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Nachschlagewerk: ja
BGHSt:
ja
Veröffentlichung:
ja
StPO §§ 24, 81
a) Zur Frage der Befangenheit bei Fehlern im Zusammenhang mit der Anordnung und Durchführung der Begutachtung der Schuldfähigkeit.
b) Zur Verhältnismäßigkeit bei der vorbereitenden Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus zur Erstellung eines Gutachtens über eine
Persönlichkeitsstörung.
BGH, Beschl. vom 10. September 2002 - 1 StR 169/02 - LG Mannheim -
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 169/02
vom
10. September 2002
in der Strafsache
gegen
-2wegen bandenmäßigen Betruges u.a.
-3-
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. September 2002 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten S.
wird das Urteil des
Landgerichts Mannheim vom 18. Dezember 2001, soweit es ihn
betrifft, im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 145 Fällen,
wegen bandenmäßigen Betruges in weiteren 97 Fällen sowie wegen Kapitalanlagebetruges in Tateinheit mit versuchtem bandenmäßigen Betrug zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Die auf den Strafausspruch
beschränkte Revision des Angeklagten hat mit der Rüge einer Verletzung der
Vorschriften über die Ablehnung (§ 24 Abs. 1 und 2, § 338 Nr. 3 StPO) Erfolg.
Auf die weitere Verfahrensrüge und die Sachrüge kommt es daher nicht an.
-4-
1. Das Rechtsmittel ist nach dem eindeutigen Wortlaut des gestellten
Antrags und nach dem erkennbaren Willen des Angeklagten auf den Strafausspruch beschränkt. Der Wirksamkeit dieser Beschränkung steht nicht entgegen,
daß mit der formellen Rüge beanstandet wird, an dem angefochtenen Urteil
hätten mit den drei Berufsrichtern Me. , Dr. F.
ter mitgewirkt, die vom Angeklagten S.
und T.
Rich-
wegen Besorgnis der Befangen-
heit abgelehnt gewesen seien und bezüglich derer das Ablehnungsgesuch zu
Unrecht verworfen worden sei (§ 338 Nr. 3 StPO). Die Revision kann, solange
sie dadurch nicht widersprüchlich wird, auch dann auf den Strafausspruch beschränkt werden, wenn, wie in den Fällen einer Rüge nach § 338 Nr. 1 bis 7
StPO, ein Verfahrensfehler beanstandet wird, der auch den Schuldspruch berührt und ohne eine Beschränkung des Rechtsmittels das Urteil insgesamt zu
Fall brächte (vgl. BGH NJW 1995, 1910; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO
45. Aufl. § 344 Rdn. 7; Kuckein in KK StPO 4. Aufl. § 338 Rdn. 6, § 344 Rdn. 6;
Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, 6. Aufl., Rdn. 157 m.w.Nachw.).
2. Die Verteidiger des Angeklagten lehnten zu Beginn des ersten Hauptverhandlungstages die drei Berufsrichter wegen Besorgnis der Befangenheit
ab. Das Landgericht wies nach Einholung dienstlicher Erklärungen das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurück.
Dem Ablehnungsgesuch liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde:
Der Angeklagte befand sich seit dem 5. Februar 2000 in Untersuchungshaft. Am 26. September 2000 beauftragte die Staatsanwaltschaft Prof.
Dr. Sch.
aus G.
mit einem psychiatrischen und psychologischen
Schuldfähigkeitsgutachten (§§ 20, 21 StGB). Gemäß Beschluß des Landgerichts Mannheim vom 2. Mai 2001 wurde der Gutachtenauftrag dahin erweitert,
-5-
ob infolge seines Zustandes weitere erhebliche rechtswidrige, insbesondere
gleichartige Taten zu erwarten seien und deshalb seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB oder wegen eines Hanges
zur Begehung gleichartiger Betrugstaten eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66 Abs. 2 i.V.m. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB) erforderlich sei.
Der Sachverständige erstattete sein schriftliches Gutachten am 25. Juni 2001;
er vermochte das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen für eine mögliche Anwendung des § 21 StGB nicht auszuschließen. Mit Beschluß vom 9.
Juli 2001 ordnete die Strafkammer ein weiteres psychiatrisches Gutachten an
und bestellte Prof. Dr. Gl.
aus Ma.
zum weiteren Gutachter. Zur Be-
gründung führte die Kammer aus, sie halte eine zusätzliche Begutachtung
"unter Anwendung ausschließlich medizinisch-psychiatrischer Maßstäbe für
erforderlich". Der Gutachter Prof. Dr. Sch.
sei zu seinem Ergebnis unter
Unterstellung eines ausschließlich auf den Angaben des Angeklagten beruhenden und lediglich zu dessen Gunsten bewerteten Ergebnisses einer vorweggenommenen Beweisaufnahme gelangt. Die Verteidigung erhob gegen den
Beschluß Gegenvorstellung. Sie habe zum Zeitpunkt des Beschlusses weder
Kenntnis vom Ergebnis der Begutachtung durch Prof. Dr. Sch.
noch von
dem Umstand gehabt, daß das Gutachten der Staatsanwaltschaft und dem Gericht überhaupt vorgelegen habe. Sie regte an, Prof. Dr. Sch.
zur Klar-
stellung über das Ergebnis des Gutachtens aufzufordern.
Am 31. Juli 2001 lehnte der Angeklagte ein Gespräch mit Prof.
Dr. Gl.
ab. Am 2. August 2001 erstellte dieser daraufhin ein auf die schriftli-
chen Unterlagen gestütztes psychiatrisches Gutachten. Er schlug darin eine
mehrwöchige Unterbringung des Angeklagten zur Beobachtung in einem
psychiatrischen Krankenhaus vor. Dort könne u.a. das Verhalten des Ange-
-6-
klagten, sein Umgang mit Menschen und Dingen außerhalb der Untersuchungssituation, seine Selbstdarstellung solchen Menschen gegenüber, deren
Urteil er entweder nicht "zu befürchten" habe oder deren Urteil er für belanglos
halte, beobachtet werden. Während eines mehrwöchigen Aufenthalts in einem
psychiatrischen Krankenhaus sei Sorge für eine sorgfältige Dokumentation des
Verhaltens sowohl im Stationsalltag als auch im Gespräch mit Fachvertretern
zu tragen. Die so entstehenden Berichte des ärztlichen und nichtärztlichen
Personals könnten einen erheblichen Informationsgewinn bedeuten.
Am 6. August 2001 beantragte die Verteidigung, vor einer Entscheidung
über die vorgeschlagene Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
das psychiatrische Gutachten des Prof. Dr. Gl.
Sachverständigen Prof. Dr. Sch.
vom 2. August 2001 dem
zuzuleiten und eine Stellungnahme
einzuholen. Dieser werde bestätigen, daß eine aktive Mitwirkung des Angeklagten zur Begutachtung unabdingbar sei. Mit Beschluß vom 8. August 2001
ordnete das Landgericht an, daß der Angeklagte in das Zentrum für Psychiatrie
W.
zu verbringen und dort zu beobachten sei. Im Rahmen einer mündli-
chen Haftprüfung am gleichen Tag wurde dem Angeklagten der Beschluß der
Strafkammer zur Unterbringung gemäß § 81 StPO verkündet. Es wurde erörtert, daß der Beschluß nicht vollzogen würde, wenn der Angeklagte einer Verlegung in das Vollzugskrankenhaus H.
durch Prof. Dr. Gl.
und dort einer Untersuchung
zustimme. Dieses lehnte der Angeklagte nach Rück-
sprache mit seinem Verteidiger erneut ab, da er nach der langen Untersuchungshaft nicht in der Lage sei, eine weitere Begutachtung durchzustehen.
Gegen den Beschluß vom 8. August 2001 legte der Verteidiger des Angeklagten sofortige Beschwerde mit der Begründung ein, die von Prof.
-7-
Dr. Gl.
beschriebene Beobachtung trage ansatzweise experimentelle Züge
und habe mit der von § 81 StPO gemeinten Beobachtung in einem psychiatrischen Krankenhaus wenig gemein.
Durch Beschluß vom 28. August 2001 ordnete der 3. Strafsenat des
Oberlandesgerichts Karlsruhe an, die Beobachtung des Angeklagten sei nicht
im Zentrum für Psychiatrie in W.
Justizvollzugsanstalt St.
, sondern in der Krankenabteilung der
durchzuführen. Am 30. August 2001 wurde der
Angeklagte in die Justizvollzugsanstalt St.
verlegt und nach einem Ge-
spräch mit der Anstaltsärztin am 31. August 2001 auf Empfehlung von Prof.
Dr. Gl.
in einer Gemeinschaftszelle (Drei-Mann-Zelle) untergebracht. In
einem Schreiben vom 7. September 2001 erläuterte der Gutachter dem Landgericht Mannheim nochmals, was er sich an zusätzlichen Erkenntnissen aus
der Beobachtung des ärztlichen, des nichtärztlichen Personals und der Mitgefangenen erwarte.
Auf die Verfassungsbeschwerde des Angeklagten erließ die Dritte Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluß vom
10. September 2001 eine einstweilige Anordnung, mit der die weitere Vollziehung der Beobachtung einstweilen außer Kraft gesetzt wurde. Mit Beschluß
vom 9. Oktober 2001 stellte das Bundesverfassungsgericht fest, der Beschluß
des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 28. August 2001 verletze den Angeklagten in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 des
Grundgesetzes (Beschluß der Dritten Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Oktober 2001 - 2 BvR 1523/01 - in NStZ 2002,
98).
-8-
II.
Das Ablehnungsgesuch gegen die drei Berufsrichter ist zu Unrecht verworfen worden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes rechtfertigen die
Mitwirkung des Richters an Zwischenentscheidungen in dem anhängigen Verfahren und die dabei geäußerten Rechtsmeinungen in der Regel nicht die Annahme der Befangenheit (vgl. nur BGHSt 15, 40, 46; NStZ 1985, 492 [Pf/M]).
Selbst Verfahrensverstöße, die auf einem Irrtum oder auf einer unrichtigen oder
sogar unhaltbaren Rechtsansicht beruhen, stellen grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund dar. Dies folgt aus dem Grundsatz, daß sachliche und rechtliche
Fehler für sich nicht geeignet sind, die Besorgnis der Befangenheit eines Richters zu begründen. Allerdings gilt dieser Maßstab dann nicht, wenn dessen Entscheidungen abwegig sind oder sogar den Anschein der Willkür erwecken.
Auch kann sich die Befangenheit daraus ergeben, daß das Verhalten des
Richters vor der Hauptverhandlung besorgen läßt, er werde nicht mehr unvoreingenommen an die Sache herangehen, indem er etwa deutlich zum Ausdruck
bringt, er sei bereits vorher von der (vollen) Schuld des Angeklagten endgültig
überzeugt (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 45. Aufl. § 24 Rdn. 14, 15;
Pfeiffer in KK 4. Aufl. § 24 Rdn. 6 jeweils m.w.Nachw.).
Nach diesem Maßstab konnte der Angeklagte aus seiner Sicht die Besorgnis haben, die Strafkammer habe mit dem Beschluß über die weitere Begutachtung (1), dem dafür gewählten Verfahren (2) und ihrem Verhalten bei der
Durchführung der Beobachtung (3) allein das Ziel verfolgt, das ihm scheinbar
günstige Ergebnis des Erstgutachtens einer möglicherweise eingeschränkten
Schuldfähigkeit zu widerlegen.
-9-
1. Nach § 73 StPO steht es zwar im Ermessen des Richters, ein weiteres
Sachverständigengutachten einzuholen. Jedoch ist die sich aus dem Beschluß
vom 9. Juli 2001 ergebende Bewertung des Erstgutachtens schlechthin nicht
vertretbar.
a) Der Sachverständige Prof. Dr. Sch.
hat den Angeklagten an
sechs Tagen in der Justizvollzugsanstalt M.
"eingehend" psychiatrisch
exploriert und ein testpsychologisches Zusatzgutachten erstatten lassen. Er ist
zu dem vorläufigen Ergebnis gelangt, beim Angeklagten liege aus medizinischer
Sicht die Diagnose einer charaktergebundenen "Persönlichkeitsstörung im Sinne einer (tiefen) Selbstwertunsicherheit, sozialen Akzeptanzängsten mit Überkompensation in Richtung Erfolgs-, Geltungs- und Darstellungsstrebigkeit, teilweise ausufernd in Megalomanie und pseudologischen Verhaltensweisen im
Sinne von ICD 10 F 60.8." vor (Gutachten S. 90). Er hat indes im Abschnitt VI.
des Gutachtens ausdrücklich ausgeführt, es bleibe die forensisch relevante
Frage offen, ob die Persönlichkeitsabweichungen nach ihrem Gewicht und ihren
verhaltensbestimmenden Auswirkungen (überhaupt schon) die Schwelle einer
schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne von § 20 StGB erreicht hätten. Dafür sei maßgeblich, ob sich die Bedingungen, die der Angeklagte aus
seiner subjektiven Sicht als "Leichtmachen der Betrugshandlungen durch die
Banken" empfunden habe ("Die Banken haben mir das Geld förmlich nachgetragen") im Sinne eines "zwanghaften Weitermachen-Müssens" zumindest in
einem späten Stadium der Betrugshandlungen als zutreffend erweisen sollten.
Nur in diesem Fall seien die Störungen als "schwer" anzusehen. Nur dann könne sich für das Gericht die Rechtsfrage stellen, ob die Steuerungsfähigkeit "bei
der Tat" erheblich eingeschränkt gewesen sein könnte. Diese mit der ständigen
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vereinbare Prüfungsreihenfolge (vgl.
- 10 -
nur BGH NStZ 1999, 630 m.w.Nachw.) hat der Gutachter im schriftlichen Gutachten mehrfach unter den "Hauptverhandlungsvorbehalt" gestellt (S. 105, 108,
109, 110). Er hat zum Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen der
Rechtsfrage sogar ausdrücklich seine Zweifel geäußert (Gutachten S. 105). Zu
der Frage, ob die Maßregel einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) in Betracht komme, hat Prof. Dr. Sch.
auch dar-
gelegt, daß es aus seiner Sicht allenfalls darum gehe, daß die Voraussetzungen
des § 21 StGB nicht ausgeschlossen werden könnten, so daß bereits aus diesem Grund die Anwendung des § 63 StGB entfalle. Allerdings sei die Anwendung einer Maßregel nach § 63 StGB erneut zu erörtern, wenn sich in der
Hauptverhandlung herausstelle, daß die Schuldfähigkeitseinschränkungen auch
in positiver Form zu bejahen seien (Gutachten S. 110). Eine abschließende
Stellungnahme hat der Sachverständige dagegen zu der Frage einer möglichen
Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 i.V.m. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB abgegeben. Er hat ausgeführt, den beim Angeklagten diagnostizierten Persönlichkeitsstörungen sei nicht das prägende Gewicht beizumessen, daß seine Gesamtpersönlichkeit ihn zum "Hangtäter" qualifiziere.
b) Obwohl bei zutreffender Bewertung des vorläufigen schriftlichen Gutachtens eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei den Betrugstaten nach § 21 StGB eher fern lag, wird auch aus den Umständen nachvollziehbar, unter denen der Beschluß vom 9. Juli 2001 zustande gekommen ist,
daß beim Angeklagten die Besorgnis entstehen konnte, den Richtern sei es mit
dem Beschluß allein darum gegangen, das für den Angeklagten scheinbar günstige Ergebnis des Erstgutachtens zu widerlegen. Allein um die Frage, ob dieser
Anschein aus der Sicht eines verständigen Angeklagten ausreicht, die Befan-
- 11 -
genheit der Richter festzustellen, geht es bei der Entscheidung über das Vorliegen des absoluten Revisionsgrundes des § 338 Nr. 3 StPO.
Die Revision trägt vor, die Verteidigung habe beim Erlaß des Beschlusses vom 9. Juli 2001 weder Kenntnis vom Ergebnis der Begutachtung durch
Prof. Dr. Sch.
noch von dem Umstand gehabt, daß das Gutachten des
Sachverständigen vom 25. Juni 2001 der Staatsanwaltschaft und dem Gericht
überhaupt schon vorgelegen habe. Etwas anderes ergibt sich zudem aus der
dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden Richters Me.
vom 25. September
2001 nicht. Sie geht auf die gewählte Verfahrensweise nicht ein. Vielmehr wird
ausgeführt, Anlaß für die Einholung eines Zweitgutachtens sei gewesen, daß
der weitere Gutachter zur Frage der Diagnose der "Megalomanie" habe Stellung
nehmen sollen, "insbesondere weil die Megalomanie medizinisch in dem Bereich der Psychosen anzusiedeln ist, Prof. Dr. Sch.
jedoch die Bereiche
der krankhaften seelischen Störung, der tiefgreifenden Bewußtseinsstörung und
des Schwachsinns ausdrücklich ausgeschlossen hat". Auch diese Ausführungen
zum Erstgutachten sind schlechthin unvertretbar. Zu keinem Zeitpunkt bestanden Zweifel über die Einordnung der Persönlichkeitsstörung "teilweise ausufernd in Megalomanie" in ein anderes als das vierte Merkmal des § 20 StGB.
Schließlich haben die Richter die Verteidigung vor der Bestellung des
weiteren Gutachters auch nicht an der Auswahl beteiligt. Entscheidet sich der
Richter nach der Einholung eines Gutachtens zur Schuldfähigkeit, wie hier kurz
vor Beginn der Hauptverhandlung zur Erhebung eines weiteren Gutachtens, ist
er, schon um den Anspruch auf rechtliches Gehör zu gewährleisten, nach § 73
Abs. 1 StPO (vgl. BGHSt 44, 26, 31 und Nr. 70 Abs. 1 RiStBV) verpflichtet, die
Verteidigung an der Auswahl des beizuziehenden Gutachters zu beteiligen.
- 12 -
2. Hinzu kommt, daß die abgelehnten Richter trotz der nachvollziehbaren
Erklärung des Angeklagten, er sei nach der langen Untersuchungshaft weder
physisch noch psychisch in der Lage, noch einmal an einer Exploration durch
einen anderen Gutachter teilzunehmen, im Beschluß vom 8. August 2001 angeordnet haben "daß der Angeklagte in das Zentrum für Psychiatrie W.
ge-
bracht und dort - für die Dauer von sechs Wochen - beobachtet wird." Die zur
Vorbereitung des Gutachtens über den psychischen Zustand angeordnete Unterbringung zur Beobachtung in einem öffentlichen psychiatrischen Krankenhaus nach § 81 StPO darf nur angeordnet werden, wenn sie unerläßlich ist und
alle anderen (ambulanten) Mittel ausgeschöpft sind, um zu einer Beurteilung der
Schuldfähigkeit des Beschuldigten zu kommen. Dies folgt aus dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. BVerfG, Zweite Kammer des
Zweiten Senats, Beschl. vom 7. März 1995 - 2 BvR 1509/94 - in StV 1995, 617;
OLG Düsseldorf StV 1993, 571; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 45. Aufl. § 81
Rdn. 8; Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO, Band II, 1957, § 81, Rdn. 5). Die
Anforderungen an die Darlegungen zur Unerläßlichkeit sind grundsätzlich dann
höher, wenn bereits eine Exploration durchgeführt worden ist. Zwar darf generell nicht von einer Untersuchung eines Beschuldigten allein deshalb Abstand
genommen werden, weil dieser seine Mitwirkung verweigert. Dies gilt jedoch
dann nicht, wenn bei verweigerter Untersuchung ihre zwangsweise Vornahme
kein verwertbares Ergebnis erbringen kann (vgl. BGH StV 1994, S. 231 f.). Zu
allem verhält sich der Beschluß der Kammer nicht.
3. Zur Beurteilung des Anscheins der Befangenheit aus Sicht des Angeklagten ist schließlich das Verhalten der Richter bei der Umsetzung des von
Prof. Dr. Gl.
von Bedeutung.
vorgeschlagenen Konzepts zur Beobachtung des Angeklagten
- 13 -
Nachdem der Angeklagte erklärt hatte, an der zweiten Exploration nicht
mitzuwirken, und das Oberlandesgericht Karlsruhe in seinem Beschluß vom
28. August 2001 ausgeführt hatte, eine wörtliche Erfassung von Aussagen des
Beschwerdeführers im Rahmen der Beobachtung sei nur dann zulässig, wenn
ihre Freiwilligkeit außer Frage stehe oder der Beschwerdeführer vor einer Befragung auf die beabsichtigte Dokumentation ausdrücklich hingewiesen werde,
reduzierte sich das Konzept von Prof. Dr. Gl.
auf die schlichte Beobach-
tung des Verhaltens des Angeklagten. Obwohl mit einem Einverständnis des
Angeklagten weder der Gutachter noch die Strafkammer rechnen konnten, ließen es die Richter zu, daß der Angeklagte auf Empfehlung des Gutachters am
30. August 2001 auf der Krankenstation der Justizvollzugsanstalt St.
in ei-
ner Drei-Mann-Zelle untergebracht wurde. Sie nahmen auch hin, daß ihnen
Prof. Dr. Gl.
im Schreiben vom 7. September 2001 mitteilte, er habe ge-
genüber der ärztlichen Leiterin angeordnet,
"sowohl das ärztliche als auch das nichtärztliche Personal
dazu anzuhalten, die eigenen Wahrnehmungen im Umgang mit Herrn S.
ebenso wie diejenigen schriftlich
festzuhalten, die ihnen von Mitgefangenen berichtet werden. Eine gegebenenfalls megalomane Geltungs- und
Darstellungsstrebigkeit verwirklicht sich - auch - im Beziehungsverhalten, in verbalen Bekundungen ebenso wie im
mimischen und gestischen Verhalten. Die Selbstdarstellung des Herrn S.
den Mitgefangenen, dem ärztlichen und nichtärztlichen Personal gegenüber kann ebenso
von Bedeutung sein wie die von ihm im Gespräch bevorzugte Thematik. Sollte sich Herr S.
jeder Kommunikation verweigern, so kann eine solche Verweigerung
gleichfalls eine verwertbare Information darstellen. Sie wäre als ein Indiz für die Fähigkeit des Herrn S.
zu registrieren, die angenommene megalomane Geltungs- und
- 14 -
Darstellungsstrebigkeit in Abhängigkeit von situativen Bedingungen der Wahrnehmung zu entziehen."
a) Es ist nicht nachvollziehbar, wie aufgrund dieses Konzeptes der
Zweck der Unterbringung überhaupt noch erreicht werden konnte. Dafür ist
auch maßgeblich, daß Prof. Dr. Gl.
dem ärztlichen und dem nichtärztlichen
Personal sowie sogar den Mitgefangenen auf der Krankenstation ohne nähere
Vorgaben die Sammlung und Dokumentation von Äußerungen, Verhalten und
Reaktionen überlassen wollte. Diese verfügten weder über Erkenntnisse noch
über Erfahrungen zu den Lebensverhältnissen, in denen der Angeklagte bisher
gelebt hatte und in dem es zu den außergewöhnlich umfangreichen Betrugstaten gekommen war. Nach den Feststellungen beging der Angeklagte seine
Taten in einem Umfeld, das durch Reichtum, Umgang mit Prominenten und
Anerkennung als erfolgreicher Geschäftsmann geprägt war. Er war deshalb im
Umgang mit der Geschäftswelt im allgemeinen und mit den Banken und Leasinggesellschaften im besonderen vertraut. Bei dieser Sachlage erscheint
schlechthin undenkbar, daß die auf einer Station - sei es eines psychiatrischen
Krankenhauses, sei es in der Krankenabteilung einer Justizvollzugsanstalt gesammelten Informationen über sein dortiges Verhalten geeignet waren, ohne
Kenntnis seines bisherigen Lebens und der Entwicklung zu strafbarem Handeln
Rückschlüsse auf sein kriminelles Handeln zu ziehen. Dies gilt insbesondere
hinsichtlich der von Prof. Dr. Sch.
in seinem Gutachten offen gebliebe-
nen Fragen, ob bei den Betrugstaten gegenüber den Banken und Leasingfirmen beim Angeklagten die inneren Hemmbarrieren herabgesetzt waren. Es ist
auszuschließen, daß Informationen, die auf diesem Wege über das Verhalten
des Angeklagten gewonnen werden, geeignet sein können, als Grundlage für
eine wissenschaftlich begründete Aussage in einem fachpsychiatrischen Gutachten zu dienen.
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b) Diese nach dem Konzept von Prof. Dr. Gl.
durchgeführte Beob-
achtung ohne Mitwirkung des Angeklagten war vor allem rechtlich unzulässig.
Mit der angestrebten Totalbeobachtung sollten Erkenntnisse über die Persönlichkeit des Angeklagten erbracht werden, die er von sich aus nicht preisgeben
wollte, von denen aber erhofft wurde, daß er sie unter der Einflußnahme Dritter
offenbarte. Diese Maßnahme läuft auf die Umgehung des verfassungsrechtlich
garantierten Schweigerechts des Angeklagten und einen Verstoß gegen §
136a StPO hinaus. Verfassungsrechtlich steht einer solchen Totalbeobachtung
das Persönlichkeitsrecht des Angeklagten entgegen. Dieser würde dadurch
zum bloßen Objekt staatlicher Wahrheitsfindung gemacht, daß sein Verhalten
nicht mehr als Ausdruck seiner Individualität, sondern nur noch als wissenschaftliche Erkenntnisquelle verwertet würde (vgl. BVerfG (Kammer), NStZ
2002, 98).
Trotz Kenntnis dieser Umstände unterbanden die Richter die auch durch
nichtärztliches Personal und sogar durch Mitgefangene der Gemeinschaftszelle
durchgeführte Beobachtung nicht. Weder unternahm der stellvertretende Vorsitzende etwas, als er am 31. August 2001 zuerst von der Verlegung des Beschwerdeführers in eine Drei-Mann-Zelle zum Zwecke seiner "Beobachtung"
auch durch Zellengenossen Kenntnis erhielt, noch beendete die Strafkammer
die Beobachtung des Angeklagten, bis das Bundesverfassungsgericht mit Beschluß vom 10. September 2001 die weitere Vollziehung der Beobachtung
aussetzte. Daß die Beobachtung des Angeklagten durch Mitgefangene einer
Drei-Mann-Zelle auf der Krankenstation einer Justizvollzugsanstalt letztlich
durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts zustande kam, entlastet die
Richter
- 16 -
nicht. Aus der Sicht des Angeklagten ist für den Anschein der Befangenheit
maßgeblich, daß diese Form der Beobachtung bereits in dem von den Richtern
veranlaßten und gebilligten Untersuchungskonzept des Gutachters erkennbar
angelegt war.
Schäfer
Wahl
Kolz
Boetticher
Hebenstreit