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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. XI ZB 6/04
  4. vom
  5. 9. November 2004
  6. in dem Rechtsstreit
  7. Nachschlagewerk: ja
  8. BGHZ:
  9. ja
  10. BGHR:
  11. ja
  12. _____________________
  13. ZPO (1.1.2002) § 520 Abs. 2 Satz 2
  14. Die Einwilligung des Berufungsbeklagten in die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bedarf nicht der Schriftform, sondern kann vom Prozeßbevollmächtigten des Berufungsklägers eingeholt und gegenüber dem Gericht anwaltlich versichert werden.
  15. BGH, Beschluß vom 9. November 2004 - XI ZB 6/04 - KG Berlin
  16. LG Berlin
  17. -2-
  18. Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
  19. Richter Nobbe, den Richter Dr. Joeres, die Richterin Mayen sowie die
  20. Richter Dr. Appl und Dr. Ellenberger
  21. am 9. November 2004
  22. beschlossen:
  23. Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluß des 14. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 2. Dezember 2003 aufgehoben.
  24. Der Klägerin wird gegen die Versäumung der Frist zur
  25. Begründung
  26. der
  27. Berufung
  28. gegen
  29. das Urteil
  30. der
  31. 9. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 26. Juni
  32. 2003 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt.
  33. Der Gegenstandswert beträgt 6.000 €.
  34. Gründe:
  35. I.
  36. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hat gegen das die Klage
  37. abweisende Urteil des Landgerichts fristgerecht Berufung eingelegt. Auf
  38. seinen Antrag hat der Vorsitzende des zuständigen Zivilsenats des
  39. Kammergerichts
  40. die
  41. Begründungsfrist
  42. um
  43. einen
  44. Monat
  45. bis
  46. zum
  47. -3-
  48. 16. Oktober 2003 verlängert. Zugleich hat er darauf hingewiesen, daß
  49. eine weitere Verlängerung nur mit Einwilligung des Gegners, die dem
  50. Gericht vor Fristablauf schriftsätzlich vorliegen müsse, bewilligt werden
  51. dürfe. Am 16. Oktober 2003 hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin
  52. wegen
  53. Arbeitsüberlastung eine
  54. weitere
  55. Fristverlängerung
  56. bis zum
  57. 23. Oktober 2003 beantragt und mitgeteilt, der gegnerische Prozeßbevollmächtigte habe dieser Verlängerung zugestimmt. Nach einem gerichtlichen Hinweis vom 17. Oktober 2003, daß die Frist ohne Vorlage der
  58. schriftsätzlichen Zustimmung der Gegenseite nicht verlängert werden
  59. könne, hat der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten dem Gericht am
  60. 20. Oktober 2003 schriftlich mitgeteilt, daß er einer Fristverlängerung bis
  61. zum 23. Oktober 2003 zustimme. Am 23. Oktober 2003 ist die Berufungsbegründung bei Gericht eingegangen.
  62. Nachdem
  63. der
  64. Vorsitzende
  65. des
  66. zuständigen
  67. Zivilsenats
  68. am
  69. 24. Oktober 2003 darauf hingewiesen hatte, daß die Begründungsfrist
  70. nicht verlängert werden könne, weil die schriftsätzliche Zustimmung der
  71. Gegenseite erst nach Ablauf der bisherigen Frist eingegangen sei, hat
  72. der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin am 29. Oktober 2003 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Begründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, daß der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten der beantragten Fristverlängerung am
  73. 16. Oktober 2003 telefonisch zugestimmt habe. Die Vorlage der schriftlichen Zustimmung vor Fristablauf sei nicht erforderlich und vom Kammergericht in vergleichbaren früheren Fällen auch nie verlangt worden.
  74. Das Kammergericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Mit der Rechtsbe-
  75. -4-
  76. schwerde erstrebt die Klägerin die Aufhebung dieses Beschlusses und
  77. die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
  78. II.
  79. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
  80. 1. Sie ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i.V. mit § 522 Abs. 1
  81. Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Die Voraussetzungen des
  82. § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen
  83. die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluß gewahrt sein müssen (BGHZ 151, 42, 43; 151, 221, 223; 155, 21, 22; Senat, Beschluß
  84. vom 11. Mai 2004 - XI ZB 39/03, NJW 2004, 2222, 2223), sind erfüllt. Die
  85. Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
  86. Die Frage, ob die Einwilligung gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO in schriftlicher Form erklärt und dem Gericht vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist zugehen muß, ist, wie die Rechtsbeschwerde zu Recht geltend
  87. macht, für eine Vielzahl von Verfahren bedeutsam und bedarf grundsätzlicher Klärung.
  88. 2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
  89. a) Das Kammergericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im
  90. wesentlichen ausgeführt, die Begründungsfrist habe nicht über den
  91. 16. Oktober 2003 hinaus verlängert werden können, weil die hierfür gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO erforderliche Einwilligung der Beklagten
  92. erst nach Ablauf der verlängerten Begründungsfrist bei Gericht einge-
  93. -5-
  94. gangen sei. Die Einwilligung sei gemäß § 183 Satz 1 BGB eine vorherige
  95. Zustimmung und müsse dem Gericht vor Ablauf der Begründungsfrist in
  96. schriftlicher Form zugehen. Da hierauf bereits bei der Fristverlängerung
  97. bis zum 16. Oktober 2003 hingewiesen worden sei, könne Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden.
  98. b) Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
  99. aa) Die Klägerin war ohne ihr Verschulden und das ihres Prozeßbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) gehindert, die Frist zur Begründung
  100. der Berufung einzuhalten (§ 233 ZPO). Ihr Prozeßbevollmächtigter durfte
  101. darauf vertrauen, daß seinem Verlängerungsantrag vom 16. Oktober
  102. 2003 stattgegeben würde. Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Rechtsanwalt erwarten kann, daß nach einer bereits bewilligten Fristverlängerung auch einem zweiten Antrag auf Fristverlängerung
  103. entsprochen wird, ist höchstrichterlich noch nicht abschließend entschieden (vgl. Senat, Beschluß vom 6. November 2001 - XI ZB 14/01, BGHR
  104. ZPO § 233 Fristverlängerung 22; BGH, Beschluß vom 21. Februar 2000
  105. - II ZB 16/99, NJW-RR 2000, 947, 948). Sie bedarf auch hier keiner generellen Klärung, weil das Vertrauen des Prozeßbevollmächtigten der
  106. Klägerin auf die Bewilligung der beantragten Fristverlängerung jedenfalls
  107. aufgrund der konkreten Umstände des Falles gerechtfertigt war. Der
  108. Vorsitzende des zuständigen Zivilsenats des Kammergerichts hatte ihm
  109. gleichzeitig mit der ersten Fristverlängerung mitgeteilt, daß eine weitere
  110. Verlängerung die Einwilligung des Gegners voraussetze. Dies durfte der
  111. Prozeßbevollmächtigte so verstehen, daß der Vorsitzende bei der Ausübung seines Ermessens gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO im Falle der
  112. Einwilligung des Gegners keine besonderen Anforderungen an den zwei-
  113. -6-
  114. ten Verlängerungsantrag stellen werde, wenn der Berufungskläger einen
  115. erheblichen Grund im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO für eine Fristverlängerung darlege. Das ist hier geschehen; der Berufungskläger hat
  116. mit Arbeitsüberlastung seines Prozeßbevollmächtigten einen erheblichen
  117. Grund für eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vorgetragen
  118. (vgl. Musielak/Ball, ZPO 4. Aufl. § 520 Rdn. 8).
  119. bb) Daß der Vorsitzende bei der ersten Fristverlängerung die
  120. Rechtsauffassung vertreten hatte, die Einwilligung des Gegners müsse
  121. dem Gericht vor Fristablauf schriftsätzlich vorliegen, rechtfertigt keine
  122. andere Beurteilung. Da diese Ansicht unzutreffend war, durfte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin gleichwohl erwarten, daß seinem Verlängerungsantrag entsprochen würde.
  123. Die Einwilligung gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO bedarf nicht der
  124. Schriftform, sondern kann - wie im vorliegenden Fall geschehen - vom
  125. Prozeßbevollmächtigten des Berufungsklägers eingeholt und gegenüber
  126. dem Gericht anwaltlich versichert werden (Gerken, in: Wieczorek/
  127. Schütze, ZPO 3. Aufl. § 520 Rdn. 37, 41; a.A.: Rimmelspacher, in:
  128. MK/ZPO 2. Aufl. Aktualisierungsband § 520 Rdn. 11; Albers, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 62. Aufl. § 520 Rdn. 11). Dies
  129. ergibt sich aus dem Wortlaut des § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO, der, anders
  130. als § 566 Abs. 2 Satz 4 ZPO für die Einwilligung in die Sprungrevision,
  131. keine Schriftform verlangt. Die Schriftformbedürftigkeit des Verlängerungsantrages (BGHZ 93, 300, 303 f.) ist auf die Einwilligung nicht übertragbar. Der rechtzeitige Eingang eines Verlängerungsantrages oder einer Begründungsschrift hindert den Eintritt der formellen Rechtskraft.
  132. Damit hierüber im Interesse der Rechtssicherheit Klarheit besteht, bedarf
  133. -7-
  134. der Verlängerungsantrag der Schriftform (BGHZ 93, 300, 303). Die Einwilligung gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO hat keine vergleichbare Bedeutung für den Eintritt der formellen Rechtskraft. Eine bewilligte Fristverlängerung ist auch dann wirksam, wenn die erforderliche Einwilligung
  135. nicht vorliegt (BGH, Beschluß vom 18. November 2003 - VIII ZB 37/03,
  136. NJW 2004, 1460, 1461). Hinzu kommt, daß das durch das Zivilprozeßreformgesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I 2001, S. 1887) eingeführte Einwilligungserfordernis die Voraussetzungen einer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gegenüber der früheren Rechtslage ohnehin verschärft hat und die entsprechende Regelung für die Verlängerung der
  137. Revisionsbegründungsfrist (§ 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 ZPO) durch das
  138. 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004 (BGBl. I 2004,
  139. S. 2198) bereits wieder gelockert worden ist. Vor diesem Hintergrund
  140. besteht kein Anlaß, an die Einwilligung gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO
  141. erhöhte Anforderungen zu stellen und sie als schriftformbedürftig anzusehen.
  142. -8-
  143. c) Die angefochtene Entscheidung war daher aufzuheben (§ 577
  144. Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 ZPO). Da die Aufhebung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis
  145. erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO)
  146. und gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren.
  147. Nobbe
  148. Joeres
  149. Appl
  150. Mayen
  151. Ellenberger