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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 113/13
vom
20. Juni 2013
BGHR:
ja
BGHSt:
ja
Veröffentlichung:
ja
Nachschlagewerk:
ja
–––––––––––––––––––––––––––––
StPO §§ 140, 145 Abs. 1
Der Angeklagte ist nicht hinreichend verteidigt, wenn bei kurzfristiger Erkrankung des
Pflichtverteidigers ein anderer Verteidiger für einen Tag der Hauptverhandlung bestellt wird, um die Vernehmung eines Zeugen zu ermöglichen, ohne dass der Ersatzverteidiger sich in die Sache einarbeiten konnte.
BGH, Urteil vom 20. Juni 2013 - 2 StR 113/13 - LG Kassel
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Unterschlagung
-2-
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
8. Mai 2013 in der Sitzung am 20. Juni 2013, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker
und die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
Staatsanwalt
und
in der Verhandlung,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger für den Angeklagten K.
Justizhauptsekretärin
Justizangestellte
,
in der Verhandlung,
bei der Verkündung
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
-3-
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Kassel vom 2. August 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Auf die Revision des Angeklagten W.
wird das vorge-
nannte Urteil, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben.
3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
1
Das Landgericht hat den Angeklagten W.
wegen Beihilfe zur Unter-
schlagung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt,
wovon neun Monate als vollstreckt gelten. Den Angeklagten K.
hat es von
dem Vorwurf einer Unterschlagung freigesprochen. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat in vollem Umfang Erfolg. Die Revision des Angeklagten W.
führt auf eine Verfah-
rensrüge hin zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
-4-
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts arbeitete der Angeklagte
W.
seit Beginn des Jahres 2006 bei der Spedition L.
. Diese
erhielt am 13. Februar 2006 den Auftrag, sechs Paletten Telekommunikationsartikel nach Großbritannien zu verbringen. Für den Transport wurde der Angeklagte W.
eingesetzt. Er machte sich nach dem Beladen des zum Fuhrpark
der Spedition L.
gehörenden LKW am 13. Februar 2006 gegen 18.00 Uhr
auf den Weg in Richtung Großbritannien. Im Fahrzeug befanden sich 3.000 Mobiltelefone der Marke Nokia im Wert von 615.000 € netto. Der Angeklagte fuhr
über die Autobahn A 44 in Richtung Niederlande und erreichte nach einigen
Pausen und dem Passieren der niederländischen und belgischen Grenze in
Kr.
, kurz hinter Antwerpen, eine an der E 17 gelegene Tankstelle. Dort
betankte er gegen 1.58 Uhr den LKW. In der Zeit danach kam es auf der Strecke zwischen Kr.
und M.
zu einer vollständigen Entwendung
der Ladung. Dabei verschaffte der Angeklagte W.
einem oder mehreren Drit-
ten den Zugang zur Ladefläche des LKW, damit diese die geladenen Mobiltelefone an sich nehmen und zueignen konnten. Anschließend wurde der LKW auf
dem Gelände der F.
3
in G.
abgestellt.
Sodann begab sich der Angeklagte W.
Tankstelle in M.
zu einer an der E 40 gelegenen
, die er gegen 4.30 Uhr betrat, um etwas
zu trinken. Kurz vor 5.00 Uhr verließ er den Shop in Richtung der auf dem Gelände befindlichen Abstellplätze für Kraftfahrzeuge. Wenig später kam er zurück, um dem Kassierer und den später eintreffenden Polizeibeamten der
Wahrheit zuwider mitzuteilen, dass sein angeblich auf dem Parkplatz abgestellter LKW während seines Aufenthalts in der Tankstelle entwendet worden sei.
4
Das Landgericht hat den Angeklagten W.
wegen Beihilfe zur verun-
treuenden Unterschlagung verurteilt, da lediglich habe festgestellt werden kön-
-5-
nen, dass er Dritten den Zugang zu Ladung und PKW ermöglicht und damit lediglich eine fremde Tat gefördert habe.
5
2. Den die Tat bestreitenden Angeklagten K.
bensgefährtin des Angeklagten W.
, den Vater der Le-
, hat das Landgericht vom Vorwurf einer
Beteiligung an der vorangehend geschilderten Tat aus tatsächlichen Gründen
freigesprochen. Diese sei ihm nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachzuweisen gewesen. Zwar habe festgestellt werden können, dass vom Mobiltelefon
des Angeklagten W.
zu der auf den Angeklagten K.
zugelassenen Ruf-
nummer zwischen 0.39 Uhr und 2.22 Uhr Gespräche stattgefunden hätten und
beide Geräte sich zu Zeitpunkten zwischen 1.06 Uhr und 3.23 Uhr auf belgischem Gebiet befunden und sich in einer Entfernung von wenigen Kilometern in
Richtung Frankreich bewegt hätten. Zu einer Verurteilung hat sich das Landgericht außer Stande gesehen, weil Zweifel verblieben, ob der Angeklagte K.
nicht für den Tatzeitraum das Telefon verliehen oder den Anschluss überhaupt
erst nach der Tat erstmalig verwendet habe. Zudem sei nicht auszuschließen,
dass der Angeklagte K.
in Belgien einen völlig anderen, eigenen Zweck
abseits einer Tatbeteiligung verfolgt oder möglicherweise den Angeklagten
W.
von dessen Tatbeteiligung abzubringen versucht habe.
II.
6
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat in vollem Umfang Erfolg.
7
1. Der Freispruch des Angeklagten K.
hält rechtlicher Nachprüfung
nicht stand.
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Das Revisionsgericht hat es zwar regelmäßig hinzunehmen, wenn der
Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner Täterschaft
nicht zu überwinden vermag. Denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrich-
-6-
ters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Das Revisionsgericht kann und muss jedoch eingreifen, wenn dem Tatrichter - wie hier - Rechtsfehler unterlaufen sind.
9
Der Angeklagte K.
hat eine Tatbeteiligung bestritten und für den
Tatabend einen Alibibeweis angetreten, den das Landgericht allerdings als widerlegt erachtet. Hinsichtlich des Mobilfunkanschlusses
, dessen
Verbindungsdaten über einen längeren Zeitraum in der fraglichen Nacht ein
synchrones Bewegungsbild zu dem Mobilfunkanschluss des überführten Angeklagten W.
, eine räumliche Nähe zum späteren Auffindeort des Fahrzeugs
und schließlich Gespräche zwischen beiden Anschlüssen belegen, hat sich der
Angeklagte K.
eingelassen, dieser sei auf ihn zugelassen. Gleichwohl hat
ihn das Landgericht freigesprochen, weil es nicht habe ausschließen können,
dass der Angeklagte das Mobiltelefon zu diesem Zeitpunkt noch nicht genutzt
oder es möglicherweise an einen anderen verliehen habe oder - falls er es in
Belgien genutzt habe - einen völlig anderen Zweck verfolgt oder möglicherweise
den Angeklagten W.
von dessen Tatbeteiligung abzubringen versucht habe.
Dies erweist sich als rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht damit nicht eher fern
liegende Möglichkeiten unterstellt hat, ohne tragfähige Gründe anzuführen, die
dieses Ergebnis stützen könnten (st. Rspr.: vgl. BGH NStZ 2008, 575 mwN). Es
gibt keine greifbaren Hinweise für das Vorliegen der in Betracht gezogenen
Sachverhaltskonstellationen; selbst der Angeklagte K.
hat sich auf sie
nicht berufen. Fehlen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen
einer Sachverhaltsvariante, ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch
sonst geboten, einen nur abstrakt denkbaren Sachverhalt zugunsten eines Angeklagten zu unterstellen.
10
2. Die Verurteilung des Angeklagten W.
wegen Beihilfe zur Unter-
schlagung begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Nach
-7-
den Feststellungen des Landgerichts liegt es - wie der Generalbundesanwalt
zutreffend ausgeführt hat - auf der Hand, dass der Angeklagte W.
sich wegen
täterschaftlich verwirklichter Unterschlagung gemäß § 246 Abs. 2 StGB hinsichtlich der Ladung des LKW in Form einer vom Vorsatz getragenen Drittzueignung strafbar gemacht hat. Im Fall einer Drittzueignung muss das Verhalten
des Täters nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darauf gerichtet
sein, dass das Sicherungsgut dem Vermögen des Dritten zugeführt wird. Die
Tathandlung muss dabei zu einer Stellung des Dritten in Bezug auf die Sache
führen, wie sie auch bei der Selbstzueignung für die Tatbestandserfüllung notwendig wäre (BGH NStZ-RR 2006, 377 = wistra 2007, 18). Das bloße Schaffen
einer Gelegenheit für die Selbstzueignung - worauf das Landgericht abgestellt
hat - reicht danach zwar nicht aus (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 246 Rn. 11a),
doch liegt hier in der besonderen Fallkonstellation in der mit den Dritten abgesprochenen Abstellung des LKW auf einem Parkplatz zu dessen Entladung
schon die Einräumung von Verfügungsgewalt über fremde Sachen, die aus der
Sicht eines objektiven Dritten einen Zustand schafft, bei dem die nicht fern liegende Möglichkeit der dauernden Enteignung besteht (vgl. Hohmann in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 246 Rn. 44) und damit bereits zu einer
eigentümerähnlichen Stellung der dritten Personen führt.
III.
11
Die Revision des Angeklagten W.
12
1. Dem liegt folgendes Prozessgeschehen zugrunde:
13
Zum Beginn des 4. Hauptverhandlungstags am 6. Juli 2012 um 9.10 Uhr
hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
erschien der Pflichtverteidiger des Angeklagten nicht. Durch sein Büro hatte er
über die Geschäftsstelle mitteilen lassen, sich wegen Herzrhythmusstörungen
in ärztliche Behandlung begeben zu müssen, aber davon auszugehen, ab
-8-
11.00 Uhr an der Hauptverhandlung teilnehmen zu können. Daraufhin wurde
die Hauptverhandlung um 9.12 Uhr unterbrochen und schließlich um 11.10 Uhr
fortgesetzt. Zwischenzeitlich hatte das Büro des Pflichtverteidigers des Angeklagten mitgeteilt, dass dessen Einlieferung in eine Klinik notwendig geworden
sei und er am heutigen Tag nicht mehr erscheinen werde.
14
Für die Hauptverhandlung am 6. Juli 2012 war - als Folge eines Beweisermittlungsantrages des Verteidigers des Angeklagten - die Vernehmung
des belgischen Polizeibeamten C.
vorgesehen. Um ihm eine erneute An-
reise an einem der folgenden Hauptverhandlungstermine zu ersparen, bemühte
sich die Strafkammer um einen anderen Verteidiger für den Angeklagten, den
sie ihm für diesen Hauptverhandlungstag als Pflichtverteidiger beiordnete. Es
bestand Gelegenheit zu einem kurzen Gespräch mit dem Angeklagten, der keine Einwände gegen das Vorgehen erhob. Akteneinsicht in die Verfahrensakte
nahm der neue Pflichtverteidiger nicht. Sodann wurde der Zeuge C.
in An-
wesenheit einer Dolmetscherin vernommen, wobei seine Aussage auf Antrag
des Verteidigers des Mitangeklagten wörtlich protokolliert worden ist. Fragen an
den Zeugen richtete der „neue“ Verteidiger des Angeklagten nicht. Die Hauptverhandlung wurde um 12.05 Uhr geschlossen.
15
An den folgenden Hauptverhandlungsterminen nahm wieder der „alte“
Pflichtverteidiger des Angeklagten die Verteidigung des Angeklagten wahr. Ein
von ihm gestellter Antrag auf erneute Vernehmung des Zeugen C.
lehnte
die Strafkammer nach Maßgabe des § 244 Abs. 5 StPO ab.
16
2. Dieses Vorgehen steht nicht in Einklang mit § 145 Abs. 1 Satz 2 StPO
und stellt eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung dar, auf der das Urteil auch beruhen kann.
-9-
17
a) Dem Revisionsvorbringen des Angeklagten, „unverteidigt“ gewesen zu
sein, ist zugleich die Beanstandung zu entnehmen, das Landgericht habe es
unterlassen, anlässlich der Erkrankung des Verteidigers die diesen Verhandlungstag vorgesehene Vernehmung des Zeugen C.
nicht auf den nächsten
Verhandlungstag verschoben zu haben. Damit zielt die Rüge ihrer Zielrichtung
nach jedenfalls auch auf eine Verletzung von § 145 Abs. 1 Satz 2 StPO.
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b) § 145 Abs. 1 Satz 2 StPO sieht vor, dass das Gericht auch eine Aussetzung der Verhandlung beschließen kann, wenn der Verteidiger in der Hauptverhandlung ausbleibt. Die Regelung steht in Konkurrenz zu § 145 Abs. 1
Satz 1 StPO, der für diesen Fall anordnet, dass der Vorsitzende sogleich einen
anderen Verteidiger bestellt. Das Gericht hat also insoweit nach seinem Ermessen zu entscheiden, ob der Vorsitzende einen neuen Verteidiger bestellt oder
die Hauptverhandlung ausgesetzt wird. Dabei hat es - über den Wortlaut der
Vorschrift hinaus - auch zu prüfen, ob nicht eine Unterbrechung der Hauptverhandlung der entstandenen Konfliktlage - Kontinuität der Verteidigung oder gegebenenfalls Fortführung der Hauptverhandlung mit neuem Verteidiger - angemessen Rechnung trägt (LR-Lüderssen/Jahn, 26. Aufl., § 145 Rn. 20: angesichts des verfassungsrechtlichen Prinzips der Erforderlichkeit im Einzelfall bestehende Verpflichtung zur Unterbrechung). Prüft das Gericht nicht von Amts
wegen, ob eine Verhandlung auszusetzen oder zu unterbrechen ist, kann dies
die Revision begründen (LR-Lüderssen/Jahn, aaO, Rn. 41).
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aa) Die Literatur geht grundsätzlich davon aus, dass dem Beschuldigten
der eingearbeitete und vertraute Verteidiger zu erhalten ist und deshalb eine
Aussetzung bzw. Unterbrechung grundsätzlich trotz Verfahrensverzögerung der
Vorzug vor einer neuen Bestellung zu geben ist (LR-Lüderssen/Jahn, aaO,
Rn. 19; Laufhütte in: KK-StPO, 6. Aufl. Rn. 7). So soll ein kurzfristiger Ausfall
wegen Erkrankung des Verteidigers in der Regel zu einer Aussetzung führen
- 10 -
(Meyer-Goßner, 55. Aufl., § 145 Rn. 9). Dahinter steht - ohne dass dies im Einzelnen ausgeführt wird - die Erwägung, dass § 145 StPO nicht dem Ziel der
Verfahrenssicherung dient, sondern das Recht des Beschuldigten zu einer effektiven und angemessenen Verteidigung wahren soll (LR-Lüderssen/Jahn,
aaO, Rn. 1).
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bb) Der Bundesgerichtshof hat sich bisher nicht weitergehend zur Frage
einer Aussetzung bzw. Unterbrechung nach § 145 Abs. 1 Satz 2 StPO geäußert
(vgl. aber BGH MDR 1977, 767). Er hatte sich bisher lediglich damit zu befassen, ob nach einem Wechsel des Verteidigers eine im Sinne von § 265 Abs. 4
StPO veränderte Sachlage eingetreten ist, die zur genügenden Vorbereitung
der Verteidigung eine Aussetzung angemessen erscheinen lässt. Die dort in der
Rechtsprechung entwickelten Grundsätze lassen sich entsprechend auch für
die - zeitlich vorangehende - Konstellation des § 145 Abs. 1 StPO nutzen, in der
es um die Frage geht, ob bei Ausbleiben eines Verteidigers überhaupt ein neuer Verteidiger beizuordnen ist oder ob nicht stattdessen die Hauptverhandlung
auszusetzen bzw. zu unterbrechen ist, um dem Angeklagten die weitere Verteidigung durch den bisherigen Verteidiger zu ermöglichen. In beiden Fällen geht
es darum, eine sachgerechte und angemessene Verteidigung des Angeklagten
sicherzustellen (so auch knapp BGH MDR 1997, 767, 768 zu § 145 StPO). Dabei steht diese Entscheidung in Ausübung der prozessualen Fürsorgepflicht im
pflichtgemäß auszuübenden Ermessen des Gerichts und hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. zuletzt BGH NStZ 2013, 212). Maßgeblich ist
zunächst die Erwägung, wie der Strafverteidiger als Organ der Rechtspflege
selbst beurteilt, ob er für die Erfüllung seiner Aufgabe hinreichend vorbereitet
ist. Hält er die Vorbereitungszeit für ausreichend, ist das Gericht grundsätzlich
nicht berufen, dies zu überprüfen. Doch gibt es greifbare Anhaltspunkte dafür,
dass dies nicht der Fall sein könnte, gebietet die Fürsorgepflicht des Gerichts
die Prüfung einer Aussetzung oder Unterbrechung des Verfahrens. Dies ist
- 11 -
etwa der Fall, wenn der Verteidiger objektiv nicht genügend Zeit hatte, sich vorzubereiten (vgl. BGH NJW 1965, 2164, 2165) oder wenn sich die dem Prozessverhalten des Angeklagten und seines Verteidigers zu entnehmende Einschätzung der Sach- und Rechtslage als evident interessenwidrig darstellt und eine
effektive Verteidigung (Art. 6 Abs. 3c MRK) unter keinem Gesichtspunkt mehr
gewährleistet gewesen wäre (vgl. BGH NStZ 2013, 212).
21
cc) Gemessen an diesen Maßstäben erweist sich hier die Beiordnung
eines neuen Verteidigers als evident interessenwidrig. Das Landgericht hätte
stattdessen die Hauptverhandlung unterbrechen und in einem der Folgetermine
den Auslandszeugen C.
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vernehmen müssen.
Mit der Beiordnung eines neuen Verteidigers im Termin vom 6. Juli 2012
sind Verteidigungsrechte des Angeklagten in erheblicher Weise eingeschränkt
worden (vgl. § 338 Nr. 8 StPO). Der neue Verteidiger hat zwar mit dem Angeklagten sprechen können; es liegt allerdings angesichts des Verfahrensablaufs
(Unterbrechung der Hauptverhandlung um 9.12 Uhr, Fortsetzung um 11.10 Uhr
nach zwischenzeitlicher Mitteilung gegen 10.00 Uhr, dass der alte Verteidiger
krankheitsbedingt nicht mehr erscheinen wird) und auch des Aktenumfangs auf
der Hand, dass eine Information des neuen Verteidigers, die ihn nur annähernd
auf den Stand des Verfahrens hätte bringen können, nicht erfolgt sein kann. Nur
ein Verteidiger aber, der den Stoff ausreichend beherrscht, kann die Verteidigung mit der Sicherheit führen, die das Gesetz verlangt (BGHSt 13, 337, 344
unter Hinweis auf RGSt 71, 353, 354). Die Absicht, einem „Auslandszeugen“
die erneute Anreise zu ersparen, kann das rechtsstaatlich gebotene Recht auf
eine angemessene und effektive Verteidigung (Art. 6 Abs. 3c EMRK) nicht wirksam beschränken, zumal Anhaltspunkte für eine längerfristige Erkrankung des
Pflichtverteidigers offenbar nicht gegeben waren und auch nichts dafür sprach,
dass der Zeuge nicht erneut an dem bereits sechs Tage später bestimmten
- 12 -
Fortsetzungstermin erschienen wäre. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass
es sich um die Vernehmung eines Zeugen handelte, die der Verteidiger beantragt hatte.
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Dass der neu beigeordnete Pflichtverteidiger nicht selbst Einwendungen
gegen das prozessuale Vorgehen erhoben und einen Antrag nach § 145 Abs. 3
StPO auf Unterbrechung des Verfahrens nicht gestellt hat, kann an diesem Befund nichts ändern. Auf die Einschätzung des neuen Verteidigers, der selbst
wohl keine Zweifel gehegt hat, die Verteidigung des Angeklagten sachgerecht
führen zu können, kann es bei der besonderen Sachlage nicht ankommen. So
war die Suche nach einem neuen Verteidiger hier von vornherein mit dem
Zweck verbunden, die Vernehmung des aus dem Ausland angereisten Zeugen
auf alle Fälle durchzuführen. Ein Verteidiger, der dies abgelehnt hätte, wäre
nicht zur Durchführung des Termins beigeordnet worden; ein Verteidiger, der
wie hier ohne weitere Beteiligung in der Sache lediglich formal die Verteidigung
übernimmt, ist - was sich auch dem Landgericht aufdrängen musste - erkennbar
nicht in der Lage, eine sachgerechte und angemessene Verteidigung des Angeklagten zu übernehmen.
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Auch dem Umstand, dass der Angeklagte keine Einwendungen gegen
die Fortsetzung der Verhandlung erhoben hat, kann vorliegend keine maßgebliche Bedeutung zukommen. Aus dem Regelungsgefüge des § 145 StPO ergibt
sich, dass nach dem Willen des Gesetzgebers dem Angeklagten insoweit keine
maßgeblichen Verfahrensrechte eingeräumt worden sind. Ein Antragsrecht
nach § 145 Abs. 3 StPO steht lediglich dem Verteidiger zu. Dies ändert zwar
nichts daran, dass der Angeklagte gleichwohl eine Erklärung abgeben und evtl.
eine Aussetzung nach § 265 Abs. 4 StPO anregen kann. In dem Verzicht auf
eine bloße Verfahrensanregung kann allerdings nicht der Schluss gezogen
werden, der Angeklagte sei mit dem Vorgehen einverstanden.
- 13 -
25
dd) Die Entscheidung beruht auch auf dem festgestellten Verfahrensverstoß. Es besteht die konkrete Möglichkeit eines kausalen Zusammenhangs des
Verfahrensverstoßes mit dem angefochtenen Urteil. Wie sich aus dem Antrag
auf erneute Vernehmung des Zeugen ergibt, sollte seine Vernehmung u.a. ergeben, dass der Angeklagte erst bei einem Telefonat nach Entwendung des
LKW vom Inhalt der Ladung erfahren hat. Es ist nicht auszuschließen, dass bei
einer Vernehmung des Zeugen in Gegenwart des durch Krankheit verhinderten
Verteidigers, der anders als der neu bestellte Fragen oder Vorhalte an den belgischen Polizeibeamten gerichtet hätte, entsprechende Feststellungen hätten
getroffen werden können.
Becker
Fischer
Eschelbach
Krehl
Ott