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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. IX ZR 57/02
  5. in dem Rechtsstreit
  6. Nachschlagewerk:
  7. Verkündet am:
  8. 18. Juli 2002
  9. Bürk
  10. Justizhauptsekretärin
  11. als Urkundsbeamtin
  12. der Geschäftsstelle
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. BEG 1956 §§ 41a, 35
  19. Ist ein Verfolgter nicht an den Folgen der Schädigung seines Körpers oder seiner Gesundheit gestorben, so ist der Beihilfeanspruch seiner Witwe nicht lediglich dadurch gehindert, daß § 35 BEG eine Erhöhung der im Todeszeitpunkt
  20. bezogenen Gesundheitsschadensrente des Verstorbenen beim Erreichen einer
  21. verfolgungsbedingten Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit von 70 v.H. nicht
  22. zuließ.
  23. -2BGH, Urteil vom 18. Juli 2002 - IX ZR 57/02 - OLG München
  24. LG München I
  25. -3-
  26. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die einseitige mündliche
  27. Verhandlung vom 6. Juni 2002 gemäß § 209 Abs. 3 Satz 2 BEG durch den
  28. Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die Richter Kirchhof, Dr. Fischer, Raebel
  29. und
  30. Kayser
  31. für Recht erkannt:
  32. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 18. Zivilsenats
  33. des Oberlandesgerichts München vom 23. Januar 2001 aufgehoben.
  34. Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  35. Von Rechts wegen
  36. Tatbestand:
  37. Die Klägerin beansprucht, soweit für die Revision noch von Interesse,
  38. Witwenbeihilfe gemäß § 41a BEG. Ihr 1911 geborener und 1994 an einem Tumorleiden verstorbener Ehemann bezog aufgrund eines Abänderungsbescheides vom 11. September 1991 ab dem 1. Januar 1987 eine Entschädigungsrente, die nach einer verfolgungsbedingten MdE von 50 % bei einer allgemeinen MdE von 80 % berechnet war. Ein Abhilfeverfahren der Erben gegen diese
  39. Festsetzungen blieb ohne Erfolg.
  40. -4-
  41. Der Beihilfeantrag der Klägerin wurde abgelehnt, ihre Klage in den Tatsacheninstanzen abgewiesen. Hiergegen richtet sich ihre durch den Senat zugelassene Revision.
  42. Entscheidungsgründe:
  43. Die Revision ist begründet. Eine Entscheidung des Senats in der Sache
  44. selbst kann mangels hinreichender Feststellungen nicht ergehen.
  45. I.
  46. Das Berufungsgericht hat der Klägerin den auf § 41a BEG gestützten
  47. Beihilfeanspruch versagt, weil der verstorbene Verfolgte selbst bei einer Erhöhung seiner verfolgungsbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit (vMdE) auf
  48. 70 % nach § 35 Abs. 2 BEG keine Neufestsetzung seiner bisherigen Rente
  49. hätte erreichen können. Denn eine Rentenabweichung um mindestens 30 %
  50. ergebe sich damit noch nicht.
  51. II.
  52. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann der Beihilfeanspruch
  53. der Hinterbliebenen eines Verfolgten nicht verneint werden.
  54. -5-
  55. 1. Der Bundesgerichtshof hat bereits in seinem Urteil vom 9. Dezember
  56. 1976 (IX ZR 204/71, RzW 1977, 59 = LM BEG 1956 § 41a Nr. 1), auf welches
  57. sich das Berufungsgericht bezieht, ausgeführt, daß § 41a BEG im Einklang mit
  58. der zweckgerichteten Auslegung seines Vorbildes, der Vorschrift des § 48 BVG
  59. in der Fassung des Ersten und Zweiten Neuordnungsgesetzes vom 27. Juni
  60. 1960 und 21. Februar 1964 (BGBl. I 1960, 453; 1964, 101), verstanden werden
  61. muß. Hierzu hat er auf die damalige Verwaltungsvorschrift zu § 48 BVG (siehe
  62. Bundesanzeiger Nr. 19 vom 29. Januar 1965; vgl. nachfolgend auch das Dritte
  63. Neuordnungsgesetz vom 28. Dezember 1966, BGBl. I, 750) zurückgegriffen,
  64. die bestimmt, daß die Entschädigungsrente als bezogen gelte, wenn im Zeitpunkt des Todes des Verfolgten hierauf ein Anspruch bestanden habe.
  65. Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom
  66. 19. Januar 1978 (IX ZR 86/75, RzW 1978, 102 f = LM BEG 1956 § 41a Nr. 2)
  67. bestätigt und fortgeführt. Die Gewährung der Hinterbliebenenbeihilfe hängt danach von einer eigenständigen Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen ab,
  68. auf Widerrufs- oder Kürzungsmöglichkeiten gegenüber dem Verstorbenen unter den engen Voraussetzungen der §§ 200 bis 202 und 206 BEG kommt es
  69. nicht an.
  70. 2. Vor allem der Normzweck des § 41a BEG spricht dagegen, daß der
  71. Rentenanspruch des Verstorbenen vor seinem Tod nach den §§ 206, 35 BEG
  72. mit der Bemessungsgrundlage von 70 % vMdE festsetzbar gewesen sein muß.
  73. Die Hinterbliebenenbeihilfe soll den mittelbaren Schaden der Witwe und der
  74. Waisen ausgleichen, der in ihrer Bedürftigkeit wegen der verfolgungsbedingt
  75. fehlenden oder unzureichenden Versorgung liegt (BGH, Urt. v. 9. Dezember
  76. 1976 und 19. Januar 1978 aaO; v. 18. September 1997 - IX ZR 164/97, LM
  77. -6-
  78. BEG 1956 § 41a Nr. 4 Bl. 3). Diese Bedürfnislage bestünde erst recht, wenn im
  79. Einzelfall der verstorbene Verfolgte aufgrund der "Versteinerung" nicht einmal
  80. die ihm materiell zustehende Entschädigung erhalten haben sollte. Die Hinterbliebenenbeihilfe kann nach ihrem Normzweck auch nicht von dem zufälligen
  81. Umstand abhängen, ob die letzte festgesetzte Gesundheitsschadensrente des
  82. Verstorbenen einen so hohen Anpassungsrückstand erreichte hatte, daß vor
  83. seinem Tod ein nach § 35 BEG erfolgversprechendes Abänderungsbegehren
  84. noch möglich gewesen wäre.
  85. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann sich zwar
  86. § 35 Abs. 2 BEG nicht nur zugunsten, sondern auch zuungunsten des Rentenempfängers auswirken; die Vorschrift ist ihrem Zweck nach aber wiedergutmachungsfreundlich auszulegen (BGH, Urt. v. 22. Februar 2001 - IX ZR 113/00,
  87. LM BEG 1956 § 35 Nr. 37 m.w.N.). Das Gesetz zwingt nicht dazu, Abänderungserschwernisse gegenüber dem verstorbenen Rentenempfänger sogar
  88. noch mit Drittwirkung zu Lasten seiner Hinterbliebenen auszustatten, welche
  89. die Wiedergutmachung des (mittelbaren) Versorgungsschadens fallweise vollständig verhindern würde.
  90. 3. Auch nach Wortlaut und Gesetzessystematik kann § 35 BEG den
  91. Beihilfeanspruch von Hinterbliebenen nicht ausschließen. Die Vorschriften des
  92. § 35 BEG betreffen Veränderungen der Bemessungsgrundlagen einer gegenwärtig und künftig geschuldeten Gesundheitsschadensrente (vgl. Blessin/
  93. Giessler, BEG-SchlußG § 35 BEG Anm. II 1), mithin die Rentenhöhe. Um einen
  94. solchen laufenden Rentenanspruch geht es bei dem Schwellenwert des § 41a
  95. BEG, der dem Grund des Beihilfeanspruchs zuzurechnen ist, nicht.
  96. -7-
  97. 4. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts und des Beklagten wird
  98. dadurch, daß es auf die Festsetzbarkeit der entsprechenden Rente zugunsten
  99. des Verstorbenen in einem Abänderungs- oder Zweitverfahren nicht ankommt,
  100. nicht schon jeder Bezug der Hinterbliebenenversorgung von der Rentenberechtigung des Verfolgten gelöst. So dürften etwa die materiellen Ausschlußund Versagungsgründe der Entschädigung (§§ 6 und 7 BEG) auch dem Hinterbliebenen zur Last fallen.
  101. III.
  102. Danach kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Die Sache ist
  103. an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es Feststellungen zu der
  104. Frage treffen kann, ob dem Verfolgten ohne Anwendung von § 35 Abs. 2 BEG
  105. eine Rente wegen einer vMdE von mindestens 70 % zugestanden hätte.
  106. Kreft
  107. Kirchhof
  108. Raebel
  109. Fischer
  110. Kayser