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- BUNDESGERICHTSHOF
- BESCHLUSS
- LwZB 1/13
- vom
- 1. Oktober 2013
- in dem Rechtsstreit
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- Der
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- Bundesgerichtshof,
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- Senat
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- für
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- Landwirtschaftssachen,
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- hat
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- am
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- 1. Oktober 2013 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann und die
- Richter Dr. Lemke und Dr. Czub - gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 LwVG ohne
- Zuziehung ehrenamtlicher Richter -
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- beschlossen:
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- Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena - Senat für Landwirtschaftssachen - vom
- 19. Dezember 2012 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig
- verworfen.
- Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
- bis zu 300 €.
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- Gründe:
- I.
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- Die Klägerin schloss mit D.
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- L.
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- , der damaligen Eigentümerin land-
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- wirtschaftlicher Grundstücke mit einer Gesamtgröße von 10,89 ha, einen Landpachtvertrag für die Zeit vom 1. November 2002 bis zum 31. Oktober 2020 mit
- einem jährlichen Pachtzins von 495,90 €. Zu den verpachteten Flächen gehörte
- ein Flurstück mit einer Fläche von 0,5892 ha. In § 12 Abs. 2 des Pachtvertrags
- ist bestimmt, dass der Verpächter das Pachtverhältnis vorzeitig kündigen kann,
- wenn er einen landwirtschaftlichen Familienbetrieb im Haupt- oder Nebenerwerb gründet.
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- Die Verpächterin übertrug das Flurstück ihrem damaligen Ehemann, der
- es mit notariellem Vertrag vom 9. Oktober 2008 an den Beklagten verkaufte;
- dieser wurde im März 2009 als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen. Der
- Beklagte, der Landwirtschaft im Nebenerwerb betreibt, zäunte die Fläche ein
- und kündigte im Juni 2010 unter Bezugnahme auf § 12 Abs. 2 des Pachtvertrags das Vertragsverhältnis mit der Klägerin wegen Eigenbedarfs. Die Klägerin
- widersprach der Kündigung und forderte den Beklagten auf, ihr die Fläche zur
- Nutzung wieder zur Verfügung zu stellen.
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- Die Klägerin hat Klage mit dem Antrag erhoben, den Beklagten zu verurteilen, ihr die Nutzung der Fläche zu gewähren. Der Beklagte hat im Wege
- der Widerklage beantragt, die Klägerin zur Herausgabe der Fläche zu verurteilen. Im Verlauf des Rechtsstreits hat der Beklagte zudem eine fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzugs erklärt.
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- Das Amtsgericht (Landwirtschaftsgericht) hat die Klage abgewiesen und
- der Widerklage stattgegeben. Das Oberlandesgericht (Landwirtschaftssenat)
- hat die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Klägerin
- mit ihrer Rechtsbeschwerde.
- II.
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- Das Berufungsgericht meint, die Berufung sei gemäß § 48 Abs. 1 LwVG
- i.V.m. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO unzulässig, weil der Wert des Beschwerdegegenstands den Betrag von 600 € nicht übersteige. Die nach § 8 ZPO zu bemessende Beschwer der Klägerin belaufe sich angesichts einer auf die streitige
- Fläche entfallenden Pacht von 27,16 € jährlich und einer streitigen Pachtzeit
- von 9 Jahren und 4 Monaten auf lediglich 253, 49 €.
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- III.
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- Die Rechtsbeschwerde gegen den die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss ist zwar gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1
- Satz 4 ZPO statthaft, aber nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht zulässig, weil die
- Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch eine Entscheidung des
- Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert.
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- 1. Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht allerdings auf einem
- von der Rechtsbeschwerde gerügten Verfahrensfehler. Das Berufungsgericht
- hat die hier gebotene Nachholung der Prüfung unterlassen, ob die Berufung
- angesichts des von ihm angenommenen Werts der Beschwer der Klägerin aus
- den in § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO genannten Gründen zugelassen werden muss.
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- Hat das erstinstanzliche Gericht keine Veranlassung gesehen, die Berufung zuzulassen, weil es - wie hier - den Streitwert auf über 600 € festgesetzt
- hat, muss das Berufungsgericht die Entscheidung hierüber nachholen. Die unterschiedliche Bewertung der Beschwer darf nicht zu Lasten der Partei gehen
- (BGH, Urteil vom 14. November 2007 - VIII ZR 340/06, NJW 2008, 218, 219
- Rn. 12; Beschluss vom 19. Mai 2011 - V ZB 250/10, WuM 2011, 432; Beschluss vom 6. Oktober 2011 - V ZB 72/11, NJW-RR 2012, 82, 83 Rn. 7; Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 242/11, WuM 2012, 402, 403 Rn. 12 std.
- Rspr.). Dem ist das Berufungsgericht nicht nachgekommen, da es allein seine
- von dem erstinstanzlichen Gericht abweichenden Festsetzungen der Beschwer
- und des Streitwerts begründet hat.
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- 2. Dieser Fehler des Berufungsgerichts hätte jedoch nur dann zu einer
- unzulässigen, weil aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Erschwerung des Zugangs zu der von dem Gesetzgeber eröffneten Berufungsinstanz
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- geführt, wenn die Berufung nach dem Ergebnis der im Rechtsbeschwerdeverfahren nachzuholenden Prüfung (vgl. BGH, Urteil vom 14. November 2007
- - VIII ZR 340/06, NJW 2008, 218, 219 Rn. 12; Beschluss vom 21. April 2010
- - XII ZB 128/09, NJW-RR 2010, 934, 936 Rn. 21; Beschluss vom 10. Mai 2012
- - V ZB 242/11, WuM 2012, 202, 203 Rn. 12) gemäß § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1
- ZPO hätte zugelassen werden müssen oder wenn dem Rechtsbeschwerdegericht nach den Feststellungen in dem angefochtenen Beschluss eine solche
- Entscheidung nicht möglich wäre (BGH, Beschluss vom 19. Mai 2011
- - V ZB 250/10, WuM 2011, 432, 433 Rn. 5). Das ist jedoch nicht der Fall.
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- a) Allerdings wäre die Zulassung der Berufung geboten gewesen, wenn
- das Landwirtschaftsgericht seine Auffassung, dass ein Pachtverhältnis zwischen den Parteien nicht mehr besteht, nur auf die Wirksamkeit der unter Berufung auf das Sonderkündigungsrecht nach § 12 Abs. 2 des Pachtvertrags ausgesprochenen Kündigung gestützt hätte. Die Berufung hätte dann zwar - entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - nicht wegen der Frage, was unter einem „landwirtschaftlichen Familienbetrieb im Haupt- oder Nebenerwerb“ im
- Sinne des § 12 Abs. 2 des Pachtvertrags zu verstehen ist, aber deshalb zugelassen werden müssen, weil das Erstgericht mit seiner Entscheidung von der
- eines höherrangigen Gerichts abgewichen ist. In solch einem Fall hat es die
- Berufung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 511 Abs. 4
- Nr. 1 Alt. 3 ZPO zuzulassen (vgl. Senat, Beschluss vom 29. Mai 2002
- - V ZB 11/02, BGHZ 151, 42, 45).
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- Das Landwirtschaftsgericht ist von der Rechtsprechung des Berufungsgerichts abgewichen, nach der eine Vertragsbestimmung in einem langfristigen
- Pachtvertrag, mit der dem Verpächter ein Kündigungsrecht wegen Eigenbedarfs eingeräumt wird, grundsätzlich so auszulegen ist, dass das Sonderkündigungsrecht nur dem Verpächter zustehen und nicht auf den Erwerber überge-
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- hen soll (OLG Jena, Urteil vom 12. Mai 2011 - LwU 1019/10, Urteilsgründe auszugsweise wiedergegeben im Aufsatz von Schneider, NL-BzAR 2011, 262 im
- Anschluss an das OLG Naumburg, AUR 2005, 93 und RdL 2006, 220; anders
- allerdings OLG Dresden, AUR 2005, 23). Besondere Absprachen, die hier ein
- anderes Verständnis der Vertragsbestimmung nahelegen könnten, sind weder
- vorgetragen noch ersichtlich.
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- b) Die Abweichung von der Rechtsprechung des Berufungsgerichts bei
- der Auslegung der Vertragsbestimmung über das Sonderkündigungsrecht wegen Eigenbedarfs war jedoch nicht entscheidungserheblich, weil das Landwirtschaftsgericht seine Entscheidung auf einen weiteren, selbständig tragenden
- Grund gestellt hat, indem es auch die im Verlauf des Rechtsstreits von dem
- Beklagten wegen Zahlungsverzugs ausgesprochene Kündigung als berechtigt
- angesehen hat. Insoweit rügt die Rechtsbeschwerde zwar eine Verletzung des
- Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) durch das
- Landwirtschaftsgericht, da dieses den unter Zeugenbeweis gestellten Vortrag
- der Klägerin übergangen habe, dass sie die von November 2009 an geschuldeten Pachten an die ihr bekannte Verpächterin L.
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- weiter gezahlt habe. Da-
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- mit hat sie aber keinen Erfolg.
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- aa) Es ist bereits zweifelhaft, ob ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG
- überhaupt als Grund für eine Zulassung der Berufung in Betracht kommt, wenn
- das Berufungs- bzw. das Rechtsbeschwerdegericht (hier auf Grund einer abweichenden Wertfestsetzung auf einen Betrag unter der Berufungssumme) die
- Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts über die Zulassung der Berufung
- nach § 522 Abs. 4 ZPO nachzuholen hat. Das Erstgericht darf nämlich nicht,
- wenn es eine Verletzung von Verfahrensgrundrechten erkennt, die Berufung
- nach § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulassen, sondern hat den Fehler selbst zu beheben (vgl. Münch-
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- Komm-ZPO/Rimmelspacher, 4. Aufl., § 511 Rn. 77; PG/Lemke, ZPO, 5. Aufl.,
- § 511 Rn. 44). Wenn das Erstgericht die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht bemerkt, hat es ebenfalls keinen Anlass, die Berufung gegen
- sein Urteil zuzulassen. Dem Rechtsmittelgericht dürfte, wenn es ausnahmsweise anstelle des erstinstanzlichen Gerichts über die Zulassung der Berufung zu
- entscheiden hat, nicht die Befugnis zukommen, die Berufung wegen der Verletzung eines Verfahrensgrundrechts dennoch zuzulassen und damit den Instanzenzug faktisch zu erweitern.
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- bb) Diese Frage bedarf hier jedoch keiner Entscheidung, weil das Landwirtschaftsgericht den unter Beweis gestellten Vortrag über die Weiterzahlung
- der jährlich jeweils zum 15. November fälligen Pachten an die bisherige Verpächterin wegen deren fehlender Empfangszuständigkeit als unerheblich angesehen hat. Die gerügte Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG liegt danach nicht
- vor. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet ein Gericht zwar, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu
- ziehen (BVerfG, NJW 2009, 1584 Rn. 14), jedoch nicht dazu, der Rechtsansicht
- einer Partei zu folgen. Soweit dem Gericht insoweit Rechtsfehler unterlaufen
- sein sollten, bewirkt dies allein nicht die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG
- (BVerfG, NJW 2005, 3345, 3346 mwN).
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- 3. Die Berufung war auch nicht als Wertberufung nach § 511 Abs. 2 Nr. 1
- ZPO statthaft. Die Festsetzung des Werts der Beschwer auf einen 600 € nicht
- übersteigenden Betrag kann von dem Rechtsbeschwerdegericht nur darauf
- überprüft werden, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen (§ 3 ZPO)
- einen ungesetzlichen Gebrauch gemacht hat (vgl. Senat, Beschluss vom
- 14. Oktober 1993 - LwZB 6/93, NJW-RR 1994, 256). Das ist hier nicht der Fall.
- Die auf § 8 ZPO gestützte Bemessung des Streitwerts nach dem auf die gesamte streitige Zeit entfallenden Pachtzins entspricht der Rechtsprechung des
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- Senats (vgl. Beschluss vom 14. Oktober 1993 - LwZB 6/93, aaO). Die Rechtsbeschwerde erhebt insoweit auch keine Einwendungen.
- IV.
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- Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO und die Bemessung
- des Werts auf § 41 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. § 34 Abs. 1 GKG.
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- Stresemann
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- RiBGH Dr. Lemke ist infolge
- Urlaubs an der Unterschrift gehindert.
- Karlsruhe, den 11. Oktober 2013
- Die Vorsitzende
- Stresemann
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- Vorinstanzen:
- AG Erfurt, Entscheidung vom 25.05.2012 - Lw 11/11 OLG Jena, Entscheidung vom 19.12.2012 - Lw U 548/12 -
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- Czub
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