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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 454/18
vom
18. September 2018
in der Strafsache
gegen
wegen gewerbsmäßiger Abgabe von Betäubungsmitteln durch eine Person
über 21 Jahre an eine Person unter 18 Jahren u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:180918B1STR454.18.0
-2-
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 18. September 2018
gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 4. April 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
1
Das Landgericht Karlsruhe – Auswärtige Strafkammer Pforzheim – hatte
den Angeklagten in einem ersten Urteil vom 13. Januar 2017 wegen gewerbsmäßiger unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln durch eine Person über
21 Jahre an eine Person unter 18 Jahren in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Ziffer III. 1. der Urteilsgründe) sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge (Ziffer III. 2. der Urteilsgründe) und wegen vorsätzlichen
unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe (Ziffer III. 3. der
Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten
verurteilt. Auf die Sachrüge hatte der Senat die Entscheidung mit Beschluss
vom 20. Juni 2017 (1 StR 227/17) im Schuld- und Strafausspruch betreffend
Ziffer III. 1. der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen sowie im Ge-
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samtstrafenausspruch und im Ausspruch über den Verfall von Wertersatz aufgehoben.
2
Nunmehr hat das Landgericht den Angeklagten mit Urteil vom 4. April
2018 – neben den bereits rechtskräftigen abgeurteilten Taten (Ziffer III. 2. und
3. der Urteilsgründe) – wegen gewerbsmäßiger Abgabe von Betäubungsmitteln
durch eine Person über 21 Jahre an eine Person unter 18 Jahren schuldig gesprochen und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt sowie einen Verfall von Wertersatz in Höhe von 1.500 Euro angeordnet.
3
Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 2 StPO
i.V.m. § 22 Nr. 4 StPO Erfolg. Die Revision macht zu Recht geltend, dass an
der Entscheidung des Landgerichts ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war.
I.
4
Der Verfahrensrüge liegt im Wesentlichen folgendes Geschehen zu
Grunde:
5
Der beisitzende Richter am Landgericht Dr. S.
erstellte mit Verfü-
gung vom 9. Oktober 2017 einen Vermerk, mit dem er darauf hinwies, dass
Gegenstand der vorliegenden Akte auch Erkenntnisse aus einem Verfahrenskomplex gegen
K.
u.a. sind, der bei der Staatsanwaltschaft
Karlsruhe – Zweigstelle Pforzheim – unter dem Aktenzeichen
u.a. geführt wurde. Die aus diesem Verfahrenskomplex stammenden Vorwürfe
gegen den Angeklagten wurden durch die Staatsanwaltschaft sämtlich gemäß
§§ 154 Abs. 1, 170 Abs. 2 StPO eingestellt. An der Bearbeitung dieses Verfah-
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renskomplexes war der beisitzende Richter als Dezernent der Staatsanwaltschaft Karlsruhe – Zweigstelle Pforzheim – beteiligt. Nach seiner Einschätzung
liege trotz seiner Befassung mit dem Parallelverfahren weder ein Fall des § 22
Nr. 4 StPO noch ein Grund für eine Selbstanzeige nach § 30 StPO vor.
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Diesen Vermerk übersandte der Vorsitzende Richter Vizepräsident des
Landgerichts R.
am 23. Oktober 2017 dem Verteidiger des Angeklagten zur
Kenntnis mit Vorschlägen für die Terminierung der Hauptverhandlung. Der Verteidiger erwiderte mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2017, dass der Begriff der
Sache i.S.d. § 22 StPO weit auszulegen sei und keine Verfahrensidentität voraussetze. Eine Änderung in der Besetzung der Strafkammer erfolgte nicht.
7
Der im Vermerk des beisitzenden Richters benannte Verfahrenskomplex
bezog sich in Bezug auf den Angeklagten entsprechend der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe – Zweigstelle Pforzheim – vom 19. November 2015 u.a. auf den Tatvorwurf der Abgabe und gewerbsmäßigen Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige durch Überlassen und Verkauf von
Marihuana und Haschisch an den 16-jährigen
G.
im Tatzeitraum
zwischen Anfang 2014 und 31. August 2014. Gegenstand des Ermittlungsverfahrens gegen den Angeklagten war auch das Verbringen einer Schusswaffe in
den Geltungsbereich des Waffengesetzes durch Einfuhr einer halbautomatischen Kurzwaffe aus Spanien nach Deutschland zwischen 1980 und dem
11. Februar 2015.
8
Verfahrensgegenstand im mit der Revision angegriffenen Urteil des
Landgerichts ist die Abgabe von Betäubungsmitteln an den 16-jährigen
G.
im Tatzeitraum vom 1. Oktober bis 29. November 2014 in 16 im Ein-
zelnen nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkten sowie der Besitz einer
halbautomatischen Kurzwaffe, die beim Angeklagten bei einer Durchsuchung
-5-
am 11. Februar 2015 aufgefunden wurde. Das Landgericht stützt seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten bei der Abgabe von Betäubungsmitteln im Wesentlichen auf die Angaben des Zeugen
G.
,
die es für uneingeschränkt glaubhaft erachtet.
II.
9
Die zulässig erhobene Verfahrensrüge führt zur Urteilsaufhebung.
10
Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 2 StPO i.V.m. § 22 Nr. 4
StPO ist gegeben. Bei dem angegriffenen Urteil wirkte ein Richter mit, der von
der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war, weil er
zuvor in der Sache als Beamter der Staatsanwaltschaft tätig gewesen war.
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1. Nach § 22 Nr. 4 StPO ist ein Richter u.a. dann von der Ausübung seines Amtes ausgeschlossen, wenn er "in der Sache" als Beamter der Staatsanwaltschaft tätig gewesen ist.
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a) Unter "der Sache" ist grundsätzlich dasjenige Verfahren zu verstehen,
welches die strafrechtliche Verfolgung einer bestimmten Straftat zum Gegenstand hat. Es kommt also in erster Linie auf die Identität des historischen Ereignisses an, um dessen Aufklärung es zu der Zeit ging, als der Richter in nichtrichterlicher Funktion tätig war. Der Annahme einer solchen Identität steht auch
das Vorliegen mehrerer selbständiger Taten im Sinne des § 264 StPO nicht
entgegen. Vielmehr entscheidet in solchen Fällen regelmäßig die Einheit der
Hauptverhandlung; sie kann auch solche Vorgänge, die bei natürlicher Betrachtung als verschiedene historische Ereignisse erscheinen, zu einer Einheit zusammenfassen (BGH, Urteile vom 2. Dezember 2003 – 1 StR 102/03, StraFo
2004, 91 und vom 16. Januar 1979 – 1 StR 575/78, BGHSt 28, 262, 263 mwN).
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13
b) Allerdings ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Vorschrift
des § 22 Nr. 4 StPO keineswegs nur dazu da ist, das Strafverfahren gegen eine
aus früherer anderweitiger Tätigkeit abzuleitende Voreingenommenheit zu
schützen. Sie ist vielmehr auch dazu bestimmt, bereits den Schein eines Verdachts der Parteilichkeit zu vermeiden (BGH, Urteile vom 2. Dezember 2003
– 1 StR 102/03, StraFo 2004, 91; vom 16. Januar 1979 – 1 StR 575/78, BGHSt
28, 262, 265 und vom 25. Mai 1956 – 2 StR 96/56, BGHSt 9, 193, 194 f.; Beschluss vom 12. August 2010 – 4 StR 378/10, NStZ 2011, 106). Daraus kann
sich die Notwendigkeit ergeben, § 22 Nr. 4 StPO auch anzuwenden, wenn es
an der für den Normalfall vorausgesetzten Verfahrenseinheit fehlt. Der Verdacht
der Parteilichkeit kann jedoch bei mehreren für eine einheitliche Behandlung in
Betracht zu ziehenden Verfahren vernünftigerweise nur aufkommen, wenn zumindest ein enger und für die zu treffende Entscheidung bedeutsamer Sachzusammenhang besteht (BGH, Urteile vom 2. Dezember 2003 – 1 StR 102/03,
StraFo 2004, 91; vom 16. Januar 1979 – 1 StR 575/78, BGHSt 28, 262, 265
und vom 25. Mai 1956 – 2 StR 96/56, BGHSt 9, 193, 195).
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2. Eine "Einheit der Sache" in diesem Sinne gemäß § 22 Nr. 4 StPO ist
hier gegeben.
15
Zwischen dem vom beisitzenden Richter im vorliegenden Verfahren zu
beurteilenden Sachverhalt und dem von ihm in seiner früheren Funktion als
Staatsanwalt bearbeiteten Verfahrenskomplex besteht ein solcher enger und
bedeutsamer Sachzusammenhang. So betrifft die vom Landgericht abzuurteilende Tat nach Ziffer II. der Urteilsgründe (UA S. 7 f.) mit der Abgabe von Betäubungsmitteln durch den Angeklagten an den 16-jährigen Zeugen
G.
im Tatzeitraum vom 1. Oktober 2014 bis 29. November 2014 einen
gleichgelagerten Lebenssachverhalt zu dem früher geführten Ermittlungsverfah-
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ren mit fast nahtlos aneinander anschließenden Tatzeiträumen von Anfang
2014 bis 31. August 2014. Bei beiden Taten war die Aussage und die Glaubwürdigkeit des Zeugen
G.
für den Tatnachweis von wesentlicher
Bedeutung. Ein solcher enger Sachzusammenhang bestand auch in Bezug auf
das unerlaubte Verbringen und den Besitz der halbautomatischen Kurzwaffe.
16
3. Da die Mitwirkung des kraft Gesetzes ausgeschlossen Richters damit
rechtsfehlerhaft war, kann das Urteil keinen Bestand haben. Das Urteil beruht
kraft Gesetzes auf dem Verfahrensverstoß (§ 338 StPO).
Raum
Jäger
Bär
Bellay
Pernice