Juristenlatein
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Anwälte werden immer ein wenig nervös, wenn sie merken, dass ihr Mandant über juristisches Fachwissen verfügt. Die schlimmsten Mandanten von allen sind natürlich Rechtsanwälte, die sich in eigener Sache von einem Berufskollegen vertreten lassen. »Jetzt nur keine Fehler machen, der Kollege merkt es schließlich sofort«, denkt sich der Anwalt dann. Und auch wenn er es nie zugeben würde: Er strengt sich noch ein bisschen mehr an als üblich.
Doch keine Sorge: Sie müssen nicht gleich Jura studieren, um Ihrem Anwalt ein bisschen Sachkenntnis zu demonstrieren und ihm so zu ein wenig zusätzlicher Motivation zu verhelfen. Oft genügen schon ein paar beiläufig eingestreute juristische Fachbegriffe. Am meisten beeindrucken Sie Ihren Anwalt natürlich mit genau den lateinischen Floskeln und Sinnsprüchlein, mit denen er sonst selbst seine Schriftsätze würzt.
Hier sind die wichtigsten:
aliud
(Das andere)

Wer ein saftiges Steak bestellt und einen trockenen Grünkern-Haferkleie-Bratling bekommt, erhält etwas anderes als vereinbart war – also ein „aliud“. »Iiiigitt!! Da ist ja ein aliud auf meinem Teller. Nehmen Sie das weg!!!«
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Merke: Aliud – das klingt ähnlich unappetitlich wie Grünkern-Haferkleie-Bratling, macht bei der Reklamation aber definitiv mehr Eindruck!

falsa
(Eine falsche Bezeichnung schadet nicht)

»Gib mich mal die Kirsche!« Auf einem Gelsenkirchener Bolzplatz ist das eine klare Ansage. Wer auf diesen Zuruf hin ein Körbchen Schattenmorellen besorgen geht, wird keine leichte Kindheit haben. Denn im Leben wie in der Juristerei gilt: Es kommt nicht darauf an, was man sagt, sondern darauf, was man meint. Präziser: was beide Seiten übereinstimmend meinen. Und deshalb schadet es auch nicht, wenn zwei Personen den Gegenstand ihres Vertrages falsch bezeichnen. Juristen nennen so etwas eine unbeachtliche „falsa demonstratio“. Vereinbart ist dann nicht das, was wörtlich im Vertrag steht, sondern das, was wirklich gemeint war.
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Merke: Wenn alle Beteiligten wissen, was gemeint ist, ist doch alles gut. Bestellen Sie an der Käsetheke also ruhig weiter ein paar Scheiben frischen Holländer. Sie müssen keine strafrechtlichen Konsequenzen fürchten!

furtum
(Gebrauchsanmaßung)

Sie wurden schon einmal mit einem fremden Portemonnaie in der Hand in der Fußgängerzone aufgegriffen? Ja schon, aber Sie sind damals wirklich nur gestolpert, mit der Hand versehentlich in die geöffnete Handtasche der Dame vor Ihnen geraten, bekamen einen Krampf in den Fingern und hielten plötzlich ungewollt ein Portemonnaie in der Hand. Sie waren selbst überrascht und sind vor Schreck schnell weggelaufen. Dann haben Sie gemerkt, dass das Portemonnaie Ihnen gut gefällt und Sie haben es als Muster erst mal behalten wollen, um sich genau das gleiche kaufen zu können. Aber selbstverständlich wollten Sie das Portemonnaie danach sofort der Eigentümerin zurückbringen! Plötzlich kam aber die Polizei und hat Ihnen irgendwelche komischen Vorwürfe gemacht. Sie wussten gar nicht, was das sollte. Dumme Sache … Aber genau so war es – hat Ihr Pflichtverteidiger gesagt …
Ja, und wenn der Richter das alles eingesehen hätte, müssten Sie dieses Buch heute nicht in der JVA lesen, denn „furtum usus“ oder „Gebrauchsanmaßung“ ist tatsächlich straflos! Wenn man eine fremde Sache nur an sich nimmt und benutzt, ohne sie endgültig stehlen zu wollen, wird man dafür nicht bestraft. Der Richter muss es halt nur glauben!
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Merke: »Ich hab’s nicht geklaut, ich wollte es doch zurückbringen! Echt!«

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iudex
(Der Richter rechnet nicht)

Juristen können von Geburt an kein Mathe, sonst hätten Sie ja nicht Jura studiert. Und weil das jeder weiß, muss man in einem gerichtlichen Urteil alles ernst nehmen, mit Ausnahme der Rechenergebnisse. Denn die erheben laut Gesetz grundsätzlich keinen Anspruch auf Richtigkeit. Tja, so einfach kann man es sich natürlich auch machen! Am liebsten hätten Juristen schon in der Schule ihre Matheklausuren mit dem Satz beendet: „Keine Gewähr für die Richtigkeit der Ergebnisse.“ Später im Beruf dürfen sie das tatsächlich – allerdings nur, wenn sie es auf Latein sagen!
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Merke: Auf Latein klingt selbst »Ich bin zu blöd zum Rechnen« nach solider humanistischer Bildung.

lucidum
(Der lichte Moment)

Wer etwas rechtswirksam gekauft hat, der war juristisch betrachtet auf jeden Fall bei klarem Verstand. Das sehen Sie anders, wenn Sie sich die letzten Wochenendeinkäufe Ihrer Gattin anschauen? Mag sein, aber »Meine Frau spinnt, nehmen Sie den Krempel gefälligst zurück!« – ganz so einfach geht es leider nicht immer. Denn selbst wenn Sie prinzipiell recht hätten, könnte sich Ihre Frau möglicherweise auf ein „lucidum intervallum“ berufen. Also auf einen lichten Moment während des Kaufrausches, in dem sie durchaus kurz überblicken konnte, was sie gerade tut. Na und wenigstens solche Momente wollen Sie ihr als liebender Gatte doch wohl nicht absprechen, oder?
In juristischen Uni-Klausuren wimmelt es übrigens nur so von unerkannt Geisteskranken, die in lichten Momenten Vasen kaufen – es sind immer Vasen –, um diese nach Beendigung des lichten Moments, aber noch vor dem Bezahlen, wieder kaputt zu schlagen. Und die armen Jurastudenten sollen dann entscheiden, wer in diesen ungemein realitätsnahen Fällen für den Schaden aufkommen muss. Als junge Anwälte wundern sie sich später, wo eigentlich die ganzen geisteskranken Mandanten mit den kaputten Vasen bleiben …

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Merke: »Schatz, natürlich erscheint es irgendwie verrückt, dass ich das alles gekauft habe, aber glaube mir: Beim Bezahlen hatte ich immer kurz ein lucidum intervallum. Wir müssen das also alles behalten!«

nonliquet
(Es steht nicht fest)

Oder auch: »Puh, keine Ahnung, ich weiß es einfach nicht. Haben Sie ’ne Idee?« Das ist die typische Ausgangssituation eines Gerichtsverfahrens. Der Richter weiß halt nicht, was in dem Fall wirklich passiert ist – non liquet, eben! Also muss er sich von den Prozessparteien erst einmal gründlich vorlügen lassen, wie es angeblich war. Am Ende des Verfahrens ist der Richter dann einen großen Schritt weiter: Nun würde er selbst die Frage nach seinem eigenen Namen mit einem unsicheren „non liquet“ beantworten. Genau in diesem Augenblick ist das Verfahren reif für ein Beweislasturteil. Der Richter sagt also: »Was weiß ich, wie es in Wirklichkeit war. Du kannst nichts beweisen, also verlierst du den Prozess!«
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Merke: »Wir befinden uns hier in einer klassischen non-liquet-Situation« klingt doch deutlich souveräner als: »Ich habe durch euer Gequatsche völlig den Überblick verloren.«