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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. VI ZR 204/04
  5. Verkündet am:
  6. 22. November 2005
  7. Böhringer-Mangold,
  8. Justizhauptsekretärin
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. BGB §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 Ah, 1004; StGB § 186
  19. Liegt es nahe, aus mehreren unstreitigen Tatsachen eine bestimmte ehrverletzende
  20. Schlussfolgerung zu ziehen, so ist eine bewusst unvollständige Berichterstattung
  21. rechtlich wie eine unwahre Tatsachenbehauptung zu behandeln, wenn die Schlussfolgerung bei Mitteilung der verschwiegenen Tatsache weniger nahe liegend erscheint und deshalb durch das Verschweigen dieser Tatsache beim unbefangenen
  22. Durchschnittsleser ein falscher Eindruck entstehen kann.
  23. BGH, Urteil vom 22. November 2005 - VI ZR 204/04 - OLG Köln
  24. LG Köln
  25. -2-
  26. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  27. vom 22. November 2005 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter
  28. Wellner, die Richterin Diederichsen und die Richter Stöhr und Zoll
  29. für Recht erkannt:
  30. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 15. Zivilsenats
  31. des Oberlandesgerichts Köln vom 1. Juli 2004 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
  32. Von Rechts wegen
  33. Tatbestand:
  34. 1
  35. Die Kläger, ein katholisches Erzbistum, dessen Kardinal und ein Prälat,
  36. nehmen den Beklagten, einen Journalisten, auf Unterlassung wörtlicher oder
  37. sinngemäßer Tatsachenbehauptungen dahingehend in Anspruch, den Klägern
  38. sei es aufgrund eines an sie gerichteten Briefes einer Frau D. vom 18. September 1996 möglich gewesen, den Schwangerschaftsabbruch einer angeblich
  39. von einem Pfarrer geschwängerten Minderjährigen zu verhindern, außerdem
  40. hätten sie den Pfarrer, der die angebliche Sexualbeziehung zu der Minderjährigen erpresst habe, aus seinem Amt entfernen können. Sie behaupten, der Beklagte habe diese Tatsachenbehauptungen versteckt in zwei Zeitungsartikeln
  41. und einem Rundfunkbeitrag, die alle Ende 1996 erschienen sind, aufgestellt.
  42. -3-
  43. 2
  44. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das in NJW-RR 1998, 1175
  45. veröffentlichte Berufungsurteil, mit dem die Berufung des Beklagten nur hinsichtlich des Klägers zu 3 wegen fehlender Aktivlegitimation erfolgreich gewesen, im übrigen jedoch zurückgewiesen worden war, ist vom Bundesverfassungsgericht (NJW 2004, 1942) wegen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen worden. Die Kläger haben den Beklagten nunmehr auf Unterlassung verschiedener Äußerungen in Anspruch genommen, aus denen sie die versteckten
  46. Aussagen im Sinne des ursprünglichen Antrages herleiten. Die Berufung ist
  47. weitgehend ohne Erfolg geblieben; das Berufungsgericht hat der Unterlassungsklage stattgegeben mit der Einschränkung, dass dem Beklagten die Verbreitung der beanstandeten verdeckten Tatsachenbehauptungen, wie in den
  48. zwei 1996 erschienenen Artikeln und dem am 24. November 1996 gesendeten
  49. Rundfunkbeitrag geschehen, verboten werde ohne den klarstellenden Zusatz,
  50. dass den Klägern weder der Name des betroffenen Mädchens noch der des
  51. Pfarrers bekannt gewesen, weil von Frau D. nicht mitgeteilt worden sei. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die
  52. Klageabweisung auch gegenüber den Klägern zu 1, 2 und 4.
  53. Entscheidungsgründe:
  54. I.
  55. 3
  56. Das Berufungsgericht bejaht einen Unterlassungsanspruch aus §§ 823
  57. Abs. 1, Abs. 2, 1004 BGB, § 186 StGB, da der Beklagte in den zwei 1996 veröffentlichten Artikeln und dem am 24. November 1996 ausgestrahlten Rundfunkbeitrag in verdeckter Form unrichtige Tatsachenbehauptungen aufgestellt habe,
  58. -4-
  59. welche geeignet seien, das Ansehen der Kläger in der Öffentlichkeit herabzuwürdigen.
  60. 4
  61. So habe der Kläger im Radiobeitrag die verdeckten und unrichtigen Tatsachenbehauptungen aufgestellt, die Kläger hätten aufgrund eines Schreibens
  62. von Frau D. vom 18. September 1996, in dem diese das Bistum darüber informierte, dass eine Jugendliche aufgrund einer erpressten Sexualbeziehung zu
  63. einem katholischen Pfarrer schwanger geworden sei und nach Beratung diese
  64. Schwangerschaft in den nächsten Tagen abbrechen werde, die Möglichkeit gehabt, unmittelbar Kontakt mit der Betroffenen aufzunehmen und den Schwangerschaftsabbruch zu verhindern, sowie, den Klägern sei der Name des beschuldigten Pfarrers bekannt gewesen, so dass sie ihn aus dem Amt hätten
  65. entfernen können.
  66. 5
  67. In dem Artikel für die Zeitschrift "Die Woche" seien die beiden verdeckten
  68. Behauptungen ebenfalls aufgestellt worden, während im Artikel in der Zeitschrift
  69. "Kirche intern" nur die erste (bezüglich der Kontaktaufnahmemöglichkeit) aufgestellt worden sei.
  70. 6
  71. Der Beklagte habe dabei verschwiegen, dass der Kläger zu 4 unstreitig
  72. in einem dem Schreiben vorangegangenen Telefonat mit Frau D. nach dem
  73. Namen des Pfarrers und der betroffenen Minderjährigen gefragt und keine Antwort erhalten hatte und dass der Brief diese Informationen unstreitig ebenfalls
  74. nicht enthielt. Das Verschweigen wesentlicher Umstände und damit die unvollständige Darstellung des Sachverhalts begründe eine verdeckte Tatsachenbehauptung, die dadurch unrichtig sei.
  75. -5-
  76. II.
  77. 7
  78. Das angefochtene Urteil hält den Angriffen der Revision im Ergebnis
  79. stand. Den Klägern steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus
  80. §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, 1004 BGB, § 186 StGB mit der im Tenor des
  81. Berufungsgerichts erfolgten Einschränkung zu.
  82. 8
  83. 1. Die Revision rügt erfolglos die Aktivlegitimation des Klägers zu 2 (Erzbistum K.).
  84. 9
  85. a) Das Berufungsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen,
  86. dass auch juristische Personen des öffentlichen Rechts wie das klagende Bistum zivilrechtlichen Ehrenschutz gegenüber Angriffen in Anspruch nehmen
  87. können, durch die ihr Ruf in der Öffentlichkeit in unzulässiger Weise herabgesetzt wird. Zwar haben sie weder eine "persönliche" Ehre noch können sie wie
  88. eine natürliche Person Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sein; sie
  89. genießen jedoch, wie § 194 Abs. 3 StGB zeigt, im Zusammenhang mit der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben - hier im Bereich der Seelsorge und der
  90. Verbreitung und Vertretung von Glaubensinhalten - strafrechtlichen Ehrenschutz, der über §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 185 ff. StGB
  91. zivilrechtliche Unterlassungsansprüche begründen kann (vgl. Senatsurteile vom
  92. 22. Juni 1982 - VI ZR 251/80 - NJW 1982, 2246 und vom 16. November 1982
  93. - VI ZR 122/80 - NJW 1983, 1183, jeweils m.w.N.; BVerfGE 93, 266, 291).
  94. 10
  95. b) Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist weiterhin die Auffassung
  96. des Berufungsgerichts, dass der Kläger zu 2 durch die Berichterstattung selbst
  97. betroffen ist.
  98. 11
  99. Wenn die Revision meint, dass nur Mitarbeiter einer juristischen Person
  100. von einer Äußerung betroffen sein könnten, trifft dies für den vorliegenden
  101. -6-
  102. Sachverhalt nicht zu. Auch wenn die juristische Person durch ihre Mitarbeiter
  103. bzw. gesetzlichen Vertreter handelt, kann sie doch - wie soeben ausgeführt selbst Rechtsträger sein und deshalb Unterlassungsansprüche geltend machen, wenn sie in ihrer Rechtsstellung beeinträchtigt wird. Dies gilt im vorliegenden Fall bereits deshalb, weil das Erzbistum als Institution mehrfach direkt
  104. benannt bzw. angesprochen ist.
  105. 12
  106. Soweit die Revision mit der Unterscheidung zwischen Erzbistum und
  107. Erzdiözese in Zweifel zieht, ob das Erzbistum eine juristische Person sei, kann
  108. zur Beseitigung dieser Zweifel auf BGHZ 124, 173, 174 f. verwiesen werden,
  109. wonach im Bereich der katholischen Kirche dem Bistum als der maßgeblichen
  110. Territorialgliederung die grundgesetzlich geschützte Rechtsstellung (Art. 140
  111. GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 5 WRV) als Körperschaft öffentlichen
  112. Rechts zukommt (vgl. auch Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 10. Auflage, Art. 140, Rn. 12).
  113. 13
  114. 2. Ohne Erfolg rügt die Revision, dass das Berufungsgericht bei Ermittlung des Aussagegehalts der drei Presseberichte deren Gesamtzusammenhang außer Acht gelassen und deshalb ihren Sinn nicht zutreffend erfasst habe.
  115. 14
  116. a) Die zutreffende Sinndeutung einer Äußerung ist unabdingbare Voraussetzung für die richtige rechtliche Würdigung ihres Aussagegehalts. Sie unterliegt in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht (vgl. Senatsurteile BGHZ 78, 9, 16; 132, 13, 21; vom 7. Dezember 1999 - VI ZR 51/99 VersR 2000, 327, 330; vom 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - VersR 2000, 1162,
  117. 1163; vom 25. November 2003 - VI ZR 226/02 - VersR 2004, 343, 344). Ziel der
  118. Deutung ist stets, den objektiven Sinngehalt zu ermitteln. Dabei ist weder die
  119. subjektive Absicht des sich Äußernden maßgeblich noch das subjektive Verständnis des Betroffenen, sondern das Verständnis eines unvoreingenomme-
  120. -7-
  121. nen und verständigen Publikums. Ausgehend vom Wortlaut, der allerdings den
  122. Sinn nicht abschließend festlegen kann, sind bei der Deutung der sprachliche
  123. Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und die Begleitumstände, unter
  124. denen sie fällt, zu berücksichtigen, soweit diese für die Leser, Hörer oder Zuschauer erkennbar sind. Hingegen wird die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung
  125. regelmäßig nicht gerecht (vgl. BVerfGE 93, 266, 295; Senatsurteile vom
  126. 25. März 1997 - VI ZR 102/96 - VersR 1997, 842, 843 m.w.N.; vom 25. November 2003 - VI ZR 226/02 - VersR 2004, 343, 344).
  127. 15
  128. b) Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung ist diese revisionsrechtliche Überprüfung auch im Streitfall vorzunehmen und nicht etwa durch
  129. das Bundesverfassungsgericht (NJW 2004, 1942) abschließend erfolgt. Vielmehr erstreckt sich die Bindungswirkung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts nur auf den Umfang der Feststellung nach § 95 Abs. 1 Satz 1 in
  130. Verbindung mit § 31 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Feststellung im Sinne dieser Vorschriften ist jedenfalls die Entscheidungsformel, nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergänzt um die tragenden Gründe der
  131. Entscheidung (BVerfGE 1, 14, 37; 19, 377, 392; 20, 56, 87; 40, 88, 93; 96, 375,
  132. 404; 104, 151, 197; Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. A., § 31 Rn. 58).
  133. Jedoch erfasst die Bindungswirkung nur die Auslegung der Verfassung, nicht
  134. die einfachrechtlicher Normen (Umbach/Clemens/Dollinger aaO, Rn. 60). Hierzu ist dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts lediglich zu entnehmen,
  135. dass die Rechtsprechung der Fachgerichte, wonach bei der Annahme von verdeckten Aussagen eine besondere Zurückhaltung geboten sei und deshalb die
  136. dem Leser nahe gelegte Schlussfolgerung unabweislich sein müsse, von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden sei.
  137. -8-
  138. c) Mit Recht hat sich das Berufungsgericht bei der Ermittlung des Aussa-
  139. 16
  140. gegehalts nicht auf "offene" Behauptungen beschränkt, sondern die Prüfung auf
  141. ehrenkränkende Beschuldigungen erstreckt, die im Gesamtzusammenhang der
  142. offenen Einzelaussagen "versteckt" bzw. "zwischen den Zeilen" stehen könnten
  143. (vgl. Senatsurteile BGHZ 78, 9, 14; vom 28. Juni 1994 - VI ZR 273/93 - VersR
  144. 1994, 1123, 1124; vom 25. November 2003 - VI ZR 226/02 - VersR 2004, 343,
  145. 344). Das Berufungsgericht gibt auch die Grundsätze zur Nachprüfung solcher
  146. verdeckter Aussagen zutreffend wieder.
  147. Danach ist bei der Ermittlung so genannter verdeckter Aussagen zu un-
  148. 17
  149. terscheiden zwischen der Mitteilung einzelner Fakten, aus denen der Leser eigene Schlüsse ziehen kann und soll, und der erst eigentlich "verdeckten" Aussage, mit der der Autor durch das Zusammenspiel offener Äußerungen eine
  150. zusätzliche Sachaussage macht bzw. sie dem Leser als unabweisliche Schlussfolgerung nahe legt. Unter dem Blickpunkt des Art. 5 Abs. 1 GG kann nur im
  151. zweiten Fall die "verdeckte" Aussage einer "offenen" Behauptung des Äußernden gleichgestellt werden. Denn der Betroffene kann sich in aller Regel nicht
  152. dagegen wehren, dass der Leser aus den ihm "offen" mitgeteilten Fakten eigene Schlüsse auf einen Sachverhalt zieht, für den die offenen Aussagen Anhaltspunkte bieten, der von dem sich Äußernden so aber weder offen noch verdeckt
  153. behauptet
  154. worden
  155. ist
  156. (vgl.
  157. Senatsurteile
  158. vom
  159. 28. Juni
  160. 1994
  161. - VI ZR 273/93 - aaO und vom 25. November 2003 - VI ZR 226/02 aaO).
  162. 18
  163. d) Ob das Berufungsgericht im Streitfall mit Recht die dem Leser nahegelegten Schlussfolgerungen für so unabweislich gehalten hat, dass sie eine
  164. verdeckte Äußerung beinhalten, kann letztlich dahinstehen. Denn jedenfalls
  165. liegt eine bewusst unvollständige Berichterstattung vor, die ebenfalls unzulässig
  166. ist. Wenn nämlich - wie die Revision geltend macht - dem Leser Tatsachen mitgeteilt worden sind, aus denen er erkennbar eigene Schlussfolgerungen ziehen
  167. -9-
  168. soll, so durften hierbei keine wesentlichen Tatsachen verschwiegen werden, die
  169. dem Vorgang ein anderes Gewicht geben könnten (vgl. BVerfGE 12, 113, 130;
  170. Senatsurteile BGHZ 31, 308, 318; vom 26. Oktober 1999 - VI ZR 322/98 VersR 2000, 193) und deren Kenntnis für den Leser unerlässlich ist, der sich im
  171. Kernpunkt ein zutreffendes Urteil bilden will (vgl. Senatsurteile vom 20. Juni
  172. 1961 - VI ZR 222/60 - VersR 1961, 980, 982; vom 9. November 1965
  173. - VI ZR 276/64 - VersR 1966, 85, 87; vom 30. Januar 1979 - VI ZR 163/77 VersR 1979, 520, 521; vom 26. Oktober 1999 - VI ZR 322/98 - VersR 2000,
  174. 193; ebenso Soehring, Presserecht, 3. A., Rn. 16.44b; Wenzel, Das Recht der
  175. Wort- und Bildberichterstattung, 5. A., Kap. 5 Rn. 81). Liegt es - wie im Streitfall
  176. auch von der Revision nicht in Abrede gestellt - nahe, aus mehreren unstreitigen Tatsachen eine bestimmte (ehrverletzende) Schlussfolgerung zu ziehen, so
  177. ist jedenfalls eine bewusst unvollständige Berichterstattung rechtlich wie eine
  178. unwahre Tatsachenbehauptung zu behandeln, wenn die Schlussfolgerung bei
  179. Mitteilung der verschwiegenen Tatsache weniger nahe liegend erscheint und
  180. deshalb durch das Verschweigen dieser Tatsache beim unbefangenen Durchschnittsleser ein falscher Eindruck entstehen kann (vgl. Senatsurteil vom
  181. 26. Oktober 1999 - VI ZR 322/98 - VersR 2000, 193). Eine Tatsachenbehauptung, die nur Teilwahrheiten vermittelt und dadurch beim Adressaten der Äußerung zu einer Fehleinschätzung des Angegriffenen führt, ist schon aus diesem
  182. Grund rechtswidrig (vgl. Senatsurteile BGHZ 31, 308, 316; vom 18. Juni 1974
  183. - VI ZR 16/73 -
  184. NJW
  185. 1974,
  186. 1762,
  187. 1763
  188. und
  189. vom
  190. 26. Oktober
  191. 1999
  192. - VI ZR 322/98 - VersR 2000, 193, 195 m.w.N.). Es dürfen also nicht solche
  193. Fakten verschwiegen werden, deren Mitteilung beim Adressaten zu einer dem
  194. Betroffenen günstigeren Beurteilung des Gesamtvorgangs hätte führen können
  195. (vgl. Senatsurteil vom 25. November 2003 - VI ZR 226/02 - aaO).
  196. 19
  197. Insoweit gelten für die Vollständigkeit einer solchen Berichterstattung die
  198. gleichen Grundsätze wie für die Verdachtsberichterstattung. Auch hier ist näm-
  199. - 10 -
  200. lich eine vollständige Berichterstattung erforderlich, so dass dem Leser auch die
  201. entlastenden Umstände mitgeteilt werden müssen (vgl. Senatsurteil vom
  202. 26. November 1996 - VI ZR 323/95 - VersR 1997, 325, 327). So darf bei einem
  203. Bericht, der sich mit einer namentlich genannten Person besonders beschäftigt,
  204. die Kürzung des mitgeteilten Sachverhalts nicht so weit gehen, dass der Zuschauer oder Leser ein nach der negativen Seite entstelltes Bild dieser Person
  205. erhält, weil ihm nur einseitige Ausschnitte mitgeteilt werden (vgl. Senatsurteile
  206. BGHZ 31, 308, 316 und vom 26. Oktober 1999 - VI ZR 322/98 - VersR 2000,
  207. 193, 195).
  208. 20
  209. e) Um solche Umstände handelt es sich hier. Es liegt auf der Hand, dass
  210. die Tatsache, dass den Klägern weder der Name des Mädchens noch der Name des Pfarrers mitgeteilt worden waren, geeignet ist, die mitgeteilten Vorgänge und insbesondere den Vorwurf verspäteten Handelns bzw. der Untätigkeit in
  211. den Augen des unbefangenen Durchschnittslesers in einem anderen, den Klägern günstigeren Licht erscheinen zu lassen. Denn während es bei Bekanntheit
  212. der Personalien aller an dem Vorfall beteiligten Personen beim Durchschnittsleser auf Unverständnis stoßen dürfte, dass weder der Minderjährigen umgehend
  213. Hilfe angeboten noch gegen den Pfarrer vorgegangen wurde, erscheint eine
  214. entsprechende Schlussfolgerung bei Wissen darum, dass die Namen und Personalien der Beteiligten den Klägern nicht bekannt waren, wesentlich ferner liegend. Deshalb durften hier diese Umstände, die eine Entlastung bewirken konnten, im Rahmen der konkreten Berichterstattung nicht verschwiegen werden.
  215. 21
  216. Unstreitig sind den Klägern weder durch den Brief noch durch das vorausgegangene Telefonat die Namen des betroffenen Mädchens und des Pfarrers mitgeteilt worden. Das reicht unter den gegebenen Umständen für die Annahme einer bewusst unvollständigen Berichterstattung aus, weil der Beklagte
  217. - 11 -
  218. nach den tatrichterlichen Feststellungen keinen Anhaltspunkt für eine Kenntnis
  219. der Kläger hatte, die unstreitig auch nicht vorhanden war.
  220. 22
  221. f) Ist mithin diese bewusst unvollständige Berichterstattung der Verbreitung einer unwahren Tatsachenbehauptung gleichzustellen, greift der Grundsatz ein, dass an solchen Äußerungen kein berechtigtes Interesse besteht (vgl.
  222. BVerfGE 61, 1, 8 f.; 85, 1, 15); der Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB steht
  223. dem Beklagten nicht zur Seite. Unter diesen Umständen kann dahinstehen, ob
  224. der Beklagte bei seinen Recherchen hinsichtlich der Frage der nachfolgenden
  225. Informationsmöglichkeiten der Kläger über Frau D. die publizistische Sorgfalt
  226. gewahrt hat oder nicht. Dem durch Art. 5 GG geschützten Anliegen des Beklagten, durch seine Berichterstattung aufzuzeigen, dass die Kläger von sich aus
  227. keinen Versuch unternommen hätten, mit dem betroffenen Mädchen in Kontakt
  228. zu treten oder die Identität des Pfarrers in Erfahrung zu bringen, wird
  229. - 12 -
  230. durch die jetzige Tenorierung des Berufungsurteils ausreichend Rechnung getragen, die auch im übrigen nicht zu beanstanden ist.
  231. Müller
  232. Wellner
  233. Stöhr
  234. Diederichsen
  235. Zoll
  236. Vorinstanzen:
  237. LG Köln, Entscheidung vom 11.06.1997 - 28 O 44/97 OLG Köln, Entscheidung vom 01.07.2004 - 15 U 126/97 -