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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 4 StR 24/15
  4. vom
  5. 10. September 2015
  6. BGHSt:
  7. nein
  8. BGHR:
  9. nein
  10. Nachschlagewerk: ja
  11. Veröffentlichung:
  12. ja
  13. ––––––––––––––––––––––––––-
  14. StPO § 349 Abs. 2 und 4
  15. Zu den Wirkungen einer im Beschlusswege erfolgten, irrtümlichen Entscheidung des Revisionsgerichts über einen bloßen Urteilsentwurf des Tatrichters.
  16. BGH, Beschluss vom 10. September 2015 – 4 StR 24/15 – LG Bochum
  17. in der Strafsache
  18. gegen
  19. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (in nicht geringer
  20. Menge)
  21. ECLI:DE:BGH:2015:100915B4STR24.15.0
  22. -2-
  23. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 10. September 2015 beschlossen:
  24. Der Beschluss des Senats vom 24. März 2015, durch den das
  25. Urteil des Landgerichts Bochum vom 3. November 2014 auf die
  26. Revision des Angeklagten mit den Feststellungen aufgehoben
  27. und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine
  28. andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen wurde,
  29. wird aufgehoben.
  30. Das Verfahren wird fortgesetzt.
  31. Gründe:
  32. 1
  33. Das Landgericht hatte den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen zu einer
  34. Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und den
  35. Verfall von Wertersatz in Höhe von 15.000 € angeordnet. Auf die Revision des
  36. Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts gerügt hatte, hatte
  37. der Senat das Urteil insgesamt mit den Feststellungen aufgehoben und die
  38. Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer
  39. des Landgerichts zurückverwiesen.
  40. -3-
  41. I.
  42. 2
  43. 1. Eine erneute Hauptverhandlung hat bislang nicht stattgefunden. Vielmehr hat die Staatsanwaltschaft dem Senat die Akten durch Vermittlung des
  44. Generalbundesanwalts erneut zugeleitet und bittet um (deklaratorische) Aufhebung des Senatsbeschlusses vom 24. März 2015.
  45. 3
  46. Dem liegt Folgendes zugrunde:
  47. 4
  48. Die vom Berichterstatter der Strafkammer des Landgerichts auf der
  49. Grundlage der Beratung verfasste, fünfzehn Seiten umfassende und zur Zustellung an die Verfahrensbeteiligten bestimmte Urteilsurkunde wurde von den berufsrichterlichen Mitgliedern der Strafkammer unterschrieben und gelangte am
  50. 26. November 2014 und damit rechtzeitig zur Geschäftsstelle. Aus nicht mehr
  51. aufklärbaren Gründen verblieb neben dieser Urteilsfassung auch ein lediglich
  52. neun Seiten umfassender – nicht handschriftlich unterschriebener – Urteilsentwurf im Protokoll- und Urteilsband der Sachakten. Entgegen der Zustellungsverfügung des Vorsitzenden vom 26. November 2014 wurde dem Verteidiger nicht
  53. die fünfzehnseitige Urteilsurkunde, sondern der neunseitige Urteilsentwurf, der
  54. als Ausfertigung nicht als Entwurf erkennbar war, zugestellt. Nach Eingang der
  55. Revisionsbegründung, mit der der Verteidiger sachlich-rechtliche Fehler des
  56. ihm zugestellten „Urteils“ beanstandete, gelangte – aus ebenfalls nicht mehr
  57. aufklärbaren Gründen – auch nur die neunseitige Fassung als „beglaubigte Ablichtung“, versehen mit den Unterschriften der mitwirkenden Berufsrichter in
  58. Maschinenschrift, zum Senatsheft sowie zu den Handakten des Generalbundesanwalts. Auf dieser Grundlage stellte der Generalbundesanwalt seinen auf
  59. § 349 Abs. 4 StPO gestützten Aufhebungsantrag, dem der Senat gefolgt ist.
  60. -4-
  61. 5
  62. Eine nachträgliche Überprüfung beim Landgericht ergab ausweislich
  63. eines Vermerks des Vorsitzenden der Strafkammer vom 29. April 2015, dass in
  64. dem von den Gerichten in Nordrhein-Westfalen benutzten Textverarbeitungssystem „Judica“ lediglich der erwähnte Urteilsentwurf, nicht jedoch die unterschriebene Endfassung des Urteils abgespeichert war, weshalb versehentlich
  65. der Urteilsentwurf und nicht das Originalurteil zur Zustellung gelangte und zur
  66. Grundlage der Revisionsakten wurde.
  67. 6
  68. 2. Der Generalbundesanwalt regt nunmehr an, durch Beschluss des
  69. Senats klarzustellen, dass es mit der aufhebenden Entscheidung des Senats in
  70. seinem Beschluss vom 24. März 2015 sein Bewenden habe. Zwar sei dieser
  71. Beschluss auf einer falschen Tatsachengrundlage ergangen, das mache ihn
  72. aber weder unwirksam noch nichtig. Es bedürfe daher einer Aufhebung des
  73. Beschlusses durch den Senat. Dafür fehle es indes an einer rechtlichen Grundlage. Da die Staatsanwaltschaft die Aufhebung begehre, seien die §§ 33a und
  74. 356a StPO nicht anwendbar. Ein Wiederaufnahmegrund sei ebenso wenig ersichtlich wie ein – ohnehin nur ausnahmsweise, etwa wegen Willkür, in Betracht
  75. kommender – übergesetzlicher Aufhebungsgrund.
  76. II.
  77. 7
  78. Der Beschluss des Senats vom 24. März 2015 ist aufzuheben, das Verfahren ist fortzusetzen.
  79. 8
  80. 1. a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können
  81. Entscheidungen des Revisionsgerichts grundsätzlich weder aufgehoben noch
  82. abgeändert werden. Das gilt nicht nur für nach § 349 Abs. 2 StPO ergangene
  83. Beschlüsse über die Verwerfung der Revision, durch die das Verfahren wie
  84. -5-
  85. durch ein Verwerfungsurteil (§ 349 Abs. 5 StPO) rechtskräftig abgeschlossen
  86. wird (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 17. Januar 1962 – 4 StR 392/61, BGHSt
  87. 17, 94, 95, und vom 24. März 2011 – 4 StR 637/10, StraFo 2011, 218; vgl. auch
  88. Beschluss vom 4. April 2006 – 5 StR 514/04, wistra 2006, 271 für Entscheidungen nach § 349 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 StPO). Auch ein allein nach § 349 Abs. 4
  89. StPO gefasster Beschluss, mit dem die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Tatrichter zurückverwiesen wird und der deshalb lediglich
  90. formelle Rechtskraft erlangt, ist regelmäßig nicht abänderbar und kann nicht
  91. aufgehoben werden (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 1991 – 5 StR
  92. 449/91; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 349 Rn. 34; KK-StPO/
  93. Gericke, 7. Aufl., § 349 Rn. 40; LR-StPO/Franke, 26. Aufl., § 349 Rn. 41; einschränkend SSW-StPO/Widmaier/Momsen, 2. Aufl., § 349 Rn. 40 ff. mwN). Das
  94. Bedürfnis der Rechtspflege und der Allgemeinheit nach Rechtssicherheit verbietet es auch im Revisionsverfahren, einen Eingriff in die Rechtskraft einer gerichtlichen Sachentscheidung zuzulassen (BGH, Beschluss vom 17. Januar
  95. 1962 aaO), es sei denn, die Voraussetzungen der speziell für diesen Verfahrensabschnitt geltenden Ausnahmevorschrift des § 356a StPO wären erfüllt,
  96. wonach die Entscheidung des Revisionsgerichts unter Verletzung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör zustande gekommen ist
  97. (zur Aufhebung von Amts wegen bei versehentlicher Stattgabe des Rechtsmittels des Nebenklägers durch Beschluss vgl. BGH, Beschluss vom 30. März
  98. 1994 – 3 StR 628/93; zur Aufhebung eines im Revisionsverfahren gefassten
  99. Einstellungsbeschlusses nach § 206a Abs. 1 StPO wegen Täuschung durch
  100. den Beschwerdeführer vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2007 – 2 StR
  101. 485/06, BGHSt 52, 119, 121 f.).
  102. 9
  103. b) So liegt der Fall hier jedoch nicht. Der Senat hat über das Rechtsmittel
  104. des Beschwerdeführers auf der Grundlage eines bloßen Urteilsentwurfs des
  105. -6-
  106. Landgerichts entschieden und von diesem Umstand erst nach Erlass seiner
  107. Entscheidung Kenntnis erlangt. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat indes von jeher in Fällen, in denen eine Entscheidung über das Rechtsmittel der
  108. Revision lediglich infolge Unregelmäßigkeiten bzw. Versehen oder wegen der
  109. Gegebenheiten des gerichtlichen Geschäftsgangs auf unvollständiger oder unzutreffender tatsächlicher Grundlage getroffen wurde und sich dies erst nachträglich herausstellt, das Bedürfnis nach einer Korrektur der getroffenen, formell
  110. bzw. materiell rechtskräftigen Entscheidung anerkannt. Rechtssicherheit und
  111. Rechtsklarheit gebieten es in einem solchen Fall, den Widerspruch zwischen
  112. der auf einer unzutreffenden Grundlage ergangenen Entscheidung und der abweichenden Tatsachenlage zu beseitigen; der damit verbundene Eingriff in die
  113. Rechtskraft wiegt hier weniger schwer. Dies hat die Rechtsprechung etwa in
  114. dem Fall der irrtümlichen Annahme der Mitwirkung eines funktionell unzuständigen Urkundsbeamten bei der Anbringung der Revisionsanträge mit der Folge
  115. der Verwerfung der Revision nach § 349 Abs. 1 StPO angenommen (vgl. RG,
  116. Beschluss vom 13. November 1925 – I 512/25, RGSt 59, 419, 420). Ebenso
  117. wird verfahren, wenn die Entscheidung des Revisionsgerichts zu einem Zeitpunkt ergeht, indem das Rechtsmittel bereits wirksam zurückgenommen worden, die Rücknahmeerklärung aber noch nicht zu den Senatsakten gelangt ist
  118. (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 10. September 1991 – 2 StR 326/91,
  119. NStZ 1992, 225; Beschluss vom 28. Januar 1997 – 1 StR 456/96, NStZ 1998,
  120. 27, jeweils bei Kusch). Dies gilt auch dann, wenn die Unvollständigkeit der
  121. Senatsakten bei der Beschlussfassung nicht auf den zeitlichen Gesetzmäßigkeiten des gerichtlichen Geschäftsgangs nach Eingang der Rücknahmeerklärung beim Landgericht beruht, sondern auf einem Versehen bei der Zusammenstellung des für die Revisionsinstanz bestimmten Aktenkonvoluts (vgl.
  122. BGH, Beschluss vom 28. Januar 1997 – 1 StR 456/96, NStZ 1998, 27 bei
  123. Kusch; zur Verfahrenseinstellung bei nachträglich bekannt gewordenem Tod
  124. -7-
  125. des Beschwerdeführers vgl. BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2015 – 1 StR
  126. 162/15, StraFo 2016, 25).
  127. 10
  128. 2. Im vorliegenden Fall hat der Senat über das Rechtsmittel des Angeklagten weder in Verkennung der prozessualen Lage noch aus Rechtsirrtum
  129. entschieden, sondern auf einer unzutreffenden tatsächlichen Grundlage, die
  130. ihren Grund allein in einer Unregelmäßigkeit im Geschäftsgang des Landgerichts hatte. Denn die dem Senat vorliegende Urteilsfassung, die lediglich
  131. einen Entwurf darstellte und die sich – anders als die Endfassung – auch im
  132. gerichtlichen Textverarbeitungssystem befand, wurde aus letztlich ungeklärten,
  133. im Geschäftsablauf des Landgerichts zu suchenden Gründen – entgegen der
  134. Anordnung des Vorsitzenden – dem Verteidiger des Angeklagten zugestellt, zu
  135. den Senatsakten genommen und so zur Grundlage der Senatsentscheidung.
  136. 11
  137. 3. Der Senat hat daher seinen Beschluss vom 24. März 2015 aufgehoben. Da die Zustellung der neunseitigen Entwurfsfassung des landgerichtlichen
  138. Urteils an die Verfahrensbeteiligten die Revisionsbegründungsfrist nicht in Lauf
  139. setzen konnte (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 1981 – 4 StR 13/81, StV
  140. -8-
  141. 1981, 170), ist dem Verfahren nunmehr durch Zustellung der richtigen Fassung
  142. Fortgang zu geben.
  143. Sost-Scheible
  144. Roggenbuck
  145. Franke
  146. Cierniak
  147. Quentin