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383 lines
20 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. II ZR 88/11
  5. Verkündet am:
  6. 22. Mai 2012
  7. Stoll
  8. Justizhauptsekretärin
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. BGB § 355
  19. a) Ist beim Abschluss eines Vertrags zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher
  20. von diesem eine Widerrufsbelehrung zu unterschreiben, bedarf es konkreter Anhaltspunkte dafür, dass bei Fehlen der Voraussetzungen eines gesetzlichen Widerrufsrechts (hier:
  21. mangels Haustürsituation) die Frist für die Ausübung des Widerrufsrechts nur dann in
  22. Gang gesetzt werden soll, wenn der Unternehmer dem Verbraucher zusätzlich eine Belehrung erteilt hat, die den Anforderungen für ein gesetzliches Widerrufsrecht (hier:
  23. §§ 312, 355 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom
  24. 20. November 2001, BGBl. I S. 3138) entspricht.
  25. b) Für die Annahme, dass der Fristbeginn auch im Falle eines möglicherweise vereinbarten
  26. vertraglichen Widerrufsrechts von einer den Anforderungen für ein gesetzliches Widerrufsrecht genügenden Belehrung abhängig sein soll, reicht nicht aus, dass sich der Unternehmer bei der Formulierung der Widerrufsbelehrung an den Vorgaben des gesetzlichen
  27. Widerrufsrechts orientiert hat und im Falle des Eingreifens eines gesetzlichen Widerrufsrechts mit der Belehrung die gesetzlichen Anforderungen erfüllen wollte.
  28. BGH, Urteil vom 22. Mai 2012 - II ZR 88/11 - OLG Düsseldorf
  29. LG Düsseldorf
  30. -2-
  31. Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 22. Mai 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bergmann, die
  32. Richterin Caliebe und die Richter Dr. Drescher, Born und Sunder
  33. für Recht erkannt:
  34. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats
  35. des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 7. April 2011 aufgehoben.
  36. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
  37. über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  38. Von Rechts wegen
  39. Tatbestand:
  40. 1
  41. Die Klägerin trat mit Beitrittserklärung vom 1. Dezember 2005, die am
  42. 8. Dezember 2005 angenommen wurde, der Beklagten, einem geschlossenen
  43. Fonds in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, bei. Sie erklärte den Beitritt aufgrund der Vermittlung des N.
  44. B.
  45. in ihrer Privatwoh-
  46. nung. Unter den in dem Beitrittsformular angebotenen Beteiligungsmöglichkeiten wählte sie das Beteiligungsprogramm Multi B und verpflichtete sich zu einer
  47. Einmalzahlung in Höhe von 8.000 € zuzüglich 5 % Agio und monatlichen Ratenzahlungen in Höhe von 100 € zuzüglich 5 % Agio über einen Zeitraum von
  48. 30 Jahren (Vertragssumme: 46.200 €). Die Einmalzahlung und die erste Rate
  49. waren am 1. Februar 2006 fällig.
  50. -3-
  51. 2
  52. Mit Erklärung vom 30. Januar 2006, von der Beklagten angenommen am
  53. 1. März 2006, verringerte sie ihre versprochene Einmalzahlung auf 6.000 € zuzüglich 5 % Agio, so dass sich die Vertragssumme nunmehr auf 44.100 € belief;
  54. zudem war die Einmalzahlung nunmehr erst am 1. März 2006 fällig.
  55. 3
  56. Beide Beitrittsformulare enthalten folgende, von der Klägerin unterschriebene Widerrufsbelehrung:
  57. Widerrufsbelehrung
  58. Ich bin an meine auf den Abschluss der oben genannten Beitrittserklärung gerichtete Willenserklärung nicht mehr gebunden, wenn ich sie binnen zwei Wochen widerrufe. Die M.
  59. GbR verzichtet auf ein etwaiges vorzeitiges Erlöschen des Widerrufsrechts nach den gesetzlichen Bestimmungen
  60. (§§ 312 d Abs. 3, 355 Abs. 3 BGB). Mit dem Widerruf meiner Willenserklärung
  61. kommt auch meine Beteiligung an der M.
  62. GbR nicht wirksam
  63. zustande.
  64. Form des Widerrufs
  65. Der Widerruf muss in Textform (z.B. Brief, Fax) erfolgen. Der Widerruf muss
  66. keine Begründung enthalten.
  67. Fristablauf
  68. Der Lauf der Frist für den Widerruf beginnt einen Tag, nachdem ich diese W iderrufsbelehrung unterschrieben habe und mir
  69.  ein Exemplar dieser Widerrufsbelehrung und
  70.  mein schriftlicher Vertragsantrag oder eine Abschrift der Vertragsurkunde bzw. meines Vertragsantrages zur Verfügung gestellt wurden.
  71. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs.
  72. Adressat des Widerrufs
  73. Der Widerruf ist zu senden an die M.
  74. GmbH & Co. KG, G.
  75. (0 ) 6
  76. , Fax: (0 ) 6
  77. str. 54,
  78. GbR c/o P.
  79. M.
  80. , Telefon:
  81. Widerruf bei bereits erhaltenen Leistungen
  82. Habe ich vor Ablauf der Widerrufsfrist bereits Leistungen von der M.
  83. GbR und/oder der P.
  84. GmbH & Co. KG erhalten, so
  85. -4-
  86. kann ich mein Widerrufsrecht dennoch ausüben. Widerrufe ich in diesem Fall,
  87. so muss ich empfangene Leistungen jedoch binnen 30 Tagen an die M.
  88. GbR bzw. P.
  89. GmbH & Co. KG zurückgewähren und der M.
  90. GbR bzw. P.
  91. GmbH & Co. KG die von mir aus den Leistungen gezogenen Nutzungen herausgeben. Die Frist beginnt mit Absendung des Widerrufs.
  92. Kann ich die von der M.
  93. GbR bzw. P.
  94. GmbH & Co. KG mir gegenüber erbrachten Leistungen ganz oder teilweise
  95. nicht zurückgewähren - beispielsweise weil dies nach dem Inhalt der erbrachten Leistungen ausgeschlossen ist -, so bin ich verpflichtet, insoweit Wertersatz zu leisten. Dies gilt auch für den Fall, dass ich die von der M.
  96. GbR bzw. P.
  97. GmbH & Co. KG erbrachten Leistungen bestimmungsgemäß genutzt habe. Die Verpflichtung zum Wertersatz
  98. kann ich vermeiden, wenn ich die Leistungen vor Ablauf der Widerrufsfrist
  99. nicht in Anspruch nehme.
  100. 4
  101. Die Klägerin erbrachte die Einmalzahlung und leistete 40 Monatsraten.
  102. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 16. Juni 2009 erklärte sie
  103. den Widerruf ihrer Beteiligung und leistete keine Zahlungen mehr.
  104. 5
  105. Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin - soweit im Revisionsverfahren noch
  106. von Bedeutung - die Feststellung, dass der Gesellschaftsvertrag zwischen ihr
  107. und der Beklagten durch ihren Widerruf beendet sei und die Beklagte aus dem
  108. Gesellschaftsvertrag keine rechtlichen Verpflichtungen mehr herleiten könne.
  109. 6
  110. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat
  111. die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom
  112. Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten.
  113. -5-
  114. Entscheidungsgründe:
  115. 7
  116. Die Revision der Beklagten hat Erfolg und führt unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
  117. 8
  118. I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
  119. 9
  120. Die Klägerin habe mit Schreiben vom 16. Juni 2009 ihre Beteiligung an
  121. der Beklagten wirksam widerrufen. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Beitritt in einer sogenannten Haustürsituation erfolgt sei und ob der Klägerin deshalb ein gesetzliches Widerrufsrecht zustehe. Denn die Beklagte habe der Klägerin ein vertragliches Widerrufsrecht eingeräumt, hinsichtlich dessen dieselben
  122. Belehrungspflichten bestanden hätten wie bei einem gesetzlichen Widerrufsrecht. Da die erteilte Widerrufsbelehrung den gesetzlichen Anforderungen nicht
  123. entspreche, sei die Widerrufsfrist nicht in Gang gesetzt worden und die Klägerin
  124. habe am 16. Juni 2009 die Beteiligung noch wirksam widerrufen können.
  125. 10
  126. II. Das hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Ansicht
  127. des Berufungsgerichts, die Klägerin habe ihre Beteiligung an der Beklagten
  128. wirksam widerrufen, ist nicht frei von Rechtsfehlern.
  129. 11
  130. 1. Nach herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum
  131. kann ein Widerrufsrecht nicht nur von Gesetzes wegen bestehen, sondern
  132. grundsätzlich auch im Vereinbarungswege festgelegt werden. Danach können
  133. Vertragspartner - als Ausprägung der Vertragsfreiheit - ein Widerrufsrecht vertraglich vereinbaren und für die nähere Ausgestaltung sowie die Rechtsfolgen
  134. auf die §§ 355, 357 BGB verweisen (vgl. Staudinger/Kaiser, BGB [2004], § 355
  135. Rn. 11; Palandt/Grüneberg, BGB, 71. Aufl., Vorb v § 355 Rn. 5; Bamberger/
  136. -6-
  137. Roth/Grothe, BGB, 2. Aufl., § 355 Rn. 4; NK-BGB/Ring, 2. Aufl., § 355 Rn. 26;
  138. zur vertraglichen Vereinbarung einer Verlängerung der Widerrufsfrist vgl. BGH,
  139. Urteil vom 13. Januar 2009 - XI ZR 118/08, WM 2009, 350 Rn. 16 f.).
  140. 12
  141. 2. Ob einer Widerrufsbelehrung, die keine Beschränkung darauf enthält,
  142. dass sie nur in gesetzlich vorgesehenen Fällen gelten soll, die Vereinbarung
  143. eines vertraglichen Widerrufsrecht entnommen werden kann, kann hier dahingestellt bleiben (vgl. zu dieser Problematik BGH, Urteil vom 15. Oktober 1980
  144. - VIII ZR 192/79, WM 1980, 1386, 1387, insoweit in BGHZ 78, 248 nicht abgedruckt; Urteil vom 30. Juni 1982 - VIII ZR 115/81, WM 1982, 1027; Urteile vom
  145. 6. Dezember 2011 - XI ZR 401/10, ZIP 2012, 262 Rn. 17 und - XI ZR 442/10,
  146. juris Rn. 24; OLG Hamburg, Urteil vom 19. Juni 2009 - 11 U 210/06, juris
  147. Rn. 121; OLG Köln, Urteil vom 22. Juli 2009 - 27 U 5/09, juris Rn. 22 f.; Münch
  148. KommBGB/Masuch, 6. Aufl., § 360 Rn. 15; Ebnet, NJW 2011, 1029, 1030 f.;
  149. Godefroid, Verbraucherkreditverträge, 3. Aufl., Rn. 486 f.; Münscher, WuB I
  150. G 1.5.03; Corzelius, EWiR 2009, 243, 244; Tetzlaff, GWR 2012, 88). Denn die
  151. Klägerin hätte ein ihr vertraglich eingeräumtes Widerrufsrecht jedenfalls nicht
  152. fristgemäß ausgeübt.
  153. 13
  154. a) Die Klägerin war - ein vertraglich eingeräumtes Widerrufsrecht unterstellt - nach der Widerrufsbelehrung berechtigt, ihre Beitrittserklärung binnen
  155. zwei Wochen zu widerrufen. Der Lauf der Frist hätte danach einen Tag, nachdem sie die Widerrufsbelehrung unterschrieben hatte und ihr ein Exemplar der
  156. Belehrung sowie ihr schriftlicher Vertragsantrag oder eine Abschrift der Vertragsurkunde bzw. ihres Vertragsantrags zur Verfügung gestellt worden waren,
  157. begonnen. Diese Zweiwochenfrist, die demnach am 31. Januar 2006 zu laufen
  158. begonnen hätte, wäre am 16. Juni 2009, als ihr Prozessbevollmächtigter den
  159. Widerruf erklärte, längst abgelaufen gewesen.
  160. -7-
  161. 14
  162. b) Für den Beginn der Widerrufsfrist kommt es nicht darauf an, ob die
  163. Widerrufsbelehrung den Anforderungen an eine Belehrung über ein gesetzliches Widerrufsrecht entspricht. Den Formulierungen des Beitrittsformulars lässt
  164. sich - wenn man der Widerrufsbelehrung überhaupt die Einräumung eines vertraglichen Widerrufsrechts entnehmen wollte - im Wege der Auslegung jedenfalls nicht entnehmen, die Beklagte habe der Klägerin nicht nur ein vertragliches
  165. Widerrufsrecht mit der in der Widerrufsbelehrung beschriebenen Ausgestaltung
  166. einräumen wollen, sondern sich darüber hinaus auch verpflichtet, ihr gegenüber
  167. alle im Falle eines gesetzlichen Widerrufsrechts einzuhaltenden gesetzlichen
  168. Belehrungspflichten erfüllen zu wollen und ihr bei deren Nichteinhaltung ein unbefristetes Widerrufsrecht einzuräumen.
  169. 15
  170. aa) Bei der Auslegung der Vertragserklärung ist der Hintergrund der gesetzlichen Widerrufsvorschriften in den Blick zu nehmen:
  171. 16
  172. Die Fälle des gesetzlichen Widerrufsrechts, die eine Durchbrechung des
  173. Grundsatzes "pacta sunt servanda" darstellen, sind enumerativ und abschließend geregelt (§ 355 Abs. 1 Satz 1 BGB) und knüpfen an bestimmte gesetzliche Merkmale an (siehe insoweit auch BGH, Urteile vom 6. Dezember 2011
  174. - XI ZR 401/10, ZIP 2012, 262 Rn. 17 und - XI ZR 442/10, juris Rn. 24). Wird
  175. einem Vertragspartner vertraglich ein Widerrufsrecht eingeräumt, das ihm nach
  176. dem Gesetz nicht zusteht, z.B. weil der Vertragsschluss außerhalb einer "Haustürsituation" erfolgt und es daher an der vom Gesetz typisierten Situation eines
  177. strukturellen Ungleichgewichts fehlt, kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass sich die Vertragspartner gleichwohl in einer solchen Situation begegnen. Sie sind vielmehr grundsätzlich als vom Gesetz gleichgewichtig eingeschätzte Vertragspartner anzusehen. Dann bestimmt sich der Inhalt
  178. des Widerrufsrechts aber auch ausschließlich durch Auslegung ihrer vertraglichen Vereinbarung.
  179. -8-
  180. 17
  181. bb) Vor diesem Hintergrund bedarf es dann, wenn ein Unternehmer einem Verbraucher, ohne dazu gesetzlich verpflichtet zu sein, ein Widerrufsrecht
  182. eingeräumt hat, konkreter Anhaltspunkte in der getroffenen Vereinbarung dafür,
  183. dass zwar das Widerrufsrecht als solches von den gesetzlichen Voraussetzungen (z.B. einer Haustürsituation) unabhängig sein soll, gleichwohl die für die
  184. Ausübung des Widerrufsrechts vereinbarte Frist nur dann in Gang gesetzt werden soll, wenn der Unternehmer dem Anleger zusätzlich eine Belehrung erteilt
  185. hat, die den Anforderungen für ein gesetzliches Widerrufsrecht (hier: §§ 312,
  186. 355 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts
  187. vom 20. November 2001, BGBl. I S. 3138) entspricht.
  188. 18
  189. Derartige Anhaltspunkte bestehen vorliegend nicht. Ein vernünftiger
  190. Empfänger der Erklärung der Beklagten konnte den Formulierungen der Widerrufsbelehrung nicht entnehmen, dass die Beklagte sich für den Fall, dass ein
  191. gesetzliches Widerrufsrecht nicht besteht, verpflichten wollte, dem Anleger vertraglich ein unbefristetes Widerrufsrecht einräumen zu wollen, wenn die von ihr
  192. in der Widerrufsbelehrung genannten Voraussetzungen des Widerrufsrechts
  193. nicht den vom Gesetz für ein gesetzliches Widerrufsrecht aufgestellten Anforderungen genügten.
  194. 19
  195. Für die gegenteilige Auslegung reicht es nicht aus, dass sich die Beklagte bei den Formulierungen an den Vorgaben des gesetzlichen Widerrufsrechts
  196. orientiert hat. Dies ist ersichtlich lediglich dem Umstand geschuldet, dass die
  197. Widerrufsbelehrung für den Fall des Eingreifens einer gesetzlichen Verpflichtung zur Belehrung in das Formular aufgenommen wurde, und besagt deshalb
  198. nichts für einen Willen der Beklagten, nicht bestehende Belehrungspflichten
  199. übernehmen und erfüllen zu wollen. Ebenso wenig folgt aus der Tatsache, dass
  200. die Beklagte selbstverständlich beabsichtigte, im Falle des Eingreifens eines
  201. gesetzlichen Widerrufsrechts mit der Belehrung die gesetzlichen Anforderungen
  202. -9-
  203. zu erfüllen, aus der Sicht eines verständigen Empfängers ein Anhaltspunkt dafür, dass er sein (möglicherweise vertragliches) Widerrufsrecht unter anderen
  204. als unter den formulierten Voraussetzungen werde ausüben können.
  205. 20
  206. Auch aus dem Umstand, dass die Beklagte unter Hinweis auf § 312d
  207. Abs. 3 BGB, § 355 Abs. 3 BGB auf ein "etwaiges vorzeitiges Erlöschen" des
  208. Widerrufsrechts nach diesen Vorschriften verzichtet hat, folgt aus der maßgeblichen Sicht des Anlegers nicht, dass die Beklagte die gesetzlichen Belehrungspflichten auch in dem Fall erfüllen wollte, dass der Vertragsschluss nicht in einer Haustürsituation erfolgte. Es kann dahinstehen, ob der in der Widerrufsbelehrung erklärte Verzicht auf ein vorzeitiges Erlöschen des Widerrufsrechts
  209. nach den gesetzlichen Bestimmungen überhaupt dahin ausgelegt werden kann,
  210. er solle gegebenenfalls auch dann gelten, wenn die gesetzlichen Bestimmungen mangels Vorliegens eines gesetzlichen Widerrufsrechts schon nicht anwendbar sind und allenfalls ein vertraglich eingeräumtes Widerrufsrecht in Rede
  211. steht. Jedenfalls kommt in diesem Verzicht nicht zum Ausdruck, dem Anleger
  212. sämtliche Rechte, die das Gesetz dem Verbraucher in der besonders schutzwürdigen Situation eines Geschäftsabschlusses in einer Haustürsituation gewährt, selbst dann einräumen zu wollen, wenn eine solche Situation nicht gegeben ist. Der Verbraucher kann der Erklärung allenfalls entnehmen, dass der
  213. Unternehmer ihm damit ein Widerrufsrecht unter den in der Belehrung formulierten Voraussetzungen einräumt. Die Bezugnahme auf die gesetzlichen Bestimmungen ist für ihn nur insoweit von Bedeutung, als das ihm gegenüber formulierte Widerrufsrecht (dadurch) nicht eingeschränkt wird.
  214. 21
  215. cc) Etwas anderes folgt entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung
  216. auch nicht aus der Entscheidung des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs
  217. vom 23. Juni 2009 (- XI ZR 156/08, ZIP 2009, 1512 Rn. 17). Die Entscheidung
  218. betrifft den Umfang der zu erfüllenden Belehrungspflichten bei einem gesetzli-
  219. - 10 -
  220. chen Widerrufsrecht (§ 495 i.V.m. § 355 BGB) durch die möglicherweise zur
  221. Belehrung nicht verpflichtete dortige Klägerin und nicht den Fall eines vertraglich eingeräumten Widerrufsrechts.
  222. 22
  223. III. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend selbst entscheiden
  224. (§ 563 Abs. 1 ZPO).
  225. 23
  226. Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen zu der zwischen den Parteien streitigen Frage getroffen, ob der Beitritt der Klägerin in einer sogenannten Haustürsituation gemäß
  227. § 312 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB (in der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 20. November 2001, BGBl. I
  228. S. 3138) erfolgt ist. Diese Vorschrift findet auf Verträge über den Beitritt zu einer
  229. Gesellschaft, die wie die Beklagte der Kapitalanlage dienen soll, nach der vom
  230. Gerichtshof der Europäischen Union bestätigten (Urteil vom 15. April 2010 C 215/08, ZIP 2010, 772) ständigen Rechtsprechung des Senats Anwendung
  231. (siehe hierzu nur BGH, Urteil vom 12. Juli 2010 - II ZR 292/06, BGHZ 186, 167
  232. Rn. 12 - FRIZ II).
  233. 24
  234. Die erforderlichen Feststellungen wird es in der wiedereröffneten Berufungsverhandlung nach gegebenenfalls ergänzendem Vortrag der Parteien
  235. nachzuholen haben.
  236. 25
  237. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
  238. 26
  239. 1. Sollte das Berufungsgericht zu der Feststellung gelangen, dass die
  240. Klägerin unter den Voraussetzungen des § 312 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB der
  241. Beklagten beigetreten ist, wäre der dann nach §§ 312, 355 BGB grundsätzlich
  242. mögliche Widerruf vom 16. Juni 2009 nicht verfristet. Die Widerrufsbelehrung in
  243. - 11 -
  244. dem Beitrittsformular entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen der auf
  245. den Fall (noch) anwendbaren § 312 Abs. 2, § 355 Abs. 3 BGB.
  246. 27
  247. a) Der Schutz des Verbrauchers erfordert nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine möglichst umfassende, unmissverständliche und aus dem Verständnis der Verbraucher eindeutige Belehrung (siehe nur
  248. BGH, Urteil vom 4. Juli 2002 - I ZR 55/00, ZIP 2002, 1730, 1731; Urteil vom
  249. 12. April 2007 - VII ZR 122/06, BGHZ 172, 58 Rn. 13; Urteil vom 10. März 2009
  250. - XI ZR 33/08, BGHZ 180, 183 Rn. 14; siehe nunmehr § 360 Abs. 1 BGB). Die
  251. Widerrufsbelehrung hat dem Verbraucher die ihm durch den Widerruf eröffneten wesentlichen Rechte und Pflichten bewusst zu machen; in ihr sind die tatsächlichen materiellen Rechtsfolgen der Erklärung des Widerrufs abzubilden
  252. (vgl. BGH, Urteil vom 12. April 2007 - VII ZR 122/06, BGHZ 172, 58 Rn. 11,
  253. 13 ff.; Urteil vom 2. Februar 2011 - VIII ZR 103/10, ZIP 2011, 572 Rn. 17).
  254. 28
  255. b) Diesen Anforderungen genügt die der Klägerin erteilte Belehrung
  256. nicht, ohne dass der Senat an dieser Stelle entscheiden müsste, wie die Widerrufsbelehrung im Falle des Widerrufs einer Beteiligung an einer Anlagegesellschaft im Einzelnen formuliert werden muss (Probleme insoweit aufzeigend
  257. Podewils, MDR 2010, 117 ff.; Guggenberger, ZGS 2011, 397 ff.). Die Belehrung
  258. entspricht schon deshalb nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil sie lediglich auf aus dem Widerruf folgende Pflichten der Klägerin hinweist, nicht jedoch
  259. darauf, wie sich der Widerruf auf (etwaige) Rechte der Klägerin im Hinblick auf
  260. von ihr bereits an die Beklagte geleistete Zahlungen auswirkt. Ein solcher Hinweis war unentbehrlich, weil die Klägerin nach den vertraglichen Fälligkeitsbestimmungen Ratenzahlungen bereits vor Ablauf der Widerrufsfrist leisten musste.
  261. - 12 -
  262. 29
  263. 2. Sollte das Ergebnis der Feststellungen sein, dass die Klägerin wirksam widerrufen hat, wird das Berufungsgericht auf eine Klarstellung ihres Feststellungsantrags hinzuwirken haben.
  264. 30
  265. Der Widerruf der Beitrittserklärung führt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats zur Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft und zur Ermittlung des Wertes des Gesellschaftsanteils des fehlerhaft
  266. beigetretenen Gesellschafters im Zeitpunkt seines Ausscheidens (siehe nur
  267. BGH, Urteil vom 2. Juli 2001 - II ZR 304/00, BGHZ 148, 201, 207 f.; Urteil vom
  268. 12. Juli 2010 - II ZR 292/06, BGHZ 186, 167 Rn. 11 f. - FRIZ II; Urteil vom
  269. 17. Mai 2011 - II ZR 285/09, ZIP 2011, 1359 Rn. 14, 17). Die Anwendung der
  270. Grundsätze über den fehlerhaften Beitritt kann für den widerrufenden Gesellschafter zum einen dazu führen, dass ein Abfindungsguthaben wegen während
  271. seiner Mitgliedschaft eingetretener, von ihm mitzutragender Verluste der Gesellschaft geringer ist als seine Einlageleistung; ihre Anwendung kann sogar
  272. dazu führen, dass wegen der von der Gesellschaft während der Dauer der Mitgliedschaft des Widerrufenden erwirtschafteten Verluste das Abfindungsguthaben negativ ist, der widerrufende Gesellschafter also nicht nur seine Einlage
  273. nicht zurückerhält, sondern seinerseits zu Zahlungen an die Gesellschaft verpflichtet ist (st. Rspr., siehe nur BGH, Beschluss vom 5. Mai 2008
  274. - II ZR 292/06, ZIP 2008, 1018 Rn. 10 - FRIZ I).
  275. - 13 -
  276. 31
  277. Angesichts dessen ist der bisherige Antrag der Klägerin festzustellen,
  278. dass die Beklagte keinen Anspruch mehr aus dem Gesellschaftsvertrag hat, vor
  279. der Erstellung einer Auseinandersetzungsrechnung zu weit gefasst.
  280. Bergmann
  281. Caliebe
  282. Born
  283. Drescher
  284. Sunder
  285. Vorinstanzen:
  286. LG Düsseldorf, Entscheidung vom 04.05.2010 - 10 O 328/09 OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 07.04.2011 - I-6 U 134/10 -