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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. III ZR 196/11
  5. Verkündet am:
  6. 18. Oktober 2012
  7. Kiefer
  8. Justizangestellter
  9. als Urkundsbeamter
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. - 2 -
  13. Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  14. vom 20. September 2012 durch den Vizepräsidenten Schlick und die Richter
  15. Dr. Herrmann, Hucke, Tombrink und Dr. Remmert
  16. für Recht erkannt:
  17. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des
  18. Oberlandesgerichts München vom 15. Juli 2011 wird zurückgewiesen.
  19. Die Kosten des Revisionsrechtszugs hat die Klägerin zu tragen.
  20. Von Rechts wegen
  21. Tatbestand
  22. 1
  23. Die Klägerin, eine in Gibraltar ansässige Anbieterin von Sportwetten,
  24. macht gegen die Stadt L.
  25. (Beklagte zu 1) sowie gegen den
  26. Freistaat Bayern (Beklagter zu 2) aus eigenem und aus abgetretenem Recht
  27. Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung europäischen Rechts geltend.
  28. 2
  29. Die Klägerin verfügt über eine Erlaubnis der gibraltarischen Behörden für
  30. die Veranstaltung von Sportwetten. Die von ihr unter anderem in Bayern angebotenen Wetten vertrieb sie - neben ihrer Präsenz im Internet - auch über Wettbüros, welche von selbständigen Geschäftsbesorgern geführt wurden. Ein solcher Geschäftsbesorger (im Folgenden: Zedent) betrieb im Gebiet der Beklag-
  31. - 3 -
  32. ten zu 1 ein Wettbüro und trat der Klägerin später seine Schadensersatzansprüche ab.
  33. 3
  34. Mit Verfügung vom 7. Juli 2005 untersagte die Beklagte zu 1 dem Zedenten die Vermittlung von Sportwetten und ordnete die sofortige Vollziehung ihres
  35. Verwaltungsakts gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO an. Sie stützte sich auf die
  36. Generalklausel des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes in Verbindung mit § 284 StGB und §§ 3, 5 Abs. 2 des Staatsvertrages zum
  37. Lotteriewesen in Deutschland (gültig vom 1. Juli 2004 bis 31. Dezember 2007)
  38. und führte an, dem Zedenten fehle die notwendige staatliche Erlaubnis zum
  39. Vermitteln von Sportwetten.
  40. 4
  41. Auf den gegen diese Verfügung gerichteten Widerspruch des Zedenten
  42. hob die Beklagte zu 1 zwar die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit auf,
  43. half dem Rechtsmittel jedoch im Übrigen nicht ab und legte den Vorgang dem
  44. Landratsamt D.
  45. als zuständiger Widerspruchsbehörde vor. Mit
  46. Bescheid vom 7. Juni 2006 wies das Landratsamt den Widerspruch des Zedenten gegen die Untersagungsverfügung zurück und ordnete deren sofortige Vollziehung wieder an.
  47. 5
  48. Der Zedent erhob daraufhin Klage gegen die Verfügung der Beklagten
  49. zu 1 vor dem Verwaltungsgericht R.
  50. und stellte den Antrag, die auf-
  51. schiebende Wirkung seiner Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO wiederherzustellen.
  52. Mit Beschluss vom 7. September 2006 wies das Verwaltungsgericht diesen Antrag zurück. Zum 1. Oktober 2006 stellte der Zedent die Vermittlung von Sportwetten der Klägerin ein. Mit Beschluss vom 6. Dezember 2006 wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde des Zedenten gegen die Abweisung seines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zurück.
  53. - 4 -
  54. 6
  55. Die Klägerin sieht in dem Erlass der behördlichen Untersagungsverfügung, den im Folgenden ergangenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen
  56. sowie in der Schaffung beziehungsweise Aufrechterhaltung der Vorschriften
  57. des Staatsvertrags jeweils qualifizierte Verstöße gegen das Recht der Europäischen Union. Sie verlangt von den Beklagten für den Zeitraum von Oktober bis
  58. Dezember 2006 als Gesamtschuldnern die Zahlung von 30.000 € als Ersatz
  59. eigenen Schadens und solchen des Zedenten. Das Landgericht hat die Klage
  60. abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom
  61. Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt sie ihr Klagebegehren weiter.
  62. Entscheidungsgründe
  63. 7
  64. Die zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg.
  65. I.
  66. 8
  67. Nach Auffassung des Berufungsgerichts kann die Klägerin Schadensersatz weder nach den Grundsätzen des gemeinschafts- beziehungsweise unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs noch aus § 839 BGB, Art. 34 GG oder
  68. aus enteignungsgleichem Eingriff verlangen.
  69. 9
  70. Im Hinblick auf einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch hat sich
  71. das Berufungsgericht die Auffassung des Landgerichts zu eigen gemacht, die
  72. Beklagten hätten zwar objektiv die europarechtlich gewährleistete Dienstleistungsfreiheit der Klägerin und des Zedenten verletzt. Das Landgericht hat hier-
  73. - 5 -
  74. zu ausgeführt, nach Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom
  75. 8. September 2010 genüge das in den deutschen Ländern bestehende Sportwettenmonopol nicht der für einen gerechtfertigten Eingriff in die europäische
  76. Dienstleistungsfreiheit erforderlichen Kohärenz, da Pferdewetten und bestimmte
  77. andere Glückspiele (z.B. Automatenspiele) der Gewerbefreiheit unterlägen, obgleich sie ein höheres Suchtpotential beinhalteten, als die dem Monopol unterfallenden Sportwetten. In Übereinstimmung mit der Vorinstanz hat das Berufungsgericht gemeint, es fehle jedoch an einem hinreichend qualifizierten Verstoß gegen Unionsrecht. Bis zu den Urteilen des Gerichtshofs vom 8. September 2010 sei die Rechtsfrage, ob das Sportwettenmonopol gegen europäisches
  78. Recht verstoße, nicht in dem Maße geklärt gewesen, als dass die Maßnahmen
  79. der Beklagten als offenkundige Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht einzustufen gewesen seien.
  80. 10
  81. Auch durch das das bayerische Sportwettenmonopol betreffende Urteil
  82. des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 sei der Beurteilungs- und
  83. Ermessensspielraum der Beklagten nicht entfallen oder auf Null reduziert worden. Weder habe das Bundesverfassungsgericht darin ausdrücklich die Verletzung unionsrechtlicher Vorschriften festgestellt, noch beinhalteten die Feststellungen denknotwendig eine solche. Auch der Gerichtshof der Europäischen
  84. Union habe ausgeführt, dass sich das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 28. März 2006 sowie in einem Beschluss vom 2. August 2006
  85. nicht zur Vereinbarkeit des Sportwettenmonopols mit dem Unionsrecht geäußert habe. Das Berufungsgericht hat weiter ausgeführt, das Bundesverfassungsgericht habe ausdrücklich festgestellt, dass die maßgebliche bayerische
  86. Norm nicht nichtig sei und während der eingeräumten Übergangsfrist Eingriffe
  87. in das Grundrecht nach Art. 12 GG rechtfertige. Dass eine solche Übergangsfrist auch auf europarechtlicher Ebene gerechtfertigt sein könne, habe der Ge-
  88. - 6 -
  89. richtshof der Europäischen Union erstmals in seiner Entscheidung vom 8. September 2010 in Sachen "Winner Wetten" verneint.
  90. 11
  91. Soweit die Klägerin den Verwaltungsgerichten vorwerfe, eine Vorlage an
  92. den Gerichtshof der Europäischen Union unterlassen zu haben, stelle dies
  93. ebenfalls keinen offenkundigen Verstoß gegen europäisches Recht dar, da eine
  94. Vorlagepflicht nach Art. 234 EGV (nunmehr Art. 267 AEUV) für Verfahren des
  95. einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich nicht bestehe.
  96. 12
  97. Ansprüche aus § 839 BGB, Art. 34 GG und enteignungsgleichem Eingriff
  98. schieden ebenfalls aus.
  99. II.
  100. 13
  101. 14
  102. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
  103. 1.
  104. Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin
  105. als (gibraltarische) Veranstalterin von Sportwetten und die für sie auf der
  106. Grundlage von Geschäftsbesorgungsverträgen tätigen (deutschen) Vermittler
  107. Dienstleistungen im Sinne von Art. 49 EG (jetzt Art. 56 AEUV) angeboten haben (EuGH, Urteil vom 8. September 2010 - C 316/07 u.a. - Stoß u.a., NVwZ
  108. 2010, 1409 Rn. 56 ff). Weiterhin steht aufgrund der Urteile des Gerichtshofs der
  109. Europäischen Union vom 8. September 2010 (C-46/08 - Carmen Media, NVwZ
  110. 2010, 1422; Stoß aaO; C-409/06 - Winner Wetten - NVwZ 2010, 1419) fest,
  111. dass das in Bayern bis 2008 gemäß dem Staatsvertrag zum Lotteriewesen in
  112. Deutschland vom 20. Juni 2004 (BayGVBl. S. 230) geltende Sportwettenmonopol, aufgrund dessen ausschließlich die im Deutschen Lotto- und Toto-
  113. - 7 -
  114. block zusammengeschlossenen Lotterieunternehmen der Länder Sportwetten
  115. ("ODDSET") anbieten und (über die Lottoannahmestellen sowie über das Internet) vertreiben durften, und damit die darauf beruhenden Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen der Bediensteten zu 1 und 2 objektiv mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar waren: Die Regelungen, die der Eindämmung der
  116. Spielsucht dienen sollten, verstießen gegen das in den Urteilen des Gerichtshofs statuierte Kohärenzgebot, da eine Reihe von Glückspielen (insbesondere
  117. Automatenspiele), die nicht unter das staatliche Monopol fielen, ein höheres
  118. Suchtpotential aufweisen als jene, für die das Monopol galt. Zudem beanstandete der Gerichtshof in den die Rechtslage in Schleswig-Holstein und Hessen
  119. betreffenden Entscheidungen Carmen Media und Stoß die Durchführung intensiver Werbekampagnen durch den Inhaber des staatlichen Monopols auf
  120. Sportwetten.
  121. 15
  122. 2.
  123. Die Würdigung des Berufungsgerichts, die Verletzung der Dienstleis-
  124. tungsfreiheit durch die Beklagten stelle keinen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das europäische Recht dar, wie er für einen gemeinschafts- beziehungsweise unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch erforderlich sei (so auch
  125. zur Rechtslage in Nordrhein-Westfalen OLG Köln, Urteil vom 3. Mai 2012 - 7 U
  126. 194/11, juris, Rn. 20 ff), ist im Ergebnis gleichfalls nicht zu beanstanden.
  127. 16
  128. a) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union
  129. ist ein Verstoß gegen das Unionsrecht hinreichend qualifiziert, wenn der betreffende Mitgliedstaat bei der Wahrnehmung seiner Rechtsetzungsbefugnisse die
  130. Grenzen, die der Ausübung seiner Befugnisse gesetzt sind, offenkundig und
  131. erheblich überschritten hat (z.B. EuGH, Urteile vom 13. März 2007 - C-524/04 Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Slg. 2007, I-2157 Rn. 118;
  132. vom 8. Oktober 1996 - C-178/94 u.a. - Dillenkofer u.a., Slg. 1996, I-4867
  133. - 8 -
  134. Rn. 25; vom 26. März 1996 - C-392/93 - British Telecommunications, Slg. 1996,
  135. I-1654 Rn. 42; vom 5. März 1996 - C-46/93 u.a. - Brasserie du Pêcheur Slg.
  136. 1996, I-1131 Rn. 45, 55 ; siehe auch Senatsbeschluss vom 26. April 2012
  137. - III ZR 215/11, juris Rn. 12; Senatsbeschluss vom 24. Juni 2010 - III ZR
  138. 140/09, NJW 2011, 772 Rn. 7; Senatsurteile vom 22. Januar 2009 - III ZR
  139. 233/07, NJW 2009, 2534 Rn. 22 und vom 24. Oktober 1996 - III ZR 127/91,
  140. BGHZ 134, 30, 38). Diesem restriktiven Haftungsmaßstab liegt die Erwägung
  141. zugrunde, dass die Wahrnehmung gesetzgeberischer Tätigkeit, insbesondere
  142. bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen, nicht jedes Mal durch die Möglichkeit
  143. von Schadensersatzklagen behindert werden darf, wenn Allgemeininteressen
  144. den Erlass von Maßnahmen gebieten, die die Interessen des Einzelnen beeinträchtigen können (EuGH, Urteile in Sachen British Telecommunications aaO
  145. Rn. 40 und Brasserie du Pêcheur aaO Rn. 45; Senatsbeschluss vom 26. April
  146. 2012 aaO). Nur wenn der Mitgliedstaat zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung
  147. über einen erheblich verringerten oder gar auf Null reduzierten Gestaltungsspielraum verfügte, kann schon die bloße Verletzung des Gemeinschaftsrechts
  148. ausreichen, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß anzunehmen (EuGH,
  149. Urteile in Sachen Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation und Dillenkofer jew. aaO; Senat aaO).
  150. 17
  151. Um festzustellen, ob ein hinreichend qualifizierter Verstoß vorliegt, sind
  152. alle Gesichtspunkte des Einzelfalls zu berücksichtigen, die für den dem nationalen Gericht vorgelegten Sachverhalt kennzeichnend sind. Zu diesen Gesichtspunkten gehören insbesondere das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, die Frage, ob der Verstoß oder der Schaden vorsätzlich begangen beziehungsweise zugefügt wurde oder nicht, die Frage, ob ein etwaiger
  153. Rechtsirrtum entschuldbar ist oder nicht, und die Frage, ob möglicherweise das
  154. Verhalten eines Gemeinschaftsorgans dazu beigetragen hat, dass nationale
  155. - 9 -
  156. Maßnahmen oder Praktiken in gemeinschaftsrechtswidriger Weise eingeführt
  157. oder aufrecht erhalten wurden (z.B. EuGH, Urteile in Sachen Test Claimants in
  158. the Thin Cap Group Litigation aaO Rn. 119; Brasserie du Pêcheur aaO Rn. 56
  159. sowie vom 4. Dezember 2003 - C-63/01 - Evans, Slg. 2003, I-14492 Rn. 86;
  160. Senat aaO mwN).
  161. 18
  162. Die vom Gerichtshof entwickelten Grundsätze zur Haftung eines Mitgliedstaats für Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht gelten dabei für alle
  163. Staatsgewalten unabhängig davon, ob der schadensverursachende Verstoß
  164. dem Gesetzgeber, den Gerichten oder der Verwaltung des Mitgliedstaats anzulasten ist (vgl. EuGH, Urteil vom 30. September 2003 - C-224/01 - Köbler, Slg.
  165. 2003, I-10290 Rn. 31 f).
  166. 19
  167. b) Ob an den vorstehenden Kriterien gemessen ein Verstoß gegen das
  168. Gemeinschaftsrecht hinreichend qualifiziert ist, haben die Tatsachengerichte
  169. unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände, insbesondere an Hand
  170. der vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten Leitlinien zu beurteilen (Senatsurteil vom 22. Januar 2009 - III ZR 233/07, NJW 2009, 2534 Rn. 23).
  171. Die insoweit eingeschränkte revisionsrechtliche Überprüfung des Berufungsurteils lässt im Ergebnis Rechtsfehler nicht erkennen.
  172. 20
  173. aa) Da die Klägerin der Beklagten zu 1 keine über den bloßen Vollzug
  174. der vom Beklagten zu 2 getroffenen Regelungen hinausgehenden Verstöße
  175. vorwirft, hat sich das Berufungsgericht bei der Beurteilung des exekutiven und
  176. legislativen Handelns der Beklagten sowie des materiellrechtlichen Inhalts der
  177. Entscheidungen des Verwaltungsgerichts R.
  178. und des Bayerischen
  179. Verwaltungsgerichtshofs mit Recht auf die Frage der Vereinbarkeit der in
  180. - 10 -
  181. Bayern im maßgeblichen Zeitraum geltenden Regelungen zum Sportwettenmonopol mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht beschränkt.
  182. 21
  183. bb) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass vorliegend
  184. eine einfache Verletzung des Gemeinschaftsrechts zur Annahme eines qualifizierten Verstoßes nicht ausreicht. In Ermangelung einer abschließenden gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierung auf dem Gebiet des Glücksspielrechts
  185. verblieb dem Beklagten zu 2 ein erheblicher Gestaltungsspielraum.
  186. 22
  187. cc) Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass in dem in Rede stehenden Zeitraum die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union die Grenzen zulässiger staatlicher Glückspielmonopole noch nicht so präzise geklärt hatte, dass die in Bayern seinerzeit
  188. geltende Rechtslage aufgrund der Judikatur des Gerichtshofs als offenkundig
  189. mit dem europäischen Recht unvereinbar gewertet werden musste.
  190. 23
  191. Erst in seinen Entscheidungen vom 8. September 2010 (C-46/08 - Carmen Media, NVwZ 2010, 1422; C-316/07 u.a. - Stoß u.a. - NVwZ 2010, 1409;
  192. C-409/06 - Winner Wetten - NVwZ 2010, 1419) hat sich der Gerichtshof mit der
  193. Rechtfertigung des deutschen Sportwettenmonopols und dessen konkreter
  194. Ausgestaltung befasst. In den vorangegangenen Entscheidungen zur staatlichen Regulierung und Monopolisierung von Sportwetten (Urteile vom 6. November 2003 - C-243/01 - Gambelli Slg. 2003, I-13076 = NJW 2004, 139; vom
  195. 21. Oktober 1999 - C-67/98 - Zenatti, Slg. 1999, I-7304 = EuZW 2000, 151; vom
  196. 21. September 1999 - C-124/97- Läärä, Slg. 1999, I-6104 = EuZW 2000, 148
  197. und vom 24. März 1994 - C-275/92 - Schindler, Slg. 1994, I-1078 = NJW 1994,
  198. 2013) hat der Gerichtshof zwar abstrakte Grenzen für solche Reglementierungen aufgezeigt. Jedoch hat er zugleich betont, dass den Mitgliedstaaten unter
  199. - 11 -
  200. Berücksichtigung ihrer jeweiligen sittlichen, religiösen, kulturellen und soziokulturellen Besonderheiten ein Ermessen zustehe, festzulegen, welche Erfordernisse sich insbesondere bezüglich der Art und Weise der Veranstaltung von
  201. Lotterien ergäben (Urteile in Sachen Gambelli aaO Rn. 63; Zenatti aaO
  202. Rn. 14 f, 33 f; Läärä aaO, Rn. 13 f, 35 f, 39; Schindler aaO, Rn. 60 f). Nähere
  203. Vorgaben zur Ausübung dieses Ermessens enthalten die Entscheidungen nicht.
  204. Dies trifft insbesondere auch auf die von der Revision angeführten Urteile in
  205. den Sachen Zenatti und Gambelli (jew. aaO) zu, die sich mit der Rechtslage in
  206. Italien befassen.
  207. 24
  208. (1) In dem Fall Zenatti hat der Gerichtshof ausgeführt, die Begrenzung
  209. des Glückspielbetriebs zu den Zwecken, die Spiellust und den Betrieb der Spiele in geordnete Bahnen zu lenken, die Risiken eines solchen Betriebs im Hinblick auf Betrug und andere Straftaten auszuschalten und die sich daraus ergebenden Gewinne gemeinnützigen Zwecken zuzuführen, diene europarechtlich
  210. legitimen Zielen (aaO Rn. 35). Der Gerichtshof hat die Zulässigkeit von Beschränkungen des Wettbetriebs negativ dahingehend abgegrenzt, dass sie
  211. wirklich dem Ziel dienen müssten, die Gelegenheiten zum Spiel zu vermindern,
  212. und dass die Erzielung von Einnahmen für soziale Aktivitäten nur eine erfreuliche Nebenfolge, nicht aber der eigentliche Grund der betriebenen restriktiven
  213. Politik sein dürfe (aaO Rn. 36). Schließlich hat der Gerichtshof betont, es sei
  214. Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob die mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften gerechtfertigten Zielen dienten und die in ihnen enthaltenen Beschränkungen verhältnismäßig seien (aaO Rn. 37). Nähere inhaltliche Vorgaben, welche (weiteren) Ziele im Bereich der Regulierung von Wetten eine Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen können und welche Maßnahmen
  215. zur Erreichung dieser Ziele zulässig sind, sind dem Urteil nicht zu entnehmen.
  216. Im Gegenteil hat der Gerichtshof, ebenso wie im Urteil in der Sache Lärää
  217. - 12 -
  218. (aaO, Rn. 35 f, 39), den weiten Ermessens-, Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Zulassung von Lotterie- und Glückspielangeboten unterstrichen (Stein, Anmerkung zu dem Urteil in der Sache Zenatti,
  219. EuZW 2000, 153, 154). Insbesondere auch die Monopolisierung bei einem Anbieter hat der Gerichtshof nicht für unzulässig gehalten (siehe Urteil in der Sache Zenatti aaO, Rn. 32 f; Urteil in der Sache Lärää aaO Rn. 34 f). Die Unvereinbarkeit der bayerischen Rechtslage betreffend die Sportwetten mit der
  220. Dienstleistungsfreiheit ließ sich damit aus dem Urteil in der Sache Zenatti nicht
  221. ableiten.
  222. 25
  223. (2) Dies gilt in gleicher Weise für das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften in der Sache Gambelli. Darin hat der Gerichtshof zunächst unter Bezugnahme auf seine Entscheidungen in den Sachen Schindler,
  224. Lärää und Zenatti bekräftigt, dass den Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihrer jeweiligen sittlichen, religiösen, kulturellen und soziokulturellen Besonderheiten
  225. ein Ermessen zustehe, Beschränkungen des Betriebs von Spielen und Wetten
  226. zu statuieren (aaO Rn. 63). Weiterhin hat er betont, dass solche Beschränkungen durch zwingende Gründe, wie den Verbraucherschutz, die Betrugsvorbeugung und die Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu überhöhten Ausgaben
  227. für das Spielen gerechtfertigt sein können (aaO Rn. 67). Allerdings hat er weiter
  228. ausgeführt, die Reglementierungen, die auf solche Gründe sowie auf die Notwendigkeit gestützt seien, Störungen der sozialen Ordnung vorzubeugen,
  229. müssten auch geeignet sein, die Verwirklichung dieser Ziele in dem Sinne zu
  230. gewährleisten, dass sie "kohärent" und systematisch zur Begrenzung der Wetttätigkeiten beitrügen (aaO).
  231. 26
  232. Obgleich zur Begründung der Europarechtswidrigkeit der im maßgeblichen Zeitraum in Bayern geltenden Rechtslage angeführt wurde, sie genüge
  233. - 13 -
  234. nicht den Anforderungen der Kohärenz, konnte aus der "Gambelli-Entscheidung" noch nicht mit der notwendigen Klarheit abgeleitet werden, dass die in
  235. Rede stehenden Regelungen zu Sportwetten einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit beinhalteten. Der Gerichtshof hat sich in diesem Urteil mit der Kohärenz, das heißt mit der Stimmigkeit, der dort maßgeblichen italienischen Rechtsvorschriften nur unter dem Gesichtspunkt befasst,
  236. dass der italienische Staat im Fiskalinteresse eine Politik der Ausweitung des
  237. Spielens und Wettens verfolge und sich in diesem Fall als Rechtfertigung seiner
  238. Reglementierungen nicht auf die öffentliche Sozialordnung und die Notwendigkeit berufen könne, die Gelegenheiten zum Spiel zu vermindern (aaO Rn. 68 f).
  239. Die Kohärenz unter dem für den vorliegenden Sachverhalt maßgebenden Aspekt, dass Glücksspiele, die nicht unter das staatliche Monopol fallen, ein höheres Suchtpotential aufweisen als jene, für die das Monopol gilt, war in der
  240. "Gambelli-Entscheidung" hingegen auch nicht andeutungsweise angesprochen.
  241. Dieser Gesichtspunkt hat in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union erst in den Urteilen vom 8. September 2010 (Carmen Media
  242. aaO Rn. 67 f; Stoß aaO Rn. 100 ff, 106) Bedeutung erlangt. Dementsprechend
  243. ließ sich dem "Gambelli-Urteil" kein - zumindest kein einen qualifizierten Verstoß begründender - Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass die fraglichen Regelungen einen ungerechtfertigten Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit beinhalteten.
  244. 27
  245. dd) Der Revision ist allerdings im Ausgangspunkt darin beizupflichten,
  246. dass die Würdigung des Berufungsgerichts, aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 (BVerfGE 115, 276) habe sich ebenfalls nicht
  247. mit der für einen gemeinschafts- beziehungsweise unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch erforderlichen Deutlichkeit die Unvereinbarkeit des bayerischen
  248. Monopols für Sportwetten mit der europarechtlichen Dienstleistungsfreiheit er-
  249. - 14 -
  250. geben, nicht mehr vom tatrichterlichen Beurteilungsspielraum gedeckt ist. Das
  251. Bundesverfassungsgericht hat dort unter Bezugnahme auf Randnummer 62 der
  252. "Gambelli-Entscheidung" des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften
  253. (Urteil vom 6. November 2003 - C-243/01, Slg. 2003, I-13076) ausgeführt, die durch die seinerzeitigen bayerischen Regelungen nicht erfüllten - Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts liefen parallel zu den vom Gerichtshof
  254. zum Gemeinschaftsrecht formulierten Vorgaben, nach denen die Erzielung von
  255. Einnahmen zur Finanzierung sozialer Aktivitäten nur nützliche Nebenfolge, nicht
  256. aber der eigentliche Grund einer restriktiven Politik im Bereich von Wetten und
  257. Glückspielen sein dürfe (BVerfGE 115, 276, 316 f). Zuzugeben ist der Revision
  258. weiterhin, dass der Generalanwalt beim Gerichtshof Mengozzi in seinem
  259. Schlussantrag in der Sache "Stoß u.a." unter Bezugnahme auf das Urteil des
  260. Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2008 ausgeführt hat, die Lektüre dieser Entscheidung lasse es als "unzweifelhaft" erscheinen, dass das (mit dem
  261. bayerischen übereinstimmende hessische und baden-württembergische) Sportwettenmonopol nicht die erforderlichen Voraussetzungen erfüllt habe, um als
  262. kohärent und systematisch eingestuft zu werden (C-316/07, juris Rn. 64). Dies
  263. ist richtig. Zwar stellt die von der Revision angeführte Passage aus dem Urteil
  264. des Bundesverfassungsgerichts lediglich ein obiter dictum dar. Ferner hat das
  265. Bundesverfassungsgericht hervorgehoben, ihm fehle die Zuständigkeit, einen
  266. möglichen Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht zu prüfen (aaO
  267. S. 299 f). Gleichwohl hat es sich ausdrücklich dahingehend festgelegt, dass die
  268. von ihm festgestellten verfassungsrechtlichen Mängel der bestehenden Regelungen zum Sportwettenmonopol in gleicher Weise mit den vom Gerichtshof der
  269. Europäischen Union entwickelten europarechtlichen Vorgaben unvereinbar seien. Damit konnte für die Rechtsanwender in der Judikative und der Exekutive
  270. sowie für den Gesetzgeber auch der europarechtliche status quo nicht mehr
  271. zweifelhaft sein.
  272. - 15 -
  273. 28
  274. Dennoch haben die Beklagten nicht in hinreichend qualifizierter Weise
  275. gegen das europäische Recht verstoßen.
  276. 29
  277. (1) Zwar hat die Verwaltung der Beklagten auch nach Bekanntwerden
  278. des Urteils des Bundesverfassungsgerichts die Untersagungsverfügung aufrecht erhalten und es der Klägerin beziehungsweise ihrem Geschäftsbesorger
  279. nicht - etwa durch Erteilung einer entsprechenden Genehmigung - ermöglicht,
  280. Sportwetten zu vertreiben. Ein qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht ist ihr gleichwohl nicht anzulasten. Denn die Bediensteten der Beklagten
  281. durften annehmen, dass es bis zu der vom Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgegebenen Neuregelung des Wett- und Glückspielrechts, die spätestens zum 1. Januar 2008 erfolgen musste, auch mit dem materiellen europäischen Gemeinschaftsrecht in Einklang stand, das Angebot von Sportwetten
  282. den bisherigen Monopolinhabern vorzubehalten. Es kann deshalb auf sich beruhen, ob insoweit die Rechtsauffassung vertretbar war, während der vom Bundesverfassungsgericht zugestandenen Übergangszeit bis zum 31. Dezember
  283. 2007 sei ein an sich materiell europarechtswidriger Regelungszustand aus
  284. zwingenden Gründen der Rechtssicherheit (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom
  285. 8. September 2010 - C-409/06 - Winner Wetten, NVwZ 2010, 1419 Rn. 66
  286. mwN) gemeinschaftsrechtlich hinnehmbar, wie dies in dem Verfahren "Winner
  287. Wetten" vor dem Gerichtshof offenbar alle Regierungen, die Erklärungen abgegeben haben, geltend gemacht haben (vgl. EuGH aaO Rn. 63; Schlussanträge
  288. des Generalanwalts Bot, juris, Rn. 79 ff; siehe ferner VGH Kassel NVwZ 2006,
  289. 1435, 1439; OVG Münster NVwZ 2006, 1078, 1080).
  290. 30
  291. Das Bundesverfassungsgericht hat während der von ihm zugestandenen
  292. Übergangsfrist nicht die uneingeschränkte Fortgeltung der als verfassungswid-
  293. - 16 -
  294. rig - und aufgrund der Parallelität der Kohärenzanforderungen zugleich als gemeinschaftsrechtswidrig - erkannten Rechtslage gebilligt. Vielmehr hat es für
  295. die Anwendbarkeit der bislang geltenden Normen Maßgaben statuiert, nach
  296. denen unverzüglich ein Mindestmaß an Konsistenz zwischen dem Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und der Bekämpfung der Wettsucht einerseits
  297. und der tatsächlichen Ausübung des staatlichen Monopols andererseits herzustellen war (BVerfGE 115, 276, 319). Danach durften zwar - vor dem Hintergrund, dass die Errichtung eines staatlichen Wettmonopols für sich genommen
  298. weder verfassungs- noch europarechtswidrig ist (vgl. BVerfGE aaO S. 309) das gewerbliche Veranstalten von Wetten durch private Unternehmen und die
  299. Vermittlung von Wetten, die nicht vom Beklagten zu 2 veranstaltet wurden, weiterhin als verboten angesehen und ordnungsrechtlich unterbunden werden, wobei das Bundesverfassungsgericht sogar eine Aufrechterhaltung der Strafbewehrung nicht für ausgeschlossen erachtete (aaO S. 319). Jedoch war damit zu
  300. beginnen, das Wettmonopol konsequent an einer Bekämpfung der Wettsucht
  301. und einer Begrenzung der Wettleidenschaft auszurichten. Der Staat durfte insbesondere die Übergangszeit nicht zu einer expansiven Vermarktung von Wetten nutzen. Daher waren bis zu einer Neuregelung die Erweiterung des Angebots staatlicher Wettveranstaltungen sowie eine Werbung, die über sachliche
  302. Informationen zur Art und Weise der Wettmöglichkeit hinausgehend gezielt zum
  303. Wetten aufforderte, untersagt. Ferner hatte die staatliche Lotterieverwaltung
  304. umgehend aktiv über die Gefahren des Wettens aufzuklären (aaO).
  305. 31
  306. Das Bundesverfassungsgericht hat die in der gesetzlichen Regelung angelegten und dementsprechend in der Praxis realisierten Defizite bei der Verwirklichung der das Wettmonopol grundsätzlich rechtfertigenden, vorgenannten
  307. Ziele darin gesehen, dass es an einer aktiven Prävention fehlte (aaO S. 311 f)
  308. und vor allem, dass die Geschäftspraxis des Monopolanbieters nach ihrem tat-
  309. - 17 -
  310. sächlichen Erscheinungsbild dem einer wirtschaftlich effektiven Vermarktung
  311. einer grundsätzlich unbedenklichen Freizeitbeschäftigung entsprach (aaO
  312. S. 314 ff). Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit die breit angelegte Werbung, in der das Wetten als sozialadäquate, wenn nicht sogar positiv bewertete
  313. Unterhaltung dargestellt wurde (aaO S. 314), die breiten Vertriebswege und die
  314. fehlende aktiv kommunizierte Prävention beanstandet (aaO S. 315 f).
  315. 32
  316. Der Behebung eben jener Defizite dienten die im Vorgriff auf entsprechende gesetzliche Neuregelungen für die Übergangszeit aufgestellten Maßgaben. Ihr Inhalt zielte darauf ab, genau die Mängel der bestehenden Rechtslage
  317. abzustellen, die maßgeblich zu deren Verfassungswidrigkeit führten. Da das
  318. Bundesverfassungsgericht bei seiner Entscheidung nicht nur der Sache nach
  319. die Kriterien der "Gambelli-Entscheidung" angewandt, sondern zugleich - wie
  320. ausgeführt - die Parallelität der Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts zu den vom Europäischen Gerichtshof zum Gemeinschaftsrecht formulierten betont hatte (aaO S. 316 f), lag für die Verwaltung der Beklagten die Annahme nahe, dass, sofern diese Maßgaben beachtet werden, auch vor dem
  321. formellen Erlass der entsprechenden (Änderungs-)Gesetze in der Praxis ein
  322. Zustand hergestellt werden kann, der nicht nur mit dem Grundgesetz, sondern
  323. auch mit dem Europarecht in Einklang steht (so vor allem BayVGH, Beschluss
  324. vom 23. August 2006 - 24 CS 06.1881, juris Rn. 53, 64; die dagegen eingelegte
  325. Verfassungsbeschwerde wurde durch Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 2006, WM 2006, 2326, nicht zur Entscheidung
  326. angenommen). Im Übrigen wäre wegen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts die Einräumung einer Übergangszeit durch das Bundesverfassungsgericht nicht nur ins Leere gegangen, sondern sogar für den Rechtsanwender irreführend gewesen. Dass die vom Bundesverfassungsgericht eingeforderten Maßgaben tatsächlich zügig und vollständig umgesetzt wurden, hat
  327. - 18 -
  328. der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, vom Bundesverfassungsgericht gebilligt, der bayerischen Verwaltung in ständiger Rechtsprechung attestiert (z.B.
  329. BayVGH, Beschlüsse vom 3. August 2006, NVwZ 2006, 1430, 1431 f; vom
  330. 23. August 2006 - 24 CS 06.1881, juris Rn. 35 f, 52; vom 2. Oktober 2007
  331. - 24 CS 07.1986, juris Rn. 30 und vom 15. November 2007 - 24 CS 07.2792,
  332. juris Rn. 29 f; BVerfG WM 2006, 2326, 2327 zum Beschluss des BayVGH vom
  333. 23. August 2006; siehe auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 31. März 2006
  334. - 1 BvR 1840/05, juris Rn. 5).
  335. 33
  336. (2) Die vorstehenden Erwägungen gelten auch für die mit dem Antrag auf
  337. Aussetzung der sofortigen Vollziehung der Untersagungsverfügung der Beklagten zu 1 befassten Verwaltungsgerichte des Beklagten zu 2. Anders als die Revision geltend macht, liegt auch kein hinreichend qualifizierter Verstoß von Bediensteten des Beklagten zu 2 gegen europäisches Gemeinschaftsrecht vor,
  338. weil der Bayerische Verwaltungsgerichtshof es unterlassen hat, das von dem
  339. Zedenten angestrengte Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die
  340. Untersagungsverfügung der Beklagten zu 1 gemäß Art. 234 Abs. 3 EG (jetzt
  341. Art. 267 Abs. 3 AEUV) auszusetzen und dem Gerichtshof der Europäischen
  342. Union die Frage der Vereinbarkeit der in Bayern seinerzeit geltenden Regelungen über das Sportwettenmonopol mit dem europäischen Recht vorzulegen.
  343. Zwar ist der Verwaltungsgerichtshof in Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO letztinstanzlich entscheidendes Gericht (siehe § 152 Abs. 1 VwGO), das nach den
  344. genannten Bestimmungen zur Vorlage an den Gerichtshof grundsätzlich verpflichtet ist, wenn über die Auslegung von Gemeinschafts- beziehungsweise
  345. Unionsrecht zu befinden ist. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs entfällt
  346. die Vorlageverpflichtung jedoch in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes,
  347. sofern es, wie hier, jeder Partei unbenommen bleibt, ein Hauptverfahren entweder selbst einzuleiten oder dessen Einleitung zu verlangen, in dem jene im
  348. - 19 -
  349. summarischen Verfahren vorläufig entschiedene Frage des Gemeinschaftsrechts erneut geprüft werden und den Gegenstand einer Vorlage bilden kann,
  350. (EuGH, Urteile vom 24. Mai 1977 - 107/76 - Hoffmann-La Roche, Slg. 1977,
  351. 957 Rn. 5 f und vom 27. Oktober 1982 - 35 und 36/82 - Morson u.a., Slg. 1982,
  352. 3723 Rn. 8 ff; siehe auch BVerfG NJW 2007, 1521, 1522).
  353. 34
  354. Das hiernach bestehende Ermessen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs war entgegen der Auffassung der Klägerin schon deshalb nicht auf
  355. Null reduziert, weil aus den zuvor dargestellten Gründen ein offenkundiger Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht nicht vorlag.
  356. 35
  357. (3) Soweit die Legislative des Beklagten zu 2 betroffen ist, ist ein solcher
  358. Verstoß ebenfalls auszuschließen. Dabei kann dem Gesetzgeber insbesondere
  359. nicht vorgehalten werden, er habe schnellstmöglich, also noch vor Ablauf der
  360. vom Bundesverfassungsgericht eingeräumten Übergangszeit, eine "auch dem
  361. Buchstaben nach" gemeinschaftsrechtskonforme Gesetzeslage schaffen müssen. Zunächst durfte auch der Gesetzgeber davon ausgehen, dass schon vor
  362. Anpassung des Gesetzeswortlauts an die Vorgaben des Bundesverfassungsrechts die Exekutive willens und in der Lage ist, für die Übergangsphase einen
  363. Zustand herzustellen, der europarechtlich keinen durchgreifenden Bedenken
  364. (mehr) ausgesetzt ist. Zudem war ausreichende Zeit vonnöten, um den aus den
  365. Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts folgenden (national- wie europarechtlichen) Anpassungsbedarf sorgfältig zu ermitteln, die hieraus folgenden
  366. Handlungsoptionen herauszuarbeiten und sich - gegebenenfalls auch nach Abstimmung mit den Rechtssetzungsorganen des Bundes - unter Abwägung der
  367. jeweils in Rede stehenden Belange für eine Lösung zu entscheiden. So gab es
  368. für die Schaffung einer im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union kohärenten Lösung für den Bereich der Sportwetten und
  369. - 20 -
  370. Glücksspiele eine Vielzahl von denkbaren Lösungen, da den Mitgliedstaaten
  371. insoweit ein weiter Ermessensspielraum zusteht (EuGH, Urteil vom 6. November 2003 - C-243/01 - Gambelli, Slg. 2003, I-13076 Rn. 63 mwN). Hinzu kommt,
  372. dass die hier maßgeblichen Regelungen nach der Kompetenzordnung des
  373. Grundgesetzes von den Ländern zu schaffen waren und diese Regelungen, um
  374. einen - sinnvollen - bundeseinheitlichen Standard zu gewährleisten, in einem
  375. Staatsvertrag aller deutschen Länder enthalten waren. Aufgrund dieser Ausgangslage ist dem Beklagten zu 2 insbesondere nicht anzulasten, dass sie auf
  376. einen gesetzgeberischen "Alleingang" verzichtete und zusammen mit den übrigen Ländern wiederum eine - nunmehr den europarechtlichen Vorgaben entsprechende – bundeseinheitliche Regelung anstrebte. Unter Berücksichtigung
  377. dieser Umstände war es nicht zu beanstanden, dass der Beklagte zu 2 - ebenso wie alle anderen Bundesländer - die bis zum 31. Dezember 2007 eingeräumte Übergangsfrist ausschöpfte.
  378. 36
  379. ee) Der weitere Hinweis der Revision auf den Beschluss der 2. Kammer
  380. des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 27. April 2005 (WM
  381. 2005, 1141) ist für ihre Rechtsauffassung unbehelflich. Das Bundesverfassungsgericht hat darin unter Bezugnahme auf die "Gambelli-Entscheidung" lediglich geäußert, "erhebliche Zweifel" an der Vereinbarkeit des Sportwettenmonopols mit dem Gemeinschaftsrecht könnten "nicht … ausgeschlossen" werden
  382. (aaO S. 1142 f). Ein offenkundiger Verstoß der Beklagten gegen das Gemeinschaftsrecht lässt sich angesichts dieser zurückhaltenden Formulierung hieraus
  383. nicht ableiten.
  384. 37
  385. ff) Die Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens 2003/4350 durch
  386. die Europäische Kommission mit dem von der Klägerin vorgelegten Schreiben
  387. vom 4. April 2006 ist für die Rechtsposition der Klägerin ebenfalls unbehelflich.
  388. - 21 -
  389. Zwar mag sich hieraus ebenso wie aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 die Unvereinbarkeit des Sportwettenmonopols mit dem Gemeinschaftsrecht ergeben haben. Aus den vorstehenden
  390. Gründen scheidet jedoch gleichwohl ein hinreichend qualifizierter Verstoß der
  391. Beklagten gegen das europäische Recht aus. In dem Schreiben äußerte die
  392. Kommission Zweifel an der Vereinbarkeit der in den einzelnen Bundesländern
  393. geltenden Regelungen zum Sportwettenmonopol mit der Dienstleistungsfreiheit
  394. nur unter den in der "Gambelli-Entscheidung" des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Urteil vom 6. November 2003 - C-243/01, Slg. 2003,
  395. I-13076) angesprochenen Aspekten. Die Kommission bemängelte, dass nach
  396. ihr vorliegenden Erkenntnissen die Monopolveranstalter in Deutschland einen
  397. erheblichen Werbeaufwand für die Sportwetten betrieben. Unter Bezugnahme
  398. auf Randnummer 69 des "Gambelli-Urteils" (aaO) wies sie darauf hin, dass sich
  399. die Mitgliedstaaten zur Rechtfertigung von Reglementierungen von Wetten nicht
  400. auf die Notwendigkeit berufen dürften, die Gelegenheiten zum Spiel zu vermindern, wenn ihre Behörden die Verbraucher zugleich dazu anreizten und ermunterten, an Lotterien, Glücksspielen oder Wetten teilzunehmen, damit der Staatskasse daraus Einnahmen zuflössen. Eben diese Defizite wurden jedoch abgestellt, so dass die Beklagten die Rechtspraxis vertretbar als gemeinschaftskonform ansehen konnten.
  401. 38
  402. c) Eine Vorlage der Sache an den Gerichtshof der Europäischen Union
  403. gemäß Art. 267 Abs. 2, 3 AEUV ist nicht erforderlich. Die von der Klägerin in
  404. der mündlichen Verhandlung vor dem Senat als vorlagebedürftig angesehene
  405. Frage, ob ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht mit der Erwägung verneint werden könne, die Mitgliedstaaten hätten sich für berechtigt
  406. halten dürfen, für eine Übergangszeit einen europarechtswidrigen Zustand aufrechtzuerhalten, stellt sich aus den unter b, dd (1) ausgeführten Gründen nicht.
  407. - 22 -
  408. Auch im Übrigen besteht keine Notwendigkeit, eine Vorabentscheidung gemäß
  409. Art. 267 Abs. 2, 3 AEUV einzuholen. Die Feststellung, ob die Voraussetzungen
  410. für einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch im konkreten Einzelfall erfüllt sind, obliegt entsprechend den vom Gerichtshof hierfür entwickelten Leitlinien grundsätzlich den nationalen Gerichten (EuGH, Urteile vom 13. März 2007
  411. - C-524/04 - Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation - Slg. 2007, I-2157
  412. Rn. 116 und vom 12. Dezember 2006 - C-446/04 - Test Claimants in the FII
  413. Group Litigation, Slg. 2006, I-11814, Rn. 210 mwN). Unionsrechtliche Fragen,
  414. die über die bloße Anwendung der Grundsätze des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs auf den konkreten Sachverhalt hinausgehen, wirft der Fall
  415. nicht auf.
  416. 39
  417. 3.
  418. Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagten aus § 839 Abs. 1 BGB in
  419. Verbindung mit Art. 34 Satz 1 GG bestehen gleichfalls nicht.
  420. 40
  421. Zwar handelten die Verwaltungsbediensteten der Beklagten objektiv
  422. pflichtwidrig, weil die Untersagungsverfügung mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar war. Jedoch fällt ihnen insoweit aus den oben (2 b dd (1)) genannten
  423. Gründen keine Fahrlässigkeit zur Last, zumal sie sich bei ihrer Einschätzung
  424. der Rechtslage im Einklang mit der Rechtsprechung des für sie zuständigen
  425. Verwaltungsgerichtshofs befanden (vgl. Senatsurteil vom 13. Juli 1995 - III ZR
  426. 160/94, NJW 1995, 2918, 2920).
  427. 41
  428. Eine Haftung des Beklagten zu 2 wegen legislativen Unrechts kommt
  429. bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Gesetzgeber lediglich Aufgaben der
  430. Allgemeinheit wahrnimmt, denen die Richtung auf bestimmte Personen oder
  431. Personenkreise fehlt, ihm daher grundsätzlich keine drittschützenden Amtspflichten im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB obliegen (vgl. z.B. Senatsbe-
  432. - 23 -
  433. schluss vom 12. Oktober 2006 - III ZR 144/05, NVwZ 2007, 362 Rn. 23; Senatsurteile vom 24. Oktober 1996 - III ZR 127/91, BGHZ 134, 30, 32 und vom
  434. 7. Juni 1988 - III ZR 198/87, NJW 1989, 101). Die Amtshaftung für die Richter
  435. des Beklagten zu 2 scheitert an § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB.
  436. 42
  437. 4.
  438. Zu Recht haben die Vorinstanzen auch Ansprüche aus enteignungs-
  439. gleichem Eingriff verneint. Insoweit erhebt die Revision ebenfalls keine Rügen.
  440. Schlick
  441. Herrmann
  442. Tombrink
  443. Hucke
  444. Remmert
  445. Vorinstanzen:
  446. LG Landshut, Entscheidung vom 30.11.2010 - 54 O 30/10 OLG München, Entscheidung vom 15.07.2011 - 1 U 392/11 -