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4 years ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. XI ZR 450/16
  5. Verkündet am:
  6. 10. Oktober 2017
  7. Herrwerth
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. ECLI:DE:BGH:2017:101017UXIZR450.16.0
  13. -2-
  14. Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  15. vom 10. Oktober 2017 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, die
  16. Richter Dr. Grüneberg und Maihold sowie die Richterinnen Dr. Menges und
  17. Dr. Derstadt
  18. für Recht erkannt:
  19. Auf die Revision der Beklagten wird unter Zurückweisung der Anschlussrevision der Kläger das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 29. Juli 2016 in der Fassung des Beschlusses vom 14. September 2016 im Kostenpunkt und insoweit
  20. aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
  21. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
  22. und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
  23. an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  24. Von Rechts wegen
  25. -3-
  26. Tatbestand:
  27. 1
  28. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen
  29. der Kläger.
  30. 2
  31. Die Parteien schlossen im Mai 2007 zwecks Finanzierung einer Immobilie einen Darlehensvertrag über 210.000 € mit einem für zehn Jahre festen
  32. Zinssatz von nominal 4,98% p.a. Zur Sicherung der Ansprüche der Beklagten
  33. diente eine Buchgrundschuld. Die Beklagte belehrte die Kläger wie folgt über ihr
  34. Widerrufsrecht:
  35. -4-
  36. -5-
  37. -6-
  38. 3
  39. Die Kläger verkauften das Grundstück. Sie lösten die Restdarlehenssumme aufgrund einer im Mai 2014 geschlossenen Aufhebungsvereinbarung
  40. im Juni 2014 ab. Die Beklagte forderte und die Kläger zahlten ein Aufhebungsentgelt in Höhe von 13.537,52 €, "Verwaltungskosten" in Höhe von 90 € und ein
  41. Bearbeitungsentgelt in Höhe von 150 €. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 19. September 2014 widerriefen die Kläger ihre auf Abschluss
  42. des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen und forderten die Beklagte zur Zahlung bis zum 4. Oktober 2014 auf.
  43. 4
  44. Die Klage auf Rückzahlung des Aufhebungsentgelts, der "Verwaltungskosten" und des Bearbeitungsentgelts nebst Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten und Zinsen hat das Landgericht abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung der Berufung
  45. im Übrigen das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und die Beklagte
  46. verurteilt, an die Kläger 13.687,52 € (Aufhebungsentgelt und Bearbeitungsentgelt) nebst Zinsen "in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz hieraus seit dem
  47. 5. Oktober 2014 zu zahlen". Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die vollständige Zurückweisung der klägerischen
  48. Berufung. Die Kläger, die die Zurückweisung ihrer Berufung betreffend die
  49. "Verwaltungskosten" hinnehmen, verfolgen mit ihrer Anschlussrevision ihr Begehren auf Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten weiter.
  50. Entscheidungsgründe:
  51. A.
  52. 5
  53. Die Revision der Beklagten hat Erfolg.
  54. -7-
  55. I.
  56. 6
  57. Das Berufungsgericht (OLG Koblenz, Urteil vom 29. Juli 2016 - 8 U
  58. 911/15, juris) hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen ausgeführt:
  59. 7
  60. Zwischen den Parteien sei im Mai 2007 ein Verbraucherdarlehensvertrag
  61. zustande gekommen, so dass den Klägern das Recht zugestanden habe, ihre
  62. auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen zu widerrufen.
  63. 8
  64. Die Beklagte habe die Kläger unzureichend deutlich über die Voraussetzungen für das Anlaufen der Widerrufsfrist belehrt. Auf die Gesetzlichkeitsfiktion
  65. des Musters für die Widerrufsbelehrung nach der maßgeblichen Fassung der
  66. BGB-Informationspflichten-Verordnung könne sich die Beklagte nicht berufen,
  67. weil die Widerrufsbelehrung der Beklagten dem Muster nicht vollständig entsprochen habe. Mangels ordnungsgemäßer Belehrung sei die Widerrufsfrist
  68. nicht angelaufen, so dass die Kläger den Widerruf noch 2014 hätten erklären
  69. können.
  70. 9
  71. Dass die Parteien vor Ausübung des Widerrufsrechts einen Aufhebungsvertrag geschlossen hätten, stehe weder dem Widerruf der auf Abschluss des
  72. Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen noch einem Anspruch auf
  73. Erstattung des Aufhebungsentgelts und Bearbeitungsentgelts entgegen. Durch
  74. diese Vereinbarung hätten die Parteien den Darlehensvertrag nicht beseitigt,
  75. sondern lediglich die Bedingungen für dessen Beendigung modifiziert. Einen
  76. selbständigen Rechtsgrund für das Behaltendürfen der anschließend von den
  77. Klägern erbrachten Leistungen habe der Aufhebungsvertrag nicht geschaffen.
  78. -8-
  79. 10
  80. Die Kläger hätten ihr Widerrufsrecht nicht verwirkt. Zwar sei eine Verwirkung auch ohne Rücksicht auf die Kenntnis und Willensrichtung des Berechtigten möglich, wenn der Verpflichtete bei objektiver Beurteilung aus dem Verhalten des Berechtigten habe schließen dürfen, dass der Berechtigte sein Recht
  81. nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete mit einer Rechtsausübung durch den Berechtigten nicht mehr habe zu rechnen brauchen und
  82. sich entsprechend darauf habe einrichten dürfen. Diese Voraussetzungen seien
  83. indessen nicht gegeben. Der Umstand, dass dem Berechtigten das ihm zustehende Recht unbekannt gewesen sei, stehe einer Verwirkung jedenfalls
  84. dann entgegen, wenn die Unkenntnis des Berechtigten in den Verantwortungsbereich des Verpflichteten falle. Der Unternehmer, der gegen seine Pflicht verstoßen habe, dem Verbraucher eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung zu
  85. erteilen, dürfe nicht darauf vertrauen, er habe durch seine Belehrung die Widerrufsfrist in Lauf gesetzt. Gegen die Schutzwürdigkeit des Unternehmers spreche
  86. zudem, dass er den Schwebezustand durch eine Nachbelehrung beenden könne.
  87. 11
  88. Vom Vorliegen des Umstandsmoments sei auch nicht deshalb auszugehen, weil die Parteien eine Aufhebungsvereinbarung geschlossen hätten. Die
  89. beiderseitige vollständige Vertragserfüllung führe nicht zum Verlust des Widerrufsrechts und könne allein auch nicht ausreichen, um die Annahme der Verwirkung zu rechtfertigen. Hinzu komme, dass zwischen der Aufhebungsvereinbarung und dem Widerruf der Kläger lediglich ein Zeitraum von rund drei bis vier
  90. Monaten verstrichen sei. Dieser Zeitraum bleibe schon hinter der regelmäßigen
  91. Verjährungsfrist zurück. Ein schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten darauf,
  92. dass sie sich "auf den Bestand der Ablösung" habe verlassen dürfen, sei "zu
  93. diesem Zeitpunkt jedenfalls noch nicht begründet worden".
  94. -9-
  95. 12
  96. Darüber hinaus sei weder vorgetragen noch unter Beweis gestellt, dass
  97. sich die Beklagte im Vertrauen auf den Bestand der Aufhebungsvereinbarung
  98. so eingerichtet habe, dass ihr durch die verspätete Durchsetzung des Rechts
  99. ein unzumutbarer Nachteil entstünde. Die Kläger hätten das Widerrufsrecht
  100. auch nicht rechtsmissbräuchlich ausgeübt. Auf die Motive, die sie zur Ausübung
  101. des Widerrufsrechts bewogen hätten, komme es nicht an.
  102. 13
  103. Auf der Grundlage des durch den Widerruf entstandenen Rückgewährschuldverhältnisses könnten die Kläger das Aufhebungsentgelt und das Bearbeitungsentgelt zurückverlangen. Zinsen stünden den Klägern darauf aus dem
  104. Gesichtspunkt des Schuldnerverzugs zu, weil sich die Beklagte aufgrund der
  105. Fristsetzung mit Schreiben vom 19. September 2014 ab dem 5. Oktober 2014
  106. in Verzug befunden habe.
  107. II.
  108. 14
  109. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht
  110. in allen Punkten stand.
  111. 15
  112. 1. Das Berufungsgericht hat allerdings im Ausgangspunkt richtig erkannt,
  113. den Klägern sei gemäß § 495 Abs. 1 BGB zunächst das Recht zugekommen,
  114. ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen nach
  115. § 355 Abs. 1 und 2 BGB in der hier nach Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 22
  116. Abs. 2, §§ 32, 38 Abs. 1 Satz 1 EGBGB maßgeblichen, zwischen dem
  117. 1. August 2002 und dem 10. Juni 2010 geltenden Fassung zu widerrufen.
  118. 16
  119. 2. Die Folgerung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe die Kläger
  120. unzureichend über das ihnen zukommende Widerrufsrecht belehrt, so dass die
  121. - 10 -
  122. Widerrufsfrist bei Erklärung des Widerrufs noch nicht abgelaufen gewesen sei,
  123. hält revisionsrechtlicher Überprüfung indessen nicht stand.
  124. 17
  125. Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob der
  126. zwischen den Parteien geschlossene Darlehensvertrag - wie von der Beklagten
  127. behauptet - im Wege des Fernabsatzes zustande gekommen ist. Davon hängt
  128. aber, was der Senat nach Erlass des Berufungsurteils klargestellt hat, ab, ob
  129. die Widerrufsbelehrung der Beklagten fehlerfrei war oder nicht (vgl. einerseits
  130. Senatsurteil vom 21. Februar 2017 - XI ZR 467/15, WM 2017, 906 Rn. 46 ff.,
  131. andererseits Senatsurteile vom 24. März 2009 - XI ZR 456/07, WM 2009, 1028
  132. Rn. 14 und vom 16. Mai 2017 - XI ZR 586/15, WM 2017, 1258 Rn. 22 ff.). Mangels hinreichender Feststellungen des Berufungsgerichts ist im Revisionsverfahren zugunsten der Beklagten davon auszugehen, dass die Parteien ein
  133. Fernabsatzgeschäft geschlossen haben. Unter diesen Umständen entsprach
  134. die Widerrufsbelehrung anders als vom Berufungsgericht angenommen den
  135. gesetzlichen Anforderungen (Senatsurteil vom 21. Februar 2017, aaO).
  136. 18
  137. 3. Revisionsrechtlicher Überprüfung anhand der neueren Senatsrechtsprechung (Senatsurteile vom 12. Juli 2016 - XI ZR 501/15, BGHZ 211, 105
  138. Rn. 40 und - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 37, vom 11. Oktober 2016
  139. - XI ZR 482/15, WM 2016, 2295 Rn. 30 f. und vom 14. März 2017 - XI ZR
  140. 442/16, WM 2017, 849 Rn. 27 f.) nicht stand halten außerdem die Erwägungen,
  141. mit denen das Berufungsgericht eine Verwirkung des Widerrufsrechts verneint
  142. hat. Dass die Beklagte davon ausging oder ausgehen musste, die Kläger hätten
  143. von ihrem Widerrufsrecht keine Kenntnis, schloss entgegen der Rechtsmeinung
  144. des Berufungsgerichts eine Verwirkung nicht aus (vgl. BGH, Urteile vom
  145. 27. Juni 1957 - II ZR 15/56, BGHZ 25, 47, 53 und vom 16. März 2007 - V ZR
  146. 190/06, WM 2007, 1940 Rn. 8). Gleiches gilt für den Umstand, dass die Beklagte "die Situation selbst herbeigeführt hat", weil sie eine ordnungsgemäße Wider-
  147. - 11 -
  148. rufsbelehrung nicht erteilt hat. Gerade bei beendeten Verbraucherdarlehensverträgen - wie hier - kann das Vertrauen des Unternehmers auf ein Unterbleiben
  149. des Widerrufs schutzwürdig sein, auch wenn die von ihm erteilte Widerrufsbelehrung ursprünglich den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprach und er es in
  150. der Folgezeit versäumt hat, den Verbraucher nachzubelehren (Senatsurteil vom
  151. 12. Juli 2016 - XI ZR 501/15, aaO, Rn. 41). Das gilt in besonderem Maße, wenn
  152. die Beendigung des Darlehensvertrags auf einen Wunsch des Verbrauchers
  153. zurückgeht (Senatsurteil vom 11. Oktober 2016, aaO, Rn. 30; Senatsbeschluss
  154. vom 12. September 2017 - XI ZR 365/16, n.n.v., Rn. 8).
  155. 19
  156. 4. Das Berufungsgericht, das den Klägern Verzugszinsen wie beantragt
  157. ab dem 5. Oktober 2014 zugesprochen hat, hat schließlich übersehen, dass
  158. sich die Beklagte jedenfalls mit Ablauf des 4. Oktober 2014 nach Maßgabe der
  159. mit Senatsurteil vom 21. Februar 2017 (XI ZR 467/15, WM 2017, 906 Rn. 23 ff.)
  160. aufgestellten Grundsätze mit der Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus § 357
  161. Abs. 1 Satz 1 BGB in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung (künftig:
  162. aF) in Verbindung mit §§ 346 ff. BGB nicht in Schuldnerverzug befand.
  163. III.
  164. 20
  165. Das Berufungsurteil unterliegt wegen der rechtsfehlerhaften Ausführungen des Berufungsgerichts der Aufhebung (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil es sich
  166. auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Eine eigene
  167. Sachentscheidung zugunsten der Beklagten (§ 563 Abs. 3 ZPO) kann der Senat nicht fällen, weil die Modalitäten des Zustandekommens des Darlehensvertrags nicht geklärt sind und der Senat einer Subsumtion des Tatrichters unter
  168. § 242 BGB nicht vorgreifen kann.
  169. - 12 -
  170. 21
  171. Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangen, der Darlehensvertrag habe sich aufgrund des Widerrufs der Kläger in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt, wird es klarstellend zu berücksichtigen haben, dass
  172. die Kläger, wie der Senat mit Urteil vom heutigen Tage in der Sache
  173. XI ZR 449/16 entschieden hat, Mitgläubiger nach § 432 BGB der aus § 357
  174. Abs. 1 Satz 1 BGB aF in Verbindung mit §§ 346 ff. BGB resultierenden Ansprüche sind.
  175. 22
  176. Bei der Entscheidung über den geltend gemachten Zinsanspruch wird
  177. das Berufungsgericht das Senatsurteil vom 21. Februar 2017 (XI ZR 467/15,
  178. WM 2017, 906 Rn. 23 ff.) zu den Voraussetzungen des Verzugs des Rückgewährschuldners zu beachten haben.
  179. B.
  180. 23
  181. Die Anschlussrevision der Kläger hat dagegen keinen Erfolg.
  182. I.
  183. 24
  184. Das Berufungsgericht hat die Anschlussrevision betreffend ausgeführt,
  185. ein Anspruch der Kläger auf Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten folge weder aus Verzug noch aus dem Gesichtspunkt einer Pflichtverletzung wegen einer Falschbelehrung. Die Beklagte habe sich in einem unvermeidbaren Rechtsirrtum befunden.
  186. - 13 -
  187. II.
  188. 25
  189. Dies hält revisionsrechtlicher Prüfung jedenfalls stand, weil das Berufungsgericht auch von seinem Standpunkt aus im Ergebnis zutreffend einen
  190. Anspruch aus Schuldnerverzug verneint hat (Senatsurteil vom 21. Februar 2017
  191. - XI ZR 467/15, WM 2017, 906 Rn. 23 ff.). Das nimmt die Anschlussrevision hin.
  192. Der von ihr behauptete Anspruch auf Schadensersatz wegen einer unzutreffenden Belehrung der Kläger besteht nicht (Senatsurteil vom 21. Februar 2017,
  193. aaO, Rn. 35).
  194. Ellenberger
  195. Grüneberg
  196. Menges
  197. Maihold
  198. Derstadt
  199. Vorinstanzen:
  200. LG Mainz, Entscheidung vom 13.07.2015 - 5 O 210/14 OLG Koblenz, Entscheidung vom 29.07.2016 - 8 U 911/15 -