You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.

1277 lines
76 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. XI ZR 185/16
  5. Verkündet am:
  6. 21. Februar 2017
  7. Herrwerth,
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. ja
  16. BGHR:
  17. ja
  18. BGB § 489 Abs. 1
  19. Eine Bausparkasse darf im Regelfall einen Bausparvertrag gemäß § 489 Abs. 1 Nr. 3
  20. BGB in der bis zum 10. Juni 2010 geltenden Fassung (nunmehr § 489 Abs. 1 Nr. 2
  21. BGB) nach Ablauf von zehn Jahren nach Zuteilungsreife kündigen.
  22. BGH, Urteil vom 21. Februar 2017 - XI ZR 185/16 - OLG Stuttgart
  23. LG Stuttgart
  24. ECLI:DE:BGH:2017:210217UXIZR185.16.0
  25. -2-
  26. Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  27. vom 21. Februar 2017 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, die
  28. Richter Dr. Grüneberg und Maihold sowie die Richterinnen Dr. Menges und
  29. Dr. Derstadt
  30. für Recht erkannt:
  31. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats
  32. des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 30. März 2016 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als auf die Berufung der Klägerin
  33. das Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom
  34. 15. September 2015 zum Nachteil der Beklagten abgeändert worden ist.
  35. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 25. Zivilkammer
  36. des Landgerichts Stuttgart vom 15. September 2015 wird insgesamt zurückgewiesen.
  37. Die Kosten der Rechtsmittelverfahren trägt die Klägerin.
  38. Von Rechts wegen
  39. Tatbestand:
  40. 1
  41. Die Klägerin begehrt in der Hauptsache die Feststellung des Fortbestehens ihres Bausparvertrages.
  42. 2
  43. Am 13. September 1978 schloss die Klägerin mit der Beklagten einen
  44. Bausparvertrag (Vertragsnummer:
  45. ) über eine Bausparsumme von
  46. -3-
  47. 40.000 DM (= 20.451,68 €). In den dem Bausparvertrag zugrundeliegenden
  48. Allgemeinen Bausparbedingungen (im Folgenden: ABB) heißt es auszugsweise
  49. wie folgt:
  50. "§ 1 Vertragszweck
  51. (1) Zweck des Bausparvertrages ist die Erlangung eines unkündbaren, in der Regel
  52. zweitstellig zu sichernden Tilgungsdarlehens (Bauspardarlehen) aufgrund planmäßiger
  53. Sparleistungen nach Maßgabe dieser Allgemeinen Bedingungen.
  54. § 5 Sparzahlungen
  55. (1) Der monatliche Bausparbeitrag beträgt 4,2 vom Tausend der Bausparsumme (Regelsparbeitrag). Er ist bis zur ersten Auszahlung aus der zugeteilten Bausparsumme am
  56. Ersten jeden Monats kostenfrei an die Bausparkasse zu entrichten.
  57. (2) Sonderzahlungen sind grundsätzlich zulässig. Die Bausparkasse kann deren Annahme von ihrer Zustimmung abhängig machen.
  58. (3) Ist der Bausparer unter Anrechnung von Sonderzahlungen mit mehr als 6 Regelsparbeiträgen rückständig und hat er der schriftlichen Aufforderung der Bausparkasse,
  59. nicht geleistete Bausparbeiträge zu entrichten, länger als 2 Monate nach Zugang der
  60. Aufforderung nicht entsprochen, so kann die Bausparkasse den Bausparvertrag kündigen. …
  61. (4) Ist der Bausparvertrag zugeteilt, so tritt an die Stelle des Rechtes der Bausparkasse,
  62. den Bausparvertrag zu kündigen, das Recht, das dem Bausparer bereitgestellte (§ 13)
  63. oder bereitzustellende (§ 14) Bauspardarlehen um die rückständigen Bausparbeiträge
  64. samt deren Zinsen zu kürzen.
  65. § 12 Zuteilungsnachricht
  66. (1) Die Zuteilung wird dem Bausparer unverzüglich schriftlich mitgeteilt mit der Aufforderung, binnen 4 Wochen ab Datum der Zuteilung zu erklären, ob er die Zuteilung annimmt.
  67. (2) Der Bausparer kann die Annahme der Zuteilung widerrufen, solange die Auszahlung
  68. der Bausparsumme noch nicht begonnen hat.
  69. -4-
  70. § 13 Bereithaltung der Bausparsumme
  71. (1) Mit Annahme der Zuteilung stellt die Bausparkasse dem Bausparer sein Bausparguthaben und ein Bauspardarlehen in Höhe des das Bausparguthaben übersteigenden
  72. Teiles der Bausparsumme bereit.
  73. (2) …
  74. § 14 Vertragsfortsetzung
  75. (1) Nimmt der Bausparer die Zuteilung nicht an oder gibt er die Annahmeerklärung nicht
  76. fristgemäß ab oder wird die Annahme der Zuteilung widerrufen, so wird der Bausparvertrag fortgesetzt.
  77. (2) Setzt der Bausparer seinen Bausparvertrag fort, so kann er seine Rechte aus der
  78. Zuteilung jederzeit wieder geltend machen. …"
  79. 3
  80. Gemäß § 6 Abs. 1 ABB ist das Bausparguthaben mit 3% p.a. zu verzinsen, gemäß § 20 Abs. 1 ABB ist das Bauspardarlehen mit einem Zinssatz von
  81. 5% p.a. zu gewähren.
  82. 4
  83. Der seit dem 1. April 1993 zuteilungsreife Bausparvertrag wies am
  84. 1. Januar 2015 ein Bausparguthaben in Höhe von 15.772 € auf. Am 12. Januar
  85. 2015 erklärte die Beklagte unter Berufung auf § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB die Kündigung des Bausparvertrages zum 24. Juli 2015.
  86. 5
  87. Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Kündigung unwirksam sei, weil der
  88. Beklagten kein Kündigungsrecht zugestanden habe. Sie hat in der Hauptsache
  89. die Feststellung des Fortbestehens ihres Bausparvertrages begehrt. Ferner hat
  90. sie - nach teilweiser Klagerücknahme - die Freistellung von außergerichtlichen
  91. Rechtsanwaltskosten in Höhe von 571,44 € verlangt. Das Landgericht hat die
  92. Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht der
  93. Klage mit Ausnahme eines Teils der geltend gemachten Rechtsanwaltskosten
  94. stattgegeben und im Übrigen die Berufung zurückgewiesen. Mit ihrer - vom Berufungsgericht zugelassenen - Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
  95. -5-
  96. Entscheidungsgründe:
  97. 6
  98. Die Revision ist begründet.
  99. I.
  100. 7
  101. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung (OLG
  102. Stuttgart, WM 2016, 742) im Wesentlichen ausgeführt:
  103. 8
  104. Die Kündigung des Bausparvertrages sei unwirksam, weil der Beklagten
  105. kein Kündigungsrecht zugestanden habe.
  106. 9
  107. Auf das Vertragsverhältnis finde gemäß Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB seit
  108. dem 1. Januar 2003 das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung des Gesetzes
  109. zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 Anwendung. Ein
  110. Kündigungsrecht ergebe sich aber weder aus § 488 Abs. 3 BGB oder aus § 489
  111. Abs. 1 Nr. 2 BGB noch aus § 490 Abs. 3, § 314 BGB oder aus § 490 Abs. 3,
  112. § 313 Abs. 3 BGB.
  113. 10
  114. Die Voraussetzungen für eine ordentliche Kündigung gemäß § 488
  115. Abs. 3 BGB seien nicht gegeben. Zwar handele es sich bei einem Bausparvertrag in der Ansparphase um einen Darlehensvertrag, bei dem der Bausparer
  116. der Darlehensgeber und die Bausparkasse die Darlehensnehmerin seien. Jedoch könne der Bausparvertrag gemäß § 488 Abs. 3 BGB erst ab vollständiger
  117. Besparung gekündigt werden. Denn der Vertragszweck des Bausparvertrages,
  118. der in der Erlangung eines Bauspardarlehens bestehe, könne erst ab der vollständigen Ansparung nicht mehr erreicht werden. Entgegen der Auffassung der
  119. Beklagten liege keine der Vollbesparung vergleichbare Situation vor, selbst
  120. wenn die rückständigen Sparbeiträge der Klägerin die Differenz zwischen dem
  121. -6-
  122. Bausparguthaben und der Bausparsumme überstiegen. § 5 Abs. 4 ABB führe
  123. nicht dazu, dass die Bausparsumme erreicht sei, da diese Norm nur auf zugeteilte Bausparverträge Anwendung finde und an die Stelle des Kündigungsrechts aus § 5 Abs. 3 ABB trete. Dass deren Voraussetzungen vorlägen, behaupte die Beklagte nicht, zumal sie ihre Kündigung auch nicht auf dieses
  124. Recht stütze.
  125. 11
  126. Ein Kündigungsrecht stehe der Beklagten auch nicht auf Grund eines
  127. rechtsmissbräuchlichen Verhaltens der Klägerin zu. Diese verhalte sich nicht
  128. rechtsmissbräuchlich, wenn sie in der gegenwärtigen Niedrigzinsphase kein
  129. Bauspardarlehen in Anspruch nehme.
  130. 12
  131. Die Beklagte könne die Kündigung des Bausparvertrags auch nicht auf
  132. § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB stützen. Dabei könne dahinstehen, ob diese Vorschrift
  133. überhaupt auf Sparverträge Anwendung finde. Es lägen nämlich bereits die Voraussetzungen des Kündigungsrechts nicht vor, weil der erstmalige Eintritt der
  134. Zuteilungsreife nicht der "vollständige Empfang" des an die Bausparkasse zu
  135. gewährenden Darlehens sei. Ein Darlehen sei vollständig empfangen, wenn es
  136. der Darlehensgeber dem Darlehensnehmer entsprechend der vertraglichen
  137. Vereinbarungen vollständig zur Verfügung gestellt habe. Beim Eintritt der erstmaligen Zuteilungsreife liege ein vollständiger Empfang des Darlehens nicht
  138. vor, weil dies auf die Verpflichtung des Bausparers zur Erbringung der Regelsparbeiträge keinen Einfluss habe. Denn der Vertrag werde bei der Nichtannahme fortgesetzt, so dass auch die Verpflichtung zur Zahlung des Regelsparbeitrages fortbestehe. Zudem habe der Bausparer keinen Einfluss auf den Zeitpunkt des Eintritts der Zuteilungsreife. Die Verpflichtung zur Zahlung der Regelsparbeiträge werde allein durch die Bausparsumme begrenzt.
  139. -7-
  140. 13
  141. Auch Sinn und Zweck von § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderten es nicht,
  142. die Norm unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Bausparvertrages
  143. dahingehend auszulegen, dass der vollständige Empfang den Zeitpunkt der
  144. erstmaligen Zuteilungsreife umfasse. Eine solche Auslegung widerspreche dem
  145. Wesen des Bausparvertrages, weil die Bausparkasse ein Interesse habe, durch
  146. einen stetigen Zufluss von Sparbeiträgen die Zuteilungsmasse zu vergrößern,
  147. um die Zuteilung von Bauspardarlehen zu beschleunigen.
  148. 14
  149. Eine analoge Anwendung von § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB komme nicht in
  150. Betracht. Voraussetzung für eine Analogie sei eine Gesetzeslücke im Sinne
  151. einer planwidrigen Unvollständigkeit. Zudem müsse der zu beurteilende Sachverhalt mit dem gesetzlich geregelten Tatbestand vergleichbar sein, so dass
  152. angenommen werden könne, dass der Gesetzgeber bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei
  153. dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen wäre. Beides liege nicht vor.
  154. 15
  155. Der Beklagten habe auch kein Kündigungsrecht gemäß § 490 Abs. 3,
  156. § 314 Abs. 1 BGB zugestanden. Die Nichtabnahme des Darlehens stelle kein
  157. vertragswidriges Verhalten des Bausparers dar, sondern sei im Bausparvertrag
  158. ausdrücklich vorgesehen. Hinsichtlich der Nichtzahlung der Regelsparbeiträge
  159. habe die Beklagte ein spezielleres Kündigungsrecht aus § 5 Abs. 3 ABB. Insoweit sei ihr zuzumuten, dessen Voraussetzungen herbeizuführen.
  160. 16
  161. Eine Kündigung könne schließlich auch nicht auf § 490 Abs. 3, § 313
  162. Abs. 3 BGB gestützt werden. Die Geschäftsgrundlage des Bausparvertrags wäre selbst dann nicht entfallen, wenn die Klägerin ihre Absicht zur Inanspruchnahme des Darlehens endgültig aufgegeben hätte. Abgesehen davon, dass die
  163. Beklagte hinsichtlich dieses Vorbringens beweisfällig geblieben sei, sei der
  164. -8-
  165. Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht allein aus der über zehn Jahre dauernden Nichtinanspruchnahme des Darlehens abzuleiten, weil die vertraglichen
  166. Vereinbarungen auch für diesen Fall eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses vorsehen. Die Geschäftsgrundlage wäre aber auch dann nicht entfallen,
  167. wenn das Gleichgewicht zwischen Bauspareinlagen und Bauspardarlehen dergestalt gestört wäre, dass die Beklagte ihre Verpflichtungen nicht mehr erfüllen
  168. könnte. Die Beklagte habe dieses vertragsspezifische Risiko übernommen. Es
  169. hätte ihr oblegen, von der bestehenden Möglichkeit Gebrauch zu machen, das
  170. Risiko der Zinsentwicklung durch eine geeignete Vertragsgestaltung anders zu
  171. gewichten oder ihre vereinbarten Rechte anders auszuüben.
  172. II.
  173. 17
  174. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung in entscheidenden Punkten nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts
  175. hat die Beklagte den mit der Klägerin geschlossenen Bausparvertrag gemäß
  176. § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB in der vom 1. Januar 2002 bis zum 10. Juni 2010 geltenden Fassung (nunmehr § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB) wirksam gekündigt.
  177. 18
  178. 1. In zeitlicher Hinsicht ist auf den am 13. September 1978 abgeschlossenen Bausparvertrag, bei dem es sich um ein Dauerschuldverhältnis handelt,
  179. gemäß Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB seit dem 1. Januar 2003 das Bürgerliche
  180. Gesetzbuch in der dann geltenden Fassung anzuwenden (vgl. OLG Hamm, ZIP
  181. 2016, 1475; OLG Köln, WM 2016, 740; Herresthal, ZIP 2016, 1257, 1259;
  182. Salger, jurisPR-BKR 7/2016 Anm. 3). Die durch das Gesetz zur Umsetzung der
  183. Verbraucherkreditrichtlinie, des zivilrechtlichen Teils der Zahlungsdiensterichtlinie sowie zur Neuordnung der Vorschriften über das Widerrufs- und Rückgaberecht vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2355) erfolgten Änderungen des Bürgerli-
  184. -9-
  185. chen Gesetzbuchs finden - was das Berufungsgericht unberücksichtigt gelassen hat - gemäß Art. 229 § 22 Abs. 2 EGBGB auf den vorliegenden Bausparvertrag mit Ausnahme der in Art. 229 § 22 Abs. 3 EGBGB genannten - hier
  186. nicht einschlägigen - Vorschriften keine Anwendung, weswegen insoweit das
  187. Darlehensrecht der §§ 488 ff. BGB in der bis zum 10. Juni 2010 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) maßgeblich ist (vgl. Senatsurteil vom 19. Januar 2016
  188. - XI ZR 103/15, BGHZ 208, 278 Rn. 15; OLG Köln, aaO).
  189. 19
  190. Die durch das Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie
  191. und zur Änderung handelsrechtlicher Vorschriften vom 11. März 2016 (BGBl. I
  192. S. 396) erfolgten Änderungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs und des Darlehensrechts sind gemäß Art. 229 § 38 Abs. 1 EGBGB mit Ausnahme der in
  193. Art. 229 § 38 Abs. 2 EGBGB genannten - hier nicht einschlägigen - Vorschriften
  194. nicht zu berücksichtigen.
  195. 20
  196. 2. Rechtsfehlerfrei ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass auf einen Bausparvertrag Darlehensrecht anzuwenden ist.
  197. 21
  198. Gemäß § 1 Abs. 2 BauSparkG erwirbt der Bausparer zwar durch die
  199. Leistung von Bauspareinlagen in der Ansparphase einen Anspruch auf Gewährung eines Bauspardarlehens, mit dessen Inanspruchnahme nach Zuteilungsreife der Bausparvertrag in die Darlehensphase übergeht. Im Hinblick auf die
  200. Verknüpfung von Ansparphase und Darlehensphase gehen aber die Ansichten
  201. darüber auseinander, ob der Bausparer bei Abschluss des Bausparvertrages
  202. einen bedingten Anspruch auf Valutierung eines Bauspardarlehens erwirbt und
  203. es sich somit bei dem Bausparvertrag um einen einheitlichen Darlehensvertrag
  204. mit der Besonderheit handelt, dass Bausparer und Bausparkasse bei Inanspruchnahme des Bauspardarlehens ihre Rollen als Darlehensgeber und Darlehensnehmer tauschen (vgl. MünchKommBGB/Berger, 7. Aufl., Vor § 488
  205. - 10 -
  206. Rn. 28; Staudinger/Mülbert, BGB, Neubearb. 2015, § 488 Rn. 539 und Rn. 543;
  207. Mülbert/Schmitz in Festschrift Horn, 2006, S. 777, 778; Schäfer/Cirpka/
  208. Zehnder, Bausparkassengesetz und Bausparkassenverordnung, 5. Aufl., § 1
  209. Anm. 12 f.; Salger, jurisPR-BKR 7/2016 Anm. 3; Schultheiß, WuB 2015, 139,
  210. 140 f.; Yildirim, VuR 2015, 258, 259), oder ob der Bausparer lediglich einen
  211. Vorvertrag über die spätere Gewährung eines Bauspardarlehens schließt (vgl.
  212. Fandrich in Graf von Westphalen, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Stand:
  213. 30. Dezember 2011, Bausparbedingungen Rn. 5; Haertlein/Thümmler, ZIP
  214. 2009, 1197, 1198 f.; Kronenburg in Derleder/Knops/Bamberger, Handbuch zum
  215. deutschen und europäischen Bankrecht, 2. Aufl., § 17 Bauspardarlehen Rn. 4;
  216. Erman/Saenger, BGB, 14. Aufl., Vorbem. §§ 488-490 Rn. 27).
  217. 22
  218. Der Senat hat diese Frage bislang offen gelassen (vgl. Senatsurteile vom
  219. 7. Dezember 2010 - XI ZR 3/10, BGHZ 187, 360 Rn. 32 und vom 8. November
  220. 2016 - XI ZR 552/15, WM 2017, 87 Rn. 37, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen). Sie bedarf auch vorliegend keiner Entscheidung. Denn unabhängig
  221. von der rechtlichen Konstruktion besteht sowohl in der Ansparphase als auch in
  222. der Darlehensphase zwischen den Vertragsparteien ein Darlehensverhältnis,
  223. wobei der Bausparer in der Ansparphase der Darlehensgeber und die Bausparkasse die Darlehensnehmerin ist (vgl. OLG Bamberg, WM 2016, 2067, 2068;
  224. OLG Celle, WM 2016, 738; OLG Frankfurt/Main, WM 2016, 2070, 2071; OLG
  225. Hamm, ZIP 2016, 1475; OLG Koblenz, Urteil vom 29. Juli 2016 - 8 U 11/16,
  226. juris Rn. 12; OLG Köln, WM 2016, 740, 741; OLG Stuttgart, WM 2013, 508,
  227. 509; MünchKommBGB/Berger, 7. Aufl., Vor § 488 Rn. 28; Bergmann, WM
  228. 2016, 2153, 2154; Buhl/Münder, NJW 2016, 1991; Edelmann/Suchowerskyj, BB
  229. 2015, 1800, 1801; Fandrich in Graf von Westphalen, Vertragsrecht und
  230. AGB-Klauselwerke, Stand: 30. Dezember 2011, Bausparbedingungen Rn. 5;
  231. Haertlein/Thümmler, ZIP 2009, 1197, 1198; Herresthal, ZIP 2016, 1257, 1258
  232. und 1260; Kronenburg in Derleder/Knops/Bamberger, Handbuch zum deut-
  233. - 11 -
  234. schen und europäischen Bankrecht, 2. Aufl., § 17 Bauspardarlehen Rn. 4;
  235. Staudinger/Mülbert, BGB, Neubearb. 2015, § 488 Rn. 539 und Rn. 549;
  236. Omlor/Meier, EWiR 2016, 323, 324; Rollberg, EWiR 2016, 3; Schäfer/Cirpka/
  237. Zehnder, Bausparkassengesetz und Bausparkassenverordnung, 5. Aufl., § 1
  238. Anm. 12; Schultheiß, WuB 2015, 139, 141; Servatius, ZfIR 2016, 649, 651; von
  239. Stumm, GWR 2015, 357; Weber, ZIP 2015, 961, 962).
  240. 23
  241. Die von der Revisionserwiderung gegen eine Anwendbarkeit der darlehensrechtlichen Vorschriften vorgebrachten Bedenken greifen nicht durch. Soweit sie darauf hinweist, dass auf Namensschuldverschreibungen wie Sparkassenbriefe das Darlehensrecht keine Anwendung finde (so OLG München, WM
  242. 2012, 1535), ist dies - die Richtigkeit dieser These unterstellt - unbehelflich, weil
  243. Sparkassenbriefe und Bausparverträge ihrer Rechtsnatur nach nicht vergleichbar sind. Soweit sie des Weiteren meint, in der Ansparphase bestehe deshalb
  244. kein Darlehensverhältnis, weil die Allgemeinen Bausparbedingungen der Beklagten nur für den Ausnahmefall der Kündigung durch den Bausparer eine
  245. Rückzahlungsverpflichtung vorsehen, das angesparte Geld im Regelfall aber in
  246. dem Bauspardarlehen aufgehe und nicht die Bausparkasse, sondern der Bausparer im Grundsatz einen bestimmten Geldbetrag zurückzuzahlen habe, verkennt sie, dass eine Rückzahlungsverpflichtung des Bausparers erst mit der
  247. Inanspruchnahme des Bauspardarlehens in der Darlehensphase und nur in
  248. Höhe des Differenzbetrages zwischen Bausparsumme und Bausparguthaben
  249. entsteht, während die Ansparleistungen dem Bausparer als Bausparguthaben
  250. zurückgewährt werden (§ 13 Abs. 1 ABB).
  251. 24
  252. 3. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht zu
  253. Recht eine Kündigungsmöglichkeit der Beklagten gemäß § 488 Abs. 3 BGB aF
  254. verneint. Ein solches Kündigungsrecht haben die Parteien zumindest stillschweigend abbedungen.
  255. - 12 -
  256. 25
  257. a) Gemäß § 5 Abs. 3 Nr. 7 BauSparkG haben die Allgemeinen Bausparbedingungen Bestimmungen darüber zu enthalten, unter welchen Voraussetzungen ein Bausparvertrag gekündigt werden kann. Die Allgemeinen Bausparbedingungen der Beklagten sehen ein Kündigungsrecht der Beklagten während
  258. der Ansparphase nur unter den - vorliegend nicht erfüllten - Voraussetzungen
  259. des § 5 Abs. 3 ABB vor. Hieraus folgt, dass einem Bausparer bei vertragsgemäßer Erbringung der Ansparleistungen grundsätzlich ein Anspruch auf Gewährung eines Bauspardarlehens zusteht. Dies bedingt einen stillschweigend
  260. vereinbarten Ausschluss des gesetzlichen Kündigungsrechts aus § 488 Abs. 3
  261. BGB aF, weil anderenfalls die Bausparkasse dem Bausparer jederzeit den bedingungsgemäßen Anspruch auf Gewährung eines Bauspardarlehens entziehen könnte (vgl. OLG Stuttgart, WM 2013, 508, 509; OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 2. Oktober 2013 - 19 U 106/13, juris Rn. 11; Edelmann/
  262. Suchowerskyj, BB 2015, 1800, 1805; Fuchs in Ulmer/Brandner/Hensen, AGBRecht, 12. Aufl., (10) Bausparbedingungen Rn. 9; Herresthal, ZIP 2016, 1257,
  263. 1264; Staudinger/Mülbert, BGB, Neubearb. 2015, § 488 Rn. 548; Mülbert/
  264. Schmitz in Festschrift Horn, 2006, S. 777, 782 f.; Salger, jurisPR-BKR 7/2016
  265. Anm. 3; Schäfer/Cirpka/Zehnder, Bausparkassengesetz und Bausparkassenverordnung, 5. Aufl., § 5 Anm. 37; Servatius, ZfIR 2016, 649, 652; Tröger/Kelm,
  266. NJW 2016, 2839, 2840; Weber, ZIP 2015, 961, 962; Yildirim, VuR 2015, 258,
  267. 260).
  268. 26
  269. b) Etwas anderes gilt hingegen, wenn die Bausparsumme - was hier
  270. nicht der Fall ist - voll angespart worden ist. Denn ab diesem Zeitpunkt kann ein
  271. Bauspardarlehen nicht mehr beansprucht werden (vgl. OLG Bamberg, WM
  272. 2016, 2067, 2068; OLG Celle, BKR 2016, 509 Rn. 24; OLG Stuttgart, WM 2013,
  273. 508, 509; OLG Koblenz, Urteil vom 29. Juli 2016 - 8 U 11/16, juris Rn. 14;
  274. Bergmann, WM 2016, 2153, 2155; Buhl/Münder, NJW 2016, 1991, 1995;
  275. Edelmann/Suchowerskyj, BB 2015, 3079, 3083 f.; Flick, jurisPR-BKR 5/2016
  276. - 13 -
  277. Anm. 5; Freise/Bonke, ZBB 2016, 196, 199; Fuchs in Ulmer/Brandner/Hensen,
  278. AGB-Recht, 12. Aufl., (10) Bausparbedingungen Rn. 9; Herresthal, ZIP 2016,
  279. 1257, 1264; Staudinger/Mülbert, BGB, Neubearb. 2015, § 488 Rn. 548; Mülbert/
  280. Schmitz in Festschrift Horn, 2006, S. 777, 782 f.; Salger, jurisPR-BKR 7/2016
  281. Anm. 3; Servatius, ZfIR 2016, 649, 651; Tröger/Kelm, NJW 2016, 2839, 2840;
  282. Weber, ZIP 2015, 961, 962; Yildirim, VuR 2015, 258, 260 f.).
  283. 27
  284. c) Anders als die Revision meint, steht der Beklagten ein Kündigungsrecht gemäß § 488 Abs. 3 BGB aF auch nicht deshalb zu, weil die Klägerin sich
  285. so behandeln lassen muss, als hätte sie die Bausparsumme vollständig angespart. Auch wenn die von der Klägerin in der Vergangenheit nicht erbrachten
  286. Regelsparbeiträge die Differenz zwischen ihrem Bausparguthaben und der
  287. Bausparsumme übersteigen, sieht § 5 Abs. 3 ABB für den Fall des Rückstandes mit der Zahlung von Regelsparbeiträgen eine spezielle Regelung vor, die
  288. den allgemeinen Kündigungstatbestand des § 488 Abs. 3 BGB aF verdrängt.
  289. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 ABB, insbesondere die
  290. Aufforderung zur Erbringung der rückständigen Regelsparbeiträge, können
  291. nicht durch einen Rückgriff auf den allgemeinen Kündigungstatbestand aus
  292. § 488 Abs. 3 BGB aF unterlaufen werden. Deren Einhaltung stellt entgegen der
  293. Ansicht der Revision keine überflüssige Förmelei dar.
  294. 28
  295. d) Entgegen einer vereinzelten Auffassung im Schrifttum ist einer Bausparkasse eine Kündigungsmöglichkeit nach § 488 Abs. 3 BGB aF auch nicht
  296. dann eröffnet, wenn der Bausparer trotz erstmaliger Zuteilungsreife kein Bauspardarlehen in Anspruch nimmt. Dies wird damit begründet, dass der Bausparer mit der Nichtannahme zum Ausdruck bringe, von seiner Option auf Gewährung eines Bauspardarlehens keinen Gebrauch machen zu wollen (vgl.
  297. Schultheiß, WuB 2015, 139, 141). Dem ist nicht zu folgen.
  298. - 14 -
  299. 29
  300. Bausparen ist zwar, wie aus § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 und 3
  301. BauSparkG sowie § 1 ABB folgt, ein zielgerichtetes Sparen, um für wohnungswirtschaftliche Maßnahmen ein Darlehen beanspruchen zu können (vgl.
  302. Edelmann/Suchowerskyj, BB 2015, 1800, 1803; Herresthal, ZIP 2016, 1257,
  303. 1258; Staudinger/Mülbert, BGB, Neubearb. 2015, § 488 Rn. 550; Mülbert/
  304. Schmitz in Festschrift Horn, 2006, S. 777, 782 und 786). Hiermit geht aber, was
  305. die Bestimmungen über die Fortsetzung des Vertrages bei Nichtannahme der
  306. Zuteilung (§ 14 Abs. 1 ABB) zeigen, keine Pflicht einher, ein Bauspardarlehen
  307. tatsächlich in Anspruch zu nehmen (vgl. OLG Celle, WM 2016, 738, 739; OLG
  308. Frankfurt/Main, WM 2016, 2070, 2072; OLG Hamm, ZIP 2016, 306, 307 und
  309. NJW-RR 2016, 747 Rn. 17; Batereau, WuB 2016, 76, 77; Edelmann/
  310. Suchowerskyj, aaO; Freise/Bonke, ZBB 2016, 196, 203; Herresthal, aaO;
  311. Yildirim, VuR 2015, 258, 260 f.).
  312. 30
  313. Aus diesem Grunde besteht, anders als das Berufungsgericht meint, der
  314. Vertragszweck in der Erlangung eines Anspruchs auf Gewährung eines Bauspardarlehens (§ 1 Abs. 2 Satz 1 BauSparkG) und nicht in der tatsächlichen
  315. Inanspruchnahme des Bauspardarlehens. Gegenteiliges folgt auch nicht aus
  316. dem Wortlaut von § 1 ABB, weil diese Bestimmung ein Darlehen nach Maßgabe der Allgemeinen Bausparbedingungen vorsieht, welches aber von dem Bausparer gerade nicht in Anspruch zu nehmen ist. Der Bausparer erwirbt vielmehr
  317. die Option, ein Bauspardarlehen in Anspruch zu nehmen (vgl. LG Stuttgart, ZIP
  318. 2015, 2363, 2367; Bergmann, WM 2016, 2153, 2154; Schäfer/Cirpka/Zehnder,
  319. Bausparkassengesetz und Bausparkassenverordnung, 5. Aufl., § 1 Anm. 13),
  320. hinsichtlich derer ihm aber eine flexible Handhabung zuzubilligen ist, weil er
  321. nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt mit der Darlehensgewährung rechnen
  322. kann (vgl. Freise/Bonke, ZBB 2016, 196, 204 und 206; Herresthal, ZIP 2016,
  323. 1257, 1258). Denn die Bausparkasse kann gemäß § 4 Abs. 5 BauSparkG bei
  324. Vertragsschluss keinen festen Termin für die Auszahlung des Bauspardarle-
  325. - 15 -
  326. hens zusagen. Zudem kann der Bausparer auch bei einer kontinuierlichen Erbringung der Regelsparbeiträge unter Beachtung der Mindestspardauer den
  327. genauen Zeitpunkt der Zuteilung nicht selbst bestimmen, weil dieser unter anderem von dem Vorhandensein einer ausreichenden Zuteilungsmasse abhängt
  328. (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 1975 - III ZR 95/73, WM 1976, 50, 51).
  329. 31
  330. e) Entgegen einer weiteren Auffassung im Schrifttum steht einer Bausparkasse das Kündigungsrecht aus § 488 Abs. 3 BGB aF auch nicht dann zu,
  331. wenn der Bausparer - wie im vorliegenden Fall die Klägerin - länger als zehn
  332. Jahre ab erstmaliger Zuteilungsreife das Bauspardarlehen nicht in Anspruch
  333. nimmt. Dies wird damit begründet, dass der Bausparer mit einem solchen Verhalten auf sein Recht auf Gewährung des Bauspardarlehens verzichte oder
  334. dieses Recht verwirke und deshalb von einer der vollständigen Besparung eines Bausparvertrages gleichstehenden Zweckerreichung auszugehen sei (vgl.
  335. Edelmann/Suchowerskyj, BB 2015, 1800, 1805, die sich zu Unrecht auf OLG
  336. Stuttgart, WM 2013, 508 berufen). Auch dieser Ansicht ist nicht zu folgen
  337. (ebenso Bergmann, WM 2016, 2153, 2155; Buhl/Münder, NJW 2016, 1991,
  338. 1995; Herresthal, ZIP 2016, 1257, 1264 f.; Servatius, ZfIR 2016, 649, 654;
  339. Tröger/Kelm, NJW 2016, 2839, 2840).
  340. 32
  341. Dem in der Nichtannahme der Zuteilung liegenden Schweigen des Bausparers - hier der Klägerin - kommt bereits nach allgemeinen rechtsgeschäftlichen Grundsätzen kein Erklärungsgehalt zu (vgl. dazu Palandt/Ellenberger,
  342. BGB, 76. Aufl., Einf. v. § 116 Rn. 7). Es beinhaltet schon aus diesem Grunde
  343. kein an die Bausparkasse gerichtetes Angebot auf Abschluss eines entsprechenden Erlassvertrages (§ 397 Abs. 1 BGB).
  344. 33
  345. Die Nichtannahme des Bauspardarlehens mehr als zehn Jahre nach Zuteilungsreife füllt auch den Tatbestand der Verwirkung nicht aus. Ein Recht ist
  346. - 16 -
  347. verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers
  348. über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten
  349. darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen,
  350. so dass die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt (vgl.
  351. nur Senatsurteile vom 12. Juli 2016 - XI ZR 501/15, WM 2016, 1835 Rn. 40
  352. mwN, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen, und vom 11. Oktober 2016
  353. - XI ZR 482/15, WM 2016, 2295 Rn. 30 mwN, zur Veröffentlichung in BGHZ
  354. vorgesehen). Dafür, dass die Beklagte auf die Nichtannahme des Bauspardarlehens vertraut und infolgedessen Dispositionen getroffen hätte, ist nichts vorgetragen oder sonst erkennbar.
  355. 34
  356. 4. Dagegen hält die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte
  357. könne sich nicht auf das Kündigungsrecht aus § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB
  358. - zutreffend: der nahezu wortgleiche § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB aF - stützen, den
  359. Angriffen der Revision nicht stand. Das Gegenteil ist richtig. § 489 Abs. 1 Nr. 3
  360. BGB aF ist auch auf das Einlagengeschäft von Bausparkassen anzuwenden
  361. und unterliegt insoweit keiner teleologischen Reduktion (dazu unter a). Es sind
  362. auch die Voraussetzungen des Kündigungsrechts aus § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB
  363. aF in direkter Anwendung der Norm erfüllt, ohne dass es eines Analogieschlusses bedarf (dazu unter b).
  364. 35
  365. a) Nach der ganz herrschenden Ansicht in der Instanzrechtsprechung
  366. und Literatur steht das ordentliche Kündigungsrecht aus § 489 Abs. 1 Nr. 3
  367. BGB aF auch einer Bausparkasse - wie hier der Beklagten - zu (vgl. OLG Celle,
  368. WM 2016, 738 und BKR 2016, 509 Rn. 39; OLG Düsseldorf, Urteil vom 1. Dezember 2016 - 6 U 124/16, juris Rn. 25; OLG Frankfurt/Main, WM 2016, 2070,
  369. 2071; OLG Hamm, ZIP 2016, 306, 307; NJW-RR 2016, 747 Rn. 14 und ZIP
  370. 2016, 1475 f.; OLG Koblenz, Urteil vom 29. Juli 2016 - 8 U 11/16, juris
  371. Rn. 15 ff.; OLG Köln, WM 2016, 740, 741; OLG München, Urteile vom 27. Sep-
  372. - 17 -
  373. tember 2016 - 5 U 1637/16, juris Rn. 30 und vom 17. Oktober 2016 - 17 U
  374. 2643/16, juris Rn. 15; LG Aachen, Urteil vom 29. Mai 2015 - 10 O 404/14, juris
  375. Rn. 16; LG Bremen, Urteil vom 12. August 2016 - 4 S 47/16, juris Rn. 18; LG
  376. Düsseldorf, Urteil vom 8. April 2016 - 8 O 109/15, juris Rn. 15; LG Hamburg,
  377. Urteil vom 24. März 2016 - 330 O 314/15, juris Rn. 18; LG Hannover, Urteil vom
  378. 10. September 2015 - 3 O 59/15, juris Rn. 24; LG Mainz, WM 2015, 181 f.; LG
  379. München I, ZIP 2015, 2360, 2361 f.; LG Münster, Urteil vom 25. August 2015
  380. - 14 O 183/15, juris Rn. 20 f.; LG Nürnberg-Fürth, ZIP 2015, 1870 f.; LG
  381. Osnabrück, Urteil vom 21. August 2015 - 7 O 545/15, juris Rn. 18 f.; LG
  382. Stralsund, Urteil vom 3. Februar 2016 - 7 O 264/15, juris Rn. 14; LG Stuttgart,
  383. ZIP 2015, 2363, 2364 f.; Batereau, WuB 2016, 76, 77; Bergmann, WM 2016,
  384. 2153, 2156; Edelmann/Suchowerskyj, BB 2015, 1800, 1801 und BB 2015,
  385. 3079, 3080; Flick, jurisPR-BKR 5/2016 Anm. 5; Freise/Bonke, ZBB 2016, 196,
  386. 200; Herresthal, ZIP 2016, 1257, 1259 f.; Kruis ZIP 2017, 270 f.; Mülbert/
  387. Schmitz in Festschrift Horn, 2006, S. 777, 783; Staudinger/Mülbert, BGB, Neubearb. 2015, § 489 Rn. 51; Omlor/Meier, EWiR 2016, 323 f.; Rollberg,
  388. EWiR 2016, 3; Salger, jurisPR-BKR 7/2016 Anm. 3; Schultheiß, WuB 2015,
  389. 139, 142; Servatius, ZfIR 2016, 649, 657 f.; Simon, EWiR 2016, 723, 724; von
  390. Stumm, GWR 2015, 357, 358; Welter, WuB 2016, 597, 601 ff. und WuB 2017,
  391. 9, 12; Yildirim, VuR 2015, 258, 259 f.).
  392. 36
  393. Demgegenüber gehen lediglich vereinzelte Stimmen in der Instanzrechtsprechung und Literatur davon aus, dass das Kündigungsrecht zugunsten einer
  394. Bausparkasse keine Anwendung findet (so das Berufungsgericht, WM 2016,
  395. 1440, 1442; ferner AG Ludwigsburg, Urteil vom 7. August 2015 - 10 C 1154/15,
  396. juris Rn. 40 ff.; MünchKommBGB/Berger, 7. Aufl., § 489 Rn. 2; Tröger/Kelm,
  397. NJW 2016, 2839, 2843; Weber, ZIP 2016, 961; BB 2015, 2185, 2186 und BB
  398. 2016, 584, 586 f.; BeckOGK/C. Weber BGB, Stand: 1. Juli 2016, § 489 Rn. 15).
  399. - 18 -
  400. 37
  401. Die herrschende Ansicht ist zutreffend. Für sie spricht das Ergebnis einer
  402. grammatikalischen, systematischen, historischen und teleologischen Auslegung
  403. von § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB aF, was zugleich einer teleologischen Reduktion
  404. der Norm entgegensteht.
  405. 38
  406. aa) Der Wortlaut des § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB aF gewährt dem Darlehensnehmer bei einem Darlehensvertrag mit einem festen Zinssatz ein Kündigungsrecht, und zwar in jedem Fall zehn Jahre nach dem vollständigen Empfang der Darlehensvaluta unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten. In persönlicher Hinsicht wird dabei nicht danach unterschieden, ob es
  407. sich bei dem Darlehensnehmer um eine natürliche oder juristische Person handelt und ob dieser Verbraucher oder Unternehmer ist. Danach kann auch eine
  408. Bausparkasse Darlehensnehmer im Sinne dieser Vorschrift sein (so auch OLG
  409. Celle, WM 2016, 738 und BKR 2016, 509 Rn. 40; OLG Frankfurt/Main, WM
  410. 2016, 2070, 2071; OLG Hamm, NJW-RR 2016, 747 Rn. 14 und ZIP 2016,
  411. 1475, 1476; OLG Köln, WM 2016, 740, 741; LG Mainz, WM 2015, 181 f.; LG
  412. Nürnberg-Fürth, ZIP 2015, 1870 f.; LG München I, ZIP 2015, 2360, 2361 f.; LG
  413. Stuttgart, ZIP 2015, 2363, 2364 f.; Bergmann, WM 2016, 2153, 2156;
  414. Edelmann/Suchowerskyj, BB 2015, 1800, 1801 und BB 2015, 3079, 3080; Flick,
  415. jurisPR-BKR 5/2016 Anm. 5; Freise/Bonke, ZBB 2016, 196, 200; Herresthal,
  416. ZIP 2016, 1257, 1260; Rollberg, EWiR 2016, 3; Tröger/Kelm, NJW 2016, 2839,
  417. 2841).
  418. 39
  419. bb) Die Gesetzessystematik bestätigt die Auslegung nach dem Wortlaut,
  420. d.h. eine Anwendbarkeit der Norm auch zugunsten einer Bausparkasse.
  421. 40
  422. § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB aF gewährt allen Darlehensnehmern ein Kündigungsrecht, während ein spezielles Kündigungsrecht nur für Verbraucher in
  423. § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB aF - bzw. nach dem intertemporal gemäß Art. 229 § 22
  424. - 19 -
  425. Abs. 3 EGBGB maßgeblichen Recht in § 500 Abs. 1 BGB - geregelt worden ist.
  426. Nach der gesetzlichen Systematik kann sich daher eine Bausparkasse auf das
  427. Kündigungsrecht aus § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB aF berufen (so auch OLG Celle,
  428. WM 2016, 738 und BKR 2016, 509 Rn. 41; OLG Hamm, NJW-RR 2016, 747
  429. Rn. 14 und ZIP 2016, 1475, 1476; OLG Koblenz, Urteil vom 29. Juli 2016 - 8 U
  430. 11/16, juris Rn. 33; OLG Köln, WM 2016, 740, 741; LG Nürnberg-Fürth, ZIP
  431. 2015, 1870 f.; LG München I, ZIP 2015, 2360, 2361; LG Stuttgart, ZIP 2015,
  432. 2363, 2364 f.; Bergmann, WM 2016, 2153, 2156; Edelmann/Suchowerskyj, BB
  433. 2015, 1800, 1801 und BB 2015, 3079, 3080; Flick, jurisPR-BKR 5/2016 Anm. 5;
  434. Freise/Bonke, ZBB 2016, 196, 200; Herresthal, ZIP 2016, 1257, 1260; Salger,
  435. jurisPR-BKR 7/2016 Anm. 3; Omlor/Meier, EWiR 2016, 323, 324; Rollberg,
  436. EWiR 2016, 3; Servatius, ZfIR 2016, 649, 656; Simon, EWiR 2015, 723, 724;
  437. Tröger/Kelm, NJW 2016, 2839, 2841; Yildirim, VuR 2015, 258, 259 f.).
  438. 41
  439. Gegen eine Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs der
  440. Norm spricht in gesetzessystematischer Hinsicht ferner, dass § 489 Abs. 4
  441. Satz 2 BGB aF eine Ausnahmeregelung hinsichtlich der Abdingbarkeit des
  442. Kündigungsrechts aus § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB aF vorsieht, welche sich ausschließlich auf Darlehen an den Bund, ein Sondervermögen des Bundes, ein
  443. Land, eine Gemeinde, einen Gemeindeverband, die Europäischen Gemeinschaften oder ausländische Gebietskörperschaften bezieht. Hieraus folgt zum
  444. einen, dass das Kündigungsrecht grundsätzlich auch öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften zusteht und dessen Anwendungsbereich damit insbesondere nicht auf Verbraucher beschränkt ist (vgl. OLG Hamm, ZIP 2016, 1475,
  445. 1476; LG München I, ZIP 2015, 2360, 2361; Edelmann/Suchowerskyj, BB 2015,
  446. 1800, 1801 und BB 2015, 3079, 3080 f.; Flick, jurisPR-BKR 5/2016 Anm. 5;
  447. Herresthal, ZIP 2016, 1257, 1260; Mülbert/Schmitz in Festschrift Horn, 2006,
  448. S. 777, 783; Salger, jurisPR-BKR 7/2016 Anm. 3; Simon, EWiR 2016, 723,
  449. 724). Zum anderen kann danach das Kündigungsrecht allen anderen Darle-
  450. - 20 -
  451. hensnehmern gegenüber nicht abbedungen werden. Nach seiner Regelungssystematik schließt das Gesetz damit bestimmte Darlehensnehmer, die bei einer typisierenden Betrachtungsweise weniger schutzbedürftig erscheinen - wie
  452. insbesondere öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften - nicht von vornherein
  453. aus dem Anwendungsbereich der Norm aus, sondern gestaltet sie diesen gegenüber nur disponibel aus. Dagegen ist dies im Hinblick auf Kaufleute und Unternehmer, die bei einer typisierenden Betrachtungsweise ebenfalls weniger
  454. schutzbedürftig erscheinen könnten, gerade nicht geschehen (vgl. Edelmann/
  455. Suchowerskyj, BB 2015, 3079, 3080 f.).
  456. 42
  457. cc) Die Entstehungsgeschichte des in § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB aF normierten Kündigungsrechts belegt ebenfalls, dass dieses Recht auch Kaufleuten
  458. und Unternehmern und damit auch Kreditinstituten wie Bausparkassen zusteht.
  459. 43
  460. (1) Das Kündigungsrecht aus § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB aF ist über die
  461. früheren Regelungen in § 609a BGB in der Fassung vom 25. Juli 1986 (BGBl. I
  462. S. 1169; künftig: aF) und in § 247 BGB in der Fassung von 1. Januar 1900
  463. (künftig: aF), eingeführt durch das Bürgerliche Gesetzbuch vom 18. August
  464. 1896 (RGBl. 1896, S. 195), auf das "Gesetz, betreffend die vertragsgemäßen
  465. Zinsen" vom 14. November 1867 (Bundes-Gesetzblatt des Norddeutschen
  466. Bundes, 1867, S. 159, 160) zurückzuführen (vgl. "Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 247 BGB)" (künftig:
  467. RefE), ZIP 1985, 1291, 1292; Weber, BB 2015, 2185, 2186). Während § 1 dieses Gesetzes jede Beschränkung von Zinsvereinbarungen aufhob, gewährte
  468. § 2 Abs. 1 des Gesetzes dem Schuldner bei einem Zinssatz von mehr als
  469. 6% p.a. gleichsam als Kompensation für die Aufhebung gesetzlicher Beschränkungen hinsichtlich der Zinshöhe das Recht, nach Ablauf eines halben Jahres
  470. mit einer Kündigungsfrist von sechs Monaten den Vertrag zu kündigen (vgl.
  471. Bergmann, WM 2016, 2153, 2156; Landau in Gedächtnisschrift Conrad, 1979,
  472. - 21 -
  473. S. 385, 399; Welter, WuB 2016, 597, 601). Dieses Kündigungsrecht bestand
  474. jedoch gemäß § 2 Abs. 3 des Gesetzes nicht bei Inhaberschuldverschreibungen und Darlehen, die einem Kaufmann gewährt wurden.
  475. 44
  476. (2) Das Kündigungsrecht aus § 2 Abs. 1 des Gesetzes, betreffend die
  477. vertragsgemäßen Zinsen wurde zum 1. Januar 1900 als § 247 BGB aF in das
  478. Bürgerliche Gesetzbuch übernommen (vgl. Schubert/Schmiedel/Krampe, Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897, Bd. II, S. 1347) und damit als eine Regelung im Allgemeinen Teil des Schuldrechts gefasst, die nicht nur auf Darlehensverträge Anwendung fand. § 247 Abs. 1 BGB aF bestimmte, dass in den
  479. Fällen, in denen ein höherer Zinssatz als 6% p.a. vereinbart war, der Schuldner
  480. nach Ablauf von sechs Monaten das Kapital unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten kündigen konnte. Das Kündigungsrecht galt gemäß
  481. § 247 Abs. 2 BGB aF nur nicht bei Schuldverschreibungen auf den Inhaber. Der
  482. ursprüngliche Ausnahmetatbestand, wonach das Kündigungsrecht nicht für
  483. Kaufleute galt, wurde vom Gesetzgeber bewusst nicht fortgeschrieben (vgl.
  484. Bergmann, WM 2016, 2153, 2157; Landau in Gedächtnisschrift Conrad, 1979,
  485. S. 385, 403; Weber, ZIP 2015, 961, 965 und BB 2015, 2185, 2187).
  486. 45
  487. Zwar wird in den Materialien zu § 247 BGB aF ausgeführt, dass das
  488. Kündigungsrecht des Schuldners bei hohen Zinsen, jedenfalls seiner Wirkung
  489. nach, ein Mittel gegen den Missbrauch der wirtschaftlichen Übermacht des
  490. Gläubigers gegenüber dem Schuldner sei und es sich bei der herrschenden
  491. starken Strömung, welche auf eine Verstärkung des Schutzes des wirtschaftlich
  492. Schwächeren gehe, nicht empfehle, dieses bestehende Schutzmittel für den
  493. Schuldner fallen zu lassen (vgl. Mugdan, Die gesammelten Materialien zum
  494. Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. II, Recht der Schuldverhältnisse, S. 628 f.). Hieraus folgt aber nicht, dass das Kündigungsrecht nur
  495. solchen Personen zustehen sollte, die hinsichtlich ihrer persönlichen Eigen-
  496. - 22 -
  497. schaften bei einer typisierenden Betrachtungsweise schutzbedürftig sind (vgl.
  498. Landau in Gedächtnisschrift Conrad, 1979, S. 385, 403).
  499. 46
  500. Denn zu dem Kreis der durch § 247 BGB aF zu schützenden Personen
  501. sollten auch Kaufleute gehören, wie der "Kommissionsbericht über den Entwurf
  502. eines H.G.B." belegt (siehe dazu Schubert/Schmiedel/Krampe, Quellen zum
  503. Handelsgesetzbuch von 1897, Bd. II, S. 1343 ff.). Der Entwurf sah in § 342 vor,
  504. dass einem Kaufmann bei Schulden aus seinen Handelsgeschäften trotz eines
  505. Zinssatzes von mehr als 6% p.a. - ein Zinssatz von 6% p.a. lag zur Zeit des Inkrafttretens des BGB etwa um das Eineinhalbfache über dem Marktniveau (vgl.
  506. RefE, ZIP 1985, 1291, 1292; Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und
  507. FDP (künftig: FraktionsE), BT-Drucks. 10/4741, S. 20 re. Sp.) - kein Kündigungsrecht zustehen sollte (vgl. Bergmann, WM 2016, 2153, 2157; Landau in
  508. Gedächtnisschrift Conrad, 1979, S. 385, 403; Schubert/Schmiedel/Krampe,
  509. aaO, S. 1343). Diese Ausnahmeregelung zu § 247 BGB aF wurde jedoch nicht
  510. Gesetz, nachdem darauf hingewiesen worden war, dass die Kündigungsbefugnis im Bürgerlichen Gesetzbuch als geeignetes Mittel anerkannt worden sei,
  511. dem Schuldner gegen die Übermacht des Gläubigers Schutz zu gewähren, und
  512. dies auch im kaufmännischen Verkehr angebracht sei (vgl. Bergmann, aaO;
  513. Landau, aaO; Schubert/Schmiedel/Krampe, aaO, S. 1347). Als schutzbedürftig
  514. wurde demnach derjenige angesehen, der gegenüber einem Gläubiger eine
  515. hochverzinste Schuld übernahm, weswegen es in persönlicher Hinsicht allein
  516. auf die Stellung als Schuldner, nicht aber auf sonstige persönliche Eigenschaften ankam.
  517. 47
  518. (3) An diesem Befund, wonach das Kündigungsrecht aus § 247 Abs. 1
  519. Satz 1 BGB aF als reine Schuldnerschutzbestimmung in persönlicher Hinsicht
  520. keiner weiteren Beschränkung unterlag, hat sich in der Folgezeit nichts geändert. Durch das Gesetz zur Wiederherstellung der Gesetzeseinheit auf dem
  521. - 23 -
  522. Gebiete des bürgerlichen Rechts vom 5. März 1953 (BGBl. I S. 33) wurde lediglich der Ausnahmetatbestand des § 247 Abs. 2 BGB aF auf Orderschuldverschreibungen erweitert. Durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des Hypothekenbankgesetzes vom 14. Januar 1963 (BGBl. I S. 9) wurde § 247 Abs. 2
  523. BGB aF dahingehend ergänzt, dass das Kündigungsrecht aus § 247 Abs. 1
  524. Satz 1 BGB aF bei Darlehen, die zu einer auf Grund gesetzlicher Vorschriften
  525. gebildeten Deckungsmasse für Schuldverschreibungen gehörten, abdingbar
  526. sein sollte.
  527. 48
  528. (4) § 247 BGB aF wurde sodann durch das Gesetz zur Änderung wirtschafts-, verbraucher-, arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften vom 25. Juli
  529. 1986 (BGBl. I S. 1169) zum 31. Dezember 1986 aufgehoben und zugleich für
  530. das Darlehensrecht mit Wirkung ab dem 1. Januar 1987 durch die neue, inhaltlich geänderte Vorschrift des § 609a BGB aF ersetzt.
  531. 49
  532. Mit der Verlagerung des Kündigungsrechts in das Darlehensrecht wurde
  533. dem Umstand Rechnung getragen, dass die Vorschrift für andere verzinsliche
  534. Geldschulden keine praktische Bedeutung erlangt hatte (vgl. RefE, ZIP 1985,
  535. 1291, 1294; FraktionsE, BT-Drucks. 10/4741, S. 22 re. Sp.). Anlass für die Aufhebung von § 247 BGB aF war, dass das Kündigungsrecht auf Grund der zwischenzeitlichen Entwicklungen des Zinsniveaus seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs von einem Ausnahmerechtsbehelf zu einem weitgehend
  536. voraussetzungslosen Kündigungsrecht geworden war, was mit dem Wesen einer Festzinsabrede bei längerfristigen Krediten nicht zu vereinbaren war und in
  537. größerem Umfang zur Kündigung von Darlehen gegenüber Kreditinstituten geführt hatte (vgl. RefE, ZIP 1985, 1291, 1292; FraktionsE, BT-Drucks. 10/4741,
  538. S. 1 und S. 20). Die mit einer Kündigung einhergehende einseitige Verlagerung
  539. des Zinsänderungsrisikos auf den Darlehensgeber wurde als gesamtwirtschaftlich nachteilig angesehen, weil professionellen Kreditgebern eine laufzeit- und
  540. - 24 -
  541. zinskongruente Refinanzierung erschwert wurde und zudem das Risiko gesehen wurde, dass vermehrt Kredite nur mit kurzen Zinsbindungsfristen oder Kredite mit langfristiger Zinsbindung nur gegen Kostenaufschläge herausgegeben
  542. würden (vgl. RefE, aaO; FraktionsE, aaO, S. 20 re. Sp.).
  543. 50
  544. Gleichwohl sollte das Kündigungsrecht aus § 247 BGB aF nicht ersatzlos
  545. gestrichen werden. Vielmehr sollte der Schuldnerschutz gerade bei festverzinslichen Krediten nur auf ein angemessenes Maß zurückgeführt werden (vgl.
  546. RefE, ZIP 1985, 1291, 1293; FraktionsE, BT-Drucks. 10/4741, S. 21 re. Sp.).
  547. Aus diesem Grunde sollte bei Auslaufen einer beiderseitigen Zinsbindung der
  548. Schuldner nicht einem einseitigen Zinsbestimmungsrecht des Gläubigers unterliegen (§ 609a Abs. 1 Nr. 1 BGB aF). Nach einer Laufzeit von zehn Jahren sollte ein Schuldner in jedem Fall kündigen können (§ 609a Abs. 1 Nr. 3 BGB aF).
  549. Ferner sollte bei Verbraucherdarlehen im engeren Sinne aus sozialen Gründen
  550. ein kurzfristiges Kündigungsrecht (§ 609a Abs. 1 Nr. 2 BGB aF) bestehen (vgl.
  551. RefE, aaO; FraktionsE, aaO, S. 21 re. Sp. und S. 22 li. Sp.). Die Höhe des vereinbarten Zinssatzes, die ursprünglich für die Einführung des Kündigungsrechts
  552. von Bedeutung war, sollte hingegen für die Frage der Kündbarkeit des Darlehens keine Bedeutung mehr haben (RefE, ZIP 1985, 1291, 1294).
  553. 51
  554. Nach der Begründung des Gesetzesentwurfs sollte das Kündigungsrecht
  555. aus § 609a Abs. 1 Nr. 3 BGB aF dem Schuldner bei allen festverzinslichen Darlehen nach Ablauf von zehn Jahren nach dessen Auszahlung zustehen, um ihm
  556. spätestens dann die Möglichkeit zu geben, sich von dem Darlehensvertrag und
  557. damit von der weiteren Bindung an einen nicht mehr zeitgemäßen Zinssatz zu
  558. lösen (vgl. RefE, ZIP 1985, 1291, 1294 f.; FraktionsE, BT-Drucks. 10/4741,
  559. S. 23 li. Sp.).
  560. - 25 -
  561. 52
  562. Aufgrund dessen galt die Neuregelung des Kündigungsrechts in § 609a
  563. Abs. 1 Nr. 3 BGB aF nicht nur für das Aktivgeschäft, sondern auch für das Passivgeschäft von Kreditinstituten. Zwar waren die negativen Auswirkungen des
  564. Kündigungsrechts aus § 247 BGB aF auf das Aktivgeschäft der Kreditinstitute
  565. der Anlass für die Neuregelung des Kündigungsrechts. Zudem sind sowohl die
  566. Ausführungen in der Begründung des Referentenentwurfs als auch des Fraktionsentwurfs zu § 609a BGB aF auf die Gewährung von Darlehen durch Kreditinstitute zugeschnitten (vgl. Bergmann, WM 2016, 2153, 2157). Allein daraus
  567. kann aber nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber eine Regelung
  568. schaffen wollte, die nur für das Aktiv-, nicht aber auch für das Passivgeschäft
  569. von Kreditinstituten gelten sollte (so aber das Berufungsgericht, WM 2016,
  570. 1440, 1443 f.; ähnlich AG Ludwigsburg, Urteil vom 7. August 2015 - 10 C
  571. 1154/15, juris Rn. 43 ff.). Dagegen spricht bereits, dass sich hierzu weder im
  572. Referentenentwurf (ZIP 1985, 1291) noch in der Begründung zum Fraktionsentwurf (BT-Drucks. 10/4741) entsprechende Erwägungen finden (zutreffend
  573. OLG Koblenz, Urteil vom 29. Juli 2016 - 8 U 11/16, juris Rn. 24; Freise/Bonke,
  574. ZBB 2016, 196, 200 und 201) noch im Wortlaut des § 609a BGB aF Anhaltspunkte dafür zu erkennen sind.
  575. 53
  576. In diesem Zusammenhang kann eine einschränkende Auslegung des
  577. Kündigungsrechts aus § 609a Abs. 1 Nr. 3 BGB aF nicht damit begründet werden, dieses sollte ein Gegengewicht zu dem den Kreditinstituten zustehenden
  578. Zinsbestimmungsrecht bilden (so aber das Berufungsgericht, WM 2016, 1440,
  579. 1444; ferner AG Ludwigsburg, Urteil vom 7. August 2015 - 10 C 1154/15, juris
  580. Rn. 47; Weber, BB 2015, 2185, 2187). Denn das Bestehen eines Zinsbestimmungsrechts des Gläubigers wird in den Materialien zu § 609a BGB aF allein
  581. im Zusammenhang mit dem Kündigungsrecht aus § 609a Abs. 1 Nr. 1 BGB aF,
  582. betreffend die Kündigungsmöglichkeit bei Auslaufen einer vereinbarten Zinsbindung bei festverzinslichen Darlehen, und dem Kündigungsrecht aus § 609a
  583. - 26 -
  584. Abs. 2 BGB aF, betreffend die Kündigung von Darlehen mit einem veränderlichen Zinssatz, nicht aber im Zusammenhang mit dem Kündigungsrecht aus
  585. § 609a Abs. 1 Nr. 3 BGB aF erörtert (vgl. BT-Drucks. 10/4741, S. 22 re. Sp. und
  586. S. 23 li. Sp.; Edelmann/Suchowerskyj, BB 2015, 3079, 3082; Herresthal, ZIP
  587. 2016, 1257, 1261; Welter, WuB 2016, 597, 602).
  588. 54
  589. Für eine in personeller und sachlicher Hinsicht uneingeschränkte Geltung
  590. des § 609a Abs. 1 Nr. 3 BGB aF sprechen auch weitere Erwägungen. Das für
  591. alle Schuldner geltende Kündigungsrecht aus § 247 BGB aF wurde vom Gesetzgeber gerade nicht ersatzlos gestrichen, sondern durch allgemeine Regelungen zur Kündigung von Darlehensverträgen ersetzt. Während in § 609a
  592. Abs. 1 Nr. 2 BGB aF ein besonderes Kündigungsrecht für natürliche Personen
  593. normiert wurde, sollte das Kündigungsrecht aus § 609a Abs. 1 Nr. 3 BGB aF
  594. ausdrücklich für alle festverzinslichen Darlehen gelten (vgl. BT-Drucks.
  595. 10/4741, S. 23 li. Sp.; OLG Celle, WM 2016, 738 f.; OLG Hamm, NJW-RR
  596. 2016, 747 Rn. 13 und ZIP 2016, 1475 f.; Edelmann/Suchowerskyj, BB 2015,
  597. 3079, 3082; Freise/Bonke, ZBB 2016, 196, 200). Es kann auch nicht davon
  598. ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber Kreditinstitute als Darlehensnehmer nicht im Blick hatte (vgl. OLG Köln, WM 2016, 740, 741; Freise/Bonke, ZBB
  599. 2016, 196, 201; aA Weber, ZIP 2015, 961, 965 Fn. 50 und BB 2015, 2185,
  600. 2187). Dagegen spricht, dass mit § 247 Abs. 2 Satz 1 BGB aF ein gesetzlich
  601. verankerter Ausnahmetatbestand für Inhaber- und Orderschuldverschreibungen
  602. aufgehoben wurde, bei dem ausweislich der Begründung des Referentenentwurfs gerade Kreditinstitute als Schuldner im Blickpunkt standen (vgl.
  603. Edelmann/Suchowerskyj, BB 2015, 3079, 3081 Fn. 19). Zudem wurde die Neuregelung nur in einem eng umgrenzten Rahmen disponibel ausgestaltet, ohne
  604. dass Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese Regelung nur versehentlich auf
  605. öffentlich-rechtliche
  606. Gebietskörperschaften
  607. beschränkt
  608. wurde
  609. (vgl.
  610. LG
  611. München I, ZIP 2015, 2360, 2363; LG Nürnberg-Fürth, ZIP 2015, 1870, 1871).
  612. - 27 -
  613. 55
  614. (5) Durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (BGBl. I S. 3138) wurde das Kündigungsrecht aus § 609a Abs. 1
  615. Nr. 3 BGB aF in § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB aF normiert. Eine Einschränkung des
  616. persönlichen Anwendungsbereichs des Kündigungsrechts war damit nicht verbunden. Vielmehr erfolgte nur eine sprachliche Anpassung an die durch das
  617. Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts neu gefasste Diktion des Darlehensrechts, ohne dass hiermit sachliche Änderungen einhergingen (BT-Drucks.
  618. 14/6040, S. 253; Herresthal, ZIP 2016, 1257, 1260).
  619. 56
  620. (6) Auch die nachfolgenden Gesetzesänderungen, welche in zeitlicher
  621. Hinsicht, wie bereits ausgeführt, für die Anwendbarkeit von § 489 Abs. 1 Nr. 3
  622. BGB aF auf den vorliegenden Fall ohne Bedeutung sind, belegen, dass keine
  623. Änderung des persönlichen Anwendungsbereichs in Betracht kommt.
  624. 57
  625. Durch das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie, des zivilrechtlichen Teils der Zahlungsdiensterichtlinie sowie zur Neuordnung der
  626. Vorschriften über das Widerrufs- und Rückgaberecht vom 29. Juli 2009 (BGBl. I
  627. S. 2355) wurde das - vorliegend streitgegenständliche - Kündigungsrecht aus
  628. § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB aF ohne wesentliche inhaltliche Änderung nach § 489
  629. Abs. 1 Nr. 2 BGB verschoben. Dies hatte allein gesetzestechnische Gründe,
  630. weil das bisherige Kündigungsrecht des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB aF aus systematischen Gründen in § 500 Abs. 1 BGB einen neuen Standort fand (vgl. BTDrucks. 16/11643, S. 74 re. Sp.).
  631. 58
  632. In der Folgezeit bis heute hat die Kündigungsvorschrift des § 489 Abs. 1
  633. Nr. 2 BGB keine Änderungen mehr erfahren.
  634. 59
  635. dd) Dass das Kündigungsrecht aus § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB aF (auch)
  636. Bausparkassen zusteht, wird durch eine teleologische Auslegung der Norm bestätigt.
  637. - 28 -
  638. 60
  639. Ebenso wie § 247 BGB aF als reine Schuldnerschutzbestimmung ausgelegt war, lag auch dem Kündigungsrecht aus § 609a Abs. 1 Nr. 3 BGB aF die
  640. für § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB aF fortgeltende Erwägung zugrunde, dass ein
  641. Schuldner bei allen festverzinslichen Darlehen spätestens nach Ablauf von
  642. zehn Jahren die Möglichkeit haben soll, sich durch Kündigung von dem Vertrag
  643. und damit von einer Bindung an einen nicht mehr marktgerechten Zinssatz zu
  644. lösen. Dies gilt auch für das Einlagengeschäft der Bausparkassen (so auch
  645. OLG Celle, WM 2016, 738 f. und BKR 2016, 509 Rn. 42; OLG Frankfurt/Main,
  646. WM 2016, 2070, 2071; OLG Hamm, NJW-RR 2016, 747 Rn. 13; OLG Köln,
  647. WM 2016, 740, 741; LG München I, ZIP 2015, 2360, 2361 f.; LG Stuttgart, ZIP
  648. 2015, 2363, 2364; Edelmann/Suchowerskyj, BB 2015, 1800, 1801 und BB
  649. 2015, 3079, 3081; Freise/Bonke, ZBB 2016, 196, 200; Herresthal, ZIP 2016,
  650. 1257, 1259; Kruis, ZIP 2017, 270 f.; Rollberg, EWiR 2016, 3; Servatius, ZfIR
  651. 2016, 649, 657; aA AG Ludwigsburg, Urteil vom 7. August 2015 - 10 C 1154/15,
  652. juris Rn. 40 ff.; Weber, ZIP 2015, 961, 965, BB 2015, 2185, 2187 f. und BB
  653. 2016, 584, 586).
  654. 61
  655. (1) Es liegt im Interesse der Bausparkasse, Bausparverträge kündigen zu
  656. können, bei denen nicht mehr marktgerechte Einlagenzinsen vereinbart sind
  657. (vgl. OLG Celle, WM 2016, 738 f.; OLG Hamm, ZIP 2016, 1475, 1476; OLG
  658. Koblenz, Urteil vom 29. Juli 2016 - 8 U 11/16, juris Rn. 25; LG München I, ZIP
  659. 2015, 2360, 2361 f.; Bergmann, WM 2016, 2153; Edelmann/Suchowerskyj, BB
  660. 2015, 3079, 3081; Freise/Bonke, ZBB 2016, 196, 200 f.; Salger, jurisPR-BKR
  661. 7/2016 Anm. 3). Bei Abschluss des Bausparvertrages kann eine künftige Zinsentwicklung nicht sicher prognostiziert werden, so dass Fehleinschätzungen die
  662. Bausparkassen nachteilig betreffen (vgl. Mülbert/Schmitz in Festschrift Horn,
  663. 2006, S. 777, 784; dies konzediert auch Weber, ZIP 2015, 961, 965 und BB
  664. 2015, 2185, 2187). Gerade dieses Interesse des Darlehensnehmers an der
  665. Möglichkeit, sich von einer langfristigen Zinsbindung spätestens nach zehn Jah-
  666. - 29 -
  667. ren lösen zu können, soll durch das Kündigungsrecht aus § 489 Abs. 1 Nr. 3
  668. BGB aF befriedigt werden.
  669. 62
  670. (2) Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass ein Schutz der
  671. Bausparkassen nicht bezweckt sei, weil diese gemäß § 5 Abs. 3 Nr. 7
  672. BauSparkG ein entsprechendes Kündigungsrecht in ihren Allgemeinen Bausparbedingungen hätten vorsehen können (so das Berufungsgericht, WM 2016,
  673. 1440, 1446; Weber, ZIP 2015, 961, 964 und BB 2015, 2185, 2187). Es ist nichts
  674. dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber Bausparkassen auf einen Selbstschutz
  675. durch Ausbedingung eines Kündigungsrechts hat verweisen wollen (vgl. OLG
  676. Koblenz, Urteil vom 29. Juli 2016 - 8 U 11/16, juris Rn. 30). Ganz im Gegenteil
  677. ist das Kündigungsrecht aus § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB aF gemäß § 489 Abs. 4
  678. Satz 1 BGB aF zwingend ausgestaltet und bedarf damit keiner Vereinbarung.
  679. 63
  680. (3) Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, inwieweit die Beklagte die Möglichkeit hat, gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 BauSparkG ihre Allgemeinen Bausparbedingungen mit aufsichtsrechtlicher Genehmigung auch mit Wirkung für bestehende Verträge zu ändern, ungeachtet des Umstandes, dass es
  681. sich insoweit ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs zum Entwurf
  682. eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Bausparkassen um eine subsidiäre Maßnahme handelt (vgl. BT-Drucks. 11/8089, S. 19 li. Sp.; OLG Celle,
  683. Beschluss vom 3. März 2016 - 3 U 202/15, juris Rn. 37; Freise/Bonke, ZBB
  684. 2016, 196, 198; Herresthal, ZIP 2016, 1257, 1261 f.). Von daher ist eine Bausparkasse auch nicht gehalten, vorrangig eine aufsichtsrechtlich genehmigte
  685. Herabsetzung des Guthabenzinses herbeizuführen (vgl. Freise/Bonke, ZBB
  686. 2016, 196, 205).
  687. 64
  688. ee) Entgegen einer von Teilen in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansicht kommt eine teleologische Reduktion von § 489 Abs. 1 Nr. 3
  689. - 30 -
  690. BGB aF dahin, Kreditinstitute wie Bausparkassen aus dem Anwendungsbereich
  691. der Norm herauszunehmen, nicht in Betracht (so aber das Berufungsgericht,
  692. WM 2016, 1440, 1442; Weber, ZIP 2015, 961, 965, BB 2015, 2185, 2188 und
  693. BB 2016, 584, 586; Tröger/Kelm, NJW 2016, 2839, 2843).
  694. 65
  695. Eine Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion setzt eine
  696. verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des
  697. Gesetzes voraus (vgl. nur BGH, Urteil vom 26. November 2008 - VIII ZR
  698. 200/05, BGHZ 179, 27 Rn. 22). Von dem planwidrigen Fehlen eines Ausnahmetatbestandes für Bausparkassen in der Vorschrift des § 489 Abs. 1 Nr. 3
  699. BGB aF kann indes nicht ausgegangen werden (so auch OLG Hamm, ZIP
  700. 2016, 1475, 1476; OLG Koblenz, Urteil vom 29. Juli 2016 - 8 U 11/16, juris
  701. Rn. 17; Edelmann/Suchowerskyj, BB 2015, 1800, 1803 und BB 2015, 3079;
  702. Freise/Bonke, ZBB 2016, 196, 201; Herresthal, ZIP 2016, 1257, 1261).
  703. 66
  704. (1) Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift und ihrem Regelungszweck kann entgegen der Ansicht der Befürworter einer teleologischen Reduktion der Norm nicht abgeleitet werden, dass der Gesetzgeber mit dem Kündigungsrecht aus § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB aF nur den Schutz eines wirtschaftlich
  705. schwächeren Darlehensnehmers gegenüber einem wirtschaftlich stärkeren Darlehensgeber bezweckt habe (so aber das Berufungsgericht, WM 2016, 1440,
  706. 1444 f.; Weber, ZIP 2015, 961, 965, BB 2015, 2185, 2186 f. und BB 2016, 584,
  707. 586). Das Gegenteil ist der Fall. Wie oben zu Sinn und Zweck des § 489 Abs. 1
  708. Nr. 3 BGB aF und seiner Vorgängernormen im Einzelnen dargelegt worden ist,
  709. soll das Kündigungsrecht auch Bausparkassen zustehen.
  710. 67
  711. (2) Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung und einer vereinzelt in
  712. der Rechtsprechung vertretenen Ansicht (vgl. LG Karlsruhe, Urteil vom
  713. 9. Oktober 2015 - 7 O 126/15, juris Rn. 25) steht einer Anwendbarkeit des
  714. - 31 -
  715. § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB aF auch nicht entgegen, dass sich eine Bausparkasse
  716. mit einer auf diese Norm gestützten Kündigung des Bausparvertrages ihrer Rolle als Darlehensgeberin des Bausparers entzieht. Dabei wird übersehen, dass
  717. - was bereits oben dargelegt worden ist - die Bausparkasse in der Ansparphase
  718. nur Darlehensnehmerin des Bausparers ist. Der weitere Einwand, dass eine
  719. Teilkündigung von Vertragsverhältnissen nur in Betracht komme, wenn das Gesetz dies vorsehe (vgl. LG Karlsruhe, aaO), trifft ebenfalls nicht zu; denn mit der
  720. Anwendung des Kündigungsrechts aus § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB aF auf den
  721. Bausparvertrag wird das Vertragsverhältnis - wie unten näher ausgeführt - insgesamt beendet.
  722. 68
  723. ff) Das Kündigungsrecht aus § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB aF ist auch nicht
  724. auf Grund einer - hier ohnehin nicht gegebenen - abschließenden Regelung der
  725. Kündigungsrechte in den Allgemeinen Bausparbedingungen ausgeschlossen
  726. (so aber Buhl/Münder, NJW 2016, 1991, 1992). Gemäß § 489 Abs. 4 Satz 1
  727. BGB aF ist es zwingendes Recht (vgl. OLG Celle, WM 2016, 738, 739; OLG
  728. Frankfurt/Main, WM 2016, 2070, 2072; OLG Hamm, NJW-RR 2016, 747 Rn. 15
  729. und ZIP 2016, 1475, 1476; OLG Köln, WM 2016, 740, 741 f.). Erst recht scheidet aufgrund des Normzwecks des § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB aF eine analoge
  730. Anwendung des Ausnahmetatbestands des § 489 Abs. 4 Satz 2 BGB aF auf
  731. Bausparkassen aus (vgl. LG München I, ZIP 2016, 2360, 2363; LG
  732. Nürnberg-Fürth, ZIP 2015, 1870, 1871 f.).
  733. 69
  734. b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des Kündigungsrechts aus § 489 Abs. 1 Nr. 3
  735. BGB aF erfüllt.
  736. 70
  737. aa) Das der Bausparkasse gewährte Darlehen weist einen festen Zinssatz auf, weil bereits bei Vertragsschluss der Guthabenzins für die Dauer der
  738. - 32 -
  739. Ansparphase in Höhe von 3% p.a. fest vereinbart worden ist (vgl. OLG Celle,
  740. WM 2016, 738, 739; LG Stuttgart, ZIP 2015, 2363, 2365; Herresthal, ZIP 2016,
  741. 1257, 1263).
  742. 71
  743. bb) Auch die weitere Voraussetzung des § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB aF, der
  744. Ablauf von zehn Jahren nach dem vollständigen Empfang des Darlehens, ist
  745. erfüllt, weil der Bausparvertrag der Klägerin zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung im Januar 2015 seit mehr als zehn Jahren zuteilungsreif war, nachdem
  746. die erstmalige Zuteilungsreife am 1. April 1993 eingetreten war.
  747. 72
  748. (1) Nach fast einhelliger Meinung in der Instanzrechtsprechung und Literatur ist bei Bausparverträgen von einem vollständigen Empfang des Darlehens
  749. im Zeitpunkt der erstmaligen Zuteilungsreife auszugehen (vgl. OLG Celle, WM
  750. 2016, 738, 739 und BKR 2016, 509, 512; OLG Düsseldorf, Urteil vom 1. Dezember 2016 - 6 U 124/16, juris Rn. 37; OLG Frankfurt/Main, WM 2016, 2070,
  751. 2072 f.; OLG Hamm, ZIP 2016, 306, 307, NJW-RR 2016, 747 Rn. 17 und ZIP
  752. 2016, 1475, 1476; OLG Koblenz, Urteil vom 29. Juli 2016 - 8 U 11/16, juris
  753. Rn. 45; OLG Köln, WM 2016, 740, 741; OLG München, Urteile vom 27. September 2016 - 5 U 1637/16, juris Rn. 35 und vom 17. Oktober 2016 - 17 U
  754. 2643/16, juris Rn. 20; LG Aachen, Urteil vom 29. Mai 2015 - 10 O 404/14, juris
  755. Rn. 20; LG Bremen, Urteil vom 12. August 2016 - 4 S 47/16, juris Rn. 22; LG
  756. Düsseldorf, Urteil vom 8. April 2016 - 8 O 109/15, juris Rn. 25; LG Hamburg,
  757. Urteil vom 24. März 2016 - 330 O 314/15, juris Rn. 27; LG Hannover, Urteil vom
  758. 10. September 2015 - 3 O 59/15, juris Rn. 29; LG Mainz, WM 2015, 181 f.; LG
  759. München I, ZIP 2015, 2360, 2362; LG Münster, Urteil vom 25. August 2015
  760. - 14 O 183/15, juris Rn. 28; LG Nürnberg-Fürth, ZIP 2015, 1870, 1871; LG
  761. Osnabrück, Urteil vom 21. August 2015 - 7 O 545/15, juris Rn. 21; LG
  762. Stralsund, Urteil vom 3. Februar 2016 - 7 O 264/15, juris Rn. 16; Batereau,
  763. WuB 2016, 76, 78; Edelmann/Suchowerskyj, BB 2015, 1800, 1803 und BB
  764. - 33 -
  765. 2015, 3079, 3083; Flick, jurisPR-BKR 5/2016 Anm. 5; Freise/Bonke, ZBB 2016,
  766. 196, 203; Herresthal, ZIP 2016, 1257, 1262 ff.; Kruis, ZIP 2017, 270, 271 f.;
  767. Mülbert/Schmitz in Festschrift Horn, 2006, S. 777, 785 f.; Staudinger/Mülbert,
  768. BGB, Neubearb. 2015, § 488 Rn. 550; Rollberg, EWiR 2016, 3, 4; Salger,
  769. jurisPR-BKR 7/2016 Anm. 3; Schultheiß, WuB 2015, 139, 142; Servatius, ZfIR
  770. 2016, 649, 658; Simon, EWiR 2015, 723, 724; Welter, WuB 2016, 592, 596 und
  771. WuB 2017, 11, 13).
  772. 73
  773. (2) Demgegenüber geht eine Mindermeinung, der im Ergebnis auch das
  774. Berufungsgericht folgt, davon aus, dass das Darlehen von der Bausparkasse
  775. erst dann vollständig empfangen sei, wenn der Bausparer die volle Bausparsumme angespart hat (vgl. OLG Bamberg, WM 2016, 2067, 2069; OLG
  776. Karlsruhe, Urteil vom 8. November 2016 - 17 U 185/15, juris Rn. 48; LG
  777. Stuttgart, ZIP 2015, 2363, 2366; von Stumm, GWR 2015, 357, 359).
  778. 74
  779. (3) Eine dritte Meinung geht davon aus, es fehle bei einem Bausparvertrag an einer Vereinbarung über die Höhe der zu gewährenden Darlehensvaluta; dieser könne daher sogar "überspart" werden (vgl. AG Ludwigsburg, Urteil
  780. vom 7. August 2015 - 10 C 1154/15, juris Rn. 85 ff.; BeckOGK/C. Weber BGB,
  781. Stand: 1. Juli 2016, § 489 Rn. 49.1; ders., ZIP 2015, 961, 964 f.; im Ergebnis
  782. zustimmend: Fuchs in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 12. Aufl., (10)
  783. Bausparbedingungen Rn. 9).
  784. 75
  785. (4) Nach einer vierten Ansicht sei - jedenfalls der Sache nach - jeder einzelne Regelsparbeitrag als vollständig empfangenes Darlehen zu behandeln, so
  786. dass für jeden einzelnen gezahlten Beitrag die zehnjährige Frist des § 489
  787. Abs. 1 Nr. 3 BGB aF zu laufen beginne (vgl. Bergmann, WM 2016, 2153,
  788. 2168 f.).
  789. - 34 -
  790. 76
  791. (5) Der Senat hält jedenfalls für den Regelfall die fast einhellig vertretene
  792. Auffassung für richtig.
  793. 77
  794. (a) Der vollständige Empfang eines Darlehens im Sinne von § 489 Abs. 1
  795. Nr. 3 BGB aF setzt die Auszahlung der Darlehensvaluta und damit die Erfüllung
  796. des Anspruchs auf Darlehensvalutierung voraus. Sind Teilzahlungen vereinbart,
  797. ist der Erhalt der letzten Rate maßgeblich (vgl. MünchKommBGB/Berger,
  798. 7. Aufl., § 489 Rn. 12; Staudinger/Mülbert, BGB, Neubearb. 2015, § 489 Rn. 43;
  799. BeckOGK/C. Weber BGB, Stand: 1. Juli 2016, § 489 Rn. 47; Palandt/
  800. Weidenkaff, BGB, 76. Aufl., § 489 Rn. 5).
  801. 78
  802. Zur Beurteilung der Frage, wann die geschuldete Darlehensvaluta vollständig ausgezahlt worden ist, kommt es auf die vertraglichen Vereinbarungen
  803. über die Pflicht des Bausparers zur Darlehensgewährung und den Vertragszweck an. Danach ist ein vollständiger Empfang des Darlehens im Sinne des
  804. § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB aF im Regelfall im Zeitpunkt der erstmaligen Zuteilungsreife des Bauspardarlehens anzunehmen.
  805. 79
  806. Zu diesem Zeitpunkt hat der Bausparer der Bausparkasse durch die Zahlung der Regelsparbeiträge einschließlich der Gutschrift von Zinserträgen vereinbarungsgemäß ein Darlehen vollständig gewährt und seine entsprechende
  807. vertragliche Verpflichtung erfüllt. Beim Bausparvertrag ist typischerweise zwischen zwei Phasen zu unterscheiden, nämlich zwischen der Zeit bis zur Erreichung der erstmaligen Zuteilungsreife und der Zeit danach. Gemäß § 1 Abs. 2
  808. BauSparkG ist Bausparer, wer mit einer Bausparkasse einen Vertrag schließt,
  809. durch den er nach Leistung von Bauspareinlagen einen Anspruch auf Gewährung eines Bauspardarlehens erwirbt. Die vom Bausparer zu erbringenden
  810. Sparleistungen sind demnach - was auch § 1 ABB deutlich belegt - zweckgebunden, um einen Anspruch auf Darlehensgewährung zu erlangen (vgl. OLG
  811. - 35 -
  812. Frankfurt/Main, WM 2016, 2070, 2072 f.). Hiermit einher geht die Gewährung
  813. eines entsprechenden Zweckdarlehens an die Bausparkasse. Da nach dem
  814. Bausparvertrag - was oben bereits ausgeführt worden ist - lediglich ein Anspruch auf Gewährung eines Darlehens und nicht der Abschluss des Darlehensvertrags selbst erlangt wird, ist es für die Frage der Zweckerreichung unerheblich, ob der Bausparer ein Bauspardarlehen tatsächlich in Anspruch nimmt.
  815. 80
  816. Maßgeblich ist vielmehr im Regelfall die erstmalige Zuteilungsreife, denn
  817. (nur) zu diesem Zeitpunkt kann auch der maximal mögliche Darlehensbetrag
  818. - die Differenz zwischen Bausparguthaben und Bausparsumme - beansprucht
  819. werden. Sie bildet den Dreh- und Angelpunkt des Bausparvertrages (vgl. Laux,
  820. Der Bausparvertrag als Kapitalanlage und Finanzierungsinstrument in Frankfurter Vorträge zum Versicherungswesen Bd. 23, S. 8; Zink, Der Bausparvertrag,
  821. 3. Aufl., S. 45) und ermöglicht dem Bausparer, von der Rolle des Darlehensgebers in diejenige des Darlehensnehmers zu wechseln. Die erstmalige Zuteilungsreife stellt daher bestimmungsgemäß eine Zäsur im typischen Ablauf eines Bausparvertrags dar. Dies unterstreicht die Regelung in § 14 Abs. 1 ABB,
  822. wonach der Vertrag mit der Nichtannahme der Zuteilung ausdrücklich fortgesetzt wird, obwohl an sich ein Endzeitpunkt erreicht ist.
  823. 81
  824. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn nach den vertraglichen Vereinbarungen der Bausparer z.B. im Falle eines (zeitlich begrenzten) Verzichts auf
  825. das zugeteilte Bauspardarlehen und nach Ablauf einer bestimmten Treuezeit
  826. einen (Zins-)Bonus erhält. In einem solchen Fall ist der Vertragszweck von den
  827. Vertragsparteien dahingehend modifiziert, dass er erst mit Erlangung des Bonus erreicht ist, so dass auch erst zu diesem Zeitpunkt ein vollständiger Empfang des Darlehens im Sinne des § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB aF anzunehmen ist.
  828. - 36 -
  829. 82
  830. (b) Der Schutzzweck des § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB aF spricht ebenfalls
  831. dafür, den vollständigen Empfang des Darlehens im Regelfall im Zeitpunkt der
  832. erstmaligen Zuteilungsreife des Bauspardarlehens anzunehmen.
  833. 83
  834. (aa) Im Hinblick darauf, dass die Bausparkasse hinsichtlich des Zweckdarlehens einer langfristigen Zinsbindung unterliegt und der zu entrichtende
  835. Guthabenzins zwischenzeitlich nicht mehr marktgerecht sein kann, soll ihr als
  836. Darlehensnehmerin des "Anspardarlehens" das Kündigungsrecht nach § 489
  837. Abs. 1 Nr. 3 BGB aF eine Beendigung des Darlehensvertrages ermöglichen,
  838. um sich von einem nicht mehr marktgerechten Zinssatz zu lösen. Aufgrund
  839. dessen ist es geboten, den in dieser Vorschrift normierten 10-Jahres-Zeitraum
  840. mit dem Ende der Ansparphase beginnen zu lassen.
  841. 84
  842. Berechtigte Interessen des Bausparers stehen dem nicht entgegen, insbesondere nicht der Umstand, dass er durch die Kündigung seinen Anspruch
  843. auf Gewährung eines Bauspardarlehens verliert (so aber von Stumm, GWR
  844. 2015, 357, 359; Yildirim, VuR 2015, 257, 260). Zwar steht dem Bausparer - wie
  845. zu § 488 Abs. 3 BGB aF ausgeführt - ausweislich der ABB bei vertragsgemäßer
  846. Erbringung der Ansparleistungen grundsätzlich ein Anspruch auf Gewährung
  847. eines Bauspardarlehens zu, der einen stillschweigend vereinbarten Ausschluss
  848. des gesetzlichen Kündigungsrechts aus § 488 Abs. 3 BGB aF bedingt, weil anderenfalls die Bausparkasse dem Bausparer jederzeit den bedingungsgemäßen
  849. Anspruch auf Gewährung eines Bauspardarlehens entziehen könnte. Sind seit
  850. der erstmaligen Zuteilungsreife aber zehn Jahre vergangen, hat der Bausparer
  851. - ungeachtet der ebenfalls einzuhaltenden Kündigungsfrist von sechs Monaten eine dem Zweck des Bausparvertrags entsprechende ausreichend lange Überlegungsfrist, um zu entscheiden, ob er das Bauspardarlehen in Anspruch nehmen will, und insoweit zu disponieren (vgl. Freise/Bonke, ZBB 2016, 196, 205).
  852. - 37 -
  853. Eine jederzeitige Kündigungsmöglichkeit der Bausparkasse besteht - anders als
  854. bei § 488 Abs. 3 BGB aF - gerade nicht.
  855. 85
  856. (bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts folgt nichts anderes daraus, dass eine Bausparkasse grundsätzlich ein Interesse daran hat,
  857. langfristig Einlagen von Bausparern entgegenzunehmen, um diese an andere
  858. Bausparer als Bauspardarlehen wieder auszureichen. Denn eine Kündigung
  859. durch die Bausparkasse läuft entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht
  860. dem Wesen des Bausparens zuwider, weil Einlagen nicht zu jedem Preis entgegengenommen werden können. Es liegt vielmehr, wie bereits oben ausgeführt worden ist, im Ertragsinteresse der Bausparkasse, Verträge mit einem
  861. nicht mehr marktgerechten Einlagenzins zu kündigen. Das Kündigungsrecht
  862. aus § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB aF soll der Bausparkasse gerade die Entscheidung
  863. in die Hand geben, ob sie das Darlehen des Bausparers kündigen oder dessen
  864. Einlagen weiter verzinsen will.
  865. 86
  866. Anders als das Berufungsgericht meint, ist es auch nicht von Belang,
  867. dass die Voraussetzungen des Kündigungsrechts nach § 489 Abs. 1 Nr. 3
  868. BGB aF nicht hätten eintreten können, wenn die Bausparkasse die Erbringung
  869. der nach Zuteilungsreife fälligen Regelsparbeiträge verlangt und gegebenenfalls den Vertrag nach § 488 Abs. 3 BGB aF oder gemäß § 5 Abs. 3 ABB wegen
  870. Zahlungsverzuges gekündigt hätte. Das mögliche Bestehen dieser Kündigungsrechte schließt das Kündigungsrecht aus § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB aF nicht aus.
  871. Dagegen spricht bereits, dass dieses Recht gemäß § 489 Abs. 4 Satz 1
  872. BGB aF nicht zur Disposition der Vertragsparteien steht. Zudem kann der Umstand, dass die Klägerin die monatlichen Sparraten entgegen § 5 Abs. 1 ABB
  873. nicht mehr gezahlt hat, nicht dazu führen, dass das Kündigungsrecht der Beklagten entfällt (OLG Frankfurt/Main, WM 2016, 2070, 2072; OLG Hamm,
  874. NJW-RR 2016, 747 Rn. 20).
  875. - 38 -
  876. 87
  877. (c) Einer Gleichsetzung der erstmaligen Zuteilungsreife mit einer vollständigen Darlehensgewährung steht nicht entgegen, dass die genaue Höhe
  878. des zu gewährenden Zweckdarlehens im Vorfeld nicht betragsmäßig bestimmt
  879. ist (vgl. Salger, jurisPR-BKR 7/2016 Anm. 3; aA AG Ludwigsburg, Urteil vom
  880. 7. August 2015 - 10 C 1154/15, juris Rn. 86 f.; BeckOGK/C. Weber BGB, Stand:
  881. 1. Juli 2016, § 489 Rn. 49.1 f.; ders., ZIP 2015, 961, 964 f.). Ein fester Darlehensbetrag kann nicht vereinbart werden, weil es der Bausparkasse gemäß § 4
  882. Abs. 5 BauSparkG untersagt ist, die Bausparsumme vor der Zuteilung zu einem
  883. bestimmten Zeitpunkt zuzusagen. Aus dem gleichen Grunde kommt es nicht
  884. darauf an, dass der Zeitpunkt der erstmaligen Zuteilungsreife nicht kalendarisch
  885. bestimmt ist (vgl. Herresthal, ZIP 2016, 1257, 1263; Mülbert/Schmitz in Festschrift Horn, 2006, S. 777, 787 f.). Trotz dieser Ungewissheit fehlt es nicht an
  886. einer hinreichend bestimmten Leistungspflicht des Bausparers zur Darlehensgewährung, weil deren Umfang anhand der Bestimmungen der Regelungen in
  887. den Allgemeinen Bausparbedingungen über die Zuteilungsreife bestimmt werden kann.
  888. 88
  889. c) Die Kündigung ist am 12. Januar 2015 mit Wirkung zum 24. Juli 2015
  890. erklärt worden, so dass auch die sechsmonatige Kündigungsfrist des § 489
  891. Abs. 1 Nr. 3 BGB aF gewahrt worden ist. Der Kündigung kommt nach dem
  892. Rechtsgedanken des § 139 BGB Gesamtwirkung zu, weil die Fortführung des
  893. Bausparvertrages ohne das Zweckdarlehen nicht sinnvoll möglich ist. Denn der
  894. Anspruch des Bausparers auf Gewährung eines Bauspardarlehens ist an die
  895. Höhe des Differenzbetrages zwischen Bausparguthaben und Bausparsumme
  896. geknüpft (vgl. Herresthal, ZIP 2016, 1257, 1263).
  897. 89
  898. Die Kündigung des Bausparvertrages gilt auch nicht gemäß § 489 Abs. 3
  899. BGB aF als nicht erfolgt. Da die Parteien gerade um die Wirksamkeit der Kündigung streiten, kann sich die Klägerin - was sie im Übrigen auch nicht getan
  900. - 39 -
  901. hat - auf diese Vorschrift nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242
  902. BGB) auf Grund eines widersprüchlichen Verhaltens nicht berufen.
  903. 90
  904. 5. Der Beklagten steht - was das Berufungsgericht zutreffend erkannt
  905. hat - dagegen kein Kündigungsrecht gemäß § 490 Abs. 3 BGB aF, § 314 Abs. 1
  906. BGB zu. Ein die Kündigung rechtfertigender wichtiger Grund liegt nur vor, wenn
  907. dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls
  908. und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertrages nicht zugemutet werden kann. Dies ist hier nicht der Fall.
  909. 91
  910. a) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass ein
  911. wichtiger Grund für die Kündigung des Bausparvertrages nicht darin gesehen
  912. werden kann, dass die Klägerin trotz mehr als zehnjähriger Zuteilungsreife kein
  913. Bauspardarlehen in Anspruch genommen hat. Dafür fehlt es bereits an einer
  914. entsprechenden vertraglichen Verpflichtung (Buhl/Münder, NJW 2016, 1991,
  915. 1995; Tröger/Kelm, NJW 2016, 2839, 2845). Ein Bausparer verhält sich auch
  916. nicht vertragszweckwidrig, wenn er das Darlehen (noch) nicht in Anspruch
  917. nimmt und den Bausparvertrag weiter bespart (Buhl/Münder, aaO; Tröger/Kelm,
  918. aaO; aA LG Mainz, WM 2015, 181, 182; Edelmann/Suchowerskyj, BB 2015,
  919. 1800, 1806). Der Zweck des Bausparvertrages besteht - was bereits oben ausgeführt worden ist - aus der Sicht des Bausparers nur in der Erlangung eines
  920. Anspruchs auf Gewährung eines Bauspardarlehens. Dieser Zweck wird indes
  921. nicht in Frage gestellt, wenn der erlangte Anspruch nicht geltend gemacht wird.
  922. Es kann in diesem Zusammenhang auch nicht darauf abgestellt werden, dass
  923. das Prinzip des kollektiven Bausparens auf dem Gedanken beruht, dass dieselbe Personengruppe zunächst als Darlehensgeber und später als Darlehensnehmer agiert (vgl BT-Drucks. IV/2747 S. 9 und BT-Drucks. VI/1900, S. 10) und
  924. der Bausparer gemäß § 1 Abs. 2 Satz 3 BauSparkG Mitglied des Bausparerkollektivs ist. Denn hieraus kann keine Pflicht abgeleitet werden, ein Bauspardar-
  925. - 40 -
  926. lehen in Anspruch zu nehmen, weil dies § 14 Abs. 1 ABB zuwiderliefe, der gerade die Fortsetzung des Vertrages bei Nichtannahme der Zuteilung regelt.
  927. 92
  928. b) Ein wichtiger Grund liegt auch nicht in der Änderung des allgemeinen
  929. Zinsniveaus seit dem Abschluss des Bausparvertrags im Jahr 1978. Im Allgemeinen müssen die Gründe, auf die die Kündigung gestützt wird, im Risikobereich des Kündigungsgegners liegen; andernfalls ist eine fristlose Kündigung
  930. nur ausnahmsweise gerechtfertigt (vgl. BGH, Urteile vom 31. Mai 2016 - XI ZR
  931. 370/15, WM 2016, 1293 Rn. 35 und vom 4. Mai 2016 - XII ZR 62/15, WM 2016,
  932. 1360 Rn. 12; Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl., § 314 Rn. 7). Das Risiko von
  933. Änderungen des allgemeinen Zinsniveaus übernimmt bei Darlehensverträgen
  934. mit einer Festzinsvereinbarung jeweils der Vertragspartner, zu dessen Lasten
  935. die Zinsänderung geht. Dies ist vorliegend die Bausparkasse (vgl. Edelmann/
  936. Suchowerskyj, BB 2015, 1800, 1806; Herresthal, ZIP 2016, 1257, 1265; Tröger/
  937. Kelm, NJW 2016, 2839, 2845, aA Bergmann, WM 2016, 2153, 2159).
  938. 93
  939. 6. Ein Recht zur Kündigung des Bausparvertrages folgt auch nicht aus
  940. § 490 Abs. 3 BGB aF, § 313 Abs. 1 und 3 BGB.
  941. 94
  942. Es kann dahinstehen, ob - was das Berufungsgericht in Erwägung gezogen hat - die Absicht der Klägerin, ein Bauspardarlehen in Anspruch zu nehmen, oder das Gleichgewicht zwischen Bauspareinlagen und Bauspardarlehen
  943. überhaupt zur Geschäftsgrundlage des zwischen den Parteien geschlossenen
  944. Bausparvertrags geworden ist. Auch kommt es nicht darauf an, ob das allgemeine Zinsniveau am Kapitalmarkt Geschäftsgrundlage des Vertrages war (vgl.
  945. Herresthal, ZIP 2016, 1257, 1265 f.; von Stumm, GWR 2015, 357, 359) und ob
  946. diese durch die gegenwärtige Niedrigzinsphase gestört worden ist oder ob dem
  947. nicht die vertragliche Risikoverteilung auf Grund der festen Zusage eines Guthabenzinses für die Ansparphase gemäß § 6 Abs. 1 ABB entgegensteht (vgl.
  948. - 41 -
  949. Buhl/Münder, NJW 2016, 1991, 1995; Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl., § 313
  950. Rn. 36; Herresthal, aaO; von Stumm, aaO; Tröger/Kelm, NJW 2016, 2839,
  951. 2844). Denn vor einer Kündigung wäre gemäß § 490 Abs. 3 BGB aF, § 313
  952. Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 BGB vorrangig eine Anpassung des Vertrages
  953. durch
  954. eine
  955. Herabsetzung
  956. des
  957. Guthabenzinssatzes
  958. vorzunehmen
  959. (aA
  960. Edelmann/Suchowerskyj, BB 2015, 1800, 1806). Dass eine solche Anpassung
  961. des Guthabenzinses nicht möglich oder der Beklagten nicht zumutbar wäre,
  962. was Voraussetzung für ein Recht zur Kündigung nach § 313 Abs. 3 BGB ist,
  963. zeigt die Revision nicht auf und ist auch im Übrigen nicht erkennbar.
  964. III.
  965. 95
  966. Das Berufungsurteil ist demnach im ausgeurteilten Umfang aufzuheben
  967. (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende
  968. Urteil des Landgerichts insgesamt zurückzuweisen. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil die Sache entscheidungsreif ist (§ 563 Abs. 3
  969. ZPO). Das Berufungsgericht hat die erforderlichen Feststellungen getroffen.
  970. 96
  971. Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht keine Feststellungen zu dem unter Beweis gestellten Vortrag der Klägerin getroffen hat, dass der
  972. von ihr abgeschlossene Bausparvertrag von der Beklagten alternativ zum Bauspardarlehen auch als "Altersvorsorge" angepriesen worden sei. Dieser Vortrag
  973. als wahr unterstellt führt nicht dazu, dass das Feststellungsbegehren der Klägerin begründet ist. Vielmehr ist der mit der Beklagten geschlossene Bausparvertrag auch dann durch die am 12. Januar 2015 erklärte Kündigung mit Wirkung
  974. zum 24. Juli 2015 beendet worden. Die Anpreisung des Bausparvertrages als
  975. Altersvorsorge alternativ zur Inanspruchnahme des Bauspardarlehens bedeutet
  976. nicht, dass das - ohnehin unabdingbare - Kündigungsrecht der Beklagten ge-
  977. - 42 -
  978. mäß § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB aF ausgeschlossen ist. Denn die Anpreisung als
  979. Altersvorsorge ändert ungeachtet ihres ohnehin nur werbenden Charakters
  980. nichts daran, dass die Klägerin der Beklagten mit der Erbringung ihrer Sparbeiträge ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Zuteilungsreife ein Zweckdarlehen vollständig gewährt hat, um einen Anspruch auf Gewährung eines Bauspardarlehens zu erlangen. Da bedingungsgemäß keine Verpflichtung besteht, das Bauspardarlehen in Anspruch zu nehmen, geht mit dem Ansparvorgang zwangsläufig die Bildung eines Kapitalstocks einher, welcher als Rücklage der Altersvorsorge dienen kann. Zur Erreichung dieses Zwecks ist die unbefristete und von
  981. Seiten der Bausparkasse unkündbare Fortsetzung des Ansparvorgangs aber
  982. nicht erforderlich.
  983. Ellenberg
  984. Grüneberg
  985. Menges
  986. Maihold
  987. Derstadt
  988. Vorinstanzen:
  989. LG Stuttgart, Entscheidung vom 15.09.2015 - 25 O 89/15 OLG Stuttgart, Entscheidung vom 30.03.2016 - 9 U 171/15 -
  990. Bundesgerichtshof
  991. XI. Zivilsenat
  992. Geschäftsstelle
  993. XI ZR 185/16
  994. Schreibfehlerberichtigung
  995. In Sachen
  996. wird das Urteil vom 21. Februar 2017 dahingehend berichtigt, dass es auf Seite 42 in
  997. der Unterschriftenleiste statt Ellenberg richtig heißen muss:
  998. "Ellenberger"
  999. Karlsruhe, 29.3.2017
  1000. Geschäftsstelle des XI. Zivilsenats
  1001. Weber, Justizamtsinspektorin
  1002. ECLI:DE:BGH:2017:290317VXIZR185.16.0