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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. IV ZR 503/14
  5. Verkündet am:
  6. 22. April 2015
  7. Schick
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. -2-
  13. Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
  14. Richterin
  15. Mayen,
  16. die
  17. Richterin
  18. Harsdorf-Gebhardt,
  19. die
  20. Richter
  21. Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum
  22. 27. März 2015
  23. für Recht erkannt:
  24. Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil des
  25. 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main
  26. vom 27. Februar 2013 aufgehoben und die Sache zur
  27. neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die
  28. Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  29. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis
  30. 50.000 € festgesetzt.
  31. Von Rechts wegen
  32. Tatbestand:
  33. 1
  34. Die Klägerseite (Versicherungsnehmer/in: im Folgenden d. VN)
  35. begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer)
  36. Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen
  37. Lebensversicherung.
  38. 2
  39. Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Vertragsbeginn zum
  40. 1. August 2001 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in
  41. -3-
  42. der bei Antragstellung gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.)
  43. abgeschlossen. Im Juli 2010 kündigte d. VN den Vertrag und der Versicherer zahlte den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 14. Februar
  44. 2011 erklärte d. VN den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F.
  45. und vorsorglich Anfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB.
  46. 3
  47. Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts (insgesamt 56.593,90 €).
  48. 4
  49. Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
  50. zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.
  51. 5
  52. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht
  53. die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt d. VN das Klagebegehren hinsichtlich des Bereicherungsanspruchs
  54. weiter.
  55. Entscheidungsgründe:
  56. 6
  57. Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Z urückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
  58. 7
  59. I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe zwar nicht
  60. ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt. Der Vertrag sei
  61. -4-
  62. aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie rückwirkend endgültig wirksam geworden.
  63. 8
  64. II. Die Revision ist begründet.
  65. 9
  66. 1. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1
  67. Alt. 1 BGB kann d. VN mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begrü ndung nicht versagt werden.
  68. 10
  69. a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag
  70. schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des
  71. Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Wide rspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
  72. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
  73. 11
  74. aa) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN - auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Revisionserwiderung - nicht
  75. ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Der Hinweis der Revisionserwiderung auf die im Versich erungsantrag enthaltene Belehrung greift schon deshalb nicht durch, weil
  76. diese Belehrung - worauf das Berufungsgericht zu Recht hingewiesen
  77. hat - nicht maßgeblich ist (Senatsurteil vom 28. Januar 2004 - IV ZR
  78. 58/03, VersR 2004, 497 unter 3 b).
  79. 12
  80. Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
  81. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten
  82. Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf
  83. der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
  84. -5-
  85. 13
  86. Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
  87. Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
  88. 2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
  89. BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die
  90. Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduzier t
  91. werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten
  92. Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon e rfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
  93. zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
  94. wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder
  95. die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat (im Einzelnen dazu
  96. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 22-34).
  97. 14
  98. bb) Die Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem späteren
  99. Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO
  100. Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits
  101. vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl.
  102. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
  103. 15
  104. b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarecht swidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
  105. ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur eine Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
  106. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
  107. 16
  108. 2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
  109. Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
  110. Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwick-
  111. -6-
  112. lung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
  113. kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
  114. bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
  115. 17
  116. Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen
  117. Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu
  118. geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).
  119. Mayen
  120. Harsdorf-Gebhardt
  121. Lehmann
  122. Dr. Karczewski
  123. Dr. Brockmöller
  124. Vorinstanzen:
  125. LG Wiesbaden, Entscheidung vom 20.09.2012 - 10 O 70/12 OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 27.02.2013 - 7 U 256/12 -