You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.
 
 

395 lines
20 KiB

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 275/10
vom
14. Dezember 2010
Nachschlagewerk: ja
BGHSt:
nein
BGHR:
ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
AO § 370 Abs. 1 Nr. 1
Eine Strafbarkeit wegen vollendeter Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1
Nr. 1 AO aufgrund unrichtiger oder unvollständiger Angaben entfällt nicht deshalb, weil den zuständigen Finanzbehörden alle für die Steuerfestsetzung bedeutsamen Tatsachen bekannt waren und zudem sämtliche Beweismittel (§ 90
AO) bekannt und verfügbar waren.
BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 StR 275/10 - Landgericht München I
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
-2-
-3-
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Dezember 2010 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
München I vom 26. Januar 2010 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Der Angeklagte hat als im Einkauf tätiger Angestellter der Firma P.
1
für diese Elektronikbauteile aus dem europäischen Ausland über eine Gruppe von Personen eingekauft, deren in Deutschland ansässige Firmen nur zum Zweck der Erlangung
unberechtigter Vorsteuerabzüge zwischengeschaltet waren. In Kenntnis dieser
Umstände und im Wissen, dass eine Berechtigung zum Vorsteuerabzug nicht
bestand, gab der Angeklagte Eingangsrechnungen mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer an die Buchhaltung der Firma P.
zum Zwecke der
Verbuchung und Vornahme des Vorsteuerabzugs weiter. Für Rechnungen datierend zwischen 1. August 2003 und 30. September 2004 wurden so für die
P.
vierzehn falsche Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben, die erste
davon ging am 16. Oktober 2003 beim zuständigen Finanzamt ein. Insgesamt
wurde so Umsatzsteuer in Höhe von rund 5,18 Mio. Euro hinterzogen.
2
Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurde der Angeklagte wegen
Steuerhinterziehung in vierzehn Fällen zu vier Jahren und neun Monaten Ge-
-4-
samtfreiheitsstrafe verurteilt. Seine auf mehrere Verfahrensrügen und die näher
ausgeführte Sachrüge gestützte Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
Der näheren Ausführung bedarf lediglich Folgendes:
4
I. Die Revision rügt eine Verletzung von § 244 Abs. 3 StPO wegen der
Ablehnung des Beweisantrags Nr. 2 (nachfolgend 1.). Dies bleibt im Ergebnis
erfolglos. Zwar zeigt die Revision insoweit Rechtsfehler auf (nachfolgend 2.),
der Senat kann jedoch ausschließen, dass das Urteil hierauf beruht (nachfolgend 3.).
5
1. Folgendes liegt zugrunde:
6
a) Mit länger begründetem Beweisantrag vom 5. Januar 2010 macht die
Verteidigung im Kern zweierlei geltend:
7
(1) Ein zunächst in anderer Sache in den Räumen der Firma P.
ermittelnder Steuerfahnder aus München habe entgegen seiner Zeugenaussage vor der Strafkammer nicht erst im April 2005, sondern bereits am 19. September 2003 (also bevor die in Rede stehenden Vorsteueranmeldungen beim
Finanzamt eingegangen waren) Kenntnis von „der steuerstrafrechtlichen Verdachtslage“ erlangt. Dies ergebe sich aus einem Vermerk über ein Telefonat
dieses Steuerfahnders mit einem Steuerfahnder aus Hamburg, dessen Einvernahme nunmehr beantragt wird, sowie aus weiteren Schreiben und Vermerken,
deren Verfasser ebenfalls als Zeugen gehört werden sollen. Es werde sich erweisen, dass die zuständigen Finanz- und Strafverfolgungsbehörden so frühzeitig Kenntnis „von dem verfahrensgegenständlichen Sachverhalt“ hatten, dass
sie hätten verhindern können, dass größerer Schaden entsteht.
-5-
8
(2) Der Steuerfahnder aus München habe keine Maßnahmen ergriffen,
Mitarbeiter der Firma P.
zu informieren, sondern habe diese im Gegenteil,
obgleich er ihnen gegenüber aufgetreten sei, „im guten Glauben … gelassen
und darin bestärkt“. Hierzu solle eine Mitarbeiterin der Firma P.
vernom-
men werden, die der Steuerfahnder trotz seines Wissens im Frühjahr 2004 um
Auskunft „in Bezug auf die verfahrensgegenständlichen Sachverhalte“ gebeten
habe, ohne den Hintergrund der Anfrage darzulegen.
9
b) Hinsichtlich der ersten Beweisbehauptung - Wissen des Steuerfahnders - lehnte die Strafkammer den Beweisantrag durch Beschluss vom 11. Januar 2010 mit der Begründung ab, die Kenntnis des Steuerfahnders - selbst
wenn er nicht lediglich einen Anfangsverdacht gehabt hätte - sei für das Verfahren ohne Bedeutung. Der Fahnder hätte ein Wissen nicht offenbaren dürfen, um
einen Ermittlungserfolg nicht zu gefährden. Es könne sein, dass Verfahrensverzögerungen entstanden seien, dies spiele aber für die Frage, ob eine betrügerische Umsatzsteuerkette vorliege und inwieweit der Angeklagte hierin involviert
war, keine Rolle. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass sich der von der Verteidigung gezogene Schluss auf die behauptete Kenntnis des Steuerfahnders
weder aus dem ein Telefonat dokumentierenden noch aus dem weiteren Vermerk nachvollziehen lasse, dieser vielmehr „abwegig“ sei.
10
Zu den weiteren Beweisbehauptungen - „Schweigen“ des Steuerfahnders - hörte die Strafkammer den zuvor bereits vernommenen Steuerfahnder
aus München erneut und lehnte sodann den Beweisantrag durch Beschluss
vom 26. Januar 2010 mit der Begründung ab, der Steuerfahnder sei „zu der
Tatsachenbehauptung“ gehört worden, „so dass der Beweis erhoben“ sei. In
den Gründen wird ausgeführt, der Beweisantrag sei insoweit schon „unzulässig,
-6-
als er keine konkrete, auf die Tat- und Schuldfrage bezogene Beweisbehauptung“ enthalte.
11
2. Die Ablehnungsbeschlüsse sind nicht frei von Rechtsfehlern.
12
a) Der Ablehnungsbeschluss vom 11. Januar 2010 verletzt § 244 Abs. 3
StPO, weil er eine Bedeutungslosigkeit der Beweisbehauptung nicht belegt.
13
Eine Beweisbehauptung ist nur dann bedeutungslos, wenn sie weder
den Schuld- noch den Rechtsfolgenausspruch zu beeinflussen vermag. Das
Gericht muss daher - will es eine Beweisbehauptung (in deren vollen Tragweite,
vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 1982 - 1 StR 698/82, StV 1983, 90, 91)
wegen Bedeutungslosigkeit ablehnen - beides in den Blick nehmen. Das Ergebnis dieser Prüfung ist im Ablehnungsbeschluss nachvollziehbar darzulegen,
soweit es nicht für alle Beteiligten auf der Hand liegt (vgl. BGH, Beschluss vom
24. August 1999 - 1 StR 672/98, NStZ 2000, 46; BGH, Urteil vom 5. Januar
1982 - 5 StR 567/81, NStZ 1982, 170, 171; BGH, Beschluss vom 12. Juli 1979 3 StR 229/79).
14
(1) Es ist bereits nicht erkennbar, ob die angenommene Bedeutungslosigkeit auf tatsächlichen oder rechtlichen Gründen beruht. Entsprechende Darlegungen sind jedoch regelmäßig geboten (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar
2000 - 3 StR 410/99, NStZ 2000, 267, 268; BGH, Beschluss vom 12. August
1986 - 5 StR 204/86, StV 1987, 45 f.; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 244
Rn. 43a).
15
(2) Die von der Strafkammer zur Begründung der Bedeutungslosigkeit
weiter herangezogene Annahme, der benannte Steuerfahnder hätte sein Wissen nicht offenbaren dürfen, um einen Ermittlungserfolg (offenbar im Gesamt-
-7-
komplex) nicht zu gefährden, vermag zu belegen, dass die abgeurteilte Tat
nicht verhindert worden wäre. Welche Schlüsse die Strafkammer hieraus auf
die Bedeutung der explizit unter Beweis gestellten Behauptung, die Tat hätte
verhindert werden können, gezogen hat, legt sie nicht dar. Solcher Darlegungen
hätte es hier aber - wie regelmäßig (vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 2007 - 3
StR 114/07, StraFo 2007, 331) - bedurft. Denn aus dem Umstand, dass eine
Tat nicht verhindert worden wäre, drängt sich der Schluss, dass eine bestehende, aber nicht wahrgenommene Möglichkeit zur Tatverhinderung im konkreten
Fall für den Schuld- oder den Strafausspruch bedeutungslos sein kann, nicht
ohne weiteres auf.
Die weiteren Erwägungen der Kammer, etwaige Verfahrensverzögerun-
16
gen seien für die Frage nach dem Vorliegen einer betrügerischen Umsatzsteuerkette oder der Beteiligung des Angeklagten hieran bedeutungslos, lassen die
Frage nach der Bedeutung von Verzögerungen für den Strafausspruch unerörtert.
17
(3) Die Ausführungen der Strafkammer, es sei „abwegig“, aus dem das
Stattfinden eines verfahrensbezogenen Telefonats dokumentierenden Vermerk
auf einen bestimmten Gesprächsinhalt zu schließen, geben zur Frage der Bedeutungslosigkeit der Beweisbehauptung keine Auskunft. Sie könnten überdies
besorgen lassen, die Strafkammer habe die Beweisbehauptung in Zweifel gezogen. Bei der Ablehnung eines Beweisantrags wegen Bedeutungslosigkeit aus
tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ist jedoch die unter Beweis gestellte
Tatsache so, als sei sie voll erwiesen, der Entscheidung zugrunde zu legen
(BGH, Beschluss vom 12. Januar 2010 - 3 StR 519/09, NStZ-RR 2010, 212;
BGH, Beschluss vom 6. März 2008 - 3 StR 9/08, StV 2008, 288). Die Ausführungen der Strafkammer geben dem Senat ferner Anlass zu der Anmerkung,
-8-
dass einem Beweisantrag zwar abverlangt werden kann, dass darin ein verbindender Zusammenhang zwischen Beweismittel und Beweisbehauptung dargelegt ist (vgl. Fischer in KK, StPO, 6. Aufl., § 244 Rn. 82 mwN), dies jedoch nicht
die Darlegung erfordert, ein benannter Zeuge werde die Beweisbehauptung mit
Sicherheit bekunden. Erforderlich - aber auch ausreichend - ist die Darlegung
der Umstände, warum es dem Zeugen möglich sein kann, die Beweistatsache
zu bekunden. Ist der Zeuge Teilnehmer eines Telefonats, dessen Verlauf, dessen Inhalt oder - wie hier - dessen Ergebnis unter Beweis gestellt werden soll,
handelt es sich um einen unmittelbaren Zeugen, zu dem es regelmäßig nicht
der Darlegung noch weiter ins Detail gehender Umstände bedarf, damit das
Gericht den Antrag anhand der gesetzlichen Ablehnungsgründe sinnvoll prüfen
kann (vgl. BGH, Urteil vom 28. November 1997 - 3 StR 114/97, BGHSt 43, 321,
329 f.).
18
b) Soweit der Antrag die weiteren Beweisbehauptungen - betreffend das
„Schweigen“ des Steuerfahnders - betrifft, lässt sich dem entgegen der Auffassung der Strafkammer im Beschluss vom 26. Januar 2010 eine hinreichend
konkrete Beweisbehauptung entnehmen (1). Über diese wurde entgegen dem
Ablehnungsbeschluss nicht Beweis erhoben (2).
19
(1) Soweit die Strafkammer im Beschluss vom 26. Januar 2010 ausführt,
der Antrag sei „unzulässig“, will sie damit offenbar zum Ausdruck bringen, es
handle sich um einen Beweisermittlungsantrag. Auch ein solcher wäre indes
nicht schon im Ansatz unzulässig oder unstatthaft, sondern statt nach § 244
Abs. 3 bis Abs. 5 StPO nach Maßgabe des § 244 Abs. 2 StPO zu bescheiden
(zu unzulässigen Beweisanträgen vgl. Becker in Löwe/Rosenberg, StPO,
26. Aufl., § 244 Rn. 198; Fischer in KK-StPO, 6. Aufl., § 244 Rn. 107 f.).
-9-
Zwar vermengt der Antrag hinsichtlich des behaupteten Tätig- oder
20
Nichttätigwerdens des Steuerfahnders Beweisziel und Beweistatsachen, bei der
gebotenen
interessengerechten
Auslegung
(vgl.
Meyer-Goßner,
StPO,
53. Aufl., § 244 Rn. 39; Fischer in KK-StPO, 6. Aufl., § 244 Rn. 77 f.) lässt sich
ihm aber die Behauptung entnehmen, der benannte Steuerfahnder habe bei
einer zu vernehmenden Zeugin bereits im Frühjahr 2004 Unterlagen betreffend
den nunmehr abgeurteilten Sachverhalt erbeten, und hierbei nicht über eine
Verdachtslage gesprochen. Dies ist eine hinreichend konkrete Beweisbehauptung.
Fehlte es - wie die Strafkammer ausführt - an einer hinreichend konkre-
21
ten Beweisbehauptung, könnte nicht - wie die Kammer im selben Beschluss
ausführt - „zu der Tatsachenbehauptung … Beweis erhoben“ sein. Die Nennung
verschiedener, sich widersprechender Ablehnungsgründe könnte je nach Lage
des Falles sogar besorgen lassen, dass es der Tatrichter dem Revisionsgericht
überlassen wollte, sich einen passenden Ablehnungsgrund „herauszusuchen“
(vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2002 - 3 StR 216/02, NStZ 2004, 51).
Eine in dieser Weise widersprüchliche Begründung wird aber insbesondere der
Informationsfunktion des Ablehnungsbeschlusses nicht gerecht (vgl. BGH, Beschluss vom 24. November 2009 - 1 StR 520/09, StV 2010, 287, 288).
22
(2) Der beantragte Beweis wurde nicht erhoben.
23
Die zum Verhalten des Steuerfahnders gegenüber Mitarbeitern der Firma
P.
benannte Zeugin wurde nicht vernommen. Die Strafkammer konnte
den Beweis auch nicht dadurch erheben, dass sie an deren Stelle den bereits
zuvor gehörten Steuerfahnder erneut befragt. Im Rahmen des Beweisantragsrechts ist es Sache des Antragstellers, nicht nur das Beweisthema, sondern
auch das zu benutzende Beweismittel selbst zu bestimmen. Zwar kommt ein
- 10 -
Austausch der Beweismittel ausnahmsweise dann in Betracht, wenn das herangezogene Beweismittel zweifelsfrei gleichwertig ist (vgl. BGH, Urteil vom 17.
September 1982 - 2 StR 139/82, NJW 1983, 126, 127). An dieser Gleichwertigkeit fehlt es jedoch regelmäßig, wenn nur der Zeuge, dessen bisherige Aussage
widerlegt werden soll, erneut vernommen wird, nicht aber die anderen zur Widerlegung benannten Zeugen. Dieser Mangel wäre im Ergebnis nur dann unschädlich, wenn der Zeuge seine bisherigen Aussagen im Sinne der Beweisbehauptung korrigiert und die Beweisbehauptung deshalb als erwiesen behandelt
wird. Dass dies hier der Fall wäre, die Strafkammer also angenommen hat, der
Steuerfahnder habe trotz seines Wissens geschwiegen, ist nicht ersichtlich.
3. Der Senat kann ausschließen, dass das Urteil auf den aufgezeigten
24
Rechtsfehlern beruht.
Das Landgericht durfte hier nämlich aus Rechtsgründen weder das be-
25
hauptete „Wissen“ des ermittelnden Steuerfahnders, noch dessen „Schweigen“
für den Schuld- oder den Strafausspruch berücksichtigen. Es ist überdies auszuschließen, dass sich der Angeklagte bei rechtsfehlerfreier Ablehnung des
Beweisantrags anders als geschehen gegen den Tatvorwurf hätte verteidigen
können. Insofern wurde der Angeklagte durch die rechtsfehlerhafte Verbescheidung des Antrags nicht in seiner Prozessführung beeinträchtigt oder benachteiligt.
26
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt der
Tatbestand der Steuerhinterziehung in der hier einschlägigen Variante des
§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO (Abgabe unrichtiger oder unvollständiger Erklärungen)
keine gelungene Täuschung des zuständigen Finanzbeamten voraus. Dies folgt
bereits aus dem vom Betrugstatbestand des § 263 StGB abweichenden Wortlaut des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Es genügt daher, dass die unrichtigen oder un-
- 11 -
vollständigen Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen in anderer Weise
als durch eine Täuschung für die Steuerverkürzung oder das Erlangen nicht
gerechtfertigter Steuervorteile ursächlich werden (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juni
2007 - 5 StR 127/07, NStZ 2007, 596, 597; BGH, Beschluss vom 19. Oktober
1999 - 5 StR 178/99, wistra 2000, 63, 64; BGH, Urteil vom 19. Dezember 1990
- 3 StR 90/90, BGHSt 37, 266, 285; so auch BFH, BStBl II 2006, 356, 357).
Deshalb kommt es auch auf den Kenntnisstand der Finanzbehörden von der
Unrichtigkeit der gemachten Angaben nicht an. Dementsprechend würde der
hier unter Beweis gestellte Verdacht des Münchner Steuerfahnders die Erfüllung des Tatbestandes der Steuerhinterziehung auch dann nicht ausschließen,
wenn der Beweis gelungen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Oktober 1999
- 5 StR 178/99, wistra 2000, 63, 64).
27
Darüber hinaus greift § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO selbst dann ein, wenn der
zuständige Veranlagungsbeamte von allen für die Veranlagung bedeutsamen
Tatsachen Kenntnis hat und zudem sämtliche Beweismittel (§ 90 AO) bekannt
und verfügbar sind (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Oktober 1999 - 5 StR 178/99,
wistra 2000, 63, 64, wo die aufgezeigte Fragestellung nicht entscheidungserheblich war). Im Gegensatz zu § 370 Abs.1 Nr. 2 AO ist bei § 370 Abs. 1 Nr. 1
AO - schon nach seinem Wortlaut - nicht auf eine Kenntnis oder Unkenntnis der
Finanzbehörden abzustellen (so aber Schmitz/Wulf in MüKo-StGB, § 370 AO
Rn. 241) oder das ungeschriebene Merkmal der "Unkenntnis" der Finanzbehörde vom wahren Sachverhalt in den Tatbestand hineinzulesen (vgl. Joecks in
Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl., § 370 AO Rn. 198 f.). Dies
stünde im Widerspruch zu der Wertung des Gesetzgebers in den Regelbeispielen des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nrn. 2 und 3 AO, die die Mitwirkung eines Amtsträgers unabhängig von dessen Zuständigkeit als besonders strafwürdig einstufen.
Anders als in der Unterlassungsvariante setzt der Täter bei Begehung durch
- 12 -
aktives Tun mit Abgabe der dann der Veranlagung zugrunde gelegten
- aber unrichtigen - Erklärung eine Ursache, die im tatbestandsmäßigen Erfolg
(i.S.d. § 370 Abs. 4 Satz 1 AO) stets wesentlich fortwirkt. Der Erfolg wäre auch
bei Kenntnis der Finanzbehörden vom zutreffenden Besteuerungssachverhalt anders als in der Unterlassungsvariante - weder ganz noch zum Teil ohne den
vom Steuerpflichtigen in Gang gesetzten Geschehensablauf eingetreten. Insofern realisiert sich gerade auch in dem Machen der falschen Angaben (neben
einem möglicherweise strafrechtlich relevanten Verhalten des die zutreffenden
Besteuerungsgrundlagen kennenden Veranlagungsbeamten) die durch § 370
Abs. 1 Nr. 1 AO rechtlich missbilligte Gefahr einer Steuerverkürzung (so jetzt
auch Ransiek in Kohlmann, Steuerstrafrecht, 42. Lfg. März 2010, § 370 Rn. 581
ff.).
28
Die Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung kann auch nicht durch die
mit dem Beweisantrag implizit aufgestellte Behauptung einer verzögerten Verfahrenseinleitung in Frage gestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2005 - 5 StR 191/04, wistra 2005, 148, 149).
29
b) Das Verhalten der Finanzbehörden konnte vorliegend auch keinen
Einfluss auf den Strafausspruch haben.
30
Zwar kann ein Verhalten des Steuerfiskus (gleich einem Mitverschulden
oder einer Mitverursachung des Verletzten) strafmildernd zu berücksichtigen
sein. Es kann daher Fälle geben, in denen strafschärfend berücksichtigtes Verhalten eines Angeklagten (etwa Skrupellosigkeit, Raffinesse oder Hartnäckigkeit) ins Verhältnis zum Verhalten der zum Schutze der staatlichen Vermögensinteressen berufenen Beamten zu setzen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Mai
1983 - 1 StR 25/83, wistra 1983, 145). Dies gilt jedoch allenfalls dann, wenn
das staatlichen Stellen vorwerfbare Verhalten unmittelbar auf das Handeln des
- 13 -
Angeklagten Einfluss genommen hat (etwa weil er bislang nicht tatgeneigt war
oder ihm wenigstens die Tat erleichtert wurde) und den staatlichen Entscheidungsträgern die Tatgenese vorgeworfen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom
29. Januar 2009 - 3 StR 474/08, NStZ-RR 2009, 167). Derartiges hätte weder
durch den in Rede stehenden Beweisantrag bewiesen werden können, noch ist
es sonst vorgetragen oder ersichtlich.
31
Ein Anspruch eines Straftäters darauf, dass die Ermittlungsbehörden
rechtzeitig gegen ihn einschreiten, um seine Taten zu verhindern, besteht nicht.
Insbesondere folgt ein solcher Anspruch nicht aus dem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Artikel 6 Abs. 1 EMRK (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2003 - 1
StR 506/02, NStZ-RR 2003, 172 f.; BGH, Beschluss vom 17. Juli 2007 - 1 StR
312/07, NStZ 2007, 635). Es wäre daher rechtsfehlerhaft gewesen, dies hier
zugunsten des Angeklagten zu werten.
32
Das Landgericht hat nicht nur im Beschluss, mit dem der Beweisantrag
abgelehnt wurde, sondern im hier maßgeblichen Urteil Verfahrensverzögerungen angesprochen und die bedeutsamen Daten des Verfahrens beginnend mit
einer Selbstanzeige am 18. September 2003 genannt. Der Senat kann daher
ausschließen, dass die Kammer dies bei der Strafzumessung nicht auch im
Blick hatte. Dass darüber hinaus Besonderheiten des Einzelfalles eine Strafmilderung ermöglicht hätten, weil sie ein Einschreiten der Finanz- und Ermittlungsbehörden unabweisbar geboten oder dazu geführt hätten, dass deren Verhalten
mit den Grundsätzen eines fairen Verfahrens unvereinbar gewesen wäre (vgl.
BGH, Beschluss vom 12. Januar 2005 - 5 StR 191/04, wistra 2005, 148, 149),
ist auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens nicht ersichtlich.
33
II. Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht zugunsten des Angeklagten einen Härteausgleich wegen einer einbeziehungsfähigen, aber bereits durch Be-
- 14 -
zahlung vollstreckten Geldstrafe vorgenommen (UA S. 65). Eine ausgleichspflichtige Härte kann für den Angeklagten hier – anders als bei Vollstreckung
einer Geldstrafe durch Ersatzfreiheitsstrafe – nicht entstehen (vgl. Fischer,
StGB, 58. Aufl., § 55 Rn. 21 f. mwN). Durch den gleichwohl vorgenommenen
Härteausgleich ist der Angeklagte indes nicht beschwert.
Nack
Wahl
Jäger
Hebenstreit
Sander