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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. III ZR 31/12
  5. Verkündet am:
  6. 11. Juli 2013
  7. Freitag
  8. Justizamtsinspektor
  9. als Urkundsbeamter
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. - 2 -
  13. Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  14. vom 11. Juli 2013 durch den Vizepräsidenten Schlick und die Richter Wöstmann, Hucke, Seiters und Dr. Remmert
  15. für Recht erkannt:
  16. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 21. Zivilsenats
  17. des Oberlandesgerichts München vom 5. Dezember 2011 aufgehoben.
  18. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
  19. über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  20. Von Rechts wegen
  21. Tatbestand
  22. 1
  23. Die Klägerin macht im Zusammenhang mit Vermögensanlageverträgen,
  24. die sie im Zeitraum vom 15. Mai 2001 bis zum 16. November 2006 mit dem
  25. Handelsvertreter
  26. F.
  27. geschlossen hat, Schadensersatzansprüche gegen
  28. die beklagte D.
  29. 2
  30. AG geltend.
  31. Die Beklagte gehört zur A.
  32. hat mit dieser sowie deren Muttergesellschaft G.
  33. Versicherungsgruppe. Sie
  34. und anderen konzern-
  35. zugehörigen Gesellschaften Handelsvertreterverträge geschlossen, aufgrund
  36. - 3 -
  37. derer sie für diese Gesellschaften Versicherungsverträge und Kapitalanlagen
  38. aller Art vermittelt. Die Beklagte ist in hierarchisch aufgebaute Unterorganisationen - sogenannte Direktionen - strukturiert. Die einer Direktion zugeordneten
  39. Partner - sogenannte Vermögensberater - sind selbständige Handelsvertreter.
  40. Sie vermitteln für die Beklagte Produkte der genannten Partnergesellschaften.
  41. 3
  42. Zu diesen Handelsvertretern zählte - jedenfalls ab 1998 bis zu seinem
  43. Tod im Jahr 2007 - auch
  44. F.
  45. , dem für seine Tätigkeit von der Beklag-
  46. ten verschiedene Werbemittel, insbesondere ein Briefpapier mit dem Logo der
  47. Beklagten zur Verfügung gestellt wurden. F.
  48. war am 25. August 1993 zu ei-
  49. ner zweijährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen Betruges verurteilt worden. Der Beklagten, die entgegen ihrer Einstellungspolitik in diesem Fall kein
  50. polizeiliches Führungszeugnis eingeholt hatte, war dies nicht bekannt. Im Februar 2001 wurde F.
  51. in einer Broschüre der Beklagten als "Gruppenleiter des
  52. Monats" vorgestellt. Er firmierte in I.
  53. Vermögensberatung - G.
  54. 4
  55. F.
  56. unter der Bezeichnung "Deutsche
  57. ".
  58. Nach dem Vortrag der Klägerin lernte sie F.
  59. beitskollegin kennen, die für F.
  60. gearbeitet habe. Da sie sich für eine Versi-
  61. cherung interessiert habe, sei ein Termin mit F.
  62. fang 2001 stattgefunden habe. F.
  63. über eine ehemalige Ar-
  64. vereinbart worden, der An-
  65. , der in seiner Eigenschaft als Leiter der
  66. Geschäftsstelle der Beklagten an sie herangetreten sei, habe erklärt, er habe
  67. aufgrund seiner Einstufung in der Hierarchie der Beklagten die Möglichkeit,
  68. über die Beklagte in größerem Umfang auf für die Beklagte eingerichteten Konten bei der S.
  69. Bank größere Geldbeträge zu äußerst hohen Zinsen anzule-
  70. gen. Er habe ihr angeboten, mit ihr Anlageverträge abzuschließen, bei denen er
  71. hohe Zinsen von bis zu 10 % zusichern könne. Sie, die Klägerin, habe daher
  72. am 15. Mai 2001 und 11. November 2004 in den als Geschäftsstelle der Be-
  73. - 4 -
  74. klagten gekennzeichneten Büroräumen des F.
  75. Anlageverträge unterzeichnet,
  76. deren Laufzeit - teilweise unter Aufstockung des Anlagebetrags - in jährlichen
  77. Folgeverträgen, zuletzt vom 30. Mai 2007 (betreffend den Vertrag vom 15. Mai
  78. 2001) beziehungsweise 15. November 2006 (betreffend den Vertrag vom
  79. 11. November 2004) verlängert worden sei. Das anzulegende Geld habe sie
  80. F.
  81. am 14. Mai 2001, 11. November 2004, 15. Mai 2005 und 16. November
  82. 2006 bar übergeben. In den Verträgen wurden die Klägerin als Kunde und F.
  83. als Anleger aufgeführt; sie wiesen im rechten Teil der Kopfzeile das Logo der
  84. Beklagten auf. Inhaltlich versprach F.
  85. der Klägerin darin jeweils eine in einem
  86. bestimmten Anlagezeitraum mit jährlich zwischen 8,85 % und 10,15 % zu verzinsende Anlage. Dabei sollte das Anlagekapital bis zum jeweiligen Ablaufdatum der Anlage auf ein Sonderkonto der S.
  87. sächlich habe F.
  88. das Geld nie bei der S.
  89. Bank überwiesen werden. TatBank einbezahlt und die Kunden
  90. der Beklagten lediglich über eine solche Anlagemöglichkeit getäuscht. Wohin
  91. F.
  92. 5
  93. das durch Betrug erlangte Geld geschafft habe, sei unklar.
  94. Das Landgericht hat die auf Zahlung von insgesamt 46.553,20 € nebst
  95. Zinsen sowie vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin ihre Hauptforderung auf
  96. 46.032,88 € reduziert. Das Oberlandesgericht hat ihre Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren in dem in zweiter Instanz geltend gemachten Umfang weiter.
  97. Entscheidungsgründe
  98. 6
  99. Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
  100. - 5 -
  101. I.
  102. 7
  103. Nach Auffassung des Berufungsgerichts stehen der Klägerin Ansprüche
  104. gegen die Beklagte weder aus Vertrag oder Delikt noch wegen einer vorvertraglichen Pflichtverletzung zu.
  105. 8
  106. Eine Haftung aus einem neben den Anlageverträgen zwischen der Klägerin und der Beklagten zustande gekommenen Beratungs- oder Vermittlungsvertrag scheide aus, da Inhalt eines solchen Vertrages allenfalls die Beratung
  107. zu Vermögensanlagen bei Dritten, wie zum Beispiel Fondsgesellschaften oder
  108. Versicherungen, die die Beklagte üblicherweise vertreibe, gewesen sei. Als
  109. F.
  110. empfohlen habe, das Geld nicht Dritten zu geben, sondern ihm persönlich,
  111. habe er für die Klägerin ohne weiteres erkennbar nicht mehr im Rahmen eines
  112. Beratungsvertrags zwischen der Klägerin und der Beklagten, sondern im eigenen Namen gehandelt. Eine vertragliche Haftung der Beklagten für F.
  113. als de-
  114. ren Erfüllungsgehilfen scheide aus, da die Pflichtverletzungen des F.
  115. in kei-
  116. nem inneren sachlichen Zusammenhang zu den Aufgaben gestanden hätten,
  117. zu deren Wahrnehmung die Beklagte ihn bestellt habe. Er habe auf der Grundlage eines völlig von der Beklagten losgelösten Anlagemodells auf eigene Haftung in die eigene Tasche gewirtschaftet.
  118. 9
  119. Auch eine Haftung der Beklagten im Wege der Zurechnung des Verhaltens des F.
  120. analog §§ 30, 31 BGB komme nicht in Betracht, da dieser nicht
  121. als Repräsentant der Beklagten tätig gewesen sei. Er sei weder inkassobefugt
  122. noch abschlussberechtigt gewesen. Auch habe er innerhalb der Struktur der
  123. Beklagten weder eine wesensmäßige Funktion gehabt noch sei er als Führungskraft geführt worden. Die Handlungen des F.
  124. seien der Beklagten im
  125. Wege der Repräsentantenhaftung auch deshalb nicht zuzurechnen, weil sie
  126. - 6 -
  127. nicht "in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen" begangen worden
  128. seien. Beim Abschluss von Anlageverträgen im eigenen Namen, mit eigener
  129. Haftung und mit freier Hand bei der Geldanlage - also Anlage ohne Vermittlung
  130. von Produkten der Beklagten - handele ein Vermögensberater für jeden Außenstehenden erkennbar außerhalb des allgemeinen Rahmens der ihm übertragenen Aufgaben.
  131. 10
  132. Eine Haftung der Beklagten aus culpa in contrahendo scheide aus, da
  133. der Beklagten keine Pflichtverletzung im Zusammenhang mit den Anlageverträgen aus den Jahren 2001 bis 2006 zum Vorwurf gemacht werden könne. Zwar
  134. bestehe für eine Vermögensberatungsgesellschaft wie die Beklagte grundsätzlich die Pflicht, gemäß ihrer selbst propagierten Einstellungspolitik jedenfalls
  135. dann, wenn sie einen einschlägig vorbestraften Vermögensberater beschäftige,
  136. potentielle Kunden auf das damit einhergehende "Gefahrenrisiko" hinzuweisen,
  137. da sie diese dessen Einfluss ausgesetzt habe. Eine solche Hinweispflicht habe
  138. jedoch vorliegend nach Ablauf der in Bezug auf die Verurteilung des F.
  139. vom
  140. 25. August 1993 gemäß § 34 BZRG geltenden siebenjährigen Tilgungsfrist und
  141. damit spätestens seit Ende August 2000 nicht mehr bestanden. Ab diesem
  142. Zeitpunkt habe die Vorstrafe nicht mehr in einem Führungszeugnis erscheinen
  143. dürfen; danach sollte sie mithin keine nachteiligen Folgen mehr für den Verurteilten und Weiterungen bezüglich Dritter zeitigen. Die streitgegenständlichen
  144. Verträge seien nach diesem Zeitpunkt geschlossen worden. Vorkontakte mit
  145. F.
  146. habe es unstreitig nicht gegeben.
  147. II.
  148. 11
  149. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht in vollem Umfang stand.
  150. - 7 -
  151. 12
  152. 1.
  153. Nicht zu beanstanden ist allerdings, dass das Berufungsgericht eine Haf-
  154. tung der Beklagten aus einem zwischen der Klägerin und der Beklagten zustande gekommenen Beratungs- oder Vermittlungsvertrag unter dem Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit für das Handeln des F.
  155. als Erfüllungsgehilfen
  156. nach § 278 BGB verneint hat. Es hat in jedenfalls vertretbarer tatrichterlicher
  157. Würdigung der Umstände des vorliegenden Einzelfalls angenommen, dass F.
  158. - für die Klägerin erkennbar - nicht mehr im Rahmen eines Beratungsvertrags
  159. zwischen der Klägerin und der Beklagten handelte und seine Pflichtverletzungen in keinem inneren Zusammenhang zu den Aufgaben standen, zu deren
  160. Wahrnehmung die Beklagte ihn bestellt hatte.
  161. 13
  162. Zwar dürfte das nach dem - von der Revision in Bezug genommenen Klägervortrag (Klageschrift vom 26. November 2009, S. 8 f; Schriftsatz vom
  163. 25. November 2011, S. 3 f) von F.
  164. der Klägerin zunächst empfohlene Anla-
  165. gemodell aus Sicht der Klägerin noch im Bereich des F.
  166. von der Beklagten
  167. übertragenen Aufgabenbereichs gelegen haben. Danach erläuterte F.
  168. der
  169. Klägerin, er habe aufgrund seiner Einstufung in der Hierarchie der Beklagten
  170. die Möglichkeit, über die Beklagte Gelder auf einem für die Beklagte eingerichteten Konto bei der S.
  171. Bank hochverzinslich anzulegen. Er dürfe dieses ex-
  172. klusive Produkt der Beklagten seinen Kunden unterbreiten. Es sei ein besonderes Anlagekonzept, welches die Beklagte exklusiv für Kunden ihrer Führungskräfte anbiete. Das Geld werde bei der S.
  173. Bank aus internen Gründen der
  174. Beklagten separiert unter seinem Namen angelegt. Es bestehe kein Risiko, weil
  175. für die Anlage sowohl die Beklagte als auch er persönlich hafteten. Auf der
  176. Grundlage dieses Sachvortrags empfahl F.
  177. der Klägerin ein Produkt der Be-
  178. klagten und handelte im Rahmen eines - vom Berufungsgericht unterstellten Anlageberatungsvertrags als deren Erfüllungsgehilfe.
  179. - 8 -
  180. 14
  181. Eine Haftung der Beklagten wegen Verletzung eines zwischen ihr und
  182. der Klägerin bestehenden Anlageberatungsvertrags durch F.
  183. gehilfen setzt jedoch voraus, dass nicht nur das von F.
  184. als Erfüllungs-
  185. der Klägerin empfoh-
  186. lene Anlagemodell, sondern auch die tatsächlich unterzeichneten Anlageverträge noch im Bereich des F.
  187. von der Beklagten übertragenen Aufgabenbe-
  188. reichs lagen. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die von F.
  189. der Klägerin vorge-
  190. legten, einfach strukturierten und übersichtlichen Anlageverträge wichen vielmehr - für die Klägerin erkennbar - in wesentlichen Punkten von dem zuvor vorgestellten Anlagemodell ab. Aus ihnen ergab sich allein die persönliche Haftung
  191. des F.
  192. und nicht - entgegen dessen vorheriger Darstellung - auch eine Haf-
  193. tung der Beklagten für die Anlage. Die Beklagte wurde darin vielmehr, abgesehen von ihrem Logo auf den verwandten Papierbögen, nicht erwähnt. Zudem
  194. wurde in den Verträgen nicht die von F.
  195. vereinbart, sondern im Gegenteil F.
  196. erläuterte Anlage bei der S.
  197. Bank
  198. die Anlageform freigestellt. Damit fanden
  199. sich die wesentlichen Bezugspunkte zur Beklagten und ihrem angeblichen, von
  200. F.
  201. zuvor empfohlenen Anlagekonzept in dem Vertrag nicht wieder. Im Unter-
  202. schied hierzu ist in dem Sachverhalt, der dem von der Revision herangezogenen Urteil des Senats vom 7. Mai 1998 (III ZR 268/96, BGH NJW-RR 1998,
  203. 1342) zugrunde lag, eine Abweichung des Anlagevertrags von dem zuvor empfohlenen Anlagegeschäft nicht erkennbar.
  204. 15
  205. Die Feststellung des Berufungsgerichts, F.
  206. habe - für die Klägerin er-
  207. kennbar - nicht mehr im Rahmen eines Beratungsvertrags zwischen der Klägerin und der Beklagten gehandelt, hält sich nach alledem in den Grenzen tatrichterlicher Würdigung.
  208. - 9 -
  209. 16
  210. 2.
  211. Das Berufungsgericht hat des Weiteren zu Recht und mit zutreffender
  212. Begründung eine Zurechnung des (betrügerischen) Fehlverhaltens des F.
  213. un-
  214. ter dem Aspekt der Repräsentantenhaftung analog §§ 30, 31 BGB verneint. Weder ist eine Repräsentantenstellung des F.
  215. in Bezug auf die Beklagte gege-
  216. ben noch wurden die den Schaden der Klägerin verursachenden Handlungen
  217. des F.
  218. "in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen" begangen. Inso-
  219. weit wird auf die denselben Handelsvertreter und vergleichbare Anlageverträge
  220. betreffende Entscheidung des Senats vom 14. März 2013 (III ZR 296/11, WM
  221. 2013, 692 Rn. 11 ff, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen) Bezug genommen.
  222. 17
  223. Aus der von der Revision angeführten Entscheidung des VII. Zivilsenats
  224. vom 30. Oktober 1967 (VII ZR 82/65, BGHZ 49, 19) ergibt sich nichts anderes.
  225. Dort wird eine Repräsentantenstellung für einen Handelsvertreter angenommen, der ein Büro der von der dortigen Beklagten betriebenen Auskunftei als
  226. "Einmannbetrieb" völlig selbständig in dem Sinne leitete, dass er mit der selbständigen Erledigung von wesensmäßigen Aufgaben der Auskunftei im Wege
  227. der Erteilung von Auskünften betraut war (BGH aaO S. 22). Hiervon unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt wesentlich. Denn F.
  228. war mangels
  229. Abschlussvollmacht gerade nicht die selbständige Erledigung von wesensmäßigen Aufgaben der Beklagten übertragen.
  230. 18
  231. 3.
  232. F.
  233. 19
  234. Zu Recht hat das Berufungsgericht auch eine Haftung der Beklagten für
  235. als Verrichtungsgehilfen nach §§ 823, 831 BGB verneint.
  236. Handelsvertreter sind grundsätzlich selbständige Gewerbetreibende (§ 84
  237. HGB) und nicht Verrichtungsgehilfen des Unternehmers, für den sie tätig werden
  238. (BGH, Urteil vom 5. Oktober 1979 - I ZR 140/77, NJW 1980, 941; Senat, Urteil
  239. - 10 -
  240. vom 5. März 1998 - III ZR 183/96, NJW 1998, 1854, 1857). Die Eigenschaft eines Verrichtungsgehilfen kommt für sie nur ausnahmsweise in Betracht, wenn
  241. sie bei Ausübung der Tätigkeiten weisungsgebunden und von dem Unternehmer
  242. abhängig sind (Senat aaO; BGH, Urteil vom 5. Oktober 1979 aaO: Bejahung der
  243. Verrichtungsgehilfeneigenschaft im Fall der dem Handelsvertreter übertragenen
  244. Betreuung eines Messestandes der dortigen Beklagten; BGH, Urteil vom
  245. 29. Juni 1956 - I ZR 129/54, NJW 1956, 1715 f: Generalvertreter als Verrichtungsgehilfe bei voller Abhängigkeit von Weisungen des Geschäftsherrn). Nicht
  246. ausreichend ist hingegen - entgegen der Auffassung der Revision - eine "gewisse" Abhängigkeit des Handelsvertreters vom Unternehmer. Sie ist bei zahlreichen Handelsvertreterverhältnissen gegeben, ohne dass hierdurch bereits die
  247. Verrichtungsgehilfeneigenschaft des Handelsvertreters begründet würde.
  248. 20
  249. So liegt der Fall hier. Aus dem von der Klägerin vorgelegten Vermögensberater-Vertrag ergibt sich keine Abhängigkeit des F.
  250. von der Beklagten, die
  251. eine Verrichtungsgehilfeneigenschaft im Sinne von § 831 BGB begründet. Soweit darin neben einer Verpflichtung zur selbständigen Weiterbildung (Ziffer II
  252. des Vertrags) vereinbart ist, dass zur Ausübung anderweitiger Beratungs-, Vermittlungs- oder Verkaufstätigkeiten die schriftliche Einwilligung der Beklagten
  253. erforderlich ist (Ziffer I des Vertrags) sowie nur mit der Beklagten abgestimmte
  254. Werbemaßnahmen ergriffen und für das Angebot von Partnergesellschaften nur
  255. die neuesten Fassungen der dort genannten Werbe- und Informationsmittel verwendet werden dürfen (Ziffer II des Vertrags), ergibt sich daraus noch keine Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit des F.
  256. bar mit den vorgenannten Ausnahmefällen - F.
  257. Beklagten erscheinen lässt.
  258. in einem Maß, das - vergleichals Verrichtungsgehilfen der
  259. - 11 -
  260. 21
  261. 4.
  262. Nach den bisherigen Feststellungen kommt allerdings eine Haftung der
  263. Beklagten nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo in Betracht, die seit
  264. dem 1. Januar 2002 in § 241 Abs. 2 i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB kodifiziert sind (vgl.
  265. Art. 1 Nr. 4, 13 des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001, BGBl. I S. 3138). Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen erneut auf die Entscheidung des Senats vom 14. März 2013 (III ZR
  266. 296/11 aaO Rn. 20 ff) Bezug genommen.
  267. 22
  268. a) Auf der Grundlage des revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Klägervortrags bestand zwischen den Parteien ein Vertragsanbahnungsverhältnis,
  269. das die Beklagte zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der
  270. Klägerin verpflichtete. Die Klägerin hat vorgetragen, F.
  271. habe ihr Anfang 2001
  272. erklärt, er habe die Möglichkeit, über die Beklagte Geldbeträge zu äußerst hohen Zinsen anzulegen. Sie habe in den darauf folgenden Tagen F.
  273. D.
  274. in dessen
  275. -Büro aufgesucht und den ersten Anlagevertrag vom 15. Mai 2001 ge-
  276. schlossen. Das Büro des F.
  277. sei deutlich als Geschäftsstelle der Beklagten
  278. gekennzeichnet gewesen, beispielsweise durch eine Leuchtreklame an der Außenwand und ein Schild vor dem Büro.
  279. 23
  280. Danach handelte es sich bei den Büroräumen des
  281. F.
  282. um ein
  283. Geschäftslokal der Beklagten (vgl. Senat, Urteil vom 14. März 2013 aaO). Mit
  284. dem Betreten dieses Geschäftslokals vor Abschluss der Anlageverträge wurde
  285. zwischen den Parteien ein Vertragsanbahnungsverhältnis im vorgenannten Sinn
  286. begründet.
  287. 24
  288. Etwas anderes könnte zwar dann anzunehmen sein, wenn die Klägerin,
  289. als sie die Büroräume des F.
  290. mit F.
  291. betrat, bereits entschlossen war, ausschließlich
  292. persönlich zu kontrahieren und nicht über ihn - als deren Vertreter - ei-
  293. - 12 -
  294. nen Anlageberatungs- oder einen Auskunftsvertrag mit der Beklagten zu schließen. Mangels entsprechender Feststellungen des Berufungsgerichts kann hiervon indes nicht ausgegangen werden. Nach dem Vortrag der Klägerin hatte F.
  295. ihr vielmehr zuvor erklärt, dass die Möglichkeit der Geldanlage über die Beklagte
  296. bestehe. Mithin konnte die Klägerin, als sie das Geschäftslokal der Beklagten
  297. betrat, annehmen, über F.
  298. mit der Beklagten in Vertragsverhandlungen einzu-
  299. treten.
  300. 25
  301. b) Der Beklagten oblag zum Schutz der Rechtsgüter ihrer Kunden nach
  302. den Grundsätzen der culpa in contrahendo die vorvertragliche Pflicht, nur solche
  303. Handelsvertreter mit der Vermittlung von Anlageverträgen zu betrauen, von
  304. deren Zuverlässigkeit sie sich auf der Grundlage eines polizeilichen Führungszeugnisses überzeugt hatte (vgl. Senat, Urteil vom 14. März 2013 aaO
  305. Rn. 24 ff).
  306. 26
  307. c) Im Schutzbereich der Pflicht zur Einholung eines polizeilichen Führungszeugnisses lagen auch solche Schäden der Klägerin, die ihr von F.
  308. durch den Abschluss von betrügerischen (Kapitalanlage-)Eigengeschäften zugefügt wurden (vgl. Senat, Urteil vom 14. März 2013 aaO Rn. 29 ff).
  309. 27
  310. d) Die Beklagte hat, als sie (spätestens) im Jahr 1998 das Handelsvertreterverhältnis mit F.
  311. begründete, ohne sich von ihm ein polizeiliches Füh-
  312. rungszeugnis vorlegen zu lassen, gegen die ihr (auch) der Klägerin gegenüber
  313. obliegende Schutzpflicht zur Einholung eines polizeilichen Führungszeugnisses
  314. verstoßen. Aus einem zu diesem Zeitpunkt eingeholten polizeilichen Führungszeugnis hätte sich die einschlägige Vorstrafe des F.
  315. (noch) ergeben, die
  316. - was letztlich die Beklagte nicht anders sieht - angesichts ihres Gewichts dazu
  317. geführt hätte, dass die Beklagte F.
  318. nicht mit der Anlagevermittlung und
  319. - 13 -
  320. -beratung betraut hätte. Der zeitliche Wirkungsbereich dieser Schutzpflicht umfasste vorliegend - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - zumindest
  321. teilweise auch den Zeitraum zwischen dem 15. Mai 2001 und dem 16. November 2006, in dem die streitgegenständlichen Anlageverträge nach dem Vortrag
  322. der Klägerin zwischen ihr und F.
  323. 28
  324. geschlossen wurden.
  325. aa) Allerdings ist - mit dem Berufungsgericht - davon auszugehen, dass
  326. die Schutzwirkung einer Pflicht zur Einholung eines polizeilichen Führungszeugnisses betreffend einen für die Vermögensberatung auszuwählenden Handelsvertreter und - daraus folgend - zur Ablehnung des vorbestraften Bewerbers
  327. zeitlich nicht unbegrenzt besteht. Anleger, die sich lange Zeit nach Begehung
  328. der Straftaten und Begründung des Handelsvertreterverhältnisses in dem Geschäftslokal der Beratungsgesellschaft in eine Vertragsanbahnungssituation
  329. begeben, sind nicht mehr von dem Schutzbereich der vorgenannten Pflicht umfasst.
  330. 29
  331. bb) Zu Recht hat das Berufungsgericht bei der Bemessung des Zeitraums der Schutzwirkung der Pflicht der Beklagten zur Einholung eines polizeilichen Führungszeugnisses die Vorschriften des Bundeszentralregistergesetzes
  332. herangezogen. Entgegen seiner Auffassung stellt jedoch die in §§ 33, 34 Abs. 1
  333. Nr. 3, Abs. 3, §§ 36, 38 BZRG geregelte Frist betreffend die Aufnahme von
  334. Vorstrafen in das polizeiliche Führungszeugnis nicht die absolute Grenze dar,
  335. bis zu der Erkenntnisse aus einem eingeholten Führungszeugnis zum Nachteil
  336. des Bewerbers verwendet werden dürfen; diese Grenze wird vielmehr (erst)
  337. durch die Tilgungsfristen nach §§ 45 ff BZRG gezogen.
  338. 30
  339. (1) Das Bundeszentralregistergesetz unterscheidet zwischen den Fristen,
  340. die die Aufnahme von Vorstrafen in das polizeiliche Führungszeugnis betreffen
  341. - 14 -
  342. (§§ 33, 34, 36, 38 BZRG), einerseits und denjenigen, die die Tilgung der Eintragungen in das Bundeszentralregister zum Gegenstand haben (Tilgungsfristen gemäß §§ 45 ff BZRG), andererseits. Nach Ablauf der die Aufnahme in das
  343. polizeiliche Führungszeugnis betreffenden Fristen darf sich der Verurteilte zwar
  344. gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG als unbestraft bezeichnen; auch braucht er den
  345. der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt nicht zu offenbaren. Die Tat
  346. und die Verurteilung dürfen dem Betroffenen im Rechtsverkehr gemäß dem in
  347. § 51 Abs. 1 BZRG bestimmten Verwertungsverbot jedoch erst nach Ablauf der
  348. Tilgungsfristen gemäß §§ 45 ff BZRG nicht mehr vorgehalten werden.
  349. 31
  350. (2) Die Ausgestaltung der Regelungen über die Erteilung von Führungszeugnissen beruht auf dem Gedanken einer schnellen Wiedereingliederung von
  351. Straftätern in Beruf und Gesellschaft (Resozialisierung; Hase, BZRG, § 30
  352. Rn. 3; Götz/Tolzmann, BZRG, 4. Aufl., § 30 Rn. 7). Das Ziel der Resozialisierung von Straftätern ist indes stets mit den Interessen Dritter und dem Schutz
  353. ihrer Rechtsgüter abzuwägen (vgl. Götz/Tolzmann aaO). Aus dem Umstand,
  354. dass Vorstrafen ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr in ein polizeiliches
  355. Führungszeugnis aufzunehmen sind, folgt daher nicht ohne weiteres, dass die
  356. vor diesem Zeitpunkt durch Einholung eines Führungszeugnisses erlangte
  357. Kenntnis von Vorstrafen danach nicht mehr zum Schutz der Interessen Dritter
  358. verwertet werden kann und gegebenenfalls sogar verwertet werden muss.
  359. 32
  360. (3) Eine absolute zeitliche Grenze ergibt sich hinsichtlich der vorgenannten Pflicht nur aus den für Eintragungen in das Bundeszentralregister geltenden
  361. Tilgungsfristen nach §§ 45 ff BZRG und dem aus ihnen folgenden umfassenden
  362. Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG (vgl. dazu Bücherl/Graf, BeckOK
  363. BZRG, § 51 Rn. 17 [2012]; Hase aaO § 51 Rn. 3; Götz/Tolzmann aaO § 51
  364. - 15 -
  365. Rn. 7 ff). Diese Fristen waren vorliegend bei Abschluss der streitgegenständlichen Anlageverträge noch nicht abgelaufen (vgl. § 46 Abs. 1 Nr. 4 BZRG).
  366. 33
  367. cc) Die Pflicht, grundsätzlich keinen Handelsvertreter mit der Anlagevermittlung und -beratung zu betrauen, aus dessen polizeilichem Führungszeugnis
  368. sich einschlägige Vorstrafen ergeben, dient dem Schutz künftiger Kunden vor
  369. der Begehung von Vermögensdelikten des Handelsvertreters zu ihrem Nachteil.
  370. Hieran ist die Schutzwirkung dieser Pflicht auch in zeitlicher Hinsicht zu orientieren. Ihre Dauer bestimmt sich dabei nach den Umständen des Einzelfalls, die
  371. grundsätzlich der tatrichterlichen Würdigung vorbehalten sind. Der Zeitraum der
  372. Schutzwirkung kann etwa dann kürzer zu bemessen sein, wenn das Anlageberatungsunternehmen den Handelsvertreter, den es trotz seiner aus dem polizeilichen Führungszeugnis erkennbaren einschlägigen Vorstrafen mit der Anlagevermittlung und -beratung betraut hat, über einen längeren Zeitraum hinweg
  373. eingehend überwacht und Handlungen des Handelsvertreters zum Nachteil der
  374. Anleger durch geeignete Kontrollmaßnahmen weitgehend ausschließt. Derartige Maßnahmen können das Schutzniveau, dessen Einhaltung die verletzte
  375. Pflicht gewährleisten sollte, auf andere, gleichwertige Weise wahren. Liegt die
  376. pflichtwidrige Betrauung des Handelsvertreters mit der Anlagevermittlung und
  377. -beratung erst verhältnismäßig kurze Zeit zurück, werden diese Maßnahmen
  378. besonders umfassend sein müssen, um einen hinreichenden Schutz der Anleger sicherzustellen. Sie können mit zunehmender Dauer des Handelsvertreterverhältnisses und der daraus gewonnenen Erkenntnis der Zuverlässigkeit des
  379. Handelsvertreters reduziert werden (vgl. Senat, Urteil vom 14. März 2013
  380. Rn. 39).
  381. 34
  382. Vorliegend ist eine Kontrolle des F.
  383. durch die Beklagte im vorgenann-
  384. ten Sinne weder ersichtlich noch festgestellt. Von einem Ausgleich des durch
  385. die Pflichtverletzung bewirkten Schutzverlustes der Anleger durch anderweitige
  386. - 16 -
  387. Maßnahmen kann daher nicht ausgegangen werden. Dementsprechend wurde
  388. auch die zeitliche Schutzwirkung der verletzten Pflicht nicht auf einen vor dem
  389. Abschluss aller streitgegenständlichen Verträge liegenden, das heißt vor dem
  390. 15. Mai 2001 endenden Zeitraum begrenzt. Sie bestand vielmehr zumindest
  391. zum Zeitpunkt des Anlagevertrags vom 15. Mai 2001 und seiner am 15. Mai
  392. 2002 erfolgten ersten Verlängerung noch fort (vgl. Senat, Urteil vom 14. März
  393. 2013 aaO: Fortbestand der Schutzwirkung für Anlageverträge vom 1. Dezember 2001 und 14. Juli 2002). Ob sie auch zum Zeitpunkt der weiteren Verträge,
  394. insbesondere zum Zeitpunkt der von der Klägerin vorgetragenen schadensbegründenden Geldübergaben vom 11. November 2004, 15. Mai 2005 und
  395. 16. November 2006 noch andauerte, obliegt der tatrichterlichen Würdigung der
  396. Umstände des vorliegenden Einzelfalls und wird im weiteren Verfahren zu klären sein. Haben sich etwa über einen längeren Zeitraum nach der Betrauung
  397. des F.
  398. mit Aufgaben der Anlagevermittlung und -beratung für die Beklagte
  399. keine Anhaltspunkte ergeben, die Zweifel an seiner Zuverlässigkeit begründeten, erscheint eine Fortdauer der Schutzwirkung der von der Beklagten verletzten Pflicht zur Einholung eines polizeilichen Führungszeugnisses zum Zeitpunkt
  400. der Geldübergaben am 11. November 2004 und danach, das heißt mehr als
  401. fünf Jahre nach dem Beginn der Tätigkeit des F.
  402. für die Beklagte, durchaus
  403. fraglich.
  404. 35
  405. 5.
  406. Nach alledem kann aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht ausge-
  407. schlossen werden, dass die Beklagte gegen eine ihr zum Schutz (auch) der
  408. Klägerin bestehende Schutzpflicht verstoßen hat und der Klägerin infolge der
  409. Pflichtverletzung der Beklagten ein Vermögensschaden entstanden ist. Das
  410. Berufungsurteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur
  411. neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
  412. - 17 -
  413. 36
  414. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, da die Sache
  415. nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das Berufungsgericht
  416. hat zu den streitgegenständlichen Anlageverträgen der Klägerin, dem Vortrag
  417. der Klägerin zu den Umständen des Vertragsschlusses mit F.
  418. , der Bargeld-
  419. übergabe an ihn in seinem Büro und dem Verbleib der Anlagebeträge - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen. Darüber hinaus ist den Parteien Gelegenheit zu geben, zu etwaigen Anhaltspunkten für
  420. oder gegen die Zuverlässigkeit F.
  421. nach seiner Betrauung mit Aufgaben der
  422. Anlagevermittlung und -beratung durch die Beklagte näher vorzutragen.
  423. Schlick
  424. Wöstmann
  425. Seiters
  426. Hucke
  427. Remmert
  428. Vorinstanzen:
  429. LG Ingolstadt, Entscheidung vom 21.07.2011 - 41 O 1930/09 OLG München, Entscheidung vom 05.12.2011 - 21 U 3455/11 -