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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 3 StR 426/12
  5. vom
  6. 20. Dezember 2012
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen Mordes
  10. -2-
  11. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Dezember
  12. 2012, an der teilgenommen haben:
  13. Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
  14. Becker,
  15. die Richter am Bundesgerichtshof
  16. Pfister,
  17. Hubert,
  18. Mayer,
  19. Richterin am Bundesgerichtshof
  20. Dr. Spaniol
  21. als beisitzende Richter,
  22. Staatsanwalt (GL)
  23. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  24. Rechtsanwalt
  25. als Verteidiger,
  26. Justizangestellte
  27. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  28. für Recht erkannt:
  29. -3-
  30. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil
  31. des Landgerichts Hannover vom 23. April 2012, soweit es
  32. den Angeklagten B.
  33. betrifft, im Strafausspruch mit den
  34. zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
  35. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
  36. Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  37. Von Rechts wegen
  38. Gründe:
  39. 1
  40. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu 14 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen richtet sich die zuungunsten des Angeklagten
  41. eingelegte, wirksam auf den Strafausspruch beschränkte und auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das - vom
  42. Generalbundesanwalt vertretene - Rechtsmittel hat Erfolg.
  43. 2
  44. Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben. Die Strafrahmenbestimmung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die
  45. -4-
  46. Anwendung des gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrundes gemäß § 46b
  47. StGB ist nicht rechtsfehlerfrei begründet.
  48. 3
  49. Der Generalbundesanwalt hat hierzu im Wesentlichen ausgeführt:
  50. "Gemäß § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB kann das Gericht anstelle ausschließlich angedrohter lebenslanger Freiheitsstrafe eine Freiheitsstrafe
  51. von nicht unter zehn Jahren verhängen, wenn der Angeklagte durch
  52. freiwilliges Offenbaren seines Wissens vor Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 46b Abs. 3 StGB) wesentlich dazu beigetragen hat, dass eine
  53. Straftat im Sinne von § 100a Abs. 2 StPO aufgedeckt werden konnte.
  54. Dabei muss sich der Beitrag des Angeklagten zur Aufklärung der Tat,
  55. sofern er an ihr beteiligt war, über den eigenen Tatbeitrag hinaus erstrecken (§ 46b Abs. 1 Satz 3 StGB). Sind diese Voraussetzungen
  56. nach den Feststellungen des Tatrichters gegeben, ist diesem ein mit
  57. der Revision nur eingeschränkt überprüfbarer Ermessensspielraum eröffnet, innerhalb dessen er aufgrund einer umfassenden Würdigung
  58. sämtlicher relevanten Umstände zu entscheiden hat, ob eine Strafmilderung nach Abs. 1 Satz 1 geboten ist (Fischer StGB 59. Aufl. § 46b
  59. Rn. 25).
  60. Das Gesetz führt hierzu in § 46b Abs. 2 StGB - nicht abschließend Kriterien auf, anhand derer die gerichtliche Entscheidung zu treffen ist
  61. (vgl. BT-Drucks. 16/6268, S. 13 und Fischer aaO Rn. 26 ff.). Während
  62. § 46b Abs. 2 Nr. 1 StGB mit der Art und dem Umfang der offenbarten
  63. Tatsachen, deren Bedeutung für die Aufklärung oder Verhinderung der
  64. Tat, dem Zeitpunkt der Offenbarung, dem Ausmaß der Unterstützung
  65. der Strafverfolgungsbehörden durch den Täter und der Schwere der
  66. Tat, auf die sich seine Angaben beziehen, vornehmlich 'aufklärungsspezifische Kriterien' umfasst, enthält § 46b Abs. 2 Nr. 2 StGB 'unrechts- und schuldspezifische Kriterien', zu denen die unter Nr. 1 genannten Gesichtspunkte ins Verhältnis zu setzen sind (Fischer aaO
  67. Rn. 27 f. und Kinzig in Schönke/Schröder StGB 28. Aufl. § 46b Rn. 16).
  68. An der danach vorzunehmenden Gesamtabwägung, der im Hinblick auf
  69. den Schuldgrundsatz besondere Bedeutung zukommt (so BVerfG NJW
  70. 1993, 190 f. zu §§ 1 und 2 der vormaligen 'Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten', Art. 4 des Gesetz[es] zur 'Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozessordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen
  71. -5-
  72. Straftaten' vom 9. Juni 1989, BGBl. I S. 1059), fehlt es im vorliegenden
  73. Fall. Das Schwurgericht hat im Rahmen seiner Ermessensausübung
  74. lediglich festgestellt, die Aussage des Angeklagten B.
  75. , ohne die
  76. der Mitangeklagte T. nicht zu überführen gewesen wäre, habe zur
  77. Aufklärung einer 'schweren Straftat' geführt und sei mit dem nicht notwendigen Geständnis verbunden gewesen, selbst an der Tat beteiligt
  78. gewesen zu sein. Dass der Angeklagte B.
  79. eine 'außerordentlich
  80. schwerwiegende Straftat' begangen habe, stehe einer Strafmilderung
  81. gemäß § 46b StGB nicht entgegen; denn andernfalls könne eine Anwendung der Norm bei Mord, für den der Gesetzgeber in § 46b Abs. 1
  82. Satz 1 letzter Halbsatz StGB eine 'spezielle Strafzumessungsregel' geschaffen habe, nie in Betracht kommen (UA S. 60 f.).
  83. Diese Ausführungen genügen für eine rechtsfehlerfreie Ausübung des
  84. in § 46b StGB eingeräumten Ermessens nicht. Sie lassen besorgen,
  85. dass das Tatgericht bei seiner Entscheidung allein 'aufklärungsspezifische Kriterien' in den Blick genommen hat, ohne diese konkret zu der
  86. Schwere des Unrechts der abgeurteilten Tat und zu dem Grad des
  87. Verschuldens des Angeklagten in Relation zu setzen. Eine besonders
  88. sorgfältige, auf den Einzelfall bezogene Abwägung aller infrage kommenden Gesichtspunkte erscheint vorliegend aber schon deshalb unentbehrlich, weil eine Strafmilderung angesichts der Gesamtumstände
  89. - vor allem der äußerst brutalen, von erheblicher krimineller Energie
  90. zeugenden und insgesamt drei Mordmerkmale erfüllenden Handlungen
  91. des Angeklagten auf der einen Seite sowie seines mehrfach wechselnden Aussageverhaltens auf der anderen Seite (zu letzterem siehe
  92. BGH, Beschluss vom 31. Oktober 1984 - 2 StR 467/84, StV 1985, 14,
  93. Beschluss vom 30. August 2011 - 2 StR 141/11, BGHR StGB § 46b
  94. Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Aufdeckung 2 und BT-Drucks. 16/6268, S. 14) nicht nahe lag.
  95. 4
  96. Dem stimmt der Senat zu.
  97. -6-
  98. 5
  99. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Vermeidung des aufgezeigten Rechtsfehlers von der fakultativen Strafmilderung abgesehen und gegen den Angeklagten die lebenslange Freiheitsstrafe verhängt
  100. hätte.
  101. Becker
  102. Pfister
  103. Mayer
  104. Hubert
  105. Spaniol