Bundesgerichtshof
Nr. 110/2003
Lärm durch Rockkonzert
Der u.a. für das Nachbarrecht zuständige V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat über die Zulässigkeit von Lärmimmissionen anläßlich einmal im Jahr stattfindender Volksfeste entschieden.
Die Kläger wenden sich gegen Lärm, der von einem alljährlich ausgerichteten Sommerfest eines Sportvereins, und dabei insbesondere von einem Rockkonzert ausgeht.
Die Kläger sind Eigentümer eines in einem allgemeinen Wohngebiet gelegenen Grundstücks. Auf dem Nachbargrundstück, das der beklagten Stadt gehört, befindet sich ein Bolzplatz, eine Sporthalle und ein Fußballfeld. Die Stadt hat das Gelände einem Sportverein für Vereinsaktivitäten (Sportveranstaltungen, Trainingsbetrieb) überlassen. Einmal im Jahr veranstaltet der Sportverein ein Sommerfest, bei dem in einem Abstand von ca. 60 m vom Wohnhaus der Kläger ein Festzelt errichtet wird. Im Festzelt finden Musikveranstaltungen statt, darunter am Freitagabend ein Rockkonzert, welches bis weit nach Mitternacht dauert.
Das Landgericht hat die beklagte Stadt verurteilt, dafür zu sorgen, daß von ihrem Grundstück bei Festen und ähnlichen Veranstaltungen keine Geräusche ausgehen, die näher bestimmte Dezibelwerte überschreiten. Diese Werte sind den "Hinweisen des Länderausschusses für Immissionsschutz zur Beurteilung der durch Freizeitanlagen verursachten Geräusche" (sog. LAI-Hinweise oder Freizeitlärmrichtlinie) entnommen. Danach gelten bei "seltenen Störereignissen" folgende, vor den Fenstern (im Freien) gemessenen Richtwerte: tagsüber außerhalb der Ruhezeit (bis 20 Uhr) 70 db(A), innerhalb der Ruhezeit (6 bis 8 Uhr und 20 bis 22 Uhr) 65 dB(A), nachts (22 bis 6 Uhr) 55 dB(A).
Die Berufung der Stadt hatte keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht ließ jedoch die Revision zu, weil höchstrichterlich nicht geklärt sei, ob Lärmbelästigungen, die von einem im Rahmen eines mehrtägigen Vereinsfests abgehaltenen Rockkonzert ausgingen, von den Anwohnern hinzunehmen seien.
Die Revision der Stadt war teilweise erfolgreich. Nach der Entscheidung des V. Zivilsenats können Nachbarn bei Veranstaltungen, die für eine Stadt oder eine Gemeinde von besonderer Bedeutung sind und nur einmal jährlich stattfinden, auch nach 22 Uhr über die genannten Richtwerte hinausgehende Lärmbelästigungen zuzumuten sein.
Die LAI-Hinweise berücksichtigen zwar die Seltenheit eines Ereignisses, indem sie für Veranstaltungen, die an nicht mehr als zehn Tagen oder Nächten im Kalenderjahr abgehalten werden (sog. seltene Störereignisse), höhere Richtwerte für Lärmimmissionen vorsehen. Jedoch dürfen diese Richtwerte, die dem Richter nur eine Orientierung geben sollen, nicht schematisch angewandt werden. Handelt es sich um eine Veranstaltung, die nur einmal jährlich stattfindet und von besonderer Bedeutung ist, sind im Einzelfall auch höhere Lärmeinwirkungen hinzunehmen. Besondere Bedeutung in diesem Sinn können Volks- und Gemeindefeste, traditionelle Umzüge und ähnlichen Veranstaltungen haben, die zu den herkömmlichen, allgemein akzeptierten Formen gemeindlichen und städtischen Lebens gehören. Von ihnen dürfen im Einzelfall auch zur Nachtzeit (ab 22 Uhr) richtwertüberschreitende Störungen ausgehen. Mit Rücksicht auf den Schutz der Nachtruhe gilt das in aller Regel aber nur bis Mitternacht.
Für den konkreten Fall hat der V. Zivilsenat entschieden, daß von dem Rockkonzert bis Mitternacht Lärmimmissionen bis zur Höhe der für die Tageszeit geltenden Richt-werte der LAI-Hinweise ausgehen dürfen. Die klagenden Nachbarn müssen daher bis 24 Uhr Lärmimmissionen von 70 dB(A) (sog. Beurteilungspegel) hinnehmen. Nach Mitternacht ist dagegen der Richtwert für seltene Störereignisse von 55 dB(A) einzuhalten.
Urteil vom 26. September 2003 – V ZR 41/03
Karlsruhe, den 26. September 2003
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