festgestellten Tatverhalten bereits vollendet. Erst der beabsichtigte Geschlechtsverkehr blieb im Versuchsstadium, weil der Angeklagte wegen der heftigen Gegenwehr der Nebenklägerin nicht in deren Scheide eindringen konnte. Eine
Verurteilung wegen "versuchter Vergewaltigung" kommt aber nicht in Betracht,
wenn das Grunddelikt des § 177 Abs. 1 StGB vollendet und nur das Regelbeispiel der Vergewaltigung, als eines besonders schweren Falls der sexuellen
Nötigung versucht wurde (st. Rspr.; vgl. Tröndle/Fischer aaO Rdn. 77;
Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 177 Rdn. 18, 28 jeweils
m.w.N.). Durch das bedrohende Vorhalten der langzinkigen Fleischgabel hat
-9-
der Angeklagte die Qualifikation des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB verwirklicht, weil
er ein gefährliches Werkzeug zur Tatbegehung verwendet hat.
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Da der Angeklagte die besonders schwere sexuelle Nötigung vollendet
hat, hätte das Landgericht bei der Prüfung, ob ein minder schwerer Fall der sexuellen Nötigung im Sinne von § 177 Abs. 5 Alt. 2 StGB vorlag, nicht den vertypten Strafmilderungsgrund des § 23 Abs. 2 StGB zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigen dürfen.
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3. Der Senat kann die Schuldsprüche selbst ändern. § 265 StPO steht
dem nicht entgegen, denn der Senat kann ausschließen, dass sich der Angeklagte im Falle eines Hinweises anders hätte verteidigen können.
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4. Die Änderung der Schuldsprüche zum Nachteil des Angeklagten zieht
die Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen 6 und 8 nach sich. Damit entfällt
auch die Grundlage für die Gesamtfreiheitsstrafe.
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5. Soweit die Staatsanwaltschaft darüber hinaus auch die Bemessung
der übrigen Einzelstrafen beanstandet, lässt die sachlich-rechtliche Prüfung
- 10 -
keinen Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten erkennen, auch wenn die
verhängten Einzelstrafen eher milde sind. Ebenso wenig ergibt die durch § 301
StPO gebotene Prüfung einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.
Rissing-van Saan
Bode
Rothfuß
Otten
Fischer