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249 lines
5.7 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. V ZB 87/14
  4. vom
  5. 4. Dezember 2014
  6. in der Abschiebungshaftsache
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. AufenthG § 62; FamFG § 67 Abs. 1
  14. Die in dem Verfahren der Abschiebungshaft erforderliche Dokumentation der
  15. Belehrung eines anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen über die Folgen eines
  16. Rechtsmittelverzichts kann nur bis zum Abschluss der Instanz erfolgen; eine auf
  17. Anforderung des Rechtsmittelgerichts gefertigte dienstliche Stellungnahme des die
  18. Haft
  19. anordnenden
  20. Richters
  21. ist
  22. nicht
  23. ausreichend
  24. (Fortführung
  25. Senatsbeschlusses vom 1. Dezember 2011 – V ZB 73/11, NVwZ 2012, 319 f.).
  26. BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2014 - V ZB 87/14 - LG Traunstein
  27. AG Mühldorf a. Inn
  28. des
  29. -2-
  30. Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Dezember 2014 durch die
  31. Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richter Dr. Czub und Dr. Roth, die
  32. Richterin Dr. Brückner und den Richter Dr. Kazele
  33. beschlossen:
  34. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss
  35. der
  36. 4. Zivilkammer
  37. des
  38. Landgerichts
  39. Traunstein
  40. vom
  41. 22. April 2014 aufgehoben.
  42. Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung,
  43. auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das
  44. Beschwerdegericht zurückverwiesen.
  45. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
  46. 5.000 €.
  47. Gründe:
  48. I.
  49. 1
  50. Der Betroffene wurde im Jahr 2009 unter Androhung der Abschiebung
  51. aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Ab dem 24. September
  52. 2013 befand er sich in Untersuchungshaft. Mit Beschluss vom 1. Oktober 2013
  53. ordnete das Amtsgericht auf Antrag der beteiligten Behörde Abschiebungshaft
  54. für die Dauer von längstens drei Monaten an, wobei diese im Anschluss an die
  55. Untersuchungs- bzw. Strafhaft vollstreckt werden sollte. Die Abschiebungshaft
  56. wurde ab dem Ende der Untersuchungshaft am 13. Januar 2014 vollzogen und
  57. mit Beschluss vom 10. April 2014 bis zum 30. April 2014 verlängert. Das
  58. Landgericht hat die gegen den Beschluss vom 10. April 2014 gerichtete
  59. Beschwerde als unzulässig verworfen. Mit der Rechtsbeschwerde will der
  60. -3-
  61. Betroffene feststellen lassen, dass er durch den angefochtenen Beschluss in
  62. seinen Rechten verletzt worden ist.
  63. II.
  64. 2
  65. Die
  66. Rechtsbeschwerde
  67. hat
  68. Erfolg.
  69. Zu
  70. Unrecht
  71. sieht
  72. das
  73. Beschwerdegericht die Beschwerde als unzulässig an, weil der Betroffene
  74. einen wirksamen Rechtsmittelverzicht erklärt habe.
  75. 3
  76. 1. Nach der Rechtsprechung des Senats muss das Gericht in dem
  77. Verfahren
  78. der
  79. Abschiebungshaft
  80. einem
  81. anwaltlich
  82. nicht
  83. vertretenen
  84. Betroffenen, der von sich aus einen Rechtsmittelverzicht im Sinne von § 67
  85. Abs. 1 FamFG abgeben will, eine von der Rechtsmittelbelehrung unabhängige
  86. Belehrung über die Folgen des Verzichts erteilen und diese für das
  87. Rechtsbeschwerdegericht
  88. nachprüfbar
  89. dokumentieren
  90. (Beschluss
  91. vom
  92. 1. Dezember 2011 - V ZB 73/11, NVwZ 2012, 319 f.). Die Dokumentation kann
  93. in dem Vermerk über die Anhörung enthalten sein oder im Anschluss gefertigt
  94. werden, da die Formstrenge des Verfahrens nach der Zivilprozessordnung in
  95. § 28 Abs. 4 FamFG nicht übernommen worden ist. Nach Abschluss der Instanz
  96. kann sie jedoch nicht mehr nachgeholt werden. Andernfalls verfehlte sie ihren
  97. Zweck, den tatsächlichen Geschehensablauf zeitnah in den Akten festzuhalten.
  98. 4
  99. 2. Daran gemessen ist der Rechtsmittelverzicht unwirksam. Der Anwalt
  100. des Betroffenen war in der Anhörung nicht anwesend. Dass die aus diesem
  101. Grund erforderliche Belehrung erfolgt ist, lässt sich nicht feststellen, weil es an
  102. der Dokumentation fehlt. Die erst auf Anforderung des Rechtsmittelgerichts
  103. gefertigte dienstliche Stellungnahme des die Haft anordnenden Richters ist
  104. nicht ausreichend.
  105. 5
  106. 3. Dieser Fehler hat sich auch ausgewirkt. Nach der neueren
  107. Rechtsprechung des Senats führt eine Verletzung von Verteidigungsrechten
  108. (insbesondere des Anspruchs auf rechtliches Gehör) zwar nicht automatisch,
  109. sondern nur dann zur Beendigung der Haft, wenn das Verfahren auch zu einem
  110. anderen Ergebnis hätte führen können (näher Senat, Beschluss vom 16. Juli
  111. -4-
  112. 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 11, im Anschluss an EuGH, BayVBl.
  113. 2014, 140 ff.). Davon ist hier aber schon deshalb auszugehen, weil die
  114. ordnungsmäßige
  115. Belehrung
  116. Rechtsmittelverzicht
  117. die
  118. abzugeben
  119. Entschließung
  120. des
  121. oder
  122. abzusehen,
  123. hiervon
  124. Betroffenen,
  125. einen
  126. unmittelbar
  127. beeinflusst.
  128. III.
  129. 6
  130. Der Senat kann in der Sache nicht entscheiden (§ 74 Abs. 6 Satz 2
  131. FamFG). Die Rechtswidrigkeit der Inhaftierung ergibt sich nicht ohne weiteres
  132. daraus, dass der Senat
  133. die Inhaftierung aufgrund des Beschlusses vom
  134. 1. Oktober 2013 für die Zeit ab dem 5. Februar 2014 in dem Parallelverfahren
  135. als rechtswidrig angesehen hat; nach dieser Entscheidung beginnt der Lauf der
  136. in § 62 Abs. 3 Satz 4 und Abs. 4 Satz 1 und 2 AufenthG geregelten Fristen
  137. allerdings bereits mit der Haftanordnung (Senat, Beschluss vom 4. Dezember
  138. 2014 - V ZB 77/14, zur Veröffentlichung bestimmt). Weil die Abschiebungshaft
  139. gerechnet ab dem 1. Oktober 2013 am 10. April 2014 schon mehr als sechs
  140. Monate andauerte, könnte sich die Verlängerung nur dann als rechtmäßig
  141. erweisen, wenn der Betroffene die Abschiebung im Sinne von § 62 Abs. 4 Satz
  142. 2 AufenthG verhindert hätte. Feststellungen hierzu und zu der Einhaltung des
  143. Beschleunigungsgebots hat das Beschwerdegericht, das sich nur mit der
  144. Zulässigkeit des Rechtsmittels beschäftigt hat, nicht getroffen. Dies wird es
  145. - auch
  146. unter
  147. Berücksichtigung
  148. der
  149. Ausführungen
  150. Rechtsbeschwerdebegründung - nachzuholen haben.
  151. in
  152. der
  153. -5-
  154. IV.
  155. 7
  156. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3
  157. GNotKG.
  158. Stresemann
  159. Czub
  160. Brückner
  161. Roth
  162. Kazele
  163. Vorinstanzen:
  164. AG Mühldorf a. Inn, Entscheidung vom 10.04.2014 - 1 XIV 51/14 (L)LG Traunstein, Entscheidung vom 22.04.2014 - 4 T 1421/14 -