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BUNDESGERICHTSHOF
2 StR 259/02
BESCHLUSS
vom
25. Juli 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
-2-
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 25. Juli 2002 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 14. März 2002 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln jeweils in nicht
geringer Menge zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt, das Betäubungsmittel nebst Verpackungsmaterial sowie einen Flugschein eingezogen
und einen Geldbetrag für verfallen erklärt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere die Verurteilung wegen
Einfuhr von Betäubungsmitteln. Das Rechtsmittel hat Erfolg. Der Schuldspruch
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge läßt zwar
keinen Rechtsfehler erkennen. Die Verurteilung auch wegen tateinheitlich begangener vollendeter Einfuhr von Betäubungsmitteln hält der rechtlichen Prüfung jedoch nicht stand.
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Der Angeklagte hatte einen Flug von Santiago de Chile über Frankfurt
am Main nach Madrid gebucht. Seinen Koffer, in dem sich 1.220 g Kokain mit
98 % Wirkstoff befanden, hatte er in Santiago aufgegeben. Der Angeklagte traf
am 20. Januar 2002 gegen 10.30 Uhr zu einem Zwischenaufenthalt in Frankfurt
ein. Der Weiterflug nach Madrid war für 15.30 Uhr vorgesehen. Nach der Ankunft in Frankfurt am Main wurde im Rahmen einer zollrechtlichen Kontrolle
das im Koffer verborgene Kokain entdeckt.
Das Landgericht wertet das Verhalten des "geständigen" Angeklagten
nicht nur als Handeltreiben, sondern hält auch den Tatbestand der Einfuhr von
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge für erfüllt. Zur Begründung führt das
Landgericht aus, dem nicht flugunerfahrenen Angeklagten, der nach eigenen
Angaben bereits zuvor nach Madrid gereist war, wäre es aufgrund des ungewöhnlich langen Zwischenaufenthalts in Frankfurt unschwer möglich gewesen,
unter Angabe eines dringenden Grundes an seinen im Transit befindlichen
Koffer heranzukommen und das Rauschgift aus dem Koffer zu entnehmen.
Auch seien dem Angeklagten Abnehmer und Abnahmemodalitäten für das
Rauschgift unbekannt gewesen, so daß er auch eine Änderung des Tatplans in
Kauf genommen habe. Dies hätte durchaus dazu führen können, daß er während des Transitaufenthalts in Frankfurt von dem unbekannten Abnehmer aufgefordert worden wäre, das Rauschgift bereits dort zu übergeben. Dieser Aufforderung wäre der Angeklagte nach seinen eigenen Angaben auch nachgekommen.
Gegen den Schuldspruch auch wegen vollendeter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge bestehen durchgreifende Bedenken. In
den Fällen der Zwischenlandung eines Betäubungsmittel-Kuriers im Inland ist
die Einfuhr des Betäubungsmittels von dessen Durchfuhr abzugrenzen. Für die
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Einfuhr kommt es entscheidend darauf an, ob die Zugangsmöglichkeit des Reisenden zu dem betreffenden Gepäckstück als tatsächliche Verfügungsmacht
im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 3 BtMG zu bewerten ist. Diese Verfügungsgewalt besteht nicht nur dann, wenn der Täter das Rauschgift in Händen hält,
sondern auch dann, wenn er es ohne Schwierigkeiten erhalten kann (vgl.
BGHSt 31, 374, 376 m.w.N., st. Rspr.). Eine solche Möglichkeit hat der Senat
bei einer Umladung des Reisegepäcks am Ort der Zwischenlandung zunächst
auch ohne nähere Feststellungen im Einzelfall regelmäßig für gegeben erachtet (a.a.O. S. 376 f.). Diese Auffassung wurde jedoch alsbald aufgegeben, weil
sich gewichtige Zweifel an der Richtigkeit dieser tatsächlichen Beurteilung ergeben hatten (vgl. BGH NStZ 1986, 273, 274; ausführlich zu dieser Entwicklung der Rechtsprechung Wienroeder in Franke/Wienroeder, BtMG 2. Aufl. §
29 Rdn. 91 f.; Körner, BtMG 5. Aufl. § 29 Rdn. 748 ff.). Daher muß der Tatrichter diese Verfügungsmöglichkeit in jedem Einzelfall aufgrund einer fehlerfreien
Beweiswürdigung konkret feststellen. Ebenso muß für eine Verurteilung wegen
vorsätzlicher Einfuhr festgestellt werden, daß dem Täter diese Verfügungsmöglichkeit bekannt war oder daß er sie zumindest billigend in Kauf genommen
hat. Andernfalls kommt fahrlässige Einfuhr in Betracht (vgl. § 29 Abs. 4 BtMG).
Schon die objektive Verfügungsmöglichkeit hat das Landgericht nicht
näher begründet und nicht festgestellt, daß der Angeklagte während seines
Transitaufenthalts in Frankfurt am Main tatsächlich die Möglichkeit hatte, seinen Koffer erfolgreich herauszuverlangen. Die Urteilsgründe erschöpfen sich
insoweit in einer bloßen Behauptung. Hinzu kommt, daß der Koffer bei der zollrechtlichen Kontrolle aufgefallen war. Unter diesen Umständen ist kaum anzunehmen, daß der Koffer mit dem Rauschgift dem Angeklagten ohne weiteres
ausgehändigt worden wäre. Jedenfalls hätte dieser Umstand näher erörtert
werden müssen.
-5-
Soweit sich das Landgericht in subjektiver Hinsicht für die Kenntnis des
Angeklagten auf dessen Erfahrungen bei einer früheren Reise nach Madrid
beruft, folgt hieraus nicht, daß der Angeklagte bei dieser Reise Erfahrungen
über die Verfügbarkeit des Reisegepäcks bei mehrstündigen Transitaufenthalten allgemein oder speziell auf dem Frankfurter Flughafen sammeln konnte
(vgl. BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Einfuhr 2). Ebensowenig ergibt sich diese
Kenntnis des Angeklagten ohne weiteres daraus, daß er nach eigenen Angaben bereit gewesen wäre, das Rauschgift auf Anforderung auch in Frankfurt
herauszugeben. Die subjektive Tatseite hätte daher ebenfalls näher erörtert
werden müssen.
Insgesamt sind somit weder die objektiven noch die subjektiven Tatbestandsmerkmale der vollendeten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hinreichend festgestellt. Da aber zusätzliche Feststellungen, die
eine Verurteilung wegen vollendeter oder zumindest wegen versuchter Einfuhr
von Betäubungsmitteln rechtfertigen könnten, möglich erscheinen, muß über
die Sache durch einen anderen Tatrichter erneut verhandelt und entschieden
werden. Da Einfuhr und Handeltreiben gegebenenfalls tateinheitlich verwirklicht wurden, muß der Schuld- und Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufgehoben werden.
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Die neue Strafkammer wird auch berücksichtigen müssen, daß das sichergestellte Reisegeld des Angeklagten nicht dem Verfall, sondern der Einziehung unterliegt.
Bode
RiBGH Rothfuß
ist durch Urlaub an
der Unterschrift
gehindert.
Bode
Detter
Otten
Fischer