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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. V ZR 200/06
  4. vom
  5. 1. Februar 2007
  6. in dem Rechtsstreit
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. ZPO §§ 544 Abs. 7, 563 Abs. 1 Satz 2
  14. Bei einer Zurückverweisung im Beschlusswege nach § 544 Abs. 7 ZPO kommt in
  15. entsprechender Anwendung von § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO auch die Zurückverweisung an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts in Betracht.
  16. BGH, Beschl. v. 1. Februar 2007 - V ZR 200/06 - OLG Dresden
  17. LG Leipzig
  18. -2-
  19. Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 1. Februar 2007 durch den
  20. Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und Dr. SchmidtRäntsch, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter Dr. Czub
  21. beschlossen:
  22. Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen
  23. die Versäumung der Fristen zur Einlegung und zur Begründung
  24. der Nichtzulassungsbeschwerde gewährt.
  25. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil
  26. des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 8. März
  27. 2006 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als dem Kläger
  28. ein Anspruch auf Zahlung weiterer 2.337.000 € nebst Zinsen aberkannt worden ist.
  29. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
  30. und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an den 14. Zivilsenat des Berufungsgerichts
  31. zurückverwiesen.
  32. Gründe
  33. I.
  34. 1
  35. Der Kläger erwarb 1994 von der später in die Beklagte eingemeindeten
  36. Gemeinde L.
  37. ein Grundstück, um darauf eine Freizeiteinrichtung und
  38. Saunaanlage zu betreiben. Das Vorhaben scheiterte daran, dass die Beklagte
  39. -3-
  40. die Erteilung der notwendigen kommunalaufsichtlichen Genehmigung erfolgreich hintertrieb. Der Kläger verlangt nunmehr von der Beklagten Ersatz des
  41. ihm entgangenen Gewinns, hilfsweise Ersatz seines Vertrauensschadens.
  42. 2
  43. Das Landgericht hat der Klage dem Grunde nach stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Die dagegen
  44. eingelegte Revision hat der Senat nicht zur Entscheidung angenommen (V ZR
  45. 472/99). In dem anschließenden Betragsverfahren, um das es hier geht, hat der
  46. Kläger Zahlung von zuletzt 15.102.582,30 € nebst Zinsen verlangt. Das Landgericht hat ihm 163.000 € zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen.
  47. Die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen und die
  48. Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers, mit welcher dieser die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung
  49. weiterer 2.337.000 € nebst Zinsen erreichen will. Die Beklagte beantragt die
  50. Zurückweisung der Beschwerde.
  51. II.
  52. 3
  53. 1. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, in dem Grundurteil sei lediglich
  54. die Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz des aus der Vertragsvereitelung
  55. entstandenen Schadens festgestellt worden, aber offen geblieben, ob es sich
  56. um den Vertrauens- oder den Erfüllungsschaden handele. In der Sache stehe
  57. dem Beklagten jedoch ein Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens zu.
  58. Dieser sei nur mit 163.000 € zu bemessen. Der Kläger habe zwar "ein durchdachtes Konzept und eine gute Planung" gehabt. Dass sein entgangener Gewinn den (ihm als Vertrauensschaden) zugesprochenen Betrag übersteige, davon habe es sich nicht überzeugen können.
  59. -4-
  60. 4
  61. 2. Das angefochtene Urteil ist nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, weil
  62. das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103
  63. Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat, indem es ihm keine
  64. Gelegenheit gegeben hat, zu den Gründen Stellung zu nehmen, aus denen es
  65. einen über 163.000 € hinausgehenden entgangenen Gewinn des Klägers verneint hat.
  66. 5
  67. a) Nach Art. 103 Abs. 1 GG darf ein Gericht ohne vorherigen Hinweis
  68. nicht auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellen, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf
  69. - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (BVerfGE 84, 188, 190; 86, 133, 144 f.; 96, 189, 204;
  70. 108, 341, 345 f.). Es hat in einem solchen Fall auf seine (geänderte) Rechtsauffassung hinzuweisen und den Prozessbeteiligten eine Möglichkeit zur Stellungnahme zu eröffnen (BVerfGE 84, 188, 191; 86, 133, 144; 98, 218, 263; BVerfG
  71. NVwZ 2006, 586, 587).
  72. 6
  73. b) Das hat das Berufungsgericht hier versäumt.
  74. 7
  75. aa) Sein Versäumnis ergibt sich allerdings nicht schon daraus, dass das
  76. Berufungsgericht den Kläger mit seiner Annahme überrascht hätte, ein entgangener Gewinn lasse sich jenseits der ersten fünf Betriebsjahre nicht seriös beurteilen. Diese Auffassung hat nämlich schon der in erster Instanz tätig gewordene Sachverständige M.
  77. vertreten. Er ist davon bei seiner Befragung
  78. durch das Berufungsgericht nicht abgerückt. Auch der von dem Berufungsgericht hinzugezogene Sachverständige Dr. V.
  79. hat diese Annahme nicht in
  80. Zweifel gezogen. Das Berufungsgericht war an seiner Einschätzung entgegen
  81. der Meinung des Klägers nicht aus Rechtsgründen gehindert. Zwar stellte sein
  82. -5-
  83. Grundurteil die Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz des Erfüllungsschadens
  84. ohne zeitliche Begrenzung fest. Das Berufungsgericht sieht sich aber nicht aus
  85. Rechtsgründen, sondern deshalb daran gehindert, dem Kläger einen entgangenen Gewinn jenseits von fünf Jahren nach der Betriebsaufnahme zuzusprechen, weil er sich nicht mit der erforderlichen Gewissheit abschätzen lasse.
  86. Dem steht das Grundurteil nicht entgegen.
  87. 8
  88. bb) Das Berufungsgericht war auch nicht gehindert, bei der Ermittlung
  89. des dem Kläger entgangenen Gewinns die von dem in erster Instanz mit der
  90. Sache befassten Sachverständigen M.
  91. seiner Berechnung zugrunde ge-
  92. legten Ansätze unter Berücksichtigung der Ausführungen des von ihm selbst
  93. hinzugezogenen Sachverständigen Dr. V.
  94. kritisch zu hinterfagen und eine
  95. abweichende Berechnungsmethode anzuwenden. Es durfte dabei das geschäftliche Risiko berücksichtigen und die Frage aufwerfen, ob der Kläger angesichts seiner bisherigen geschäftlichen Erfahrungen zu der Führung eines
  96. Sauna- und Badebetriebs in der Lage war, den er sich hier vorgenommen hatte.
  97. 9
  98. cc) Das Berufungsgericht hat aber nicht beachtet, dass der Kläger auch
  99. bei gewissenhafter Prozessführung und insbesondere bei gewissenhafter Vorbereitung der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht mit dieser
  100. Wendung des Rechtsstreits nicht rechnen konnte.
  101. 10
  102. (1) Der Sachverständige Dr. V.
  103. Sachverständigen M.
  104. stimmte zwar nicht mit allen von dem
  105. angesetzten Einzelpositionen überein, folgte aber
  106. dessen Berechnung. Einen Ansatz für die von dem Berufungsgericht angestellten Überlegungen hatte weder die schriftsätzliche Vorbereitung der mündlichen
  107. Verhandlung durch die Parteien noch die Anhörung der beiden Sachverständigen durch das Berufungsgericht ergeben. Sie war auch deswegen nicht zu er-
  108. -6-
  109. warten, weil der Sachverständige M.
  110. selbst Leiter eines großen Badebe-
  111. triebs ist und über große Erfahrung bei der betriebswirtschaftlichen Bewältigung
  112. eines solchen Unternehmens hat. Wenn das Berufungsgericht bei dieser Sachlage zu anderen Erkenntnissen kam, musste es die Parteien vor seiner Entscheidung darauf hinweisen und ihnen Gelegenheit geben, dazu Stellung zu
  113. nehmen.
  114. 11
  115. (2) Nach der Überzeugung des Berufungsgerichts scheitert der Kläger
  116. vor allem an dem geschäftlichen Risiko und seiner fehlenden beruflichen Erfahrung bei der Führung eines anspruchsvolleren Bäderbetriebs. Der erste Gesichtspunkt ist in dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen M.
  117. gestreift, der zweite in der Beweisaufnahme vor dem Berufungsgericht kurz angesprochen worden. Keiner der beiden Sachverständigen ist zu dem Ergebnis
  118. gelangt, dass der Kläger bei der Umsetzung seines Konzepts auf Schwierigkeiten gestoßen wäre, die er nicht oder nur mit geschäftlichen Nachteilen hätte
  119. meistern können. Welche Risiken dies konkret hätten sein sollen, war nicht vorgetragen und wird von dem Berufungsgericht auch in seinem Urteil nicht näher
  120. erläutert. Die geschäftliche Eignung des Klägers ist von dem Gericht in der
  121. mündlichen Verhandlung hinterfragt worden. Ob dazu die aus der Niederschrift
  122. der mündlichen Verhandlung zu entnehmende Frage ausreichte, ob der Kläger
  123. in der Lage sei, sich mit seinem Konzept am Markt zu behaupten, ist zweifelhaft, kann aber offen bleiben. Denn es haben sich keine konkreten Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Kläger zur Führung eines solchen Betriebs und
  124. auch nicht in der Lage gewesen wäre, sich den bei ihm nicht vorhandenen, aber
  125. erforderlichen Sachverstand etwa durch Anstellung eines Betriebsleiters zu beschaffen. Worauf das Berufungsgericht seine gegenteilige Annahme konkret
  126. stützt, lässt das Berufungsurteil nicht erkennen. Es bescheinigt dem Kläger
  127. vielmehr ausdrücklich ein durchdachtes Konzept und eine gute Planung. Dass
  128. -7-
  129. seine Klage im Kern an diesen beiden Umständen, denen das Berufungsgericht
  130. nicht weiter nachgegangen ist, scheitern könnte, damit konnte der Kläger bei
  131. dieser Sachlage nicht rechnen. Zu diesem Ergebnis konnte das Berufungsgericht nur nach näherer Sachaufklärung und auch nur gelangen, wenn diese hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür erbrachte, dass und in welchem Umfang
  132. der Kläger bei der Umsetzung seines Plans an diesen Umständen gescheitert
  133. wäre. Nähere Sachaufklärung konnte das Berufungsgericht sachgerecht zudem
  134. nur erreichen, wenn es die Parteien auf die Notwendigkeit dazu hinwies und
  135. ihnen Gelegenheit gab, dazu näher vorzutragen. Beides ist unterblieben und
  136. macht die Entscheidung des Berufungsgerichts zu einer mit Art. 103 Abs. 1 GG
  137. nicht zu vereinbarenden Überraschungsentscheidung.
  138. 12
  139. 3. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um die erforderliche Sachaufklärung nachzuholen. Dabei macht der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO
  140. Gebrauch. Diese Möglichkeit ist zwar in § 544 Abs. 7 ZPO nicht ausdrücklich
  141. vorgesehen. Auf diesen Fall ist § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO aber entsprechend
  142. anzuwenden. Die Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör würde
  143. nämlich ohne die Regelung des § 544 Abs. 7 ZPO regelmäßig nicht nur zur Zulassung der Revision, sondern auch dazu führen, dass die Sache nach eingelegter Revision an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist, um das rechtliche Gehör nachträglich zu gewähren. Diesen Vorgang soll das Revisionsgericht
  144. im Interesse einer Verfahrensbeschleunigung durch die Zurückverweisung im
  145. Beschlusswege nach § 544 Abs. 7 ZPO abkürzen können. Ersetzt die Zurückverweisung durch Beschluss aber ohne inhaltliche Einbußen die Zurückverweisung durch Revisionsurteil, dann bietet sie auch die gleichen Gestaltungsmöglichkeiten (BGH, Beschl. v. 18. Januar 2005, XI ZR 340/03, BGHReport 2005,
  146. 939, 940).
  147. -8-
  148. 13
  149. 4. Für die neue Verhandlung vor dem Berufungsgericht weist der Senat
  150. auf folgendes hin:
  151. 14
  152. a) Dem Kläger ist mit dem rechtskräftigen Grundurteil ein Anspruch auf
  153. Ersatz seines Erfüllungsschadens dem Grunde nach zugesprochen worden. In
  154. diesem Sinne hat der Senat das Grundurteil auch bestätigt. Ersatz seines Vertrauensschadens kann dem Kläger deshalb nur hilfsweise für den Fall zugesprochen werden, dass sich ein Erfüllungsschaden nicht oder nicht in einem
  155. den zuerkannten Betrag übersteigendem Umfang sollte nachweisen lassen.
  156. 15
  157. b) Bei der Feststellung des entgangenen Gewinns wird den in dem Berufungsurteil aufgeführten Gesichtspunkten mit sachverständiger Unterstützung nach
  158. -9-
  159. zugehen sein. Dabei wird auch zu prüfen sein, ob sich angesichts der nur geringen Erfahrungen des bislang von dem Berufungsgericht herangezogenen
  160. Sachverständigen Dr. V.
  161. bei der Begutachtung des wirtschaftlichen Betriebs
  162. von Bädern eine erneute Heranziehung dieses Sachverständigen empfiehlt.
  163. Krüger
  164. Lemke
  165. Stresemann
  166. Schmidt-Räntsch
  167. Czub
  168. Vorinstanzen:
  169. LG Leipzig, Entscheidung vom 13.11.2003 - 3 O 10774/97 OLG Dresden, Entscheidung vom 08.03.2006 - 11 U 59/04 -