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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 4 StR 467/06
  5. vom
  6. 15. Februar 2007
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen Totschlags
  10. -2-
  11. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. Februar
  12. 2007, an der teilgenommen haben:
  13. Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
  14. Dr. Tepperwien,
  15. Richter am Bundesgerichtshof
  16. Maatz,
  17. Prof. Dr. Kuckein,
  18. Richterin am Bundesgerichtshof
  19. Solin-Stojanović,
  20. Richter am Bundesgerichtshof
  21. Dr. Ernemann
  22. als beisitzende Richter,
  23. Bundesanwalt
  24. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  25. Rechtsanwalt
  26. als Verteidiger,
  27. Rechtsanwältin
  28. als Vertreterin der Nebenkläger,
  29. Justizangestellte
  30. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  31. für Recht erkannt:
  32. -3-
  33. 1.
  34. Die Revisionen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft
  35. und der Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts
  36. Magdeburg vom 28. Juni 2006 werden verworfen.
  37. 2.
  38. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die
  39. dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen
  40. Auslagen trägt die Staatskasse. Die Kosten der Revisionen des Angeklagten und der Nebenkläger fallen dem
  41. jeweiligen Beschwerdeführer zur Last.
  42. Von Rechts wegen
  43. Gründe:
  44. I.
  45. 1
  46. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich der Angeklagte, die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger mit ihren auf die Sachrüge
  47. gestützten Revisionen. Der Angeklagte rügt die Verletzung materiellen Rechts.
  48. Die Staatsanwaltschaft erstrebt - ebenso wie die Nebenkläger - mit ihrem zu
  49. Ungunsten des Angeklagten eingelegten Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, eine Verurteilung wegen Mordes. Sämtliche Rechtsmittel erweisen sich als unbegründet.
  50. II.
  51. 2
  52. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
  53. -4-
  54. 3
  55. Nach zwei gescheiterten Beziehungen lebte der Angeklagte, der an einer
  56. kombinierten Persönlichkeitsstörung mit schizoiden Elementen und narzisstischen Zügen leidet, von 1999 bis zum September 2005 mit Nicole K. , dem
  57. späteren Tatopfer, in häuslicher Lebensgemeinschaft, aus der ein gemeinsames Kind hervorging. Auch diese Beziehung war, insbesondere wegen der
  58. grundlosen Eifersucht des Angeklagten, spannungs- und streitbeladen und
  59. wurde schließlich von Nicole K.
  60. beendet. Der Angeklagte konnte sich, wie
  61. auch beim Scheitern seiner früheren Beziehungen, mit der Trennung nicht abfinden. Im September 2005 kam es deswegen bei einer von ihm erbetenen
  62. Aussprache zwischen ihm und Nicole K. zu einem heftigen Streit, in dessen
  63. Verlauf er sie zu Boden warf und ihr ein Messer vor den Körper hielt. Erst als ihr
  64. Vater zu Hilfe eilte, ließ er von ihr ab. Bei ihren Abwehrbemühungen erlitt sie
  65. eine Schnittverletzung an der Hand. Auch nach diesem Vorfall bemühte sich
  66. der Angeklagte weiter um eine Fortsetzung der Beziehung.
  67. 4
  68. Am 17. November 2005 wurde der Angeklagte von Arbeitskollegen damit
  69. gehänselt, dass Nicole K. "jetzt einen anderen Mann küsse", worauf er antwortete, "dass dies nicht mehr lange der Fall" sein werde. Am Nachmittag begegnete ihm Nicole K. , die auf ihrem Fahrrad durch Schönebeck fuhr. Sie hielt
  70. zwar an, lehnte aber eine nochmalige Aussprache über die aus ihrer Sicht endgültig beendete Beziehung ab. Es kam zu einem teilweise lautstark geführten
  71. Wortgefecht, wobei der Angeklagte aus Wut so heftig gegen ihr Fahrrad trat,
  72. dass sie es nur noch schieben konnte. Den Vorschlag des Angeklagten, sie mit
  73. seinem Fahrzeug zu ihrem Fahrtziel zu fahren, lehnte sie ab. Sie hatte Angst,
  74. weinte und versuchte, mit ihrem Handy zu telefonieren. Streitend gingen sie
  75. etwa fünf Minuten nebeneinander her, wobei sie ihr Fahrrad zwischen ihnen
  76. schob. Nunmehr wurde dem Angeklagten bewusst, dass er Nicole K.
  77. nicht
  78. zurückgewinnen konnte. Aus "Wut, Verzweiflung, endgültiger Verlustangst, Är-
  79. -5-
  80. ger und Enttäuschung über das Scheitern der Beziehung" entschloss er sich,
  81. sie zu töten. Er nahm aus seiner Hosentasche ein aufklappbares Taschenmesser mit einer Klingenlänge von neun Zentimetern und versetzte Nicole K.
  82. sechs Messerstiche in den Hals- und Brustbereich. Auch durch Rufe einer Zeugin ließ er sich von seinem Tun nicht abbringen. Das Opfer verstarb alsbald an
  83. innerem Verbluten. Der Angeklagte fuhr mit seinem Pkw zu Bekannten, von
  84. denen er ein Alibi für die Tatzeit erhalten wollte. Danach ging er seinen gewöhnlichen Verrichtungen nach, bis er am Abend festgenommen wurde.
  85. III.
  86. 5
  87. 1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger
  88. 6
  89. Ohne Erfolg wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger
  90. dagegen, dass der Angeklagte nicht wegen Mordes, sondern nur wegen Totschlags verurteilt worden ist.
  91. 7
  92. a) Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist
  93. das Schwurgericht im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Angeklagte nicht heimtückisch im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gehandelt hat.
  94. 8
  95. Nach der Rechtsprechung handelt heimtückisch, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt, wobei auf den Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs
  96. abzustellen ist (vgl. BGHSt 32, 382, 384). Ein bloßer, der Tat vorausgegangener Wortwechsel, eine nur feindselige Atmosphäre oder ein generelles Misstrauen schließen die Heimtücke nicht aus, wenn das Opfer hieraus noch nicht
  97. -6-
  98. die Gefahr einer Tätlichkeit entnommen hat. Erforderlich ist vielmehr für die Beseitigung der Arglosigkeit auch bei einem vorangegangenen Streit, dass das
  99. Opfer mit einem tätlichen Angriff rechnet (vgl. BGHSt 33, 363; 39, 353, 368;
  100. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 21; BGH NStZ 2003, 146).
  101. 9
  102. Dass Letzteres hier vorgelegen hat, hat das Landgericht unter Berücksichtigung der Vorgeschichte und des Verlaufs der dem Tatgeschehen unmittelbar vorausgegangenen Auseinandersetzung nicht auszuschließen vermocht.
  103. Nach den insoweit getroffenen Feststellungen war Nicole K.
  104. bei dem Zu-
  105. sammentreffen mit dem Angeklagten bewusst, dass dieser nach wie vor nicht
  106. bereit war, die Trennung zu akzeptieren. Sie wusste, dass er etwa zwei Monate
  107. zuvor auf ihre Weigerung zur Fortsetzung der Beziehung mit Tätlichkeiten reagiert und ihr sogar ein Messer vor den Körper gehalten hatte. Dass ihre erneute
  108. Ablehnung einer von ihm erbetenen Aussprache ihn wiederum in große Wut
  109. versetzte, erkannte sie daran, dass er mit einem Fußtritt ihr Fahrrad massiv beschädigte. Es liegt durchaus nahe, dass sie nach dieser Eskalation weitere
  110. Wutausbrüche bis hin zu einem schweren Angriff auf ihren Körper befürchtete.
  111. Dafür spricht, dass sie Angst vor dem Angeklagten hatte, weinte und nicht bereit war, sich von ihm in seinem Pkw zu ihrem Fahrtziel bringen zu lassen.
  112. Demgegenüber folgt aus der Tatsache, dass Nicole K.
  113. während der andau-
  114. ernden verbalen Auseinandersetzung nicht versuchte, sich vom Angeklagten zu
  115. entfernen, und statt dessen ihn mit Worten zu beschwichtigen suchte, nicht ohne Weiteres die Arglosigkeit des späteren Opfers. Auf die Frage, ob das Opfer
  116. gesehen hat, wie der Angeklagte unmittelbar vor dem Zustechen das Messer
  117. zog und aufklappte, kommt es nicht an, weil das Opfer zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr arglos war.
  118. -7-
  119. b) Das Landgericht hat auch das Mordmerkmal der niedrigen Beweg-
  120. 10
  121. gründe auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei verneint.
  122. 11
  123. Es ist zu der Überzeugung gelangt, der Angeklagte habe Nicole K.
  124. aus "Wut, Verzweiflung, endgültiger Verlustangst, Ärger und Enttäuschung über
  125. das Scheitern der Beziehung" getötet. Es hat nicht feststellen können, welches
  126. dieser Motive für die Tötung ausschlaggebend gewesen ist und hat deshalb die
  127. Motivation des Angeklagten insgesamt nicht als auf niedrigster Stufe stehend
  128. angesehen.
  129. 12
  130. Diese Beurteilung hält rechtlicher Prüfung stand. Beim Vorliegen eines
  131. Motivbündels beruht die vorsätzliche Tötung nur dann auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv oder die vorherrschenden Motive, welche der
  132. Tat ihr Gepräge geben, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe
  133. stehen und besonders verwerflich sind (BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 20; BGH NStZ 2004, 34; 2006, 338, 340 m.w.N.).
  134. 13
  135. Ein solcher Fall ist nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen
  136. nicht gegeben. Das Landgericht hat nicht verkannt, dass bei der Tötung auch
  137. Wut und Ärger des Angeklagten über das Scheitern der Beziehung eine Rolle
  138. gespielt haben. Dass es - trotz der Reaktion des Angeklagten auf die Hänseleien seiner Arbeitskollegen am Vormittag des Tattages - diese Motivation nicht
  139. als tatbeherrschend angesehen hat, begegnet indes keinen rechtlichen Bedenken. Vielmehr ist anhand der Vorgeschichte der Tat belegt, dass gleichbedeutend tatauslösend und tatbestimmend auch Gefühle der Verzweiflung des Angeklagten über die Trennung und über das Erkennen, dass sich seine Lebensgefährtin endgültig von ihm abgewandt hatte, waren. Hinzu kommt, dass der
  140. -8-
  141. Angeklagte eine dissoziale Persönlichkeitsstörung aufweist, auf Grund derer er
  142. sein Selbstwertgefühl einerseits nur über die Beziehung zu einer Partnerin definiert, andererseits aber nicht in der Lage ist, eine längerfristige Beziehung beizubehalten. Vor diesem Hintergrund hält es sich im Rahmen des tatrichterlichen
  143. Beurteilungsspielraums (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 79, 80; NStZ 2006, 338,
  144. 340), dass das Landgericht die für den Angeklagten bestimmenden Motive in
  145. ihrer Gesamtheit nicht als niedrig im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gewertet hat.
  146. 14
  147. 2. Die Revision des Angeklagten
  148. 15
  149. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der vom Angeklagten erhobenen
  150. Sachrüge hat weder zum Schuld- noch zum Strafausspruch einen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben; insbesondere begegnet auch die
  151. Verneinung erheblich verminderter Schuldfähigkeit keinen rechtlichen Bedenken.
  152. Tepperwien
  153. Maatz
  154. Solin-Stojanović
  155. Kuckein
  156. Ernemann