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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. II ZR 150/02
  5. Verkündet am:
  6. 31. März 2003
  7. Vondrasek
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk: ja
  13. BGHZ:
  14. nein
  15. GmbHG § 64 Abs. 2
  16. Der Geschäftsführer einer GmbH verletzt seine Pflicht, das Gesellschaftsvermögen zur ranggerechten und gleichmäßigen Befriedigung
  17. aller künftigen Insolvenzgläubiger zusammenzuhalten, auch dann,
  18. wenn er bei Insolvenzreife der Gesellschaft Mittel von einem Dritten
  19. zu dem Zweck erhält, eine bestimmte Schuld zu tilgen, und kurze
  20. Zeit später dementsprechend die Zahlung an den Gesellschaftsgläubiger bewirkt.
  21. BGH, Urteil vom 31. März 2003 - II ZR 150/02 - OLG Brandenburg
  22. LG Potsdam
  23. -2-
  24. Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
  25. vom 31. März 2003 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht und die
  26. Richter Prof. Dr. Goette, Dr. Kurzwelly, Münke und Dr. Graf
  27. für Recht erkannt:
  28. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats
  29. des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 10. April 2002
  30. aufgehoben.
  31. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das
  32. Berufungsgericht zurückverwiesen.
  33. Von Rechts wegen
  34. Tatbestand:
  35. Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem am 15. September 1999 eröffneten Insolvenzverfahren über
  36. das
  37. Vermögen
  38. der K.
  39. Beteiligungsge-
  40. sellschaft mbH. Die Beklagten waren Geschäftsführer dieser Gesellschaft. Gegenstand des Unternehmens war der Erwerb von Geschäftsanteilen an der Bau
  41. K.
  42. W.
  43. GmbH
  44. (Bau
  45. KW
  46. GmbH)
  47. und
  48. die
  49. Gründung
  50. gleichartiger
  51. Unternehmen. Die Bau KW GmbH befindet sich seit dem 11. Juni 1999 in der
  52. Insolvenz.
  53. -3-
  54. Aufgrund eines zwischen der Gemeinschuldnerin und der Bau KW
  55. GmbH bestehenden Organschaftsverhältnisses hatte erstere Umsatz- und Gewerbesteuern zu entrichten. Dies geschah in der Weise, daß die Bau KW
  56. GmbH als Organgesellschaft wenige Tage vor dem Fälligkeitstermin für eine
  57. Gutschrift in Höhe des geschuldeten Steuerbetrages auf dem Konto der Gemeinschuldnerin sorgte und diese sodann einem Mitarbeiter der Bau KW GmbH
  58. einen von ihr ausgestellten, auf das genannte Konto bezogenen Scheck zur
  59. Weiterleitung an die zuständige Steuerbehörde aushändigte. Bei Einlösung der
  60. Schecks durch die Steuerbehörden war somit sichergestellt, daß das Konto der
  61. Gemeinschuldnerin gedeckt war.
  62. Auf diese Weise veranlaßten die Beklagten zwischen dem 20. Januar
  63. 1999 und 21. April 1999 vier Zahlungen über insgesamt 433.308,40 DM. Die
  64. Erstattung eines Teilbetrages von 330.000,00 DM ist Gegenstand der von dem
  65. Kläger erhobenen, auf § 64 Abs. 2 GmbHG gestützten Klage. Er hat behauptet,
  66. die Gemeinschuldnerin sei bereits zum Jahresende 1998 überschuldet gewesen. Die beklagten Geschäftsführer haben dies in Abrede gestellt und sich im
  67. übrigen darauf berufen, daß sie sich auf die am 12. April 1999 von der Streithelferin erstellte vorläufige Bilanz, die ein Eigenkapital von mehr als
  68. 1,8 Mio. DM ausgewiesen habe, hätten verlassen dürfen und deswegen jedenfalls ohne Verschulden die Zahlungen an die Steuerbehörden bewirkt hätten.
  69. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat
  70. sie auf das Rechtsmittel der Beklagten abgewiesen. Hiergegen richtet sich die
  71. - zugelassene - Revision des Klägers, der seinen Klageanspruch weiter verfolgt.
  72. -4-
  73. Entscheidungsgründe:
  74. Die Revision ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an
  75. das Berufungsgericht.
  76. I. 1. Dieses hat angenommen, selbst wenn die Gemeinschuldnerin bereits Ende des Jahres 1998 insolvent gewesen sein sollte, hätten die von den
  77. Beklagten bewirkten Zahlungen einen Ersatzanspruch nach § 64 Abs. 2
  78. GmbHG nicht auslösen können, weil bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise die Leistungen an die Steuerbehörden nicht zu einer Masseschmälerung geführt hätten. Zeitgleich mit den Auszahlungen seien nämlich
  79. dem Gesellschaftsvermögen die zweckgebundenen Einzahlungen der Bau KW
  80. GmbH zugeflossen, mit denen diese den aufgrund des Organschaftsverhältnisses bestehenden Aufwendungsersatzanspruch der Gemeinschuldnerin vorab
  81. befriedigt habe. Dies beruht, wie die Revision mit Recht geltend macht, auf
  82. Rechtsirrtum.
  83. 2. Da das Berufungsgericht das Vorhandensein einer Insolvenzsituation
  84. der Gemeinschuldnerin bereits für die erste Zahlung im Januar 1999 unterstellt
  85. und auch die Frage nicht geprüft hat, ob die von den Beklagten bewirkten Zahlungen ausnahmsweise mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns
  86. vereinbar waren (§ 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG, s. dazu Sen.Urt., BGHZ 146, 264,
  87. 274 ff.), ist zugunsten des Klägers revisionsrechtlich zu unterstellen, daß die
  88. tatbestandlichen Voraussetzungen für das Entstehen der Erstattungspflicht
  89. nach § 64 Abs. 2 GmbHG - auch in der vollen geltend gemachten Höhe - zu
  90. Lasten der Beklagten erfüllt sind.
  91. -5-
  92. 3. Danach war die von den Beklagten als Geschäftsführern der Gemeinschuldnerin veranlaßte Zahlung der Umsatz- und Gewerbesteuern nach § 64
  93. Abs. 2 GmbHG verboten und hat einen Ersatzanspruch in der geltend gemachten Höhe ausgelöst. Wie auch das Berufungsgericht nicht verkannt hat,
  94. hat die genannte Vorschrift nach der ständigen Rechtsprechung des Senats
  95. (zuletzt BGHZ 143, 184 ff.; BGHZ 146, 264 ff. m.w.N.) zum Ziel, Masseverkürzungen im Vorfeld des Insolvenzverfahrens zu verhindern bzw. für den Fall, daß
  96. der Geschäftsführer dieser Massesicherungspflicht nicht nachkommt, sicherzustellen, daß das Gesellschaftsvermögen wieder aufgefüllt wird, damit es im Insolvenzverfahren zur ranggerechten und gleichmäßigen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger zur Verfügung steht.
  97. Dieser Zielsetzung des Gesetzes widerspricht es, wenn das Berufungsgericht - in diesem Zusammenhang zu Unrecht von "formaler" Betrachtung
  98. sprechend - eine Masseverkürzung mit der Begründung verneinen will, daß die
  99. Gemeinschuldnerin zeitgleich mit der Zahlung von der Organgesellschaft eine
  100. entsprechend hohe Einzahlung erhalten hat, durch welche diese den Aufwendungsersatzanspruch der Organträgerin vorab hat erfüllen wollen. Hätten sich
  101. die Beklagten als Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin normgerecht verhalten, dann wäre der als Vorleistung der Bau KW GmbH dem Konto der Gemeinschuldnerin gutgeschriebene Betrag in deren Vermögen verblieben und hätte
  102. nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur ranggerechten und gleichmäßigen
  103. Befriedigung aller Gläubiger zur Verfügung gestanden; die Steuerbehörden
  104. hätten sich mit einer Quote von rund 30 % der Forderung zufriedengeben müssen, statt zu Lasten aller anderen Gesellschaftsgläubiger volle Befriedigung zu
  105. erhalten, und auch die Bau KW GmbH hätte sich wegen ihrer Vorauszahlung
  106. auf den künftig entstehenden Aufwendungsersatzanspruch wie alle anderen
  107. Gläubiger am Insolvenzverfahren beteiligen müssen.
  108. -6-
  109. Allenfalls dann, wenn mit den von dem Geschäftsführer bewirkten Zahlungen ein Gegenwert in das Gesellschaftsvermögen gelangt und dort verblieben ist, kann erwogen werden, eine Masseverkürzung und damit einen Erstattungsanspruch
  110. gegen
  111. das
  112. Organmitglied
  113. zu
  114. verneinen
  115. (Sen.Urt.
  116. v.
  117. 11. September 2000 - II ZR 370/99, WM 2000, 2158 = ZIP 2000, 1896; ebenso
  118. Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG 4. Aufl. § 64 Rdn. 43, 57 f. m.w.N.;
  119. Heidenhain, LM Nr. 18 zu § 64 GmbHG; Scholz/K. Schmidt, GmbHG 9. Aufl.
  120. § 64 Rdn. 23 f.), weil dann der Sache nach lediglich ein Aktiventausch vorliegt.
  121. Darum handelt es sich indessen - wie oben ausgeführt - im vorliegenden Fall
  122. nicht; vielmehr hat die Bezahlung der Steuerschulden mit den auf dem Gesellschaftskonto vorhandenen Mitteln zu einer masseverkürzenden vorrangigen
  123. Befriedigung der Steuergläubiger geführt, der kein im Gesellschaftsvermögen
  124. verbliebener Gegenwert gegenübersteht.
  125. Ob die Zahlung an die Steuerbehörden obendrein anfechtbar war, oder
  126. die Anfechtung in Anwendung des § 142 InsO ausscheidet, spielt in diesem
  127. Zusammenhang - entgegen der Auffassung der Revisionsbeklagten und deren
  128. Streithelferin - keine Rolle. Abgesehen davon, daß die Ersatzpflicht nach § 64
  129. Abs. 2 GmbHG unabhängig von insolvenzrechtlichen Anfechtungstatbeständen
  130. besteht (vgl. Sen.Urt., BGHZ 131, 325, 328 ff.), handelt es sich bei der
  131. Voraberfüllung des Aufwendungsersatzanspruchs der Gemeinschuldnerin
  132. durch die Bau KW GmbH und die Zahlung an die Steuerbehörden weder um ein
  133. Bargeschäft im Sinne von § 142 InsO, noch ist die Gemeinschuldnerin in die
  134. Zahlungsvorgänge nach Art einer Bank eingeschaltet worden; vielmehr hat sie
  135. ihre eigene Verbindlichkeit als Organträgerin gegenüber den Steuerbehörden
  136. erfüllt.
  137. -7-
  138. II. Von seinem abweichenden Standpunkt aus hat das Berufungsgericht
  139. - folgerichtig - nicht geprüft, ob die Gemeinschuldnerin zur Zeit der hier in Rede
  140. stehenden Zahlungen insolvent war, ob die Leistungen an das Finanzamt mit
  141. der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar waren, sowie ob der
  142. Ersatzanspruch in der vollen geltend gemachten Höhe besteht und nicht - wie in
  143. den Vorinstanzen angesprochen - bereits durch Erstattung der nur auf dem
  144. Wege der Vorauszahlung entrichteten Umsatzsteuern die Verkürzung der Masse - jedenfalls teilweise - behoben ist. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht, ggfs. nach Ergänzung des Sachvortrages durch die Parteien, die
  145. Gelegenheit, die fehlenden Feststellungen zu treffen.
  146. Röhricht
  147. Goette
  148. Münke
  149. Kurzwelly
  150. Graf