Sie finden es ganz großartig, wie Ihr Anwalt sich ausdrückt? Sie würden auch gerne so toll formulieren können? Kein Problem – mit unserem kleinen Sprachkurs Juristendeutsch!
Nehmen wir zunächst einen ganz gewöhnlichen Text, wie er nur einem gedanklich einfach gestrickten Nichtjuristen einfallen könnte:
Sie zahlen seit drei Monaten keine Miete. Wir sind die Anwälte von Herrn Müller und warnen Sie: Wenn Sie die 1.500 Euro bis zum 15. Dezember nicht überwiesen haben, wird Herr Müller Ihnen fristlos kündigen!
Niemals würde man solche Sätze in einem Anwaltsbrief lesen! Juristisch korrekt werden sie erst, wenn man einige Regeln beherzigt:
1. Regel: Hauptwörter einsetzen
Sätze wie:
Sie zahlen seit drei Monaten keine Miete.
sind furchtbar banal. Der Mandant wird sich denken:
» Das hätte ich auch selber schreiben können. Und dafür soll ich meinem Anwalt jetzt so viel Geld bezahlen? «
Das weiß natürlich auch der Anwalt. Also baut er erst einmal ganz viele Substantive ein:
Unsere Mandantschaft musste die Feststellung treffen, dass Sie auf die drei letzten Monatsmieten keine Zahlungen geleistet haben.
Vor allem das geschlechtsneutrale Substantiv „Mandantschaft“ ist dabei sehr nützlich. Es dient Anwälten dazu, Zweifel an der geschlechtlichen Identität ihres Mandanten (oder ihrer Mandantin?) elegant zu überdecken.
Wenn Sie in einem Brief Ihres Anwalts über diesen Begriff stolpern und er Sie damit meint, sollten Sie sich ernsthafte Gedanken über Ihre Kleiderwahl machen!
2. Regel: Verwende Passivkonstruktionen
Der zweite Teil unseres neuen Satzes:
… dass Sie auf die drei letzten Monatsmieten keine Zahlungen geleistet haben.
klingt aber noch zu simpel. Viel eleganter wirkt es, wenn Sie ihn ins Passiv übersetzen:
… dass Ihrerseits in den letzten drei Monaten keinerlei Zahlungsleistungen erfolgt sind.
Schon besser!
Und so machen Sie es nun mit dem kompletten Text. Aktivsätze haben in Anwaltsbriefen einfach nichts zu suchen! Ersetzen Sie also alle Aktivformen durch Passivkonstruktionen und Ihr Anwaltsbrief ist schon fast perfekt!
3. Regel: Schreibe überflüssiges Zeug
Allerdings mangelt es unserem Brief noch an der Präzision, die juristische Schriftsätze auszeichnet. Der Anwalt von Herrn Müller kann selbstverständlich nicht einfach schreiben, dass noch drei Monatsmieten offen sind. Mit einer derart schwammigen Aussage wäre jeder Mieter überfordert:
» Ja, welche Miete denn? « – wird er sich vermutlich fragen. » ICH habe etwas gemietet? Ja wie denn, wo denn, was denn? Und dann habe ich nicht bezahlt? Und wer ist eigentlich dieser Herr Müller? «
Fragen über Fragen, die ein guter Rechtsanwalt vorausahnt und ihnen vorbeugt, indem er sie ungefragt gleich im Voraus beantwortet. Er erläutert dem Mieter also, dass Herr Müller der freundliche ältere Herr ist, dem der Mieter seit sechs Jahren jeden Monat Geld gibt, damit eben dieser Mieter in seiner Wohnung bleiben darf. Aber vielleicht weiß der Mieter ja nicht einmal, wo er wohnt und seit wann er schon dort wohnt? Also kommt der Anwalt nicht umhin, ihm auch das ganz genau zu erklären:
Unser Mandant Peter Müller musste im Zusammenhang mit dem zwischen Ihnen als Mieter und unserer Mandantschaft als Vermieter am 01.06.2002 geschlossenen Mietvertrag über die in der Schillerstr. 5, 12345 Musterstadt, 3. Obergeschoss links gelegenen Wohnmieträume die Feststellung treffen, dass Ihrerseits bislang keinerlei Zahlungsleistungen auf die zum 01.05., 01.06. und 01.07.2008 fällig gewordenen monatlichen Mietzinsraten an unsere Mandantschaft keinerlei Zahlungsleistungen erfolgt sind.
Nur wenn man den Mieter so präzise informiert, kann der sich nicht damit herausreden, dass er das Anwaltsschreiben als Mahnung eines Erotikversandhauses missverstanden und die Miete irrtümlich dorthin überwiesen hat.
4. Regel: Unwichtiges vorn, Wichtiges hinten
Nun haben wir den Anwaltsbrief mit allerlei Informationen angereichert. Jetzt ist es ganz entscheidend, diese Informationen richtig zu ordnen. Und zwar nach dem Motto: Unwichtiges nach vorn, Wichtiges nach hinten. In einem guten Anwaltsbrief werden Sie niemals gleich im ersten Satz erfahren, worum es dem Absender eigentlich geht. Nein, viel wichtiger ist es, dass der Anwalt erst einmal Folgendes klarstellt:
Wir zeigen Ihnen gegenüber hiermit unter anwaltlicher Versicherung ordnungsgemäßer Bevollmächtigung und unter Hinweis auf die in Kopie anliegende Vertretungsvollmacht die Übernahme der gerichtlichen wie außergerichtlichen anwaltlichen Beratung und Vertretung unseres Mandanten Peter Müller in sämtlichen mietvertragsrechtlichen Angelegenheiten an.
Nur wer nach dieser Einleitung noch nicht eingeschlafen ist, hat es sich verdient, zu erfahren, was der „ordnungsgemäß bevollmächtigte Anwalt“ eigentlich von ihm will – nämlich Geld!
Das Prinzip „Unwichtiges nach vorn, Wichtiges nach hinten“ funktioniert übrigens auch innerhalb eines Satzes. Die wesentliche Information, dass „keinerlei Zahlungsleistungen erfolgt“ sind, verschieben Sie am besten möglichst weit nach hinten, denn da findet man sie nicht so leicht:
Unser Mandant Peter Müller musste (…) die Feststellung treffen, dass Ihrerseits bislang keinerlei Zahlungsleistungen auf die zum 01.05., 01.06. und 01.07.2008 fällig gewordenen monatlichen Mietzinsraten an unsere Mandantschaft keinerlei Zahlungsleistungen erfolgt sind.
Wenn Sie in Ihrem Brief schließlich alle bedeutsamen Informationen möglichst gut versteckt haben, sollten Sie zur fünften Regel übergehen:
5. Regel: Lange Schachtelsätze bilden
Nebensätze sind schon was Feines! Und ganz viele Nebensätze, zwischen denen irgendwo auch ein kleiner Hauptsatz verborgen liegt, sind noch besser. Weshalb Punkte machen, wo man auch Kommas setzen kann? Thomas Mann hat mit seinen Satzungetümen schließlich auch den Nobelpreis bekommen. Mit diesem Hinweis rechtfertigt jedenfalls der humanistisch halbgebildete Durchschnittsadvokat im Allgemeinen seine Schreibkünste und fabriziert am Ende so etwas:
Sehr geehrter Herr Schmitz,
wir zeigen Ihnen gegenüber hiermit unter anwaltlicher Versicherung ordnungsgemäßer Bevollmächtigung und unter Hinweis auf die in Kopie anliegende Vertretungsvollmacht die Übernahme der gerichtlichen wie außergerichtlichen anwaltlichen Beratung und Vertretung unseres Mandanten Peter Müller in sämtlichen mietvertragsrechtlichen Angelegenheiten an.

Grund unserer Einschaltung ist der Umstand, dass unsere Mandantschaft im Zusammenhang mit dem zwischen Ihnen als Mieter und unserer Mandantschaft als Vermieter am 01.06.2002 geschlossenen Mietvertrag über die in der Schillerstraße 5, 12345 Musterstadt, 3. Obergeschoss links gelegenen Wohnmieträume die Feststellung treffen musste, dass Ihrerseits bislang auf die zum 01.05., 01.06. und 01.07.2008 fällig gewordenen monatlichen Mietzinsraten an unsere Mandantschaft keinerlei Zahlungsleistungen erfolgt sind, weshalb wir von dieser nunmehr beauftragt wurden, Sie unter letztmaliger und nicht weiter verlängerbarer Fristsetzung bis zum 15.12.2008 zur Vermeidung einer andernfalls durch uns namens und im Auftrag unserer Mandantschaft ohne weitere Vorwarnung auszusprechenden fristlosen, außerordentlichen Kündigung des zwischen Ihnen und unserer Mandant- schaft bestehenden, oben näher bezeichneten Wohnraummietverhältnisses aufzufordern, die aufgelaufe-nen rückständigen Mietzinszahlungen auf das Ihnen bekannte Bankkonto unserer Mandantschaft bei der Sparkasse Brotzingen, BLZ 123 456 78, Kontonummer 987 654 321 ungekürzt zur Anweisung zu bringen.
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6. Regel: Wortmüll einfügen
Würzen Sie Ihren Text mit schwülstigen, aufgeblähten Formulierungen und geben Sie ihm so endgültig den juristischen Rest!
Hier ein paar Beispiele für Wortmüll, wie ihn Anwälte ganz besonders lieben:
Doppelte Verneinung
Warum einfach formulieren, wenn es auch von hinten durch die Brust ins Auge geht? Benutzen Sie die doppelte Verneinung, wo immer es geht. Das verwirrt den Gegner, denn bevor er weiß, was Sie sagen wollen, muss er erst einmal all die einander widersprechenden Verneinungen wegkürzen:
Deutsch Anwalt

begründet

nicht unbegründet

üblich

nicht unüblich

wesentlich

nicht unwesentlich

zulässig

nicht unzulässig
Überflüssige Vorsilben
Simple deutsche Verben klingen viel gewichtiger, wenn man ihnen Silben wie „an-“, „auf-“, „ab-“ oder „über-“ voranstellt. An der Bedeutung des Wortes ändern diese Vorsilben natürlich nichts:
Deutsch Anwalt

ankündigen

vor-ankündigen

betreffen

an-betreffen

bringen

ver-bringen

füllen

ver-füllen

kaufen

an-kaufen

leihen

ent-leihen

mieten

an-mieten

sagen

be-sagen

siegen

ob-siegen

versichern

rück-versichern

zeigen

auf-zeigen
„Un“-Wörter
„Un“-Wörter sind eine schöne Alternative zur doppelten Verneinung. Sie wählen einfach ein Wort aus, das das Gegenteil dessen ausdrückt, was Sie eigentlich sagen wollen. Dann verneinen Sie dieses Wort, indem Sie ein „un“ davorschreiben.
Und schon sind Sie wieder bei der Bedeutung Ihres Ausgangswortes angelangt:
Deutsch Anwalt

falsch

unrichtig

gering, belanglos

unwesentlich

kostenlos

unentgeltlich

rechtswidrig

unrechtmäßig

verboten

unzulässig
Aus eins mach zwei (drei, vier oder fünf)
Mandanten regen sich oft auf, wenn sie für kurze Anwaltsschreiben viel Geld bezahlen müssen. Dickere Briefe wecken Verständnis für dickere Rechnungen.
Warum also sollten Anwälte ihre Wörter nicht vermehren und aus einem einzigen Begriff zwei bis fünf Wörter zaubern? Und das, ganz ohne irgendetwas am Sinn zu ändern!
Deutsch Anwalt

ganz

in vollem Umfang

gestern

am gestrigen Tage

einen Monat lang

für die Dauer von einem Monat

ich

der Unterzeichner, der Unterfertigte

leugnen

in Abrede stellen

mit

unter Hinzuziehung

ohne

in Ermangelung

so

auf diese Weise

viele

eine Vielzahl von

wann?

zu welchem Zeitpunkt?
Bürokratendeutsch
Und natürlich gehören in einen Anwaltsschriftsatz möglichst viele bürokratische Fachbegriffe, die im richtigen Leben niemand je verwenden würde.
Wie fit sind Sie schon in Juristendeutsch? Machen wir doch einen kleinen Test!
Ordnen Sie den Anwaltsbegriffen in der linken Spalte die passende deutsche Übersetzung zu. Die Auflösung finden Sie hier.
Anwalt Deutsch

Rückbau

telefonisch

Abschrift

Ampel

Postwertzeichen

Frau

Lichtzeichenanlage

Transport mit dem Flugzeug

weibliche Person

Briefmarke

Spontanvegetation

Wald

fernmündlich

Kopie

forstwirtschaftliche Nutzfläche

Abriss

Luftverlastung

Unkraut