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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 483/06
vom
10. November 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Entscheidung über die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung
-2-
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. November 2006 beschlossen:
Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts
Amberg vom 24. Mai 2006 aufgehoben. Von einer nachträglichen
Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung wird abgesehen.
Die Kosten des Verfahrens über die Anordnung der Sicherungsverwahrung und die notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen
der Staatskasse zur Last.
Gründe:
1
Das Landgericht hat die im Urteil des Landgerichts Amberg vom 21. August 2003 vorbehaltene Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66a Abs. 2 Satz 2 StGB angeordnet. Dagegen richtet sich
die Revision des Verurteilten mit mehreren Verfahrensrügen und der Rüge der
Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
2
1. Der Verurteilte war vom Landgericht Amberg mit Urteil vom 21. August
2003 wegen Versuches der räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden;
außerdem war die Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen ihn vorbehalten worden. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Angeklagte am 9. Juni
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2001 in der Justizvollzugsanstalt A.
zusammen mit zwei Mitgefangenen
einen neu aufgenommenen weiteren Mitgefangenen wegen eines angeblichen
Verrates an einem ihnen unbekannten Straftäter zur "Bestrafung" körperlich
misshandelt und ihm dabei das Versprechen abgenötigt hatte, in Zukunft unter
anderem seinen gesamten Einkauf abzuliefern.
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2. Mit Urteil vom 22. April 2005 hatte das Landgericht Amberg die ursprünglich vorbehaltene Sicherungsverwahrung angeordnet und diese Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass der Verurteilte während des
Haftvollzugs in Belastungs- und Enttäuschungssituationen mit Wutausbrüchen
reagierte, bei denen er sich gegenüber Sachen und gegenüber sich selbst aggressiv verhielt. Insbesondere habe er sich, als ihm die Polizei eröffnet habe,
ein Mitgefangener habe ihn wegen angeblicher Bedrohung angezeigt, wutentbrannt in der Toilette mit einer "so aggressiven Wucht auf den Toilettendeckel"
gesetzt, dass dieser zerbrach. In einem anderen Fall habe er, nachdem ihm ein
beantragter Umschluss abgelehnt worden sei, mit Fäusten gegen die Toilettentüre "gedroschen" und danach in seinem Haftraum gegen die Wand geschlagen
und eigene Gegenstände zertrümmert. Zu Körperverletzungstaten sei es jedoch
seit der Tat vom 9. Juni 2001 nicht mehr gekommen. Das Landgericht hatte
darüber hinaus eine mehr als fünfzehn Jahre zurückliegende Vorahndung aus
einem Urteil des Amtsgerichts Weiden vom 30. Juni 1988 herangezogen, die
eine versuchte sexuelle Nötigung in Tateinheit mit exhibitionistischen Handlungen zum Nachteil eines zur Tatzeit 85-jährigen Rentners betraf.
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3. Mit Beschluss vom 25. Oktober 2005 hatte der Senat dieses Urteil
aufgehoben und zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht
Amberg zurückverwiesen, weil die materiellen Voraussetzungen einer nachträglichen Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung nicht ausreichend
dargelegt worden waren; denn das der aufgehobenen Entscheidung zugrunde
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gelegte Verhalten des Betroffenen betraf weder aggressive Handlungen gegen
Strafvollzugsbedienstete oder Mitgefangene noch Straftaten oder Drohungen,
welche für sich betrachtet auf eine Rückkehr in kriminelle Subkulturen hindeuteten. Im Übrigen hatte der Senat ausgeführt, dass die Straftat vom
30. November 1988, welche bei der Verurteilung wegen der Anlasstat mehr als
15 Jahre zurücklag, bereits in jenem Verfahren hätte Berücksichtigung finden
können. Sofern aber diese Tat entweder bei der Entscheidung vom 21. August
2003 nicht eingeflossen war oder jedenfalls dennoch kein Anlass bestand, bereits damals die Sicherungsverwahrung anzuordnen, dann bestünden zumindest rechtliche Bedenken, eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung hierauf zu stützen.
II.
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Mit dem nunmehr angefochtenen Urteil hat eine andere Strafkammer des
Landgerichts Amberg erneut die Sicherungsverwahrung gegen den Verurteilten
angeordnet. Die Entscheidung ist zunächst auf die Erkenntnisse gestützt, welche bereits in der aufgehobenen Entscheidung vom 22. April 2005 aufgeführt
sind. Ergänzend wurde festgestellt, dass der Verurteilte am 15. März 2004 in
dem arbeitstherapeutischen Betrieb der Vollzugsanstalt, in den er probeweise
aufgenommen worden war, auf Wunsch eines Mitgefangenen eine kleine Engelsfigur aus Ton (Verkaufswert: 12,50 Euro), die er zu bemalen hatte, entwendete und gegen Kaffee eintauschte. Außerdem äußerte er sich zuweilen in hämischem Ton gegenüber Anstaltsbediensteten, schrie einmal beim Einrücken
zur Arbeit lautstark herum und riss des Öfteren im Gemeinschaftsraum „das
Kommando an sich“, bestimmte das Fernsehprogramm und ließ Mitgefangene
Putzdienste für sich ausführen. Insgesamt lässt nach Auffassung der Strafkammer das Vollzugsverhalten des Verurteilten die bisherige Delinquenz als
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Ausfluss seiner tief verwurzelten kombinierten Persönlichkeitsstörung erscheinen, wegen derer weitere erhebliche Straftaten ernsthaft zu besorgen seien.
III.
6
Auf die Revision des Verurteilten war die nachträgliche Anordnung der
Sicherungsverwahrung bereits auf die Sachrüge hin aufzuheben. Auf die Verfahrensrügen kam es daher vorliegend nicht mehr an.
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1. Nach § 66a Abs. 2 Satz 2 StGB ist die endgültige Sicherungsverwahrung anzuordnen, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten
und seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Voraussetzung ist daher die prognostizierte Gefahr schwerwiegender Delikte gegen die Person; nicht erfasst sind Vermögensdelikte (BTDrucks. 14/8586 S. 7). Die Berücksichtigung des Verhaltens des
Verurteilten im Strafvollzug soll dabei vor allem seine Entwicklung in einer Behandlung als gewichtigen Prognosefaktor erfassen, wobei weitere prognoserelevante Gesichtspunkte z.B. aggressive Handlungen gegen Strafvollzugsbedienstete oder Mitgefangene, Straftaten oder subkulturelle Aktivitäten im Vollzug, Drohungen oder andere Äußerungen sein können, die auf eine Rückkehr
in kriminelle Subkulturen und eine Wiederaufnahme insbesondere von Gewaltoder Sexualkriminalität hindeuten (BTDrucks. aaO).
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2. Das vom Landgericht seiner Anordnung zugrunde gelegte Verhalten
des Verurteilten im Vollzug umfasst an gewalttätigen Handlungen nur die Beschädigung eines Toilettendeckels, das Eindreschen mit den Fäusten gegen
eine Toilettentür, das Schlagen gegen eine Wand sowie das Zertrümmern eigener Gegenstände und das Schlagen gegen den Stahlschrank eines Mitgefangenen, wofür er sich aber später entschuldigte. Hierbei handelt es sich aber
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weder um aggressive Handlungen gegen Strafvollzugsbedienstete oder Mitgefangene noch um Straftaten oder Drohungen, welche für sich betrachtet auf
eine Rückkehr in kriminelle Subkulturen hindeuten.
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Das mit zahlreichen Beispielen verdeutlichte Sozialverhalten des Verurteilten gegenüber Mitgefangenen erweist sich zwar als teilweise ausgesprochen
unfreundlich und gemeinschaftswidrig, jedoch handelt es sich hierbei um ubiquitäre und vollzugstypische Verhaltensweisen, welche ohne weitere Feststellungen nicht als Hinweise auf eine erhebliche Gefährlichkeit eines Verurteilten gewertet werden können (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 23. August 2006
- 2 BvR 226/06 - Rdn. 32). Hinzu kommt, dass nach den Feststellungen des
Landgerichts der Verurteilte seit seiner Verlegung in eine Einzelzelle der Untersuchungshaftabteilung am 1. Dezember 2004 und seit seinem Einsatz als Kostträger in dieser Abteilung zunehmend ruhiger geworden ist und es mit zwei
Ausnahmen (verbale Entgleisungen bei Verkündung des später aufgehobenen
Urteils vom 22. April 2005 und bei Erhalt der Terminsladung am 20. Januar
2006 zur erneuten Verhandlung in dieser Sache) nicht mehr zu aggressiven
Verhaltensweisen gekommen ist. Auch der einmalige Diebstahl von Arbeitsmaterial mit relativ geringfügigem Wert lässt keinen Rückschluss auf eine Verstärkung des aggressiven Potentials beim Verurteilten zu.
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Zum Nachteil kann dem Verurteilten auch nicht gereichen, dass er an einem Anti-Aggressions-Training nicht teilnehmen konnte, weil dieses in Bayern
nur in der JVA Bayreuth angeboten wird, die nur Erstverbüßer aufnimmt. In
gleicher Weise gilt dies für den Umstand, dass mehrmalige Bewerbungen des
Verurteilten um eine Aufnahme in die sozialtherapeutische Abteilung der JVA
Erlangen keinen Erfolg hatten.
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3. Die Feststellungen des Landgerichts in der angefochtenen Entschei-
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dung lassen somit keine relevanten „neuen“ Umstände erkennen (vgl. hierzu
MünchKommStGB/Ullenbruch § 66a Rdn. 53 ff.), welche sich während des
Strafvollzugs ergeben haben und damit der Strafkammer bei Entscheidung über
die Anlasstat am 21. August 2003 nicht bekannt waren. Eine bloße Neugewichtung bereits bei der Anlassentscheidung bekannter Umstände im Rahmen der
späteren Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66a Abs. 2 StGB entspricht nicht der gesetzgeberischen Intention (vgl. BTDrucks. 14/8586 S. 7) und ist der hierüber entscheidenden
Strafkammer verwehrt, sofern sich nicht zusätzliche gewichtige Umstände bezüglich des Verurteilten in Verbindung mit dem Strafvollzug ergeben haben.
IV.
Der Senat schließt aus, dass bei einer weiteren Hauptverhandlung noch
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zusätzliche Tatsachen festgestellt werden können, die die nachträgliche Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten, und hat
deshalb auf den Wegfall der Anordnung erkannt.
Nack
Kolz
Elf
Hebenstreit
Graf