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7.0 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. II ZR 61/13
  4. vom
  5. 15. April 2014
  6. in dem Rechtsstreit
  7. -2-
  8. Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. April 2014 durch den
  9. Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Strohn als Vorsitzenden, die Richterin
  10. Caliebe sowie die Richter Dr. Drescher, Born und Sunder
  11. beschlossen:
  12. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das
  13. Urteil des 9. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 16. Januar 2013 aufgehoben.
  14. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung,
  15. auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  16. Der
  17. Streitwert
  18. für
  19. das
  20. Beschwerdeverfahren
  21. wird
  22. auf
  23. 247.228,30 € festgesetzt.
  24. Gründe:
  25. 1
  26. I. Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen einer GmbH. Er
  27. nimmt die Beklagten als deren Gesellschafterinnen auf Zahlung von Stammeinlagen in Höhe von insgesamt 247.228,30 € in Anspruch. Das Landgericht hat
  28. die Klage nach Durchführung einer Beweisaufnahme abgewiesen; das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben. Die Beklagten begehren mit der Beschwerde
  29. die Zulassung der Revision mit dem Ziel der Aufhebung des Berufungsurteils
  30. und der Abweisung der Klage.
  31. -3-
  32. 2
  33. II. Die Beschwerde ist begründet. Das Berufungsgericht hat in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör
  34. verletzt (§ 544 Abs. 7 ZPO).
  35. 3
  36. 1. Im Ausgangspunkt zu Recht hält das Berufungsgericht die Beklagten
  37. für darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass die Einlagen vollständig erbracht wurden. Das gilt im Grundsatz auch bei einem längeren Zeitabstand seit
  38. der behaupteten Zahlung und einem späteren Erwerb der Geschäftsanteile
  39. durch die nunmehrigen Gesellschafter (BGH, Beschluss vom 9. Juli 2007
  40. - II ZR 222/06, ZIP 2007, 1755 Rn. 2; Beschluss vom 17. September 2013 - II
  41. ZR 142/12, ZIP 2014, 261 Rn. 3). Entgegen der Auffassung der Beschwerde
  42. hat das Berufungsgericht auch berücksichtigt, dass es dem Tatrichter nicht
  43. verwehrt ist, den dem Inferenten obliegenden Nachweis der Einlagenzahlung
  44. aufgrund einer Gesamtbeurteilung unstreitiger oder erwiesener Indiztatsachen
  45. als geführt anzusehen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2007 - II ZR 222/06,
  46. ZIP 2007, 1755 Rn. 2).
  47. 4
  48. Das Berufungsgericht durfte jedoch nicht ohne eine Wiederholung der
  49. vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme abweichend von der Entscheidung des Landgerichts diesen Beweis als nicht geführt ansehen. Das Berufungsgericht hat die festgestellten Indizien nicht als ausreichend erachtet und
  50. weiter ausgeführt, der Nachweis über die Aufbringung der Stammeinlagen sei
  51. auch nicht durch die Aussagen der Zeugen W.
  52. G.
  53. und W.
  54. S.
  55. geführt worden. Hinsichtlich der Glaubwürdigkeit beider Zeugen habe das
  56. Landgericht wegen eines gewissen Eigeninteresses am Ausgang des Rechtsstreits aus nachvollziehbaren Gründen deutliche Zweifel geäußert. Die Nichtzulassungsbeschwerde sieht darin zu Recht eine Verletzung des Anspruchs auf
  57. rechtliches Gehör im Sinne des Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BGH, Beschluss vom
  58. -4-
  59. 14. Juli 2009 - VIII ZR 3/09, NJW-RR 2009, 1291 Rn. 4; Beschluss vom
  60. 19. Februar 2013 - II ZR 119/11, juris Rn. 5; Beschluss vom 23. Juli 2013
  61. - II ZR 28/12, juris Rn. 3).
  62. 5
  63. Grundsätzlich steht es allerdings im Ermessen des Berufungsgerichts, ob
  64. es Zeugen, die in der Vorinstanz bereits vernommen worden sind, nach § 398
  65. Abs. 1 ZPO erneut vernimmt. Das Berufungsgericht ist jedoch zur nochmaligen
  66. Vernehmung der Zeugen verpflichtet, wenn es die protokollierten Zeugenaussagen anders verstehen oder würdigen will als die Vorinstanz. Eine erneute
  67. Vernehmung kann in diesem Fall allenfalls dann unterbleiben, wenn sich das
  68. Berufungsgericht auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit
  69. noch das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die
  70. Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit seiner Aussage betreffen (vgl. BGH,
  71. Beschluss vom 21. Juni 2011 - II ZR 103/10, WM 2011, 1533 Rn. 7; Beschluss
  72. vom 19. Februar 2013 - II ZR 119/11, juris Rn. 6; Beschluss vom 23. Juli 2013
  73. - II ZR 28/12, juris Rn. 4).
  74. 6
  75. Das Landgericht hat nach Vernehmung der Zeugen G.
  76. sowie des Steuerberaters K.
  77. und S.
  78. ausgeführt, diese drei Zeugenaussagen
  79. hätten bei der Kammer noch nicht den nötigen Grad der Gewissheit herbeiführen können, dass die Stammeinlagen gezahlt worden seien, da bei den Zeugen
  80. G.
  81. und S.
  82. ein gewisses eigenes Interesse hinsichtlich dieser Tat-
  83. sachen nicht zu verkennen sei und der Zeuge K.
  84. insbesondere nicht habe
  85. bekunden können, dass er Einzahlungsbelege für die Konten der Schuldnerin
  86. bezüglich der Stammkapitalzahlungen gesehen habe. Letztlich seien die bei der
  87. Kammer verbliebenen Zweifel bezüglich der Einzahlung des Stammkapitals
  88. durch das Vorliegen weiterer - im landgerichtlichen Urteil näher bezeichneter Indizien beseitigt worden. Anders als das Berufungsgericht hat das Landgericht
  89. -5-
  90. danach den Aussagen der Zeugen trotz der geäußerten Bedenken einen gewissen Beweiswert beigemessen, der zusammen mit den weiter gewürdigten
  91. Umständen zur Überzeugungsbildung geführt hat. Das Berufungsgericht durfte
  92. deshalb im Rahmen der auch von ihm durchgeführten Gesamtwürdigung aller
  93. Umstände den Aussagen der Zeugen keinen geringeren Beweiswert beimessen, ohne die Zeugen selbst gehört zu haben.
  94. 7
  95. 2. Der Verfahrensfehler ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht zu einer anderen Beurteilung
  96. gelangt wäre, wenn es die Zeugen erneut vernommen und sich einen eigenen
  97. Eindruck verschafft hätte. Es kann gleichfalls nicht ausgeschlossen werden,
  98. dass das Berufungsgericht im Rahmen der erforderlichen Gesamtbeurteilung
  99. den vorhandenen Indizien für eine Einzahlung ein anderes Gewicht beigemessen hätte, wenn es die Zeugen persönlich vernommen hätte.
  100. 8
  101. III. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: Soweit
  102. das Berufungsgericht den zeitlichen Zusammenhang der Kapitalerhöhung um
  103. 110.000 DM mit der Rückzahlung eines Darlehens der damaligen Alleingesellschafterin der Schuldnerin in Höhe von 109.923,48 € berücksichtigt und Vermutungen hinsichtlich einer verdeckten Sacheinlage anstellt, wird es das Vorbringen der Parteien darauf untersuchen müssen, ob nicht gerade deshalb davon
  104. ausgegangen werden muss, dass die Bareinlage - zunächst - geleistet worden
  105. ist. Steht aber die Einzahlung fest, dann hat der Insolvenzverwalter nach der
  106. Rechtsprechung des Senats für einen ausnahmsweise nicht zur Tilgung der
  107. Einlageschuld führenden Umstand Vortrag zu halten. Insbesondere nach einem
  108. langen Zeitraum wäre es einem Gesellschafter schwerlich möglich, alle denkbaren, der Erfüllungswirkung entgegenstehenden Umstände als nicht vorhanden
  109. darzulegen. Mit dem Beweis ist der Insolvenzverwalter auch in diesen Fällen
  110. -6-
  111. jedoch nicht belastet, wenn er seiner gesteigerten Vortragslast nachgekommen
  112. ist (BGH, Beschluss vom 17. September 2013 - II ZR 142/12, ZIP 2014, 261
  113. Rn. 3 f.).
  114. Strohn
  115. Caliebe
  116. Born
  117. Drescher
  118. Sunder
  119. Vorinstanzen:
  120. LG Lübeck, Entscheidung vom 20.12.2011 - 8 O 39/10 OLG Schleswig, Entscheidung vom 16.01.2013 - 9 U 14/12 -