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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 4 StR 100/13
  5. vom
  6. 18. Juli 2013
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
  10. -2-
  11. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Juli 2013,
  12. an der teilgenommen haben:
  13. Richter am Bundesgerichtshof
  14. Dr. Mutzbauer
  15. als Vorsitzender,
  16. Richterin am Bundesgerichtshof
  17. Roggenbuck,
  18. Richter am Bundesgerichtshof
  19. Dr. Franke,
  20. Bender,
  21. Dr. Quentin
  22. als beisitzende Richter,
  23. Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
  24. als Vertreter des Generalbundesanwalts,
  25. Rechtsanwalt
  26. als Verteidiger,
  27. Justizangestellte
  28. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  29. für Recht erkannt:
  30. -3-
  31. 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
  32. Landgerichts Dortmund vom 4. Oktober 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in
  33. einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
  34. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
  35. Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  36. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
  37. Von Rechts wegen
  38. Gründe:
  39. 1
  40. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünfzehn Fällen unter
  41. Freispruch im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs
  42. Monaten verurteilt. Es hat ferner einen Betrag in Höhe von 5.640 € für verfallen
  43. erklärt und hinsichtlich eines Betrages in Höhe von 30.000 € den Verfall von
  44. Wertersatz angeordnet. Die auf die Verletzung formellen und materiellen
  45. Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg.
  46. -4-
  47. I.
  48. 2
  49. Der Verteidiger hat das in der Revisionsrechtfertigung zunächst mit
  50. einem umfassenden Aufhebungsantrag verbundene Rechtsmittel mit Schriftsatz
  51. vom 27. März 2013 teilweise zurückgenommen (§ 302 Abs. 1 StPO). In diesem
  52. Schriftsatz hat er beantragt, das angefochtene Urteil mit den Feststellungen „im
  53. Strafausspruch und soweit eine Entscheidung zur Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist … aufzuheben“. Diese nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist, aber vor Beginn der Hauptverhandlung eingegangene und
  54. daher nicht nach § 303, sondern nach § 302 StPO zu beurteilende Erklärung
  55. (zur Rechtslage bei einer entsprechenden Erklärung innerhalb der Frist des
  56. § 345 Abs. 1 StPO vgl. Senatsbeschluss vom 13. Juni 1991 – 4 StR 105/91,
  57. BGHSt 38, 4, 5 ff.) war auch wirksam. Der Verteidiger hatte, wie er in der
  58. Hauptverhandlung erklärt hat, im Zeitpunkt ihrer Abgabe die gemäß § 302
  59. Abs. 2 StPO erforderliche ausdrückliche Ermächtigung des Angeklagten. Für
  60. diese Ermächtigung ist keine bestimmte Form vorgeschrieben, für ihren Nachweis genügt die anwaltliche Versicherung des Verteidigers (Senatsbeschluss
  61. vom 8. März 2005 – 4 StR 573/04, NStZ-RR 2005, 211; Meyer-Goßner, StPO,
  62. 56. Aufl., § 302 Rn. 32). Die vom Verteidiger in der Hauptverhandlung erklärte
  63. Erweiterung des Rechtsmittels ist wegen des Ablaufs der Revisionseinlegungsfrist unzulässig (BGH, Beschluss vom 17. Oktober 1992 – 5 StR 517/92,
  64. BGHSt 38, 366 f.).
  65. II.
  66. 3
  67. Durch die Teilrücknahme ist das angefochtene Urteil im Schuldspruch in
  68. Rechtskraft erwachsen. Gleiches gilt hinsichtlich der Anordnungen des Verfalls
  69. und des Verfalls von Wertersatz, da es sich hierbei nach ständiger Rechtspre-
  70. -5-
  71. chung des Bundesgerichtshofs um Maßnahmen eigener Art ohne Strafcharakter handelt (vgl. dazu BGH, Urteil vom 1. März 1995 – 2 StR 691/94, NJW 1995,
  72. 2235). Der revisionsgerichtlichen Nachprüfung unterliegt es daher nur noch im
  73. Strafausspruch und insoweit, als die Unterbringung des Angeklagten in einer
  74. Entziehungsanstalt unterblieben ist.
  75. 4
  76. 1. Soweit dem Revisionsvorbringen im Hinblick auf die Verneinung erheblich verminderter Schuldfähigkeit die Rüge der Verletzung von Verfahrensrecht entnommen werden kann, bleibt diese Beanstandung, wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift an den Senat vom 13. März 2013 im Einzelnen
  77. zutreffend ausgeführt hat, ohne Erfolg.
  78. 5
  79. 2. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf die Sachrüge hin hat
  80. hinsichtlich des Strafausspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
  81. 6
  82. 3. Im Hinblick auf die Nichtanordnung der Unterbringung nach § 64 StGB
  83. führt das Rechtsmittel jedoch zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung an das Landgericht. Die Strafkammer hätte erörtern müssen, ob der Angeklagte gemäß § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt unterzubringen war, da
  84. die getroffenen Feststellungen den für eine Unterbringung erforderlichen Hang
  85. nahe legen, also eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende
  86. und durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel zu sich zu nehmen (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschluss vom
  87. 2. März 2004 – 4 StR 518/03, NStZ 2004, 681; SSW-StGB/Schöch, § 64 Rn. 8).
  88. -6-
  89. 7
  90. a) Nach den Feststellungen kam der Angeklagte etwa im Alter von zwölf
  91. Jahren mit Drogen in Kontakt, mit 15 Jahren begann er mit dem regelmäßigen
  92. Konsum von Marihuana. Etwa ein Jahr später begann er, regelmäßig Haschisch für den Eigenkonsum zu erwerben, zuletzt etwa 10 Gramm pro Tag. Mit
  93. etwa 17 Jahren probierte der Angeklagte Kokain aus, das er ab dem 18. Lebensjahr regelmäßig konsumierte. Seinen Verbrauch steigerte er nach und
  94. nach auf etwa 1 bis 2 Gramm Kokain im Tatzeitraum; hierfür wandte er etwa
  95. 30 bis 90 €/Tag auf. Die abgeurteilten Taten beging er – soweit er (wie überwiegend) mit Marihuana gehandelt hat – zur Finanzierung seines Drogenkonsums. Im Jahr 2009 wurde er wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln sowie wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis unter Drogeneinfluss jeweils zu
  96. einer Geldstrafe verurteilt. In der Untersuchungshaft in vorliegender Sache litt er
  97. in den ersten drei Monaten unter Schlafstörungen und rauchte Zigaretten, um
  98. den Betäubungsmittel-Mangel zu kompensieren.
  99. 8
  100. b) Da auch das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 64 StGB
  101. vor dem Hintergrund der vom Landgericht getroffenen Feststellungen nicht mit
  102. der erforderlichen Gewissheit ausgeschlossen und den Urteilsgründen insbesondere nicht entnommen werden kann, dass beim Angeklagten die hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolges nicht besteht, erweist sich
  103. die unterbliebene Erörterung der Unterbringung als durchgreifend rechtsfehlerhaft. Einer etwaigen Unterbringungsanordnung steht auch nicht entgegen, dass
  104. ausschließlich der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3
  105. StPO; BGH, Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5), zumal der
  106. Angeklagte die Nichtanwendung von § 64 StGB durch die Strafkammer nicht
  107. vom Rechtsmittelangriff ausgenommen hat (vgl. dazu BGH, Urteil vom
  108. 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362).
  109. -7-
  110. III.
  111. 9
  112. Die zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Strafkammer wird
  113. nunmehr mit Hilfe eines Sachverständigen (§ 246a StPO) zu klären haben, ob
  114. der Angeklagte gemäß § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt unterzubringen
  115. ist. Mit Blick auf die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe weist der Senat auf § 67
  116. Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB besonders hin (vgl. dazu Fischer, StGB, 60. Aufl.,
  117. § 67 Rn. 10 ff. mN zur Rspr.).
  118. Mutzbauer
  119. Roggenbuck
  120. RiBGH Dr. Franke ist infolge
  121. Urlaubs ortsabwesend und
  122. daher an der Unterschriftsleistung gehindert.
  123. Mutzbauer
  124. Bender
  125. Quentin