You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.

405 lines
25 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. KVR 33/09
  4. Verkündet am:
  5. 5. Oktober 2010
  6. Bürk
  7. Justizhauptsekretärin
  8. als Urkundsbeamtin
  9. der Geschäftsstelle
  10. in der Kartellverwaltungssache
  11. Nachschlagewerk:
  12. ja
  13. BGHZ:
  14. nein
  15. BGHR:
  16. ja
  17. EDEKA/Plus
  18. GWB § 71 Abs. 2 Satz 2
  19. Eine Untersagungsverfügung kann nur dann eine zur Zulässigkeit eines Fortsetzungsfeststellungsantrags führende Präjudizwirkung entfalten, wenn ein
  20. gleichartiges Zusammenschlussvorhaben wie das untersagte möglich erscheint.
  21. Dafür ist grundsätzlich erforderlich, dass das Zielunternehmen des Zusammenschlussvorhabens bei im Wesentlichen unveränderten Marktverhältnissen noch
  22. am Markt ist und erneut als Beteiligter eines Zusammenschlussvorhabens in
  23. Betracht kommt. Besteht das Zielobjekt dagegen nicht mehr, weil das Zusammenschlussvorhaben unter Nebenbestimmungen freigegeben und vollzogen
  24. worden ist, scheidet ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse regelmäßig aus.
  25. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - KVR 33/09 - OLG Düsseldorf
  26. -2 -
  27. Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 5. Oktober 2010 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck
  28. und die Richter Dr. Bergmann, Dr. Strohn, Dr. Löffler und Dr. Bacher
  29. beschlossen:
  30. Die Rechtsbeschwerden der Betroffenen zu 1 und 2 gegen den
  31. Beschluss des 1. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf
  32. vom 27. Mai 2009 werden zurückgewiesen.
  33. Die Betroffenen zu 1 und 2 tragen die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des
  34. Bundeskartellamts. Die notwendigen Auslagen der Beigeladenen
  35. im Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht erstattet.
  36. -3 -
  37. Gründe:
  38. 1
  39. I. Die Betroffene zu 1, die EDEKA Zentrale AG & Co. KG (im Folgenden:
  40. EDEKA), ist die Führungsgesellschaft der EDEKA-Gruppe. Diese betreibt mehr
  41. als 6.600 Lebensmitteleinzelhandelsgeschäfte. Die Betroffene zu 2, die Tengelmann Warenhandelsgesellschaft KG (im Folgenden: Tengelmann), unterhält
  42. im Lebensmitteleinzelhandel über die Kaiser's Tengelmann AG Supermärkte
  43. und betrieb über die Betroffene zu 3, die Plus Warenhandelsgesellschaft mbH
  44. (im Folgenden: Plus), bei der es sich um ihr hundertprozentiges Tochterunternehmen handelte, Discountmärkte.
  45. 2
  46. EDEKA und Tengelmann beabsichtigten, ihre jeweiligen inländischen Lebensmittel-Discountaktivitäten in einem Gemeinschaftsunternehmen, der neu
  47. zu errichtenden Netto Marken-Discount AG & Co. KG (im Folgenden: Netto),
  48. zusammenzuführen. Hieran sollten EDEKA - zum Teil über eine Beteiligung an
  49. Plus, zum Teil direkt - zu 70% und Tengelmann zu 30% beteiligt werden. Sodann sollte Tengelmann ihr wesentliches operatives deutsches Discountgeschäft mit rund 2.900 Plus-Filialen und EDEKA ihr operatives Geschäft der Netto Marken-Discount GmbH & Co. OHG, Maxhütte-Haidhof, mit mehr als
  50. 1.000 Filialen im Lebensmitteleinzelhandel in die Netto einbringen. Netto sollte
  51. von EDEKA und Tengelmann gemeinsam kontrolliert werden. Des Weiteren
  52. war eine Kooperation von EDEKA und Tengelmann beim Einkauf für das Supermarktgeschäft beabsichtigt.
  53. 3
  54. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Bundeskartellamt das Zusammenschlussvorhaben nur unter umfangreichen Nebenbestimmungen freigegeben (WuW/E DE-V 1607). Unter anderem hat es die Freigabe unter folgende aufschiebende Bedingungen gestellt:
  55. -4 -
  56. Nr. I 1 a des Beschlusses
  57. Innerhalb von sechs (höchstens neun) Monaten nach Zustellung der Freigabeverfügung veräußert Tengelmann sämtliche
  58. Plus-Standorte, die in näher bezeichneten und zu sieben
  59. "Clustern" zusammengefassten geographischen Bereichen belegen sind, an Dritte und schließt unveräußerliche Standorte.
  60. Nr. I 1 e
  61. Am Gemeinschaftsunternehmen Netto werden EDEKA mit
  62. durchgerechnet 80% und Tengelmann mit durchgerechnet 20%
  63. beteiligt, indem EDEKA einen Geschäftsanteil von 17% und
  64. Tengelmann einen solchen von 83% an der Plus halten und am
  65. Gemeinschaftsunternehmen Netto die Plus mit 24% und
  66. EDEKA mit 76% beteiligt werden.
  67. Nr. I 1 f
  68. In den gesellschaftsrechtlichen Regelungen der Plus und des
  69. Gemeinschaftsunternehmens Netto ist eine gemeinsame Kontrolle der Unternehmen durch EDEKA und Tengelmann auszuschließen, indem Plus allein von Tengelmann und das Gemeinschaftsunternehmen Netto allein von EDEKA kontrolliert werden darf und die hierzu dem Bundeskartellamt vorgelegten Gesellschaftsverträge nur mit Zustimmung des Amtes geändert
  70. werden dürfen.
  71. 4
  72. Weiter ist die Freigabeentscheidung unter anderem mit folgender Auflage
  73. versehen worden:
  74. -5 -
  75. Nr. I 2 a des Beschlusses
  76. Für den Zeitraum von zwei Jahren nach Zustellung des Beschlusses dürfen EDEKA und Tengelmann in den bezeichneten
  77. sieben Clustern weder geschlossene Plus-Standorte wiedereröffnen (wozu auch der Rückkauf von Standorten zählen würde)
  78. noch in unmittelbarer Nähe zu den an Dritte veräußerten PlusStandorten eigene Lebensmitteleinzelhandelsgeschäfte neu eröffnen.
  79. 5
  80. Die Zusammenschlussbeteiligten haben die mit der Freigabeverfügung
  81. verbundenen aufschiebenden Bedingungen fristgerecht erfüllt und das Fusionsvorhaben sodann vollzogen. Dabei hat EDEKA über die vom Bundeskartellamt
  82. vorgegebenen Beteiligungsverhältnisse hinaus Netto im Ergebnis zu 85% erworben, während Tengelmann nur eine Beteiligung in Höhe von 15% übernommen hat.
  83. 6
  84. EDEKA, Tengelmann und Plus haben gegen einzelne Nebenbestimmungen Beschwerden eingelegt. Alle Betroffenen haben die Feststellung der
  85. Rechtswidrigkeit des Veräußerungsgebots (aufschiebende Bedingung I 1 a)
  86. erstrebt. Tengelmann und Plus haben darüber hinaus die Feststellung der
  87. Rechtswidrigkeit des Verbots begehrt, ein gemeinsam kontrolliertes Gemeinschaftsunternehmen zu bilden (aufschiebende Bedingungen I 1 e und f). EDEKA schließlich hat mit der Anfechtungsbeschwerde das Verbot einer Wiedereröffnung geschlossener Plus-Standorte bzw. einer Neueröffnung in unmittelbarer
  88. Nähe von veräußerten Plus-Standorten (Auflage zu I 2 a) angegriffen.
  89. 7
  90. Das Beschwerdegericht hat die Beschwerden als unzulässig verworfen
  91. (OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 2630). Die Betroffenen zu 1 und 2 verfolgen
  92. mit ihren vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerden ihren ge-
  93. -6 -
  94. meinsamen Beschwerdeantrag weiter, die Rechtswidrigkeit der Bedingung zu
  95. I 1 a festzustellen. EDEKA beantragt hinsichtlich der Auflage zu I 2 a - nach
  96. Ablauf der darin bestimmten Frist - ebenfalls die Feststellung der Rechtswidrigkeit. Hinsichtlich der Bedingungen zu I 1 e und f haben Tengelmann und das
  97. Bundeskartellamt das Verfahren in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.
  98. 8
  99. II. Die Rechtsbeschwerden sind unbegründet. Das Beschwerdegericht
  100. hat die Beschwerden von EDEKA und Tengelmann zu Recht als unzulässig
  101. verworfen. Die im Rechtsbeschwerdeverfahren erstmals als Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 71 Abs. 2 Satz 2 GWB formulierte Beschwerde von
  102. EDEKA ist ebenfalls unzulässig.
  103. 9
  104. A. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Beschwerdegericht im
  105. Wesentlichen ausgeführt:
  106. 10
  107. Die Freigabebedingungen seien erfüllt worden und hätten sich hierdurch
  108. erledigt. Die Beschwerde könne nur noch auf die gerichtliche Feststellung gerichtet sein, dass die angegriffenen Bedingungen rechtswidrig gewesen seien.
  109. Dafür fehle es jedoch an dem nach § 71 Abs. 2 Satz 2 GWB erforderlichen berechtigten Interesse der Betroffenen.
  110. 11
  111. Das gelte zum einen für eine Wiederholungsgefahr oder ein Interesse
  112. der Betroffenen an einer Klärung der Rechtslage im Hinblick auf ihr künftiges
  113. Verhalten im Sinne der älteren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Denn
  114. dafür sei Voraussetzung, dass sich der Beschwerdeführer auf ein konkretes
  115. Vorhaben berufen könne, für das gleiche tatsächliche und rechtliche Verhältnisse gälten und an dem dieselben Unternehmen beteiligt seien. Weder EDEKA
  116. -7 -
  117. noch Tengelmann hätten ein derart konkretes Zusammenschlussvorhaben dargelegt.
  118. 12
  119. Zum andern seien auch die vom Bundesgerichtshof in der Entscheidung
  120. Springer/ProSieben I (Urteil vom 25. September 2007 - KVR 30/06, BGHZ 174,
  121. 179) aufgestellten großzügigeren Voraussetzungen für ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht erfüllt. Danach genüge zwar, dass ein künftiges Fusionsvorhaben nur möglich erscheine. Auch diese Möglichkeit dürfe aber nicht nur
  122. theoretisch sein und müsse sich auf den der fusionskontrollrechtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Prognosezeitraum von längstens fünf Jahren
  123. beziehen. Unverändert erforderlich sei zudem eine hinreichende präjudizielle
  124. Wirkung der angefochtenen kartellbehördlichen Entscheidung. Dazu sei erforderlich, dass das künftige Fusionsvorhaben alle Begründungselemente aufweise, die von der Behörde als entscheidungsrelevant angesehen worden seien
  125. (quantitative Identität), und der künftige Fusionsfall in Bezug auf seine wettbewerblichen Wirkungen auf diese Begründungselemente hinreichend vergleichbar sei (qualitative Vergleichbarkeit). Auch diese Voraussetzungen seien von
  126. den Betroffenen nicht dargelegt worden.
  127. 13
  128. So sei hinsichtlich einer Vielzahl der von der Beschwerde angeführten
  129. Erwerbsmöglichkeiten nicht dargetan, dass sie innerhalb von maximal fünf Jahren in Betracht kämen. Ein Rückerwerb der an REWE veräußerten 313 PlusStandorte etwa sei in dem maßgeblichen Zeitraum nicht zu erwarten, da REWE
  130. diese Standorte aus einem langfristigen unternehmensstrategischen Interesse
  131. erworben habe.
  132. 14
  133. Zum anderen fehle es auch bei künftigen Zusammenschlussvorhaben,
  134. bei denen EDEKA als Erwerberin auftrete, an der erforderlichen präjudiziellen
  135. Wirkung. Denn das Bundeskartellamt habe eine marktbeherrschende Stellung
  136. -8 -
  137. von EDEKA nur in einzelnen Regionalmärkten festgestellt, die es zu sieben
  138. "Clustern" zusammengefasst habe. Dabei sei es nicht nur von den in diesen
  139. Clustern bestehenden Marktanteilen von EDEKA und Tengelmann in Höhe von
  140. gemeinsam jeweils über 33% ausgegangen, sondern habe im Rahmen einer
  141. Gesamtbetrachtung weitere regionale und bundesweite markt- und unternehmensbezogene Strukturkriterien in seine Würdigung einbezogen. Künftige Fusionsvorhaben würden nicht sämtliche dieser Begründungselemente aufweisen
  142. und auch in ihren wettbewerblichen Auswirkungen nicht hinreichend vergleichbar sein.
  143. Soweit sich die Beschwerde von EDEKA gegen die Auflage richte, inner-
  144. 15
  145. halb von zwei Jahren keinen geschlossenen Plus-Standort wiederzueröffnen
  146. und keine Standorte in unmittelbarer Nähe verkaufter Plus-Standorte neu zu
  147. eröffnen, fehle es EDEKA an einer materiellen Beschwer.
  148. B. Diese Ausführungen halten im Ergebnis der rechtlichen Überprüfung
  149. 16
  150. stand.
  151. 17
  152. 1. Zu Recht hat das Beschwerdegericht angenommen, dass eine Anfechtung der Bedingungen in dem Beschluss des Bundeskartellamts nicht (mehr)
  153. zulässig ist, nachdem die Betroffenen sämtliche Bedingungen erfüllt haben (zur
  154. Frage der Zulässigkeit einer isolierten Anfechtung einer Bedingung im Übrigen
  155. s. OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 1397, 1399; Mestmäcker/Veelken in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl., GWB § 40 Rn. 103; Bechtold,
  156. GWB, 5. Aufl., § 40 Rn. 26).
  157. 18
  158. Das Gleiche gilt für die von EDEKA angegriffene Auflage, innerhalb eines
  159. Zeitraums von zwei Jahren ab Zustellung des Beschlusses des Bundeskartellamts keine geschlossenen Plus-Standorte wiederzueröffnen und in unmittelba-
  160. -9 -
  161. rer Nähe zu den veräußerten Plus-Standorten keine Lebensmitteleinzelhandelsgeschäfte neu zu eröffnen (Auflage I 2 a). Diese Auflage war im Zeitpunkt
  162. der mündlichen Verhandlung vor dem Rechtsbeschwerdegericht (vgl. zu diesem Zeitpunkt BGH, Urteil vom 8. Juli 1955 - I ZR 201/53, BGHZ 18, 98, 106;
  163. Beschluss vom 20. April 2010 - KVR 1/09, WuW/E DE-R 661 Rn. 16 - Phonak/
  164. GN Store Nord) erledigt, da der Zweijahreszeitraum abgelaufen war. Deshalb
  165. hat EDEKA zu Recht ihren Antrag umgestellt und verlangt jetzt nur noch die
  166. Feststellung, dass die Auflage rechtswidrig war.
  167. 19
  168. 2. Im Ergebnis zutreffend ist auch die Annahme des Beschwerdegerichts, für die Feststellung, dass die in Streit stehende Bedingung (I 1 a) rechtswidrig sei, fehle es an einem berechtigten Interesse der Betroffenen i.S. des
  169. § 71 Abs. 2 Satz 2 GWB.
  170. 20
  171. a) Ein derartiges "Fortsetzungsfeststellungsinteresse" besteht nach der
  172. älteren Rechtsprechung des Senats dann, wenn eine Wiederholung der Behördenentscheidung zu erwarten ist oder wenn die Klärung der durch die Entscheidung entstandenen unklaren Rechtslage für den Beschwerdeführer im
  173. Hinblick auf sein künftiges Verhalten von unmittelbarem Interesse ist (BGH, Beschluss vom 5. Mai 1967 - KVR 1/65, WuW/E 852, 854 - Großgebinde IV; Beschluss vom 9. Juli 2002 - KVR 1/01, BGHZ 151, 260, 268 f. - Stellenmarkt für
  174. Deutschland; für den Verwaltungsprozess ebenso BVerwG, NVwZ 1994,
  175. 282 f.). Dazu muss im Bereich der Fusionskontrolle mit einem vergleichbaren
  176. Zusammenschlussvorhaben konkret zu rechnen sein.
  177. 21
  178. b) Diese Rechtsprechung hat der Senat in der Entscheidung Springer/
  179. ProSieben I weiterentwickelt. Danach kann sich im Verfahren der Zusammenschlusskontrolle das Fortsetzungsfeststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr auch aus der Präjudizierung eines entspre-
  180. - 10 -
  181. chenden, wenn auch derzeit noch nicht absehbaren Zusammenschlussvorhabens ergeben (BGH, Beschluss vom 25. September 2007 - KVR 30/06, BGHZ
  182. 174, 179 Rn. 16 ff. - Springer/ProSieben I; Beschluss vom 14. April 2010 - KVR
  183. 1/09, WuW/E DE-R 2905 Rn. 16 - Phonak/GN Store Nord). Damit trägt der Senat dem Umstand Rechnung, dass Zusammenschlussvorhaben nach einer Untersagung durch das Bundeskartellamt aus wirtschaftlichen Gründen häufig
  184. aufgegeben werden und bei einem erneuten vergleichbaren Vorhaben wiederum mit einer Untersagung zu rechnen ist. Dadurch verringern sich zugleich die
  185. Chancen des von der Untersagung Betroffenen, im Rahmen künftiger Zusammenschlussvorhaben überhaupt als potenzieller Vertragspartner in Erwägung
  186. gezogen zu werden. Der in dieser Situation gebotene Rechtsschutz soll den
  187. Betroffenen dadurch gewährt werden, dass im Rahmen der Fortsetzungsfeststellungsbeschwerde nach § 71 Abs. 2 Satz 2 GWB ein großzügigerer Maßstab
  188. an das Feststellungsinteresse angelegt wird.
  189. 22
  190. Ein Bedürfnis nach zusätzlichem Rechtsschutz besteht aber dann nicht
  191. mehr, wenn sich die aus der rechtlichen Sicht der Kartellbehörde für die Untersagung maßgeblichen Gesamtumstände, insbesondere die Marktverhältnisse,
  192. so wesentlich geändert haben, dass die frühere Beurteilung keine prägende
  193. Bedeutung für die spätere Prüfung eines erneuten Zusammenschlussvorhabens haben kann. Ist eine solche Änderung eingetreten, genügt für ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse - wie der Senat in der Entscheidung Phonak/GN
  194. Store Nord klargestellt hat - nicht, dass sich einzelne in dem Untersagungsbeschluss aufgeworfene Fragen auch bei künftigen Zusammenschlussvorhaben
  195. stellen können (Beschluss vom 14. April 2010 - KVR 1/09, WuW/E DE-R 2905
  196. Rn. 16). Denn es ist nicht Aufgabe der Gerichte, Gutachten zu abstrakten
  197. Rechtsfragen zu erstatten, auch wenn diese für künftige Entscheidungen Bedeutung haben mögen. Erforderlich ist vielmehr, dass ein unmittelbarer Einfluss
  198. der gerichtlichen Entscheidung auf künftige Behördenentscheidungen zu erwar-
  199. - 11 -
  200. ten ist. Nur wenn ein künftiges Zusammenschlussvorhaben in Rede steht, das
  201. ohne gerichtliche Überprüfung des erledigten Vorhabens voraussichtlich ebenfalls untersagt werden würde, kann die Beschwerde nach den Grundsätzen der
  202. Springer/ProSieben I-Entscheidung zulässig sein.
  203. 23
  204. c) Eine Untersagungsverfügung kann danach nur dann eine zur Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsbeschwerde führende Präjudizwirkung
  205. entfalten, wenn ein gleichartiges Zusammenschlussvorhaben wie das untersagte möglich erscheint. Dafür ist grundsätzlich erforderlich, dass - wie in den Fällen Springer/ProSieben I und Phonak/GN Store Nord - bei im Wesentlichen unveränderten Marktverhältnissen das Zielunternehmen des Zusammenschlussvorhabens noch am Markt ist und erneut als Beteiligter eines Zusammenschlussvorhabens in Betracht kommt. Wenn das Zielobjekt dagegen nicht mehr
  206. besteht, weil das Zusammenschlussvorhaben unter Nebenbestimmungen freigegeben und danach vollzogen worden ist, scheidet ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse regelmäßig aus. Denn dann haben sich die Marktverhältnisse in
  207. der Regel in erheblicher Weise geändert. Ein erneutes Zusammenschlussvorhaben könnte sich nur auf ein anderes Zielunternehmen beziehen. Dieses Vorhaben könnte nicht mit derjenigen Begründung untersagt oder wiederum nur
  208. unter Nebenbestimmungen freigegeben werden, mit der bei der erfolgten Freigabe unter Nebenbestimmungen die Ablehnung einer unbedingten Freigabe
  209. begründet worden ist. Möglich wäre allein, dass einzelne Begründungselemente
  210. in der neuen Entscheidung wiederholt würden. Dies allein reicht aber nicht aus,
  211. um eine Präjudizierung der kartellbehördlichen Entscheidung selbst annehmen
  212. zu können.
  213. 24
  214. d) Nach diesen Maßstäben ist auch im vorliegenden Fall eine ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse begründende präjudizielle Wirkung der Verfügung des Kartellamts zu verneinen.
  215. - 12 -
  216. 25
  217. aa) Das Bundeskartellamt hat zur Begründung der Freigabe unter Bedingungen und Auflagen ausgeführt:
  218. 26
  219. Durch das Zusammenschlussvorhaben würde EDEKA eine marktbeherrschende Stellung auf 66 von insgesamt 345 Regionalmärkten, zusammengefasst in sieben Clustern, erlangen.
  220. 27
  221. Bei der sachlichen Marktabgrenzung sei von einem einheitlichen Markt
  222. für den Lebensmitteleinzelhandel auszugehen. Innerhalb dieses Marktes sei
  223. zwischen verschiedenen Vertriebslinien zu unterscheiden. Sie beträfen die SBWarenhäuser mit einem warenhausähnlichen Sortiment einschließlich eines
  224. Lebensmitteleinzelhandel-Sortiments, die Vollsortimenter mit einem ebenfalls
  225. eine Vielzahl von Produkten des Lebensmitteleinzelhandels umfassenden Sortiment, die Soft-Discounter mit einer begrenzten Anzahl von Produkten und weniger (Hersteller-)Markenartikel, einer einfachen Ladenausstattung und niedrigen Preisen und schließlich die Hard-Discounter mit einer Verstärkung der
  226. Merkmale der Soft-Discounter. Im Rahmen eines stark abgestuften Wettbewerbsverhältnisses bestehe engerer Wettbewerb nur zwischen den Vertriebsschienen Vollsortimenter und Soft-Discounter. Regional seien die Märkte mit
  227. einem Radius von 20 km bzw. einer Fahrtzeit von 20 Autominuten um das jeweils prägende regionale Oberzentrum abzugrenzen.
  228. 28
  229. Die überragende Marktstellung von EDEKA auf den genannten Regionalmärkten ergebe sich aus einer Gesamtbetrachtung aller den Lebensmitteleinzelhandel auf regionaler und auf Bundesebene prägenden Strukturkriterien.
  230. Durch den Zusammenschluss baute EDEKA ihre auf regionaler und bundesweiter Ebene ohnehin schon bestehende herausragende Marktstellung zu einer
  231. überragenden Marktstellung aus. Es wäre zu erwarten, dass EDEKA nach dem
  232. - 13 -
  233. Zusammenschluss so erhebliche strukturelle Vorteile hätte, dass sie die Handlungsspielräume der Wettbewerber auf Dauer einschränken oder sogar beseitigen könnte.
  234. 29
  235. Für eine nach der Übernahme der Plus-Standorte zu erwartende überragende Marktstellung von EDEKA in den sieben Clustern spreche, dass EDEKA
  236. auf zahlreichen der geprüften Regionalmärkte mit weitem Abstand Marktführer
  237. sei und der Zusammenschluss nicht nur zu einer Marktanteilsaddition führte,
  238. sondern auch zu einer erheblichen Erweiterung des Standortnetzes von
  239. EDEKA. Mit Tengelmann fiele durch den Zusammenschluss ein enger Wettbewerber von EDEKA in den Vertriebsschienen Vollsortimenter und SoftDiscounter weg; es blieben nur noch REWE und, mit Einschränkungen, die
  240. Schwarz-Gruppe übrig. EDEKA verfüge über eine insgesamt hohe Marktpräsenz, ein umfassendes Vertriebsschienenkonzept und über die bundesweit mit
  241. Abstand größte Gesamtverkaufsfläche; durch den Zusammenschluss könnte
  242. EDEKA ihren herausragenden Zugang zu den Absatzmärkten weiter ausbauen.
  243. Die überragende Marktstellung von EDEKA wäre nach dem Zusammenschluss
  244. auch durch einen Preiswettbewerb nicht wirkungsvoll angreifbar, weil die Verkaufspreispositionierung nur ein Teil des Marketing-Mix im Lebensmitteleinzelhandel sei und die wettbewerblichen Verhaltensspielräume der führenden Anbieter hierdurch nicht entscheidungserheblich begrenzt werden könnten. Mit
  245. einem Marktzutritt dritter Unternehmen sei angesichts der hohen Marktzutrittsschranken im Lebensmitteleinzelhandel nicht zu rechnen. Schließlich hätte
  246. EDEKA nach dem Zusammenschluss einen überragenden Zugang zu den Beschaffungsmärkten insbesondere im Bereich der Herstellermarken.
  247. 30
  248. bb) Daraus ergibt sich hinsichtlich der von EDEKA und Tengelmann angegriffenen Bedingung, in den Clustern sämtliche Plus-Standorte an Dritte zu
  249. veräußern oder zu schließen, keine Präjudizierung eines künftigen Zusammen-
  250. - 14 -
  251. schlussvorhabens. Dabei kann offen bleiben, ob auf dem Lebensmitteleinzelhandelsmarkt vergleichbare künftige Fusionen überhaupt möglich erscheinen.
  252. Denn jedenfalls würde das Ergebnis einer Überprüfung derartiger Vorhaben
  253. nicht durch die für die angegriffene Nebenbestimmung gegebene Begründung
  254. präjudiziert.
  255. 31
  256. Eine solche präjudizielle Wirkung kommt überhaupt nur insoweit in Betracht, als das Bundeskartellamt angenommen hat, dass auf den 66 innerhalb
  257. der Cluster liegenden Regionalmärkten ohne die Nebenbestimmung eine
  258. marktbeherrschende Stellung der EDEKA entstände. Auch auf diesen Märkten
  259. ist jedoch das Zielobjekt des Zusammenschlussvorhabens nicht mehr vorhanden. REWE als der engste Wettbewerber von EDEKA hat 313 Plus-Filialen
  260. übernommen. Die weiteren 46 Standorte sind ebenfalls von Wettbewerbern im
  261. Lebensmitteleinzelhandel gekauft worden.
  262. 32
  263. Damit sind die Wettbewerber von EDEKA auf diesen Regionalmärkten
  264. gestärkt worden. Bei einem erneuten Zusammenschlussvorhaben müsste diese
  265. geänderte Marktsituation berücksichtigt und auf ihre Auswirkungen auf die
  266. Wettbewerbslage auf den vom Bundeskartellamt als "kritisch" angesehenen
  267. Regionalmärkten hin untersucht werden. Zudem müsste bei der Bewertung der
  268. Auswirkungen eines künftigen Zusammenschlussvorhabens auf die Marktstellung der EDEKA bedacht werden, dass durch den angemeldeten Zusammenschluss nach der Begründung der angefochtenen Verfügung mit Tengelmann
  269. ein "enger Wettbewerber" von EDEKA weggefallen wäre, was bei einem neuen
  270. Zusammenschlussvorhaben nicht der Fall sein muss. Wollte EDEKA erneut auf
  271. den "kritischen" Regionalmärkten Standorte aus dem Vollsortimenter- und SoftDiscount-Bereich übernehmen, könnte eine Untersagung daher nicht mit der
  272. Begründung der angefochtenen Verfügung erfolgen, sondern erforderte eine
  273. - 15 -
  274. eigenständige Bewertung der dann gegebenen konkreten Marktsituation auf
  275. dem jeweiligen Regionalmarkt.
  276. 33
  277. Daran ändert auch der von den Betroffenen in der mündlichen Verhandlung - an sich zutreffend - hervorgehobene Gesichtspunkt nichts, dass das
  278. Bundeskartellamt seine Bewertung, durch den Zusammenschluss in der angemeldeten Form wäre eine marktbeherrschende Stellung der EDEKA auf 66 Regionalmärkten entstanden, wesentlich mit einer ohnehin schon bestehenden
  279. herausragenden Marktstellung auf regionaler und bundesweiter Ebene begründet hat. Denn damit ist nur ein, wenngleich zentrales, Begründungselement der
  280. Verfügung angesprochen, an dessen Überprüfung die Betroffenen wegen der
  281. dahinterstehenden Einschätzungen (insbesondere zur Aufteilung des Gesamtmarktes in vier Vertriebslinien, zur Stärke des von Hard-Discountern ausgehenden Wettbewerbsdrucks, zur Relevanz des Preiswettbewerbs und zur Bedeutung des Zugangs zu Beschaffungsmärkten) ein starkes Interesse haben mögen. Dieses Begründungselement konnte nach der Begründung der Verfügung
  282. aber gerade allein eine vollständige Untersagung des angemeldeten Zusammenschlussvorhabens noch nicht tragen, weil das Vorhaben andernfalls insgesamt hätte untersagt werden müssen. Da dies nicht der Fall war, bedurfte es
  283. aus der Sicht des Bundeskartellamts einer Beurteilung der Situation auf den
  284. Regionalmärkten der sieben Cluster und der bei einem Vollzug des angemeldeten Zusammenschlusses zu erwartenden Auswirkungen, die auf den Seiten 52
  285. bis 70 der angefochtenen Verfügung vorgenommen worden ist. Eben eine solche eigenständige Beurteilung wäre auch bei einem weiteren Zusammenschlussvorhaben erforderlich, durch das die Marktposition der EDEKA auf aus
  286. der Sicht des Bundeskartellamts "kritischen" Regionalmärkten gestärkt würde.
  287. 34
  288. 3. Für den Antrag von EDEKA, die Rechtswidrigkeit der Auflage I 2 a
  289. festzustellen, gilt nichts anderes. Auch dieser Antrag ist mangels eines dafür
  290. - 16 -
  291. bestehenden Fortsetzungsfeststellungsinteresses i.S. des § 71 Abs. 2 Satz 2
  292. GWB unzulässig.
  293. 35
  294. C. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Betroffenen zu 1
  295. und 2 gemäß § 78 GWB zu tragen.
  296. 36
  297. Dies betrifft auch den für erledigt erklärten Teil des Verfahrens. Ohne die
  298. Erledigungserklärung hätte die Beschwerde auch insoweit zurückgewiesen werden müssen, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt.
  299. Meier-Beck
  300. Bergmann
  301. Löffler
  302. Strohn
  303. Bacher
  304. Vorinstanz:
  305. OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 27.05.2009 - VI-Kart 9/08 (V) -