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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. VI ZB 2/00
  4. vom
  5. 4. Juli 2000
  6. in dem Rechtsstreit
  7. -2-
  8. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Juli 2000 durch den Vorsitzenden Richter Groß und die Richter Dr. Lepa, Dr. Müller, Dr. Dressler und
  9. Dr. Greiner
  10. beschlossen:
  11. Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten zu 2) wird der Beschluß des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt vom
  12. 17. Dezember 1999 aufgehoben.
  13. Dem Beklagten zu 2) wird gegen die Versäumung der Frist zur
  14. Einlegung der Berufung gegen das Urteil des Landgerichts
  15. Frankfurt vom 28. Juni 1999 Wiedereinsetzung in den vorigen
  16. Stand gewährt.
  17. Die Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil wird ohne Sicherheitsleistung eingestellt.
  18. Gründe:
  19. I.
  20. Dem Rechtsstreit liegt ein Arbeitsunfall zugrunde, bei dem ein Mitarbeiter der Beklagten zu 1) verletzt worden ist und der Beklagte zu 2) als Montageleiter für die Baustelle verantwortlich war. Das Landgericht hat durch Urteil
  21. vom 28. Juli 1999 beide Beklagte als Gesamtschuldner zur Zahlung einer Re-
  22. -3-
  23. greßforderung gemäß §§ 640 Abs. 1, 641 RVO in Höhe von 473.461,69 DM
  24. nebst Zinsen verurteilt. Gegen das beiden Beklagten am 2. Juli 1999 zugestellte Urteil hat die Beklagte zu 1) am 30. Juli 1999 Berufung eingelegt. Der
  25. Beklagte zu 2) hat am 23. September 1999 Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist sowie die
  26. einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung beantragt.
  27. Zur Begründung hat er vorgebracht, schon vor dem Prozeß habe ihm
  28. der damalige Geschäftsführer der Beklagten zu 1) auf seine Frage erklärt, er
  29. solle in dieser Angelegenheit nichts unternehmen, die Beklagte zu 1) werde
  30. sich darum kümmern. Nach Klagezustellung habe ihm der neue Geschäftsführer der Beklagten zu 1) auf erneutes Befragen erklärt, er stehe zu dieser Vereinbarung. Deshalb sei er davon ausgegangen, daß er selbst keinen Rechtsanwalt beauftragen müsse und dies auch für die Berufungsinstanz gelte. Tatsächlich habe die Beklagte zu 1) im ersten Rechtszug ihren damaligen Prozeßbevollmächtigten auch beauftragt, ihn gerichtlich zu vertreten. Der unmittelbar vor Zustellung des landgerichtlichen Urteils zum Mitgeschäftsführer bestellte Herr H. habe die Angelegenheit des Rechtsstreits "an sich gezogen" und
  31. nach erteilter Deckungszusage des Betriebshaftpflichtversicherers die nunmehrigen Prozeßbevollmächtigten mit der Einlegung der Berufung beauftragt, ohne
  32. dabei ausdrücklich zu erklären, daß die Berufung auch im Namen des Beklagten zu 2) eingelegt werden solle. Dieser habe erst durch ein Schreiben der
  33. Klägerin, in dem sie ihn unter Androhung der Zwangsvollstreckung zur Zahlung
  34. der Urteilssumme aufgefordert habe, erfahren, daß in seinem Namen keine
  35. Berufung eingelegt worden sei.
  36. Der Beklagte zu 2) hat geltend gemacht, bei dieser Sachlage sei er ohne
  37. Verschulden an der Einhaltung der Berufungsfrist gehindert gewesen. Eine
  38. -4-
  39. Verschuldenszurechnung gemäß § 85 Abs. 2 ZPO komme nicht in Betracht, da
  40. die Beklagte zu 1) ihn angewiesen habe, in dieser Angelegenheit keine weiteren Schritte zu unternehmen und sie mit der Übernahme der Prozeßführung
  41. auch von ihrem Direktionsrecht Gebrauch gemacht habe.
  42. Das Berufungsgericht hat durch den angefochtenen Beschluß die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und auf Einstellung der
  43. Zwangsvollstreckung zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen, weil die Beklagte zu 1) die erforderliche Klarstellung gegenüber dem
  44. Rechtsanwalt, daß die Berufung auch für den Beklagten zu 2) eingelegt werden
  45. solle, unterlassen habe und dieser sich das Versäumnis gemäß § 85 Abs. 2
  46. ZPO zurechnen lassen müsse.
  47. Gegen den am 3. Januar 2000 zugestellten Beschluß hat der Beklagte
  48. zu 2) mit am 13. Januar 2000 eingegangenem Schriftsatz sofortige Beschwerde
  49. eingelegt und erneut beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des
  50. Landgerichts ohne Sicherheitsleistung, hilfsweise gegen Sicherheitsleistung in
  51. Höhe von 550.300 DM einstweilen einzustellen. Hierzu hat er unter Vorlage
  52. einer eidesstattlichen Versicherung dargelegt, daß er bei seinen Einkommensund Vermögensverhältnissen nicht zur Sicherheitsleistung in der Lage sei und
  53. die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde.
  54. II.
  55. 1. Das zulässige Rechtsmittel erweist sich in der Sache als begründet.
  56. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegen die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäu-
  57. -5-
  58. mung der Berufungsfrist gemäß § 233 ZPO vor, da der Beschwerdeführer ohne
  59. sein Verschulden an der rechtzeitigen Einlegung der Berufung gehindert war.
  60. Er hat durch die von ihm vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen nämlich
  61. glaubhaft gemacht, daß er darauf vertrauen durfte, daß die Beklagte zu 1)
  62. rechtzeitig einen Rechtsanwalt mit der Einlegung der Berufung auch für ihn
  63. beauftragen werde.
  64. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist davon auszugehen,
  65. daß die Beklagte zu 1) dies beabsichtigt, tatsächlich jedoch dem zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten keinen ausdrücklichen Auftrag erteilt hat, die
  66. Berufung auch im Namen des Beschwerdeführers einzulegen. Dabei ist unter
  67. den Umständen des Streitfalls anzunehmen, daß diesen Rechtsanwalt die Verpflichtung zur Klarstellung traf, ob im Hinblick auf das erstinstanzliche Urteil,
  68. durch das beide Beklagten verurteilt worden waren, auch die Berufung von
  69. beiden Seiten eingelegt werden sollte, und daß eine solche Klarstellung von
  70. seiten des Anwalts nicht erfolgt ist. Ein sich hieraus ergebendes Verschulden
  71. des zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten kann jedoch dem Beschwerdeführer nicht zugerechnet werden, weil dieser Rechtsanwalt wegen des fehlenden Rechtsmittelauftrags nicht als sein Bevollmächtigter im Sinne des § 85
  72. Abs. 2 ZPO angesehen werden kann.
  73. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht der beantragten
  74. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch nicht die Zurechnung eines Verschuldens der Beklagten zu 1) entgegen. Das Berufungsgericht will ein solches
  75. Verschulden darin sehen, daß die Beklagte zu 1) bei Erteilung des Rechtsmittelauftrags nicht klargestellt habe, daß dieser auch für den Beschwerdeführer
  76. gelten solle. Insoweit erweist sich zwar der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts als zutreffend, wonach die Partei außer für eigenes und das Verschulden
  77. -6-
  78. ihres anwaltlichen Bevollmächtigten auch für das Verschulden eines Nichtanwalts einzustehen hat, dem sie es überlassen hat, einen Rechtsanwalt mit der
  79. Führung des Prozesses oder der Einlegung eines Rechtsmittels zu beauftragen
  80. (Senatsbeschluß vom 7. März 1995 - VI ZB 3/95 - NJW-RR 1995, 825, 826;
  81. BGH, Beschlüsse vom 1. Oktober 1983 - II ZR 122/83 - VersR 1983, 1082 f.
  82. und vom 10. Juli 1985 - IV ZB 102/84 - VersR 1985, 1185, 1186). Von daher
  83. könnte dem Beschwerdeführer ein Verschulden der Beklagten zu 1) grundsätzlich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet werden.
  84. Ein nach dieser Vorschrift zurechenbares Verschulden ist jedoch unter
  85. den besonderen Umständen des Streitfalls zu verneinen. Nach den im Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 10. Juli 1985 (aaO) dargelegten Grundsätzen ist nämlich zu berücksichtigen, daß der den Rechtsmittelauftrag erteilende Mitgeschäftsführer H. erst kurz zuvor bestellt und ersichtlich juristisch
  86. unerfahren war, so daß er es unter dem Eindruck der soeben erteilten Dekkungszusage des Betriebshaftpflichtversicherers für selbstverständlich halten
  87. konnte, daß die Berufung auch im Namen des Beschwerdeführers eingelegt
  88. wurde bzw. der dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten erteilte Auftrag
  89. zur Prozeßführung für beide Beklagten sich ohne weiteres gegenüber dem
  90. zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten fortsetzen werde. Wenn insoweit
  91. zwischen der Beklagten zu 1) und ihrem zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten ein Dissens aufgetreten ist, von dem auch das Berufungsgericht ausgeht,
  92. so schließt dies, wie oben dargelegt, zwar eine Bevollmächtigung dieses
  93. Rechtsanwalts aus, ohne jedoch der Beklagten zu 1) zum Verschulden zu gereichen, zumal der Rechtsanwalt in eigener Verantwortung zur Prüfung des
  94. Rechtsmittelauftrags verpflichtet war.
  95. -7-
  96. Bei dieser Sachlage kommt die Zurechnung eines Verschuldens der Beklagten zu 1) gegenüber dem Beschwerdeführer gemäß § 85 Abs. 2 ZPO
  97. ebensowenig in Betracht wie ein eigenes Mitverschulden des letzteren an der
  98. Fristversäumnis. Insbesondere traf diesen angesichts der Absprachen mit der
  99. Beklagten zu 1) keine Pflicht zur Vergewisserung über die Erteilung des
  100. Rechtsmittelauftrags
  101. in
  102. seinem
  103. Namen
  104. (vgl.
  105. BGH,
  106. Beschluß
  107. vom
  108. 19. September 1994 - II ZB 1/94 - NJW 1994, 3102).
  109. 2. Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts vom
  110. 28. Juni 1999 war ohne Sicherheitsleistung einzustellen, weil der Beklagte zu
  111. 2) glaubhaft gemacht hat, daß er zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage ist
  112. und die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde
  113. (§ 707 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
  114. Groß
  115. Dr. Lepa
  116. Dr. Dressler
  117. Dr. Müller
  118. Dr. Greiner