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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 3 StR 21/14
  4. vom
  5. 29. April 2014
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen versuchten Mordes u.a.
  9. -2-
  10. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführerin und des Generalbundesanwalts am 29. April 2014 gemäß § 349 Abs. 4
  11. StPO einstimmig beschlossen:
  12. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
  13. Hildesheim vom 15. Oktober 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
  14. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
  15. über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
  16. des Landgerichts zurückverwiesen.
  17. Gründe:
  18. 1
  19. Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchtem Totschlag in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen
  20. und in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Erwerb, Besitz und Führen
  21. einer halbautomatischen Kurzwaffe zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren
  22. verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten hat Erfolg.
  23. 2
  24. Der Schuldspruch wegen versuchten Mordes hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
  25. -3-
  26. 3
  27. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts verliebte sich die Angeklagte in den Nebenkläger, ihren Fahrlehrer, und versuchte ihn fortan trotz seiner Zurückweisung für sich zu gewinnen und ihn dazu zu bewegen, sich mit ihr
  28. zu treffen. Weil der Nebenkläger ihr aber immer wieder aus dem Weg ging,
  29. Telefonanrufe nicht annahm und persönliche Kontakte verweigerte, war sie zunehmend verzweifelt, fühlte sich gekränkt und in ihrem Stolz verletzt. Am
  30. 22. Juni 2013 sah sie den Nebenkläger, als er mit seinem Fahrschulwagen hinter einem Motorradschüler herfuhr. Daraufhin holte sie eine zuvor nebst Munition erworbene Pistole, führte das Magazin ein und begab sich zu der als Abstellplatz für das Motorrad genutzten Garage, wo sie das Eintreffen des Nebenklägers erwartete. Sie wollte ihn unter Vorhalt der Waffe zu einem Gespräch
  31. zwingen und ihn, sollte er dies erneut verweigern, erschießen. Während der
  32. Nebenkläger das Motorrad in die Garage brachte, kam es zwischen ihm und
  33. der Angeklagten zu einem kurzen Gespräch, in dem er sie erneut abwies. Während er sich auf den Beifahrersitz des Fahrschulwagens setzte, in dem sich eine Fahrschülerin auf dem Fahrersitz und der Motorradschüler auf dem Rücksitz
  34. befanden, holte die Angeklagte die Pistole aus ihrem Fahrzeug und steckte sie
  35. am Rücken in den Hosenbund. Am Fahrzeug ergriff sie die Waffe, die sie für
  36. schussbereit hielt, und richtete sie durch das geöffnete Beifahrerfenster auf den
  37. Nebenkläger, den sie mit den Worten, dass sonst "etwas Böses" geschehen
  38. würde, zum Öffnen der Tür aufforderte. Als der Nebenkläger, der die Waffe
  39. irrtümlich für eine Spielzeugpistole hielt, dies verweigerte, erkannte sie, dass
  40. sie ihn auch nicht unter Vorhalt der Pistole zum Gespräch zwingen konnte. Sie
  41. fasste nun endgültig den Entschluss, ihn zu töten. Sie betätigte deshalb den
  42. Abzug, wobei sich zu ihrer Überraschung kein Schuss löste, da sie vergessen
  43. hatte, den Schlitten der Pistole durchzuziehen, so dass sich keine Kugel im
  44. Lauf befand. Als sie die Waffe nun durchlud, bekam der Nebenkläger Angst,
  45. startete den Motor und floh, indem er das Fahrzeug vom Beifahrersitz steuerte.
  46. -4-
  47. Die Angeklagte gab vier Schüsse auf den davonfahrenden Wagen ab, wobei
  48. drei Projektile das Fahrzeug aus einer Entfernung von 20-30 Meter trafen. Dabei erkannte sie, dass diese Schüsse auch für die anderen Fahrzeuginsassen
  49. potentiell lebensgefährlich waren. In Verfolgung ihres Ziels, den Nebenkläger
  50. zu töten, nahm sie aber auch den Tod der beiden anderen billigend in Kauf.
  51. Zum Tatzeitpunkt war die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten aufgrund einer
  52. Anpassungsstörung erheblich vermindert. Es wurde niemand verletzt.
  53. 4
  54. 2. Die Würdigung des Landgerichts, die Angeklagte habe bei ihrem Versuch, durch das Fenster der Beifahrertür auf den Nebenkläger zu schießen,
  55. heimtückisch im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gehandelt, hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
  56. 5
  57. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und
  58. Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist das
  59. Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs
  60. nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren
  61. oder doch erheblichen Angriff rechnet. Das Opfer muss weiter gerade aufgrund
  62. seiner Arglosigkeit wehrlos sein. Arg- und Wehrlosigkeit können auch gegeben
  63. sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgeht, das Tatopfer aber nicht (mehr) mit einem erheblichen Angriff gegen seine körperliche
  64. Unversehrtheit rechnet. Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist
  65. weiter, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers
  66. bewusst zur Tatbegehung ausnutzt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom
  67. 20. Januar 2005 - 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691, 692 und vom 29. November
  68. 2007 - 4 StR 425/07, NStZ 2008, 273, 274, jeweils mwN; Beschluss vom
  69. -5-
  70. 29. November 2011 - 3 StR 326/11, NStZ 2012, 270, 271). Dabei ist für die Beurteilung einer bewussten Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers
  71. grundsätzlich auf die Lage zu Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten
  72. Angriffs und damit den Eintritt der Tat in das Versuchsstadium abzustellen (st.
  73. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 4. Juli 1984 - 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 384;
  74. vom 9. Januar 1991 - 3 StR 205/90, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13,
  75. jeweils mwN).
  76. 6
  77. Vorliegend belegen die Urteilsgründe nicht, dass die Angeklagte bei Versuchsbeginn
  78. bewusst
  79. eine
  80. Arglosigkeit
  81. des
  82. Nebenklägers
  83. ausnutzte.
  84. Allerdings versah der Nebenkläger sich offensichtlich keines Angriffs, als die
  85. Angeklagte, die die Waffe in den rückwärtigen Hosenbund gesteckt hatte, zu
  86. ihm ans Fahrzeug trat und die Pistole auf ihn richtete. In diesem Verhalten ist
  87. aber noch nicht der Beginn der Tötungshandlung zu sehen. Zwar hatte die Angeklagte zu diesem Zeitpunkt schon einen Tatentschluss gefasst, weil lediglich
  88. die Tatausführung, nicht aber der Wille zur Tat davon abhängig war, dass der
  89. Nebenkläger auch unter Vorhalt der Pistole weiterhin nicht bereit war, mit ihr
  90. ein Gespräch zu führen (vgl. S/S-Eser/Bosch, 29. Aufl., § 22 Rn. 18 f.). Doch
  91. war nach dem Tatplan ein Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung in dem Sinne, dass der Täter subjektiv die Schwelle zum "jetzt geht es los" überschreitet
  92. und objektiv ohne weitere Zwischenakte zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzt (vgl. BGH, Urteile vom 16. September 1975 - 1 StR 264/75,
  93. BGHSt 26, 201, 202 f.; vom 9. Oktober 2002 - 5 StR 42/02, BGHSt 48, 34,
  94. 35 f.), noch nicht erreicht. Vielmehr hing die Umsetzung des geplanten
  95. Tötungsverhaltens noch vom - von der Angeklagten allerdings nicht zu beeinflussenden - Eintritt der Bedingung ab, dass der Nebenkläger sie wieder abweisen würde. Erst als der Nebenkläger sich endgültig abwandte und die Angeklagte jetzt den Abzug der Waffe betätigte, setzte sie unmittelbar zur Ausfüh-
  96. -6-
  97. rung der Tötungshandlung an. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Nebenkläger aus
  98. Sicht der Angeklagten seine anfangs vorhandene Arglosigkeit jedoch verloren,
  99. da sie ihm mit vorgehaltener Pistole gedroht hatte, es werde "etwas Böses" geschehen, wenn er den Kontakt mit ihr weiter verweigere. Dass sie gewusst und
  100. bewusst ausgenutzt hätte, dass der Nebenkläger die Waffe für eine Spielzeugpistole hielt und sie deshalb nicht ernst nahm, ergibt sich aus den Feststellungen nicht.
  101. 7
  102. Zwar ist das Tatopfer auch dann arg- und wehrlos in dem bei heimtückischer Begehungsweise vorausgesetzten Sinn, wenn der Täter ihm zwar offen
  103. feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr
  104. und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt,
  105. dem Angriff irgendwie zu begegnen (vgl. etwa BGH, Urteile vom 27. Juni 2006
  106. - 1 StR 113/06, NStZ 2006, 502, 503; vom 16. Februar 2012 - 3 StR 346/11,
  107. NStZ-RR 2012, 245; Beschluss vom 19. Juni 2008 - 1 StR 217/08, NStZ 2009,
  108. 29, 30). Einen solchen Fall ergeben die Feststellungen vorliegend jedoch nicht.
  109. Den Urteilsgründen kann nicht entnommen werden, dass der Nebenkläger auf
  110. die Angeklagte, die mit ihrem Vorgehen gerade ein Gespräch mit ihm erzwingen wollte, nicht hätte verbal einwirken und so den nicht gänzlich aussichtslosen Versuch unternehmen können, diese von ihrem Vorhaben abzubringen
  111. (s. BGH, Beschluss vom 19. Juni 2008 - 1 StR 217/08, NStZ 2009, 29, 30).
  112. -7-
  113. 8
  114. Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchten Mordes lässt auch
  115. die Verurteilung wegen des tateinheitlich dazu begangenen versuchten Totschlags in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen und des Waffendelikts
  116. entfallen (KK/Gericke, StPO, 7. Aufl., § 353 Rn. 12 mwN).
  117. Becker
  118. Pfister
  119. Gericke
  120. RiBGH Dr. Schäfer befindet sich
  121. im Urlaub und ist daher
  122. gehindert zu unterschreiben.
  123. Becker
  124. Spaniol