You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.

152 lines
7.3 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IX ZR 134/13
  4. vom
  5. 26. März 2015
  6. in dem Rechtsstreit
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. InsO § 133 Abs. 1, § 17 Abs. 2
  14. Stützt sich der Insolvenzverwalter im Insolvenzanfechtungsprozess zum Nachweis
  15. der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners auf ein oder mehrere Beweisanzeichen und
  16. auf die im Falle einer Zahlungseinstellung bestehende gesetzliche Vermutung, ist im
  17. Rahmen des Prozessrechts auf Antrag des Anfechtungsgegners zur Entkräftung der
  18. Beweisanzeichen und zur Widerlegung der Vermutung durch einen Sachverständigen eine Liquiditätsbilanz erstellen zu lassen.
  19. BGH, Beschluss vom 26. März 2015 - IX ZR 134/13 - OLG Koblenz
  20. LG Koblenz
  21. -2-
  22. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
  23. Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Pape, Grupp und die Richterin Möhring
  24. am 26. März 2015
  25. beschlossen:
  26. Auf die Beschwerde der Beklagten wird die Revision gegen das
  27. Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom
  28. 14. Mai 2013 zugelassen.
  29. Auf die Revision der Beklagten wird das vorbezeichnete Urteil
  30. aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  31. Der Streitwert des Revisionsverfahrens wird auf 31.497,60 € festgesetzt.
  32. Gründe:
  33. I.
  34. 1
  35. Der Kläger ist Verwalter in dem am 15. Oktober 2008 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der H.
  36. GmbH (fortan:
  37. Schuldnerin). Er verlangt von der beklagten Gemeinde unter dem rechtlichen
  38. - 3 -
  39. Gesichtspunkt der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO die Erstattung
  40. von Gewerbesteuerzahlungen im Gesamtbetrag von 31.497,60 €, welche die
  41. Schuldnerin im Zeitraum zwischen August 2002 und März 2007 jeweils durch
  42. Übergabe von Schecks an den Vollziehungsbeamten der Beklagten erbracht
  43. hat.
  44. 2
  45. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil es sich nicht davon
  46. überzeugen konnte, dass die Beklagte einen etwaigen Vorsatz der Schuldnerin,
  47. mit den angefochtenen Zahlungen ihre übrigen Gläubiger zu benachteiligen,
  48. gekannt habe. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Mit ihrer Beschwerde erstrebt die Beklagte die
  49. Zulassung der Revision und mit dieser die Abweisung der Klage.
  50. II.
  51. 3
  52. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet und führt gemäß § 544
  53. Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des
  54. Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch
  55. der Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
  56. 4
  57. 1. Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen eines Anspruchs des
  58. Klägers nach § 133 Abs. 1, § 143 Abs. 1 InsO bejaht. Zur Begründung hat es
  59. ausgeführt, die Scheckzahlungen zu Lasten eines Kontos der Schuldnerin stellten gläubigerbenachteiligende Rechtshandlungen der Schuldnerin dar. Die Zahlungen seien mit Benachteiligungsvorsatz erfolgt, weil die Schuldnerin zum Zahlungszeitpunkt - wie sie gewusst habe - zahlungsunfähig gewesen sei. Dies sei
  60. - 4 -
  61. zu vermuten, weil die Schuldnerin im Jahr 2002 ihre Zahlungen eingestellt gehabt habe. Sie habe, wie ihre Mitarbeiterin gegenüber der Beklagten selbst geäußert habe, die damals in Höhe von über 20.000 € rückständigen Steuern
  62. nicht in einer Summe, sondern nur in Raten zahlen können. Für eine Zahlungseinstellung spreche ferner die Tatsache, dass das Finanzamt im Mai 2002 einen weitgehend vergeblichen Vollstreckungsversuch wegen einer Steuerforderung von rund 226.000 € nebst Säumniszuschlägen in Höhe von rund 80.000 €
  63. unternommen habe; die Steuerrückstände gegenüber dem Finanzamt hätten im
  64. Frühjahr 2008 rund 200.000 € betragen zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe
  65. von rund 212.000 €. Hinzu komme das zögerliche Zahlungsverhalten der
  66. Schuldnerin nach der Einigung mit der Beklagten auf die Zahlung monatlicher
  67. Raten ab Januar 2003. Die angefochtenen Zahlungen seien im Übrigen unter
  68. dem Druck von drohenden Vollstreckungsversuchen der Beklagten erbracht
  69. worden. Von dem Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin habe die Beklagte
  70. Kenntnis gehabt.
  71. 5
  72. 2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht unter anderem, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis
  73. zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (st. Rspr., vgl.
  74. BVerfGE 86, 133, 146; BVerfG ZIP 2004, 1762, 1763; BGH, Beschluss vom
  75. 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 300). Erhebliche Beweisanträge
  76. muss das Gericht berücksichtigen, sofern das Prozessrecht dem nicht entgegensteht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2010 - VIII ZR 212/07, NJW-RR
  77. 2010, 1217 Rn. 10; vom 5. Dezember 2013 - IX ZR 6/13, nv Rn. 8, jeweils
  78. mwN). Diesen Verpflichtungen ist das Berufungsgericht insoweit nicht nachgekommen, als es das von der Beklagten angebotene Sachverständigengutachten zum Beweis der Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin nicht eingeholt hat.
  79. - 5 -
  80. 6
  81. a) Soll, wie es das Berufungsgericht getan hat, der in § 133 Abs. 1 Satz 1
  82. InsO vorausgesetzte Benachteiligungsvorsatz des Schuldners maßgeblich auf
  83. eine im Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen bestehende, dem Schuldner
  84. bekannte Zahlungsunfähigkeit gestützt werden (vgl. dazu etwa BGH, Urteil vom
  85. 10. Januar 2013 - IX ZR 13/12, WM 2013, 180 Rn. 14 mwN), muss diese festgestellt werden. Die Darlegungs- und Beweislast trägt der anfechtende Insolvenzverwalter. Zum Nachweis der Zahlungsunfähigkeit bedarf es im Insolvenzanfechtungsprozess nicht zwingend einer Liquiditätsbilanz, wenn auf andere
  86. Weise festgestellt werden kann, ob der Schuldner einen wesentlichen Teil seiner fälligen Verbindlichkeiten nicht bezahlen konnte. Hat der Schuldner seine
  87. Zahlungen eingestellt, begründet dies auch für die Insolvenzanfechtung gemäß
  88. § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit
  89. (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 - IX ZR 3/12, WM 2013, 174 Rn. 19 f
  90. mwN). Dem Anfechtungsgegner bleibt es unbenommen, der Annahme der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners mit dem Antrag auf Erstellung einer Liquiditätsbilanz durch einen Sachverständigen entgegenzutreten, sei es um die Beweiswirkung der für die Zahlungsunfähigkeit sprechenden Indizien zu erschüttern oder um die Vermutung des § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO zu widerlegen (BGH,
  91. Urteil vom 30. Juni 2011 - IX ZR 134/10, WM 2011, 1429 Rn. 20).
  92. 7
  93. b) Die Beklagte hat in der Berufungserwiderung für ihre Behauptung, die
  94. Schuldnerin sei weder im Jahr 2002 noch im Jahr 2006 - auch nicht drohend zahlungsunfähig gewesen, Beweis angetreten durch ein vom Gericht einzuholendes Sachverständigengutachten. Gründe des Prozessrechts standen der
  95. Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens nicht entgegen. Insbesondere handelte es sich bei dem Beweisantrag nicht um ein neues, erstmals
  96. im Berufungsverfahren geltend gemachtes Verteidigungsmittel, das nur unter
  97. den besonderen Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO zulässig gewesen
  98. - 6 -
  99. wäre. Denn die Beklagte hatte sich bereits in erster Instanz innerhalb einer im
  100. letzten Verhandlungstermin eingeräumten Frist zur Stellungnahme auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Zahlungsfähigkeit der
  101. Schuldnerin berufen.
  102. Kayser
  103. Gehrlein
  104. Grupp
  105. Pape
  106. Möhring
  107. Vorinstanzen:
  108. LG Koblenz, Entscheidung vom 11.09.2012 - 1 O 569/11 OLG Koblenz, Entscheidung vom 14.05.2013 - 4 U 1191/12 -