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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 4 StR 619/16
  4. vom
  5. 29. März 2017
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen Bedrohung u.a.
  9. ECLI:DE:BGH:2017:290317B4STR619.16.0
  10. -2-
  11. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 29. März 2017 gemäß § 349 Abs. 4
  12. StPO beschlossen:
  13. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 19. August 2016 mit den zugehörigen
  14. Feststellungen aufgehoben.
  15. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
  16. über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
  17. des Landgerichts zurückverwiesen.
  18. Gründe:
  19. 1
  20. Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf, entgegen einer Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz im Zeitraum von August 2014 bis Mai
  21. 2015 regelmäßig mit der Zeugin
  22. V.
  23. über Facebook Kontakt aufge-
  24. nommen (§ 4 GewSchG) und am 15. Januar 2016 anlässlich einer Gerichtsverhandlung einen Begleiter von Frau V.
  25. mit dem Tode bedroht zu haben
  26. (§ 241 StGB), wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit freigesprochen.
  27. Es hat seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
  28. Die auf die Sachrüge des Angeklagten gestützte Revision führt zur Aufhebung
  29. des angefochtenen Urteils.
  30. 2
  31. 1. Das Rechtsmittel ist nicht auf die Anordnung der Unterbringung des
  32. Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus beschränkt. Soweit die Re-
  33. -3-
  34. vision lediglich deren Aufhebung beantragt, ist eine Rechtsmittelbeschränkung
  35. unwirksam (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. BGH, Beschluss vom 14. Februar
  36. 2017 – 4 StR 565/16).
  37. 3
  38. 2. a) Nach den Feststellungen war dem Angeklagten mit der ihm zugestellten Anordnung des Amtsgerichts – Familiengericht – Villingen-Schwenningen vom 14. August 2014 u.a. gemäß § 1 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 GewSchG untersagt worden, mit der Zeugin V.
  39. in irgendeiner Form Kontakt aufzunehmen,
  40. auch „über soziale Medien wie z. B. Facebook“. Das Familiengericht ordnete
  41. die sofortige Wirksamkeit seiner Entscheidung an, befristete sie bis zum 14. Mai
  42. 2015 und wies den Angeklagten auf die Strafbarkeit eines Verstoßes gegen die
  43. Schutzanordnungen nach § 4 GewSchG hin. In Kenntnis dieser Anordnung
  44. nahm der Angeklagte zwischen dem 17. September 2014 und dem 14. Mai
  45. 2015 über das Internetportal Facebook Kontakt zu Frau V.
  46. auf, indem er ihr
  47. nahezu täglich Nachrichten – insgesamt mehrere 100 Seiten – zukommen ließ.
  48. 4
  49. Am 15. Januar 2016 sagte der Angeklagte im Gebäude des Landgerichts
  50. Konstanz während einer Verhandlungspause zu dem Zeugen
  51. S.
  52. u.a.:
  53. „Wenn ich dich noch einmal mit ihr sehe, mache ich dich weg: Bam Bam …“;
  54. dabei machte er mit den Händen Schießbewegungen.
  55. S.
  56. nahm diese
  57. Drohung ernst.
  58. 5
  59. b) Das Landgericht hat den Angeklagten wegen nicht ausschließbarer
  60. Schuldunfähigkeit freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Es ist – sachverständig beraten – zu dem Ergebnis gelangt, dass „bei beiden Taten … die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten aufgrund einer krankhaften seelischen Störung in Form einer anhaltenden
  61. wahnhaften Störung erheblich eingeschränkt“ gewesen sei. „Es kann nicht aus-
  62. -4-
  63. geschlossen werden, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten aufgrund
  64. seiner Wahnerkrankung bei beiden Taten sogar ganz aufgehoben war.“
  65. 6
  66. 3. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat keinen Bestand, weil sich bereits die Beurteilung der Schuldfähigkeit
  67. des Angeklagten als durchgreifend rechtsfehlerhaft erweist.
  68. 7
  69. a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63
  70. StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf
  71. diesem Zustand beruht. Dazu ist eine konkrete Darlegung erforderlich, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf
  72. die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und
  73. damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl.
  74. nur BGH, Beschluss vom 4. August 2016 – 4 StR 230/16, insofern nicht abgedruckt in NStZ 2016, 747).
  75. 8
  76. Die vom Landgericht allein sicher festgestellte erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen
  77. der Einsicht zur Folge hat, während die Schuld des Angeklagten nicht gemindert wird, wenn er ungeachtet seiner erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das Unrecht seines Tuns zum Tatzeitpunkt tatsächlich eingesehen hat. Die
  78. Voraussetzungen des § 21 StGB sind in den Fällen der verminderten Einsichtsfähigkeit nur dann zu bejahen, wenn die Einsicht gefehlt hat und dies dem Täter
  79. vorzuwerfen ist. Fehlt dem Täter aus einem in § 20 StGB genannten Grund die
  80. Einsicht, ohne dass ihm dies zum Vorwurf gemacht werden kann, ist auch bei
  81. verminderter Einsichtsfähigkeit nicht § 21 StGB, sondern § 20 StGB anwendbar
  82. -5-
  83. (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. Juli 2015 – 4 StR 277/15, StV
  84. 2016, 725, vom 17. Dezember 2014 – 3 StR 377/14, vom 30. September 2014
  85. – 3 StR 261/14, vom 17. April 2014 – 2 StR 405/12, NJW 2014, 2738, vom
  86. 26. November 2013 – 3 StR 387/13 – und vom 2. August 2012 – 3 StR 259/12,
  87. NStZ-RR 2013, 71 [Ls] mwN).
  88. 9
  89. b) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 27. Februar 2017 kann der Senat auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen, dass die vom Landgericht ausdrücklich allein festgestellte erhebliche Einschränkung der Einsichtsfähigkeit
  90. des Angeklagten das Fehlen der Einsicht in das Unrecht seines Tuns bei den
  91. ihm zur Last gelegten Anlasstaten zur Folge gehabt hätte (vgl. auch BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2009 – 4 StR 437/09); hierzu verhält sich das Urteil
  92. an keiner Stelle.
  93. 10
  94. 4. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Mit Blick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist auch
  95. der Freispruch des Angeklagten mit aufzuheben (vgl. BGH, Beschlüsse
  96. vom 14. Februar 2017 – 4 StR 565/16, vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16,
  97. NStZ-RR 2017, 74, 75, und vom 5. August 2014 – 3 StR 271/14, BGHR StPO
  98. § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1).
  99. 11
  100. 5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
  101. 12
  102. Sollte die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus auf der Grundlage des § 63 StGB in der Fassung des Gesetzes zur
  103. Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vor-
  104. -6-
  105. schriften vom 8. Juli 2016 erneut in Betracht gezogen werden, wird hinsichtlich
  106. der Gefährlichkeitsprognose zu berücksichtigen sein, dass Straftaten, die im
  107. Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, nicht ohne weiteres dem Bereich der erheblichen Straftaten zuzurechnen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12, RuP 2014, 31, 32). Mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zu erwartende Nachstellungen gemäß § 238
  108. Abs. 1 StGB können indes je nach Lage des Einzelfalls hierfür ausreichen (vgl.
  109. BGH, Beschluss vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571, 572 f.
  110. mwN; s. auch BGH, Beschluss vom 27. Mai 2014 – 3 StR 113/14). Für die Frage, ob zu erwartende Drohungen gegen Personen aus dem Umfeld der Zeugin
  111. V.
  112. dem Bereich der Taten von erheblicher Bedeutung zuzurechnen sind,
  113. verweist der Senat auf sein Urteil vom 22. Dezember 2016 – 4 StR 359/16.
  114. Sost-Scheible
  115. Roggenbuck
  116. Franke
  117. Cierniak
  118. Bender