You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.

200 lines
10 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. XII ZB 175/06
  4. vom
  5. 7. Februar 2007
  6. in dem Rechtsstreit
  7. Nachschlagewerk: ja
  8. BGHZ:
  9. nein
  10. BGHR:
  11. ja
  12. ZPO §§ 516 Abs. 3, 524 Abs. 4
  13. Der Berufungskläger hat nach Rücknahme seiner Berufung regelmäßig auch
  14. dann die Kosten einer unselbständigen Anschlussberufung zu tragen, wenn
  15. diese innerhalb der Berufungsfrist des § 517 ZPO eingelegt und nur wegen der
  16. verspätet eingegangenen Begründung als unselbständige Anschlussberufung
  17. zu behandeln war (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 26. Januar 2005
  18. - XII ZB 163/04 - FamRZ 2005, 513).
  19. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2006 - XII ZB 175/06 - OLG Stuttgart
  20. LG Stuttgart
  21. -2-
  22. Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Februar 2007 durch die
  23. Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Weber-Monecke, Fuchs,
  24. Dr. Ahlt und Dose
  25. beschlossen:
  26. Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des
  27. 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 16. August
  28. 2006 abgeändert.
  29. Die Kosten des Berufungsverfahrens und des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
  30. Beschwerdewert: bis 7.000 €
  31. Gründe:
  32. I.
  33. 1
  34. Die Parteien stritten um restlichen Mietzins, Schadenersatz und Nebenkosten aus einem beendeten gewerblichen Mietvertrag. Das Landgericht hatte
  35. der Klage - nach teilweise übereinstimmender Erledigung des Rechtsstreits teilweise stattgegeben und sie im Übrigen, ebenso wie die Widerklage, abgewiesen. Die Kosten hatte das Landgericht dem Kläger zu 9/10 und der Beklagten zu 1/10 auferlegt.
  36. 2
  37. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien rechtzeitig Berufung eingelegt.
  38. Die Beklagte begründete ihre Berufung während verlängerter Frist rechtzeitig.
  39. -3-
  40. Die Berufungsbegründung des Klägers ging erst nach Ablauf der Begründungsfrist ein. Auf Hinweis des Gerichts erklärte der Kläger, die Berufung solle als
  41. Anschlussberufung zur Berufung der Beklagten behandelt werden. Später
  42. nahm die Beklagte ihre Berufung zurück.
  43. 3
  44. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht die Kosten
  45. der Berufung zu 85 % dem Kläger und zu 15 % der Beklagten auferlegt. Dagegen richtet sich die - vom Oberlandesgericht zugelassene - Rechtsbeschwerde
  46. des Klägers.
  47. II.
  48. 4
  49. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3
  50. Satz 2 ZPO) und auch sonst zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.
  51. 5
  52. 1. Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in OLGR Stuttgart 2006,
  53. 951 veröffentlicht ist, geht von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus, wonach der Berufungsführer im Falle der Berufungsrücknahme
  54. auch die Kosten einer unselbständigen Anschlussberufung zu tragen hat. Dies
  55. gelte aber dann nicht, wenn eine ursprünglich selbständige Berufung wegen der
  56. versäumten Berufungsbegründungsfrist als unselbständige Anschlussberufung
  57. behandelt werde. Denn die selbständige Berufung habe ursprünglich unabhängig von der gegnerischen Berufung fortgesetzt werden können. Durch die (ursprünglich) selbständige Berufung seien auch bereits Kosten ausgelöst worden.
  58. Wenn diese eigenständige Berufung lediglich wegen Versäumung der Begründungsfrist in eine unselbständige Anschlussberufung übergegangen sei, sei es
  59. nicht sachgerecht, den Gegner, der seine Berufung zurücknehme, mit den ge-
  60. -4-
  61. samten Kosten des Berufungsverfahrens zu belasten. In solchen Fällen sei über die Kosten im Verhältnis des Wertes der beiderseitigen Berufungen zu entscheiden.
  62. 6
  63. 2. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht
  64. stand.
  65. 7
  66. a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind einem
  67. Berufungskläger grundsätzlich auch die Kosten einer zulässig erhobenen Anschlussberufung aufzuerlegen, wenn diese nach § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung durch die Rücknahme der Berufung verliert. Die Anschlussberufung ist
  68. kein eigenes Rechtsmittel, sondern nur ein Angriff innerhalb des vom Berufungskläger eingelegten Rechtsmittels. Wird die Anschlussberufung durch die
  69. im Belieben des Berufungsklägers stehende Rücknahme der Berufung ohne
  70. gerichtliche Sachentscheidung hinfällig, können die diesbezüglichen Kosten
  71. dem Anschlussberufungskläger deswegen weder in unmittelbarer noch in entsprechender Anwendung der §§ 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO auferlegt
  72. werden (Senatsbeschluss vom 26. Januar 2005 - XII ZB 163/04 - FamRZ 2005,
  73. 513 m.w.N.; BGH Beschluss vom 7. Februar 2006 - XI ZB 9/05 - FamRZ 2006,
  74. 619).
  75. 8
  76. Anderes gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur dann,
  77. wenn das Anschlussrechtsmittel von vornherein unzulässig war, der Anschlussrechtsmittelkläger in die Rücknahme des Rechtsmittels eingewilligt hat (vgl.
  78. § 516 Abs. 1 ZPO) oder er das unselbständige Anschlussrechtsmittel trotz
  79. Rücknahme der Berufung eigenständig weiterführt, sodass darüber gesondert
  80. entschieden werden muss. Dann fehlt es an der aus § 524 Abs. 4 ZPO folgenden Abhängigkeit von der im Belieben des Gegners stehenden Rücknahme des
  81. Rechtsmittels (Senatsbeschluss vom 26. Januar 2005 - XII ZB 163/04 - FamRZ
  82. -5-
  83. 2005, 513). Nur in solchen Fällen ist eine Kostenquotelung nach dem Wert der
  84. Berufung und der unselbständigen Anschlussberufung gerechtfertigt.
  85. 9
  86. b) In Rechtsprechung und Literatur ist allerdings streitig, ob dies auch
  87. dann gilt, wenn die unselbständige Anschlussberufung aus einer rechtzeitig
  88. eingelegten eigenen Berufung hervorgegangen ist, die lediglich wegen Versäumung der Begründungsfrist in eine unselbständige Anschlussberufung umgedeutet wurde (zur Umdeutung vgl. BGH Beschluss vom 6. Juli 2000 - VII ZB
  89. 29/99 - NJW 2000, 2315).
  90. 10
  91. aa) Teilweise wird vertreten, dass auch in solchen Fällen eine Quotierung der Kosten nach dem Wert der Berufung und der Anschlussberufung geboten sei. Ein unzulässig gewordenes selbständiges Rechtsmittel könne nicht
  92. ebenso behandelt werden wie eine von vornherein zulässige Anschlussberufung. Das Anschlussrechtsmittel sei in solchen Fällen nicht im Vertrauen auf die
  93. Durchführung des gegnerischen Rechtsmittels, sondern als eigenes Rechtsmittel eingelegt worden und habe als solches bereits Kosten ausgelöst (wie das
  94. Berufungsgericht: OLGR Frankfurt 2003, 163; OLGR Stuttgart 2000, 58; OLG
  95. Düsseldorf FamRZ 1999, 1674; Zöller/Gummer/Heßler ZPO 26. Aufl. § 524
  96. Rdn. 43; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 65. Aufl. § 516 Rdn. 21).
  97. 11
  98. bb) Die Gegenmeinung stellt darauf ab, dass der Berufungskläger auch
  99. dann die Kosten der unselbständigen Anschlussberufung tragen müsste, wenn
  100. sie erfolgreich wäre. Durch die - allein von seinem Willen abhängige - Rücknahme der Berufung werde der Anschlussberufung unabhängig von der Umdeutung der Boden entzogen (§ 524 Abs. 4 ZPO). Durch die Rücknahme der
  101. Berufung unterliege nur der Berufungsführer i.S. der §§ 516 Abs. 3 Satz 1, 97
  102. Abs. 1 ZPO, nicht aber der Anschlussberufungsführer (OLG München NJW-RR
  103. 1996, 1280 und OLG Oldenburg NJW 2002, 3555).
  104. -6-
  105. 12
  106. cc) Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an.
  107. 13
  108. Das Rechtsmittel einer Partei kann nur einheitlich als selbständiges
  109. Rechtsmittel oder als unselbständiges Anschlussrechtsmittel geführt werden.
  110. Dabei kann es nicht entscheidend darauf ankommen, ob das Rechtsmittel ursprünglich schon innerhalb der Rechtsmittelfrist (§ 517 ZPO) oder erst danach
  111. bis zum Ablauf der Frist für ein zulässiges Anschlussrechtsmittel (§ 524 Abs. 2
  112. Satz 2 ZPO) eingegangen ist. Denn auch ein unselbständiges Anschlussrechtsmittel kann grundsätzlich schon innerhalb der Rechtsmittelfrist erhoben
  113. werden. Auch insoweit ist - wie bei der Bemessung des Umfangs eines eingelegten Rechtsmittels - entscheidend auf den Rechtsmittelantrag und dessen
  114. Begründung abzustellen. Nur wenn danach ein selbständiges Rechtsmittel vorliegt, muss über dessen Streitgegenstand unabhängig von dem gegnerischen
  115. Rechtsmittel entschieden werden, wenn nicht auch insoweit eine Erledigung
  116. oder Rücknahme erklärt wird. Ob dies allerdings der Fall ist, muss eine Auslegung unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben ergeben, zumal im
  117. Zweifel ein prozessual zulässiges Prozessverhalten zu unterstellen ist (Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2005 - XII ZB 33/05 - FamRZ 2006, 400, 401;
  118. BGH Beschluss vom 6. Juli 2000 - VII ZB 29/99 - NJW 2000, 2315). Weil die
  119. Frist für die Begründung einer selbständigen Berufung nach § 520 Abs. 2 ZPO
  120. bei Eingang der Berufungsbegründung schon abgelaufen war, ist das Rechtsmittel des Klägers deswegen insgesamt als unselbständige Anschlussberufung
  121. auszulegen, wie es der Kläger auf Hinweis des Gerichts später auch ausdrücklich erklärt hat.
  122. 14
  123. Ist das Rechtsmittel des Klägers danach als unselbständige Anschlussberufung zu qualifizieren, kommt es nicht mehr darauf an, wann es eingelegt
  124. wurde. Kosten entstehen für die unselbständige Anschlussberufung ohnehin
  125. nur im Rahmen der gegnerischen Berufung; die Anschlussberufung führt dann
  126. -7-
  127. allenfalls zu einer Erhöhung des Streitwerts. Mit einer unselbständigen Anschlussberufung und den durch deren Wert erhöhten Kosten des Berufungsverfahrens muss der Berufungskläger aber auch sonst rechnen. Die durch eine
  128. unselbständige Anschlussberufung ausgelösten höheren Kosten müsste er jedenfalls bei Erfolg der Anschlussberufung tragen, ohne dass es darauf ankommt, ob eine selbständige Berufung verspätet begründet wurde. Weil es somit auch im Falle einer gerichtlichen Entscheidung allein auf die Erfolgsaussicht
  129. der Berufung und der unselbständigen Anschlussberufung ankäme, erscheint
  130. es sachgerecht, dem Berufungskläger nach Rücknahme seines Rechtsmittels
  131. auch die Kosten der Anschlussberufung aufzuerlegen. Denn er nimmt dem Gericht durch die in seinem Belieben stehende Rücknahme jede Möglichkeit, über
  132. die Erfolgsaussicht der Anschlussberufung zu entscheiden, zumal sie nicht frei
  133. von der gegnerischen Berufung weiterverfolgt werden kann (§ 524 Abs. 4 ZPO).
  134. Durch die Rücknahme der Berufung unterliegt somit nur der Berufungsführer,
  135. während dies zur Erfolgsaussicht der unselbständigen Anschlussberufung
  136. nichts aussagt. Unter Umständen wird der Berufungskläger sein Rechtsmittel
  137. gerade deswegen zurücknehmen, weil er einer Erfolg versprechenden unselbständigen Anschlussberufung damit die Grundlage entziehen kann.
  138. 15
  139. c) Die Kostenentscheidung des Oberlandesgerichts ist demnach, soweit
  140. sie angefochten ist, aufzuheben (§ 577 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 ZPO). Da die
  141. Sache zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat selbst entscheiden (§ 577
  142. -8-
  143. Abs. 5 Satz 1 ZPO) und der Beklagten die im Berufungsverfahren angefallenen
  144. Kosten insgesamt auferlegen.
  145. Hahne
  146. Weber-Monecke
  147. Ahlt
  148. Fuchs
  149. Dose
  150. Vorinstanzen:
  151. LG Stuttgart, Entscheidung vom 09.02.2006 - 25 O 113/05 OLG Stuttgart, Entscheidung vom 16.08.2006 - 5 U 29/06 -