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- BUNDESGERICHTSHOF
- BESCHLUSS
- 4 StR 79/01
- vom
- 20. März 2001
- in der Strafsache
- gegen
-
- wegen Vergewaltigung u.a.
-
- -2-
-
- Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
- Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 20. März 2001
- gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
- 1.
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- Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
- Landgerichts Magdeburg vom 23. November 2000 mit
- den Feststellungen aufgehoben
- a)
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- in dem den Fall II 2 der Urteilsgründe betreffenden
- Einzelstrafausspruch,
-
- b)
- 2.
-
- im Gesamtstrafenausspruch.
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- Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer
- Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
- des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des
- Landgerichts zurückverwiesen.
-
- 3.
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- Die weiter gehende Revision wird verworfen.
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- Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten "wegen sexueller Nötigung und
- wegen Vergewaltigung" unter Einbeziehung einer viermonatigen Freiheitsstrafe
- aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren
- verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er
- die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg; im
- übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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- -3-
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- 1. Die Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch
- keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, soweit ihn das
- Landgericht im Fall II 1 der Urteilsgründe wegen sexueller Nötigung zum
- Nachteil der Versicherungskauffrau Gudrun A. zur (Einzel-)strafe von vier
- Jahren Freiheitsstrafe verurteilt hat. Insoweit erhebt der Beschwerdeführer
- auch keine ausdrücklichen Einwendungen.
-
- 2. Dagegen hält der Strafausspruch rechtlicher Prüfung nicht stand,
- soweit das Landgericht den Angeklagten im Fall II 2 wegen "Vergewaltigung"
- zum Nachteil von Frau H. zu der Einsatzstrafe von fünf Jahren und sechs
- Monaten Freiheitsstrafe verurteilt hat. Das Landgericht hat die Strafe dem
- Strafrahmen
-
- des
-
- qualifizierten
-
- Tatbestandes
-
- des
-
- § 177
-
- Abs. 4
-
- StGB
-
- entnommen. Das Vorliegen eines minder schweren Falles des Absatzes 5
- 2. Alt. der Vorschrift hat es verneint. Diese Strafrahmenwahl und die
- Strafzumessungserwägungen im engeren Sinne begegnen durchgreifenden
- rechtlichen Bedenken.
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- a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hatte der
- Angeklagte mit der Geschädigten, die als Prostituierte tätig war, für den Abend
- des Tattages einen "Hausbesuch" in seiner Wohnung für die Dauer von zwei
- Stunden und einen vereinbarten Preis von 500 DM verabredet. Da er jedoch
- über kein Geld verfügte, um sie "für ihre Dienste zu bezahlen", hatte er von
- vornherein den Entschluß gefaßt, mit ihr "auch gegen ihren Willen sexuelle
- Handlungen durchzuführen" (UA 5). Nachdem Frau H. erschienen war,
- verschloß er die Wohnungstür. Bald darauf zog er ein Messer und eine
- Wäscheleine bzw. einen Strick hervor und forderte Frau H. "im Befehlston auf,
- sich auszuziehen, wobei er ihr das Messer entgegenhielt", was sie aus Angst
-
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-
- tat. Nachdem er sich ebenfalls entkleidet hatte, mußte sie sich auf den Bauch
- legen. Sodann legte er sich auf sie und führte "geschlechtsverkehrsähnliche
- Bewegungen" aus, wobei er das Messer "in Reichweite" ablegte. Anschließend
- mußte die Geschädigte mit ihm den Oralverkehr ausüben. "Dabei hielt er das
- Messer wieder in der Hand" (UA 6). Schließlich legte er sich wieder auf sie,
- steckte sein Glied zwischen ihre Brüste und gelangte so zum Samenerguß.
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- b) Hiernach hat das Landgericht den Angeklagten zu Recht nach § 177
- Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 Nr. 1 StGB wegen “Vergewaltigung” (zur Bezeichnung der
- Tat im Schuldspruch vgl. BGH NJW 1998, 2987, 2988; Lackner/Kühl StGB
- 23. Aufl.
-
- § 177
-
- Rdn. 11)
-
- verurteilt.
-
- Daß
-
- es
-
- nicht
-
- auch
-
- die
-
- weitere
-
- Tatbestandsalternative des Absatzes 1 Nr. 3 der Vorschrift (Ausnutzen der
- schutzlosen Lage) als verwirklicht angesehen hat, beschwert den Angeklagten
- nicht. Die Feststellungen belegen auch, daß der Angeklagte das Messer im
- Sinne des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB "verwendet" hat. Hierfür genügt, daß der
- Täter das gefährliche Werkzeug bei der Tat als Drohmittel einsetzt (BGH StV
- 1998, 487; BGH, Beschluß vom 16. Mai 2000 - 4 StR 89/00, jeweils zu § 250
- Abs. 2 Nr. 1 StGB). Das gilt jedenfalls dann, wenn der Täter aufgrund der Nähe
- zum Opfer diesem jederzeit ohne weiteres mit dem Messer Verletzungen
- beibringen kann.
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- c) Dagegen ergeben die bisher getroffenen Feststellungen nicht, daß
- der Angeklagte auch das Regelbeispiel des besonders schweren Falles der
- "Vergewaltigung" (§ 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB) verwirklicht hat. Zwar hat
- der Angeklagte mit dem Oralverkehr eine sexuelle Handlung erzwungen, die
- - wie in § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 beschrieben - "mit dem Eindringen in den
- Körper verbunden" war. Jedoch ist - wie die Revision zu Recht geltend macht -
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-
- die weitere Voraussetzung des Regelbeispiels, nämlich der "besonders
- erniedrigende"
-
- Charakter
-
- der
-
- abgenötigten
-
- sexuellen
-
- Handlung,
-
- nicht
-
- genügend dargetan.
-
- Zwar ist nach der Legaldefinition in § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB jede
- erzwungene sexuelle Handlung, die "mit einem Eindringen in den Körper
- verbunden" ist, auch dann, wenn sie keinen Beischlaf darstellt, im
- Schuldspruch nicht als "sexuelle Nötigung", sondern als "Vergewaltigung" zu
- bezeichnen (BGH, Urteil vom 23. März 1999 - 1 StR 25/99, bei Pfister NStZ-RR
- 1999, 353 Nr. 32; Lackner/Kühl aaO). Doch genügt für die Annahme des
- Regelbeispiels abgesehen von dem erzwungenen Beischlaf nicht jede andere
- mit einer Penetration verbundene sexuelle Handlung. Vielmehr ist dies nur
- dann der Fall, wenn die dem Beischlaf "ähnliche" sexuelle Handlung das Opfer
- "besonders erniedrigt". Zwar kommt diesem einschränkenden Merkmal der
- "besonderen Erniedrigung" in Fällen des Oral- und Analverkehrs regelmäßig
- keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. BGH NStZ 2000, 254), weil sich der
- erniedrigende Charakter dieser sexuellen Handlungen im allgemeinen von
- selbst versteht. Grundsätzlich bedarf es aber, wie der Senat in der
- Entscheidung BGH NJW 2000, 672 f. = StV 2000, 198 ff. (m.krit.Bspr.
- Renzikowski NStZ 2000, 367 f.) näher ausgeführt hat, jeweils der positiven
- Feststellung der Umstände des Einzelfalls, die in wertender Betrachtung die
- Annahme der "besonderen Erniedrigung" des Tatopfers stützen (so auch
- Tröndle/Fischer
-
- StGB
-
- 50. Aufl.
-
- § 177
-
- Rdn. 23
-
- d;
-
- Lenckner/Perron
-
- in
-
- Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 177 Rdn. 20; a.A. Renzikowski aaO).
- Daran fehlt es hier.
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-
- Die Feststellungen lassen die Möglichkeit offen, daß die vom
- Angeklagten
-
- erzwungenen
-
- sexuellen
-
- Handlungen
-
- einschließlich
-
- des
-
- Oralverkehrs ihrer Art nach von der von ihm zuvor mit der Geschädigten
- getroffenen Verabredung zum entgeltlichen Sexualverkehr umfaßt waren. Unter
- diesen Umständen könnte der Senat die Auffassung des Landgerichts, "diese
- Art des Sexualverkehrs (habe) eine besondere Erniedrigung der Geschädigten
- dargestellt" (UA 10), nicht bestätigen. § 177 StGB schützt in erster Linie das
- Recht auf sexuelle Selbstbestimmung (vgl. BTDrucks. 13/7324 S. 5). Deshalb
- ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats die grundsätzliche Bereitschaft
- des Tatopfers zu sexuellen Handlungen regelmäßig ein für die Beurteilung des
- Schuldgehalts der nach § 177 StGB qualifizierten Tat bestimmender Umstand
- (BGH StV 1995, 635 (nur LS); 1996, 26; BGH, Beschluß vom 21. November
- 2000 - 4 StR 489/00; wie hier auch der 5. Strafsenat des BGH, NStZ 2001, 29;
- dagegen Bedenken des 2. Strafsenats des BGH, bei Pfister NStZ-RR 1998,
- 326 Nr. 30 und Urteil vom 16. August 2000 – 2 StR 159/00). Der entscheidende
- Grund dafür, in Fällen der vorliegenden Art das Verhalten des Täters milder zu
- beurteilen, liegt darin, daß das Schwergewicht des Tatunrechts nicht in der
- Verletzung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts des Tatopfers liegt,
- sondern in den weiter verwirklichten Straftatbeständen, mit deren Hilfe der
- Täter zum Vollzug der sexuellen Handlung gelangen will (BGH StV 1996, 26,
- 27). Das läßt das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, das auch
- Prostituierten uneingeschränkt zusteht (so der 2. Strafsenat des BGH bei
- Pfister NStZ-RR 1998, 326 Nr. 30), unberührt. Davon zu trennen ist aber die im
- Rahmen der Strafzumessungsregel des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB zu
- erörternde Frage, ob die sexuellen Handlungen das Opfer "besonders
- erniedrigen". Vollzieht deshalb der Täter nur diejenigen sexuellen Handlungen,
- zu deren Durchführung sich das Tatopfer gegen Entgelt freiwillig bereit erklärt
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- hatte, so fehlt es regelmäßig an dem Anhalt, daß das Opfer – worauf es
- ankommt – gerade die sexuellen Handlungen als entwürdigend empfindet (vgl.
- Lackner/Kühl aaO). Daß sich der Täter dabei der Nötigungsmittel des § 177
- StGB in der Absicht bedient, seine sexuellen Ziele ohne Zahlung des
- vereinbarten Dirnenlohns zu erreichen, führt für sich allein nicht zu einer
- anderen Bewertung, sofern nicht weitere entwürdigende Umstände hinzutreten.
- Anders verhält es sich dagegen, wenn der Täter das Tatopfer zu anderen als
- den vereinbarten Sexualpraktiken zwingt.
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- d) Der aufgezeigte Rechtsfehler läßt den Schuldspruch in diesem Fall
- wegen “Vergewaltigung” unberührt; soweit nach der Senatsentscheidung NJW
- 2000, 672 bei Nichtannahme “besonderer Erniedrigung” in diesen Fällen die
- Tat im Schuldspruch nur als “sexuelle Nötigung” zu bezeichnen ist, hält der
- Senat daran nicht fest. Auf dem Rechtsfehler beruht aber der Strafausspruch.
- Zwar ist der vom Landgericht angewandte Strafrahmen des § 177 Abs. 4 StGB
- unabhängig von der Annahme eines besonders schweren Falles des
- Absatzes 2 der Vorschrift eröffnet. Jedoch liegt es nahe, daß diese Annahme
- die Erwägungen zum minder schweren Fall nach Absatz 5 2. Alt. der Vorschrift
- zum Nachteil des Angeklagten beeinflußt hat.
-
- e) Davon abgesehen kann der Strafausspruch auch deshalb nicht
- bestehen bleiben, weil die Strafzumessungserwägungen im engeren Sinne
- ebenfalls durchgreifende Rechtsfehler aufweisen. Das Landgericht wertet zu
- Lasten des Angeklagten, "daß er - obwohl sich Täter und Opfer aus
- vorangegangenen Sexualkontakten kannten - nunmehr den Geschlechtsverkehr erzwingen wollte" (UA 16). Damit wertet das Landgericht zu Ungunsten
- des Angeklagten letztlich, daß er die Tat begangen hat. Dies verstößt gegen
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- das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB (BGH, Beschluß vom
- 1. März 2001 - 4 StR 36/01). Aus dem gleichen Grund begegnet auch die
- weitere straferschwerende Erwägung rechtlichen Bedenken, "der Angeklagte
- (habe) sich auch nicht von seinen Handlungen dadurch abbringen lassen, daß
- offensichtlich zwischen der Geschädigten und <ihrem Bekannten> per Handy
- Kontakt bestand" (UA 13).
-
- Über den Einzelstrafausspruch im Fall II 2 der Urteilsgründe ist deshalb
- neu zu befinden.
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- 3. Die Aufhebung der Einzelstrafe im Fall II 2 der Urteilsgründe entzieht
- auch dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.
-
- Meyer-Goßner
-
- Maatz
-
- BGHSt:
-
- nein
-
- BGHR:
-
- ja
-
-
-
- Athing
-
-
-
- Veröffentlichung: ja
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- StGB § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1
- Erzwingt der Täter nur solche dem Beischlaf ähnliche, mit einem
- Eindringen
-
- in
-
- den
-
- Körper
-
- verbundene
-
- sexuelle
-
- Handlungen
-
- (Vergewaltigung), zu deren Durchführung sich das Tatopfer zuvor
- gegen Entgelt freiwillig bereit erklärt hatte, ist das Regelbeispiel des
- besonders schweren Falles der sexuellen Nötigung nur erfüllt, wenn
- weitere entwürdigende Umstände die “besondere Erniedrigung” des
-
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- Opfers durch die sexuellen Handlungen ergeben (im Anschluß an BGH
- NJW 2000, 672).
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- BGH, Beschluß vom 20. März 2001 – 4 StR 79/01 – LG Magdeburg
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