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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. Urteil
  4. 4 StR 295/07
  5. vom
  6. 23. August 2007
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen gefährlicher Körperverletzung
  10. -2-
  11. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. August
  12. 2007, an der teilgenommen haben:
  13. Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
  14. Dr. Tepperwien,
  15. Richter am Bundesgerichtshof
  16. Maatz,
  17. Prof. Dr. Kuckein,
  18. Dr. Ernemann,
  19. Richterin am Bundesgerichtshof
  20. Sost-Scheible
  21. als beisitzende Richter,
  22. Staatsanwältin
  23. als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
  24. Rechtsanwalt
  25. als Verteidiger,
  26. Justizangestellte
  27. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  28. für Recht erkannt:
  29. -3-
  30. 1.
  31. Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom
  32. 10. November 2006 werden verworfen.
  33. 2.
  34. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
  35. Die Staatskasse hat die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dadurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
  36. Von Rechts wegen
  37. Gründe:
  38. 1
  39. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft mit
  40. ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung sachlichen Rechts rügen. Während der Angeklagte sein Rechtsmittel wirksam auf die Versagung der Strafaussetzung beschränkt hat, erstrebt die Staatsanwaltschaft mit ihrem Rechtsmittel eine Verurteilung des Angeklagten wegen eines versuchten Tötungsdelikts. Beide Rechtsmittel erweisen sich als unbegründet.
  41. I.
  42. 2
  43. Das Landgericht hat festgestellt:
  44. 3
  45. Opfer der Tat ist die Ehefrau des Angeklagten. Die in der Türkei geschlossene Ehe war von Anfang an dadurch belastet, dass der Angeklagte, ob-
  46. -4-
  47. wohl er in Deutschland geboren und aufgewachsen war, dem traditionellen patriarchalischen Weltbild seiner Heimat verhaftet war und er sich in der Ehe alle
  48. Freiheiten herausnahm, die er seiner Ehefrau nicht zugestand. Auch wurde er
  49. ihr gegenüber mehrfach tätlich, sodass sie schließlich im Jahr 2003 zusammen
  50. mit ihren beiden Kindern vorübergehend in ein Frauenhaus flüchtete. Am frühen
  51. Morgen des Tattages kam es wiederum zu einer heftigen verbalen Auseinandersetzung zwischen beiden. Aus Angst, der Angeklagte könne wiederum gegen sie tätlich werden, suchte sie den im Nachbarhaus lebenden Bruder des
  52. Angeklagten und dessen Ehefrau auf, die die Geschädigte bei sich aufnahmen.
  53. Der Angeklagte folgte ihr wütend, wurde jedoch von seinem Bruder zunächst
  54. nicht ins Haus gelassen. Außer sich vor Wut entfernte sich der Angeklagte
  55. kurzzeitig, kehrte jedoch alsbald mit einem einseitig geschliffenen Küchenmesser mit einer ca. 18 cm langen Klinge zurück. Mit dem Ausruf, er werde sie umbringen, eilte der aufgebrachte Angeklagte unmittelbar auf seine Ehefrau, die
  56. sich in der im Keller des Hauses befindlichen Küche befand, zu und versuchte,
  57. mit dem Messer auf sie einzustechen. Dies gelang ihm jedoch nicht, weil sein
  58. Bruder sofort einschritt, seinen Arm ergriff und ihn festhielt und so zumindest
  59. erhebliche Verletzungen der Geschädigten verhinderte. Während der Angeklagte das Messer weiter fest umklammert hielt und mehrfach Stichbewegungen in
  60. Richtung seiner Ehefrau ausführte, rief er "lass mich los, ich bring sie um". Bei
  61. seinen Versuchen, auf sie einzustechen, wurde die Geschädigte einmal von
  62. dem Messer getroffen, was allerdings lediglich zu einer streifigen Verletzung in
  63. Form einer leichten Ritzung bzw. Rötung der Haut im Bereich der rechten Hüfte
  64. führte. Die Geschädigte war sogleich, als sie den Angeklagten mit dem Messer
  65. auf sich zukommen sah, von ihrem Platz aufgesprungen und vermochte, ohne
  66. weitere Verletzungen erlitten zu haben, zu flüchten. Erst als ihr dies gelungen
  67. war, gelang es dem Bruder des Angeklagten, ihn zu veranlassen, das Messer
  68. loszulassen.
  69. -5-
  70. 4
  71. Nach Auffassung der Schwurgerichtskammer handelte der Angeklagte
  72. mindestens in der Vorstellung, seine Ehefrau in seinem Zorn mit dem Messer
  73. erheblich zu verletzen. Es spreche zwar eine "überwiegende Wahrscheinlichkeit" für einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz. Eine sichere Überzeugung
  74. hiervon vermochte sich die Schwurgerichtskammer indes nicht zu verschaffen.
  75. Das Landgericht hat den Angeklagten deshalb "nur" der gefährlichen Körperverletzung in der Tatalternative des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB (Körperverletzung
  76. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs) für schuldig
  77. befunden.
  78. II.
  79. 5
  80. Revision der Staatsanwaltschaft
  81. 6
  82. Die Staatsanwaltschaft beanstandet, dass das Landgericht das Vorliegen
  83. eines zumindest bedingten Tötungsvorsatzes beim Angeklagten verneint hat.
  84. Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, die Schwurgerichtskammer habe
  85. die Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugung zur subjektiven Tatseite
  86. überspannt. Mit ihrem Angriff gegen die Beweiswürdigung des angefochtenen
  87. Urteils bleibt der Revision indes im Ergebnis der Erfolg versagt.
  88. 7
  89. Die Rüge, das Landgericht habe zu Unrecht die Voraussetzungen eines
  90. zumindest bedingten Tötungsvorsatzes verneint, es habe sich nicht hinreichend
  91. und widerspruchsfrei mit allen für einen solchen Vorsatz sprechenden Beweisanzeichen hinreichend auseinandergesetzt und überspannte Anforderungen an
  92. die Überzeugungsbildung von der Schuld des Angeklagten gestellt, ist unbegründet. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters; das Revisionsgericht
  93. kann nur eingreifen, wenn diese rechtsfehlerhaft ist, insbesondere wenn sie
  94. -6-
  95. Widersprüche oder erhebliche Lücken aufweist, oder mit Denkgesetzen nicht
  96. vereinbar ist. Solche Fehler liegen nicht schon deshalb vor, weil die Schlussfolgerungen, die der Tatrichter hier zu Gunsten des Angeklagten gezogen hat,
  97. nicht zwingend sind oder weil die Würdigung des Beweisergebnisses auch zu
  98. einem anderen Ergebnis hätte führen können. Insbesondere ist es entgegen
  99. der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht widersprüchlich, wenn das Landgericht einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz nicht festzustellen vermochte, während es von einem direkten Vorsatz des Angeklagten, seine Ehefrau
  100. erheblich zu verletzen, ausgegangen ist. Denn angesichts der - wie der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung wiederholt - hohen Hemmschwelle
  101. gegenüber der Tötung eines Menschen sind beide Annahmen ohne Weiteres
  102. miteinander vereinbar. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der
  103. Angeklagte nach den Feststellungen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem
  104. Tatgeschehen gedroht hat, seine Ehefrau umzubringen (vgl. Senat, Beschluss
  105. vom 25. September 2001 - 4 StR 353/01). Angesichts der zur Wucht und zur
  106. Richtung der vom Angeklagten geführten Stichbewegungen unsicheren Tatsachengrundlage und der letztlich nur geringfügigen Verletzungen lässt sich aus
  107. dem Vorgehen des Angeklagten eine Indizwirkung für einen Tötungsvorsatz
  108. nicht ohne Weiteres herleiten.
  109. III.
  110. 8
  111. Revision des Angeklagten
  112. 9
  113. Die Angriffe des Beschwerdeführers gegen Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung im angefochtenen Urteil erweisen sich als unbegründet.
  114. -7-
  115. 10
  116. Das Landgericht hat dem Angeklagten bereits keine positive Sozialprognose (§ 56 Abs. 1 StGB) zu stellen vermocht und im Übrigen auch keine besonderen Umstände gesehen, die eine Strafaussetzung zu rechtfertigen vermögen (§ 56 Abs. 2 StGB). Diese in erster Linie dem Tatrichter obliegende Bewertung, die vom Revisionsgericht nur begrenzt überprüft werden kann (vgl.
  117. Lackner/Kühl StGB 26. Aufl. § 56 Rdn. 14, 21, 22 m.N.), weist keinen Rechtsfehler auf. Insbesondere stellt es entgegen der Auffassung der Revision keinen
  118. Widerspruch dar, wenn das Landgericht dem Angeklagten als Erstverbüßer im
  119. Rahmen der Strafzumessung zwar Straf- und Haftempfindlichkeit zugute gehalten hat und davon ausgegangen ist, dass er durch die erlittene Untersuchungshaft beeindruckt ist, es gleichwohl namentlich unter Berücksichtigung seiner
  120. impulsiv aggressiven Persönlichkeit und seiner – wenn auch länger zurückliegenden – einschlägigen Vorverurteilung nicht die Erwartung gewinnen konnte,
  121. dass der Angeklagte ohne die Einwirkung des Strafvollzugs nicht erneut straffällig wird.
  122. Tepperwien
  123. Maatz
  124. Ernemann
  125. Kuckein
  126. Sost-Scheible