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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. I ZR 53/13
  5. Verkündet am:
  6. 24. Juli 2014
  7. Führinger
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. Spezialist für Familienrecht
  19. UWG § 4 Nr. 11; BRAO § 43b; BORA § 7
  20. a) Entsprechen die Fähigkeiten eines Rechtsanwalts, der sich als Spezialist auf einem Rechtsgebiet bezeichnet, für das eine Fachanwaltschaft besteht, den an einen Fachanwalt zu stellenden Anforderungen, besteht keine Veranlassung, dem
  21. Rechtsanwalt die Führung einer entsprechenden Bezeichnung zu untersagen,
  22. selbst wenn beim rechtsuchenden Publikum die Gefahr einer Verwechslung mit
  23. der Bezeichnung "Fachanwalt für Familienrecht" besteht.
  24. b) Der sich selbst als Spezialist bezeichnende Rechtsanwalt trägt für die Richtigkeit
  25. seiner Selbsteinschätzung die Darlegungs- und Beweislast.
  26. BGH, Urteil vom 24. Juli 2014 - I ZR 53/13 - OLG Karlsruhe
  27. LG Konstanz
  28. -2-
  29. Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  30. vom 24. Juli 2014 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Büscher, die Richter
  31. Prof. Dr. Schaffert, Dr. Kirchhoff, Dr. Koch und die Richterin Dr. Schwonke
  32. für Recht erkannt:
  33. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats
  34. des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 1. März 2013 aufgehoben.
  35. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
  36. über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  37. Von Rechts wegen
  38. Tatbestand:
  39. 1
  40. Die Klägerin ist die Rechtsanwaltskammer Freiburg. Der Beklagte ist ein
  41. in ihrem Bezirk tätiger Rechtsanwalt. Er ist mit zwei weiteren Rechtsanwälten in
  42. einer Kanzlei tätig. Im Jahr 2011 verwendete er einen Briefkopf, in dem rechts
  43. in einer Spalte die drei Rechtsanwälte genannt waren. Unter dem an erster
  44. Stelle angeführten Beklagten befand sich die Bezeichnung "Spezialist für Familienrecht". Bei den beiden weiteren mit dem Beklagten tätigen Rechtsanwälten
  45. fanden sich die Angaben "auch Fachanwältin für Familienrecht" bzw. "auch
  46. Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht".
  47. -3-
  48. 2
  49. Die Klägerin hält den vom Beklagten verwandten Begriff "Spezialist für
  50. Familienrecht" für irreführend. Sie hat den Beklagten auf Unterlassung in Anspruch genommen.
  51. 3
  52. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat
  53. die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2013,
  54. 171 = WRP 2013, 826).
  55. 4
  56. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.
  57. Entscheidungsgründe:
  58. 5
  59. I. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten als unbegründet
  60. angesehen. Dazu hat es ausgeführt:
  61. 6
  62. Der Klägerin stehe der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nach
  63. § 8 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 2 UWG in Verbindung mit §§ 3, 4 Nr. 11 UWG wegen
  64. eines Verstoßes gegen § 43b BRAO, § 7 Abs. 2 BORA sowie nach § 5 Abs. 1
  65. Satz 2 Nr. 3 UWG zu. Die Bezeichnung "Spezialist für Familienrecht" sei wettbewerbswidrig, weil damit die Gefahr einer Verwechslung mit der Fachanwaltsbezeichnung "Fachanwalt für Familienrecht" begründet werde. Nach § 7 Abs. 2
  66. BORA seien Benennungen unzulässig, soweit sie die Gefahr einer Verwechslung mit Fachanwaltschaften begründeten. Der angesprochene Verkehr kenne
  67. die Voraussetzungen, an die das Führen einer Fachanwaltsbezeichnung geknüpft sei, im Regelfall nicht. Er könne zwischen den beiden Bezeichnungen,
  68. bei denen eine große sprachliche Nähe bestehe, nicht unterscheiden. Auf
  69. -4-
  70. Fachgebieten, auf denen - wie vorliegend - die Möglichkeit bestehe, eine Fachanwaltschaft zu erwerben, sei für die Bezeichnung "Spezialist für …" kein
  71. Raum.
  72. 7
  73. II. Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
  74. Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann kein Unterlassungsanspruch der Klägerin
  75. gegen den Beklagten wegen der Bezeichnung "Spezialist für Familienrecht" aus
  76. §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 43b BRAO, § 7 Abs. 2 BORA oder
  77. aus § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 UWG bejaht werden. Das Berufungsgericht hat
  78. zwar in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass
  79. zwischen den Bezeichnungen "Spezialist für Familienrecht" und "Fachanwalt für
  80. Familienrecht" Verwechslungsgefahr besteht. Es hat aber keine Feststellungen
  81. dazu getroffen, ob die Angabe des Beklagten, er sei Spezialist für Familienrecht, zutreffend ist und ihm die Führung der Bezeichnung deshalb aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht verboten werden kann.
  82. 8
  83. 1. Das Berufungsgericht ist allerdings zu Recht davon ausgegangen,
  84. dass es sich bei § 7 Abs. 2 BORA um eine Konkretisierung der Werbebeschränkung des § 43b BRAO und damit um eine Marktverhaltensregelung handelt und dass Zuwiderhandlungen unlautere geschäftliche Handlungen im Sinne
  85. von § 4 Nr. 11 UWG darstellen (BGH, Urteil vom 9. Juni 2011 - I ZR 113/10,
  86. GRUR 2012, 215 = WRP 2012, 75 - Zertifizierter Testamentsvollstrecker; Urteil
  87. vom 18. Oktober 2012 - I ZR 137/11, GRUR 2013, 409 Rn. 15 = WRP 2013,
  88. 496 - Steuerbüro).
  89. 9
  90. a) Nach § 7 Abs. 1 BORA in der seit dem 1. März 2006 geltenden Fassung darf ein Rechtsanwalt unabhängig von Fachanwaltsbezeichnungen Teilbereiche der Berufstätigkeit nur benennen, wenn er seinen Angaben entspre-
  91. -5-
  92. chende Kenntnisse nachweisen kann, die er in der Ausbildung, durch Berufstätigkeit, Veröffentlichungen oder in sonstiger Weise erworben hat. Verwendet er
  93. qualifizierende Zusätze, muss er zusätzlich über entsprechende theoretische
  94. Kenntnisse verfügen und auf dem benannten Gebiet in erheblichem Umfang
  95. tätig gewesen sein. Nach § 7 Abs. 2 BORA sind die Angaben gemäß Absatz 1
  96. dieser Bestimmung unzulässig, wenn sie die Gefahr einer Verwechslung mit
  97. Fachanwaltschaften begründen oder sonst irreführend sind.
  98. 10
  99. b) Nach der Begründung für die Neufassung der Bestimmung des § 7
  100. BORA zum 1. März 2006 ist es dem Rechtsanwalt freigestellt, auf Teilbereiche
  101. seiner Berufstätigkeit und auf die den entsprechenden Angaben zu Grunde liegende Qualifizierung hinzuweisen, ohne dass die Berufsordnung insoweit eine
  102. zahlenmäßige oder terminologische Beschränkung vorgibt. Damit solle der Tatsache Rechnung getragen werden, dass sich die Rangordnung der Qualifikationen "Interessenschwerpunkt - Tätigkeitsschwerpunkt - Fachanwalt" im Rechtsverkehr nicht durchgesetzt hat (BRAK-Mitt 2006, 212). Die Begründung des
  103. Satzungsgebers nennt als Beispiele für qualifizierende Zusätze im Sinne des
  104. § 7 Abs. 1 Satz 2 BORA die Begriffe "Spezialist", "Spezialgebiet" und "Experte"
  105. (BRAK-Mitt 2006, 212). Wer derartige Begriffe nennt, muss nach § 7 Abs. 1
  106. Satz 2 BORA seine Angaben rechtfertigende theoretische Kenntnisse besitzen
  107. und auf dem betreffenden Gebiet in erheblichem Umfang tätig gewesen sein.
  108. Zum Sinn und Zweck der Bestimmung des § 7 Abs. 2 BORA führt die Begründung aus, dass generell irreführende Angaben und insbesondere irreführende
  109. Annäherungen an den Begriff des Fachanwalts in der Anwaltswerbung verhindert werden sollen. Der Verbraucher soll verlässlich zwischen den auf eigener
  110. Einschätzung des Anwalts beruhenden Angaben des § 7 Abs. 1 BORA und den
  111. von den Kammern nach § 43c BRAO in Verbindung mit den Bestimmungen der
  112. Fachanwaltsordnung verliehenen Fachanwaltsbezeichnungen unterscheiden
  113. können (BRAK-Mitt 2006, 212, 213).
  114. -6-
  115. 11
  116. c) Die Regelung des § 7 Abs. 2 BORA entspricht den unionsrechtlichen
  117. Vorgaben in Art. 24 der Richtlinie 2006/123/EG vom 12. Dezember 2006 über
  118. Dienstleistungen im Binnenmarkt.
  119. 12
  120. Gemäß Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123/EG sind absolute Verbote
  121. der kommerziellen Kommunikation für reglementierte Berufe untersagt. Nach
  122. Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2006/123/EG ist es Aufgabe der Mitgliedstaaten
  123. sicherzustellen, dass die kommerzielle Kommunikation durch Angehörige reglementierter Berufe die Anforderungen der berufsrechtlichen Regeln erfüllt, die
  124. im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht je nach Beruf insbesondere die Unabhängigkeit, die Würde und die Integrität des Berufsstandes sowie die Wahrung des Berufsgeheimnisses gewährleisten sollen. Berufsrechtliche Regelungen über die kommerzielle Kommunikation dürfen nicht diskriminierend sein
  125. und müssen durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt und verhältnismäßig sein. Im Erwägungsgrund 40 der Richtlinie
  126. 2006/123/EG werden als zwingende Gründe des Allgemeininteresses der Verbraucherschutz, die Verhütung von unlauterem Wettbewerb und die Wahrung
  127. der ordnungsgemäßen Rechtspflege genannt.
  128. 13
  129. d) Die Regelung des § 7 Abs. 2 BORA steht auch mit der in Art. 12
  130. Abs. 1 GG garantierten Berufsausübungsfreiheit in Einklang. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann anwaltliche Werbung verboten
  131. werden, die die Gefahr einer Irreführung der Rechtsuchenden begründet
  132. (BVerfG, NJW 2001, 2620, 2621). Sofern zutreffende Angaben über die spezielle Qualifikation des Anwalts nicht irreführend sind, ist ein berufsrechtliches
  133. Werbeverbot dagegen nicht gerechtfertigt (BVerfG, NJW 2004, 2656, 2657).
  134. -7-
  135. 14
  136. 2. Das Berufungsgericht hat angenommen, für den angesprochenen
  137. Verkehr seien Unterschiede zwischen den Begriffen "Spezialist für Familienrecht" und "Fachanwalt für Familienrecht" nicht erkennbar. Diese im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet liegende Feststellung des Berufungsgerichts zur
  138. Verkehrsauffassung ist nur daraufhin vom Revisionsgericht überprüfbar, ob das
  139. Berufungsgericht bei seiner Würdigung gegen gesetzliche Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen oder wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen hat (vgl. BGH, GRUR 2012, 215 Rn. 13 - Zertifizierter Testamentsvollstrecker). Solche Rechtsfehler sind im Streitfall nicht
  140. gegeben.
  141. 15
  142. a) Zutreffend hat das Berufungsgericht bei der Feststellung der Verkehrsauffassung auf die Sicht eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Rechtsuchenden abgestellt, der sich bei der Wahl eines
  143. Rechtsanwalts an qualifizierenden Zusätzen orientiert. Es ist aus Rechtsgründen auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht aufgrund eigener
  144. Sachkunde beurteilt hat, wie die angesprochenen Verbraucher die beanstandete Werbung verstehen. Gehören die entscheidenden Richter - wie im Streitfall selbst zu den angesprochenen Verkehrskreisen, bedarf es im Allgemeinen keines durch eine Meinungsumfrage untermauerten Sachverständigengutachtens,
  145. um das Verständnis des Verkehrs zu ermitteln (BGH, Urteil vom 2. Oktober
  146. 2003 - I ZR 50/01, BGHZ 156, 250, 255 mwN - Marktführerschaft; Urteil vom
  147. 13. September 2012 - I ZR 230/11, BGHZ 194, 314 Rn. 32 - Biomineralwasser).
  148. 16
  149. b) Die Feststellung der Verkehrsauffassung durch das Berufungsgericht
  150. begegnet auch in der Sache keinen rechtlichen Bedenken. Sie erweist sich insbesondere nicht als erfahrungswidrig.
  151. -8-
  152. 17
  153. Das Berufungsgericht hat darauf abgestellt, dass der angesprochene
  154. Verkehr die von einem Rechtsanwalt nach Art eines Titels verwendeten Begriffe
  155. "Spezialist für Familienrecht" und "Fachanwalt für Familienrecht" als Synonyme
  156. verstehen wird. Es hat angenommen, dass der Verkehr die Voraussetzungen,
  157. die an das Führen einer Fachanwaltsbezeichnung geknüpft werden, im Regelfall nicht kennt und deshalb auch nicht zwischen einem Fachanwalt und einem
  158. Spezialisten unterscheiden kann. Daraus hat das Berufungsgericht den Schluss
  159. gezogen, dass der Verkehr den Begriffen "Spezialist" und "Fachanwalt" eine
  160. identische oder doch zumindest stark angenäherte Bedeutung zumisst. Bei einem solchen Verständnis ist von einer Verwechslungsgefahr im Sinne von § 7
  161. Abs. 2 BORA auszugehen. Der angesprochene Verkehr wird nicht erkennen,
  162. dass ein "Fachanwalt für Familienrecht" besondere Kenntnisse und Erfahrungen auf dem betreffenden Rechtsgebiet in einem förmlichen Prüfungsverfahren
  163. bei der zuständigen Rechtsanwaltskammer nachgewiesen hat, während die
  164. Verwendung des Begriffs "Spezialist für Familienrecht" auf einer Selbsteinschätzung des werbenden Anwalts beruht und eine Prüfung durch eine unabhängige Stelle, ob diese Selbsteinschätzung zutreffend ist, nicht stattgefunden
  165. hat.
  166. 18
  167. c) Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings bei der Bezeichnung eines Rechtsanwalts als "Spezialist für Verkehrsrecht" grundsätzlich die Gefahr
  168. einer Irreführung mit einer Fachanwaltsbezeichnung von vornherein als ausgeschlossen angesehen (BVerfG, NJW 2004, 2656, 2658). Dadurch ist der Tatrichter im vorliegenden Verfahren aber nicht gehindert, bei der Feststellung des
  169. Verkehrsverständnisses zu einem anderen Ergebnis zu gelangen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist im Übrigen auf den hier zur Entscheidung stehenden Fall schon deshalb nicht übertragbar, weil es im Zeitpunkt
  170. der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts keinen Fachanwalt für Verkehrsrecht gab (vgl. BVerfG, NJW 2004, 2656, 2658). Eine entsprechende
  171. -9-
  172. Fachanwaltschaft wurde erst zum 1. Juli 2005 eingeführt. Hier liegt der Fall dagegen so, dass der Beklagte mit einer Spezialisierung für das Familienrecht als
  173. einem Rechtsgebiet geworben hat, für das nach § 1 FAO die Möglichkeit besteht, eine Fachanwaltsbezeichnung zu erwerben.
  174. 19
  175. 3. Das Berufungsgericht hat jedoch keine Feststellungen dazu getroffen,
  176. ob die Fehlvorstellung des Verkehrs nicht auf einer objektiv richtigen Angabe
  177. beruht.
  178. 20
  179. a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kann auch eine objektiv richtige Angabe irreführend sein, wenn sie beim Verkehr, an den sie sich
  180. richtet, gleichwohl zu einer Fehlvorstellung führt. In einem solchen Fall, in dem
  181. die Täuschung des Verkehrs lediglich auf dem Verständnis einer an sich zutreffenden Angabe beruht, ist für die Anwendung des § 5 UWG grundsätzlich eine
  182. höhere Irreführungsquote als bei einer Täuschung mit objektiv unrichtigen Angaben erforderlich; außerdem ist eine Interessenabwägung vorzunehmen
  183. (BGH, Urteil vom 18. März 2010 - I ZR 172/08, GRUR 2010, 1024 Rn. 25 =
  184. WRP 2010, 1390 - Master of Science Kieferorthopädie; BGH, GRUR 2013, 409
  185. Rn. 29 - Steuerbüro). Diese Grundsätze sind auch bei der Auslegung des § 7
  186. Abs. 2 BORA anzuwenden, der generell irreführende Angaben und insbesondere irreführende Annäherungen an den Begriff des Fachanwalts in der Anwaltswerbung verhindern soll (BRAK 2006, 212, 213). Dabei handelt es sich um eine
  187. spezielle satzungsrechtliche Regelung des Irreführungstatbestandes.
  188. 21
  189. b) Der Beklagte hat in den Vorinstanzen behauptet, bei ihm lägen im Bereich des Familienrechts die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 2 BORA vor,
  190. er verfüge über entsprechende theoretische Kenntnisse und sei auf dem benannten Gebiet in erheblichem Umfang tätig gewesen, so dass seine Einschätzung, er sei ein Spezialist für das Familienrecht, gerechtfertigt sei. Ist dies der
  191. - 10 -
  192. Fall, kann ihm eine entsprechende Werbung nicht untersagt werden. Das Berufungsgericht hat demgegenüber gemeint, im Bereich der Fachanwaltschaften
  193. bestehe kein Raum für eine Selbsteinschätzung eines Rechtsanwalts als "Spezialist" (ebenso LG München I, BRAK-Mitt 2010, 100, 102; Köhler in Köhler/
  194. Bornkamm, UWG, 32. Aufl., § 4 Rn. 11.100; Fezer/Becker-Eberhard, UWG,
  195. 2. Aufl., § 4-S3 Rn. 133; Faßbender, NJW 2006, 1463, 1468; Remmertz, NJW
  196. 2008, 266, 269; aA MünchKomm.UWG/Ernst, 2. Aufl., Anh. §§ 1-7 H § 7 BORA
  197. Rn. 7). Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden.
  198. 22
  199. aa) Die Regelung des § 7 Abs. 1 BORA dient dem Interesse des rechtsuchenden Verkehrs, auf dem weiten Gebiet der Rechtsberatung einen
  200. Rechtsanwalt zu finden, der sich in wesentlichem Umfang bereits mit dem
  201. Rechtsgebiet befasst hat, auf dem der Rechtsuchende Hilfe erwartet. Bezeichnet sich ein Rechtsanwalt als Spezialist auf einem Rechtsgebiet, ist dies eine
  202. dem Informationsinteresse und der Orientierung des rechtsuchenden Verkehrs
  203. dienende nützliche Information. Wie sich aus der Begründung der Änderungen
  204. des § 7 Abs. 1 BORA ergibt, hat der Satzungsgeber ausdrücklich die Angabe
  205. von qualifizierenden Zusätzen wie "Spezialist", "Spezialgebiet" oder "Experte"
  206. für zulässig angesehen. Die Verwendung solcher Zusätze wird jedoch davon
  207. abhängig gemacht, dass der entsprechend werbende Rechtsanwalt seine Angaben rechtfertigende theoretische Kenntnisse besitzt und auf dem betreffenden Gebiet in erheblichem Umfang tätig gewesen ist. Je intensiver der Rechtsanwalt Teilbereiche seiner Berufstätigkeit werbend herausstellt, desto fundierter
  208. müssen seine Kenntnisse und praktischen Erfahrungen sein (BRAK 2006, 212).
  209. 23
  210. Die Selbstbezeichnung als Spezialist ist auch für den Rechtsanwalt
  211. sachdienlich. Er kann damit die Inanspruchnahme in sonstigen Materien weitgehend abwehren, weil Rechtsuchende bei ihm nur unter besonderen Umständen Rechtsrat auf anderen Feldern nachfragen werden.
  212. - 11 -
  213. 24
  214. bb) Eine entsprechende Interessenlage besteht bei der Führung von
  215. Fachanwaltsbezeichnungen. Die gesetzlichen Regelungen zur Fachanwaltschaft in der Bundesrechtsanwaltsordnung wurden damit begründet, dass die
  216. Beschäftigung des Rechtsanwalts mit Rechtsfragen außerhalb eines Kernbereichs, vor allem des Straf- und Zivilrechts, einer nachdrücklichen Einarbeitung
  217. in das betreffende Rechtsgebiet bedürfe, die sich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten häufig nur dann lohne, wenn die einmal erlangten Kenntnisse in
  218. ständiger Beschäftigung mit dem Gebiet weiter angewandt und ausgebaut werden könnten. Viele Rechtsanwälte hätten sich daher Spezialgebieten zugewandt. Ihre beruflichen Interessen träfen sich mit dem Verlangen der Rechtsuchenden nach einer möglichst hohen Befähigung der Rechtsanwälte, die sie
  219. beraten und vertreten sollen (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 11/8307, S. 19). Der Rechtsanwalt, der eine Fachanwaltsbezeichnung führt, weist damit das rechtsuchende Publikum auf Spezialkenntnisse hin, über die er im Unterschied zu anderen Rechtsanwälten verfügt,
  220. die keine Fachanwaltsbezeichnung führen dürfen (vgl. BGH, Beschluss vom
  221. 14. Mai 1990 - AnwZ (B) 4/90, BGHZ 111, 229, 231; Urteil vom 25. November
  222. 2013 - AnwZ (B) 44/12, NJW-RR 2014, 751 Rn. 11).
  223. 25
  224. cc) Angesichts der vom Berufungsgericht festgestellten Verwechslungsgefahr zwischen den Bezeichnungen "Spezialist" und "Fachanwalt" ist es im
  225. Hinblick auf die Interessenlage des rechtsuchenden Publikums und der Anwaltschaft gerechtfertigt, von einem sich selbst als Spezialisten bezeichnenden
  226. Rechtsanwalt zumindest die Expertise eines Fachanwalts zu erwarten (OLG
  227. Stuttgart, GRUR-RR 2008, 177, 178 = WRP 2008, 513; OLG Karlsruhe, GRURRR 2009, 431, 432 f.). Jedenfalls wenn das Fachgebiet, für das sich der werbende Rechtsanwalt als Spezialist bezeichnet, auch ein Rechtsgebiet ist, für
  228. das eine Fachanwaltschaft besteht, ist zur Überprüfung dieser Werbebehaup-
  229. - 12 -
  230. tung auf die jeweiligen Anforderungen der Fachanwaltsordnung an besondere
  231. theoretische Kenntnisse und praktische Erfahrungen zurückzugreifen (OLG
  232. Nürnberg, GRUR-RR 2007, 292, 293). Entsprechen die Fähigkeiten eines
  233. Rechtsanwalts, der sich als Spezialist auf einem Rechtsgebiet bezeichnet, für
  234. das eine Fachanwaltschaft besteht, den an einen Fachanwalt zu stellenden Anforderungen, werden die Interessen der Rechtsuchenden nicht beeinträchtigt,
  235. wenn sie die Begriffe "Fachanwalt" und "Spezialist" verwechseln. Es besteht bei
  236. einer solchen Sachlage keine Veranlassung, dem Rechtsanwalt die Führung
  237. der Bezeichnung "Spezialist" zu untersagen. Ein in diesem Fall gleichwohl ausgesprochenes Verbot der Verwendung der Bezeichnung "Spezialist für Familienrecht" ist zum Schutz des rechtsuchenden Publikums und im Interesse der
  238. Rechtsanwaltschaft nicht erforderlich und verstößt gegen den Grundsatz der
  239. Verhältnismäßigkeit. Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit sind aber nur dann
  240. mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie den Berufstätigen nicht übermäßig
  241. oder unzumutbar treffen, also dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen
  242. (BVerfG, GRUR 2012, 72, 73; GesR 2012, 360, 361).
  243. 26
  244. dd) Ob an den Nachweis der Richtigkeit einer Selbsteinschätzung als
  245. Spezialist noch höhere Anforderungen zu stellen sind, wenn sie für Rechtsgebiete in Anspruch genommen wird, die nicht mit Fachanwaltschaften vollständig
  246. identisch sind (vgl. OLG Stuttgart, GRUR-RR 2008, 177, 178), braucht nicht
  247. entschieden zu werden. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
  248. 27
  249. c) Dem Beklagten obliegt der Nachweis, dass er die Anforderungen eines Spezialisten auf dem Gebiet des Familienrechts erfüllt. Dies ergibt sich
  250. schon aus § 7 Abs. 1 Satz 1 und 2 BORA. Jedenfalls folgt dies aus allgemeinen
  251. Grundsätzen zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast. Durch die Bezeichnung als Spezialist nimmt der Beklagte für sich in Anspruch, zu einer Spitzengruppe der im Familienrecht tätigen Anwälte zu gehören. Nach der Senats-
  252. - 13 -
  253. rechtsprechung muss der Beklagte, der eine Spitzenstellung - nichts anderes
  254. gilt für die Zugehörigkeit zu einer Spitzengruppe - für sich in Anspruch nimmt,
  255. die sie begründenden Tatsachen darlegen und beweisen, wenn seine Werbung
  256. als unrichtig beanstandet wird und die klagende Partei diese Tatsachen entweder überhaupt nicht oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten aufklären kann
  257. (BGH, Urteil vom 22. Oktober 2009 - I ZR 73/07, GRUR 2010, 352 Rn. 22 =
  258. WRP 2010, 636 - Hier spiegelt sich Erfahrung). So liegen die Dinge im Streitfall.
  259. Zu der Frage, ob der Beklagte über hinreichende theoretische Kenntnisse und
  260. praktische Erfahrungen verfügt, um sich zu Recht als Spezialist für Familienrecht zu bezeichnen, hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen.
  261. 28
  262. 4. Da die vorbezeichnete Interessenabwägung auch im Rahmen eines
  263. auf § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 3 UWG gestützten Verbots gilt, kann auch die
  264. vom Berufungsgericht auf diese Vorschriften gestützte Verurteilung nicht aufrecht erhalten bleiben.
  265. - 14 -
  266. 29
  267. III. Da die Sache mangels ausreichender Feststellungen nicht entscheidungsreif ist, ist auf die Revision des Beklagten das Berufungsurteil aufzuheben
  268. und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1
  269. Satz 1 ZPO).
  270. Büscher
  271. Schaffert
  272. Koch
  273. Kirchhoff
  274. Schwonke
  275. Vorinstanzen:
  276. LG Konstanz, Entscheidung vom 13.04.2012 - 8 O 33/11 OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 01.03.2013 - 4 U 120/12 -