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- BUNDESGERICHTSHOF
- IM NAMEN DES VOLKES
- URTEIL
- 3 StR 189/18
- vom
- 26. Juli 2018
- in der Strafsache
- gegen
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- wegen gefährlicher Körperverletzung
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- ECLI:DE:BGH:2018:260718U3STR189.18.0
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- Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. Juli 2018,
- an der teilgenommen haben:
- Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
- Becker,
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- Richterin am Bundesgerichtshof
- Dr. Spaniol,
- die Richter am Bundesgerichtshof
- Dr. Tiemann,
- Dr. Berg,
- Hoch
- als beisitzende Richter,
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- Richter am Landgericht
- als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
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- Justizamtsinspektor
- als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
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- für Recht erkannt:
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- Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
- Landgerichts Oldenburg vom 26. Oktober 2017 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
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- Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
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- Von Rechts wegen
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- Gründe:
- 1
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt und
- deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat zu seinen
- Lasten und zu seinen Gunsten Erfolg.
- I.
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- 1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
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- a) In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 2016 misshandelten der
- heranwachsende Angeklagte und der Mitangeklagte B.
- den Nebenkläger, den die Mitangeklagte Bi.
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- gemeinschaftlich
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- mit dessen Pkw entspre-
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- chend dem gemeinsamen, unter weiterer Beteiligung der Mitangeklagten
- S.
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- gefassten Tatplan an einen einsamen Ort gelockt hatte. Der Angeklag-
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- te zerrte den Nebenkläger aus der Fahrgastzelle heraus und versetzte ihm drei
- Faustschläge. B.
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- sprühte ihm Pfefferspray in das Gesicht. Von dem ur-
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- sprünglichen Vorhaben, das Bargeld des Opfers an sich zu bringen, nahmen
- die vier Angeklagten freiwillig Abstand. Der Nebenkläger erlitt eine Schwellung
- an der rechten Schläfe, Blutungen im Gesicht sowie Rippenprellungen.
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- b) Der Angeklagte wurde bislang dreimal strafrechtlich belangt, darunter
- wie folgt:
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- aa) Mit seit dem "13.02.2014" rechtskräftigem Urteil vom "05.03.2014"
- sprach das Amtsgericht Wilhelmshaven ihn des (besonders) schweren Raubes
- schuldig, setzte die Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe aus
- und die Bewährungszeit auf zwei Jahre fest. Seither ist über die Verhängung
- der Jugendstrafe oder die Tilgung des Schuldspruchs - auch nach Ablauf der
- Bewährungszeit am "12.02.2016" - nicht entschieden.
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- bb) Am 10. April 2017 verurteilte das Amtsgericht Wilhelmshaven den
- Angeklagten wegen Körperverletzung in zwei Fällen sowie Beleidigung zu einer
- (Gesamt-)Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 30 €.
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- 2. Das Landgericht hat in der Tat hervorgetretene schädliche Neigungen
- des Angeklagten sowie die Schwere seiner Schuld angenommen und die
- Jugendstrafe in der festgesetzten Höhe für erzieherisch erforderlich sowie
- "auch für tat- und schuldangemessen" erachtet. Es hat in Ausübung seines Ermessens davon abgesehen, das Urteil des Amtsgerichts Wilhelmshaven vom
- "05.03.2014" in seine Entscheidung mit einzubeziehen; denn im Fall der Einbeziehung wäre auf ein Strafmaß zu erkennen, bei dem eine Strafaussetzung zur
- Bewährung gesetzlich ausgeschlossen wäre. Die Strafaussetzung sei aber ge-
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- boten, um dem Angeklagten zu ermöglichen, den nunmehr "eingeschlagenen
- Weg" - Berufsausbildung und Familiengründung - fortzusetzen. Die Strafaussetzung sei auch deshalb vertretbar, weil der Angeklagte die ihm anlässlich der
- Verurteilung vom "05.03.2014" auferlegte Arbeitsauflage zeitnah erfüllt habe
- und die damals festgesetzte Bewährungszeit von zwei Jahren bei Begehung
- der gegenständlichen Tat nahezu abgelaufen gewesen sei.
- II.
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- Der Strafausspruch hat keinen Bestand, weil sich das Urteil insoweit als
- rechtsfehlerhaft sowohl zum Vorteil als auch zum Nachteil des Angeklagten
- (vgl. § 301 StPO) erweist.
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- 1. Das Urteil weist den Angeklagten bevorteilende Rechtsfehler auf, soweit die Jugendkammer davon abgesehen hat, auf eine einheitliche Jugendstrafe zu erkennen; das gilt sowohl für eine unter Umständen in Betracht kommende Einbeziehung seiner Verurteilung durch das Amtsgericht Wilhelmshaven am
- 10. April 2017 als auch die erwogene Einbeziehung dessen Urteils vom
- "05.03.2014".
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- a) Der Strafausspruch hält sachlich rechtlicher Prüfung bereits deshalb
- nicht stand, weil in den Urteilsgründen der Vollstreckungsstand der Geldstrafe
- aus dem Erkenntnis des Amtsgerichts Wilhelmshaven vom 10. April 2017 nicht
- mitgeteilt wird, so dass der Senat nicht beurteilen kann, ob die Jugendkammer
- zu Recht davon abgesehen hat, eine Entscheidung über die Einbeziehung dieser Verurteilung zu treffen. Insoweit leidet das angefochtene Urteil an einem
- Darstellungsmangel.
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- Den Urteilsgründen lässt sich noch entnehmen, dass dieses der gegenständlichen Tat nachfolgende Erkenntnis vom 10. April 2017 rechtskräftig ist.
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- Indes bleibt unklar, ob die Geldstrafe schon erledigt ist. Anderenfalls hätte die
- Jugendkammer gemäß § 105 Abs. 1, 2 i.V.m. § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1
- JGG die Einbeziehung prüfen müssen; denn § 105 Abs. 2 JGG ist auch dann
- anzuwenden, wenn - wie hier - der Angeklagte die zuvor mit Freiheits- oder
- Geldstrafe geahndeten Straftaten als Erwachsener beging (vgl. BGH, Urteil vom
- 2. Mai 1990 - 2 StR 64/90, BGHSt 37, 34; Beschlüsse vom 24. September 1993
- - 2 StR 493/93, BGHR JGG § 31 Abs. 2 Einbeziehung 9; vom 21. Dezember
- 2011 - 4 StR 596/11, juris Rn. 2). Ein Absehen von der Einbeziehung, ohne
- dass sich die Urteilsgründe zu der gebotenen Prüfung verhalten, begründet
- einen Rechtsfehler (s. BGH, Beschlüsse vom 1. Juni 2010 - 4 StR 208/10, StV
- 2011, 590; vom 26. Februar 2013 - 2 StR 507/12, juris Rn. 3, 5; vom 21. September 2017 - 2 StR 327/17, juris Rn. 19).
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- b) Darüber hinaus begegnet der Strafausspruch durchgreifenden rechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Nichteinbeziehung des früheren Urteils vom
- "05.03.2014", mit dem gemäß § 27 JGG die Entscheidung über die Verhängung
- der Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden war. Die Jugendkammer
- hat bei der Prüfung, ob sie von dessen Einbeziehung nach § 105 Abs. 1 i.V.m.
- § 30 Abs. 3 Satz 1 JGG in Ausübung tatrichterlichen Ermessens absieht, einen
- unzutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt.
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- aa) Nach § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG ist bei der Ahndung von Straftaten
- nach Jugendstrafrecht, wenn eine anderweitige, bereits rechtskräftige Verurteilung zu einer Sanktion gemäß § 27 JGG noch nicht erledigt ist, grundsätzlich
- auf eine einheitliche Rechtsfolge zu erkennen (vgl. Eisenberg, JGG, 20. Aufl.,
- § 31 Rn. 16, 26). Die Einbeziehung der früheren Verurteilung darf nur ausnahmsweise unterbleiben, wenn dies aus erzieherischen Gründen zweckmäßig
- ist (§ 31 Abs. 3 Satz 1 JGG). Ein Absehen von der Einbeziehung erfordert
- Gründe, die unter dem Aspekt der Erziehung von besonderem Gewicht sind
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- und zur Verfolgung dieses Zwecks über die üblichen Strafzumessungsgesichtspunkte hinaus das Nebeneinander zweier Jugendstrafen notwendig erscheinen
- lassen (vgl. BGH, Urteile vom 7. November 1988 - 1 StR 620/88, BGHSt 36, 37,
- 42 ff.; vom 31. Oktober 1995 - 5 StR 470/94, NStZ-RR 1996, 120 f.; Beschluss
- vom 8. April 1997 - 4 StR 31/97, BGHR JGG § 31 Abs. 3 Nichteinbeziehung 2;
- Urteil vom 9. August 2001 - 1 StR 211/01, NJW 2002, 73, 77; Beschlüsse vom
- 9. Juli 2004 - 2 StR 150/04, StraFo 2004, 394; vom 1. Juni 2010 - 4 StR 208/10,
- StV 2011, 590). Erst wenn solche Gründe festgestellt sind, ist der tatrichterliche
- Ermessensspielraum eröffnet.
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- bb) Die Jugendkammer ist indes von einem abweichenden rechtlichen
- Ansatz ausgegangen. Unter Berufung auf eine Fundstelle in der Kommentarliteratur (Schatz in Diemer/Schatz/Sonnen, JGG, 7. Aufl., § 31 Rn. 60) hat sie angenommen, dass zu dem Zweck, eine Strafaussetzung zur Bewährung zu ermöglichen, die Verhängung einer zweiten selbständigen Jugendstrafe bereits
- dann zulässig sei, wenn in dem Fall, dass auf eine Einheitsjugendstrafe erkannt
- würde, wegen deren Höhe eine Aussetzung der Vollstreckung ausgeschlossen
- sei, eine derartige Entscheidung aber "erzieherisch noch zu vertreten" sei.
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- Dieser Ansatz stimmt mit der dargelegten - vom Bundesgerichtshof in
- ständiger Rechtsprechung vorgenommenen - Auslegung des § 31 Abs. 3 Satz 1
- JGG nicht überein; denn eine erzieherisch noch vertretbare Aussetzung der
- Vollstreckung ist nicht gleichbedeutend mit einem Umstand, der unter dem Erziehungsaspekt von besonderem Gewicht ist. Gleiches gilt für eine günstige
- Prognose im Sinne des § 21 JGG (ebenso Eisenberg, JGG, 20. Aufl., § 31
- Rn. 32). Unter dem Gesichtspunkt, die Strafaussetzung zur Bewährung zu ermöglichen, ist vielmehr für ein Absehen von der Einbeziehung vonnöten, dass
- - über eine solche Prognoseentscheidung hinaus - erzieherische Gründe von
- besonderem Gewicht das Nebeneinander zweier Jugendstrafen gebieten (vgl.
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- OLG Düsseldorf, Urteil vom 3. Mai 1983 - 2 Ss 34/83 - 43/83 II, MDR 1983,
- 956; Brunner/Dölling, JGG, 13. Aufl., § 31 Rn. 29). Aus dem in den Urteilsgründen angeführten Urteil des Bundesgerichtshofs vom 31. Oktober 1995 (5 StR
- 470/94, NStZ-RR 1996, 120 f.) ergibt sich nichts anderes.
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- Erzieherische Gründe von besonderem Gewicht, die gegen eine Einheitsjugendstrafe sprächen, hat die Jugendkammer - als Folge des von ihr zugrunde gelegten unzutreffenden rechtlichen Maßstabs - nicht dargetan. Soweit
- in den Urteilsgründen ausgeführt ist, dass der Angeklagte zweieinhalb Monate
- vor Urteilsverkündung eine Ausbildung zum Gerüstbauer aufnahm und seine
- Lebensgefährtin, die Mitangeklagte S.
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- , von ihm kurze Zeit nach Urteils-
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- verkündung ein Kind erwartet, steht dies - für sich gesehen - nicht in Beziehung
- zum Erziehungsgedanken. Ob die Erfüllung der gerichtlichen Arbeitsauflage im
- Jahr 2014 und die Begehung der gegenständlichen Tat "erst" kurz vor Ablauf
- der anlässlich der Vorverurteilung vom "05.03.2014" festgesetzten Bewährungszeit taugliche Kriterien bieten, um die Nichteinbeziehung dieses strafrechtlichen Erkenntnisses als erzieherisch noch vertretbar erscheinen zu lassen,
- braucht der Senat nicht zu entscheiden. Es lässt sich jedenfalls ausschließen,
- dass diese Umstände unter dem Erziehungsaspekt ein besonderes Gewicht
- haben. Dahinstehen kann, ob sich dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen lässt, dass das Urteil vom "05.03.2014" am 13. März 2014
- (nicht am "13.02.2014" [vor Urteilserlass]) rechtskräftig geworden war und somit
- die Bewährungszeit am 12. März 2016 (nicht am "12.02.2016") endete, anderenfalls - sollte es sich bei dem Datum des Urteilserlasses um ein Schreibversehen handeln - die auf den 13./14. Februar 2016 datierende gegenständliche
- Tat nicht in die Bewährungszeit fiele.
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- cc) Hinzu kommt, dass der Angeklagte zur Zeit der Hauptverhandlung
- drei Monate vor Vollendung des 22. Lebensjahrs stand und er somit bereits als
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- im strafrechtlichen Sinne erwachsen galt. Im Rahmen der Prüfung des § 31
- Abs. 3 Satz 1 JGG wäre daher zu bedenken gewesen, dass dem Erziehungsgedanken nur noch ein geringeres Gewicht zukommen kann (vgl. Eisenberg,
- JGG, 20. Aufl., § 31 Rn. 28 aE; kritisch zu einem staatlichen Erziehungsrecht
- gegenüber Erwachsenen Senatsbeschluss vom 20. August 2015 - 3 StR
- 214/15, NStZ 2016, 101 f. mwN). Umso weniger liegt es hier nahe, dass erzieherische Gründe von besonderem Gewicht eine Ausnahme vom Grundsatz der
- Einheitsjugendstrafe gebieten könnten.
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- 2. Das Urteil weist den Angeklagten benachteiligende Rechtsfehler auf
- (vgl. § 301 StPO), soweit die Jugendkammer die - gesondert verhängte - Jugendstrafe dem Grunde und der Höhe nach festgesetzt hat.
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- Die Jugendkammer hat die Schwere der Schuld im Sinne von § 17
- Abs. 2 Alternative 2 JGG unter anderem damit begründet, der Angeklagte habe
- einen Raub begehen wollen, was besondere charakterliche Mängel offenbare
- (s. UA S. 23 f.). Diesen Umstand hat sie außerdem - an der Wertung festhaltend - bei der konkreten Strafbemessung strafschärfend berücksichtigt. Die
- "Vorverurteilung vom 05.03.2014, die auch (sic!) eine Raubhandlung zum Gegenstand" gehabt habe, habe er sich "offenkundig … nicht zur Warnung dienen
- lassen" (UA S. 24).
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- Diese Darlegungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Im Fall
- eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch - wie hier vom versuchten besonders
- schweren Raub - ist die schulderhöhende Berücksichtigung des zunächst gegebenen Vollendungsvorsatzes im Rahmen der Prüfung der Schwere der
- Schuld jedenfalls dann rechtsfehlerhaft, wenn nicht - anders als hier - der Umstand der freiwilligen Abkehr von diesem Vorsatz gleichermaßen in den Blick
- genommen wird. Erst beide Gesichtspunkte gemeinsam ergeben das Tatbild,
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- das in der spezifisch jugendstrafrechtlichen Beurteilung der Schuldschwere zu
- bewerten ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. April 2016 - 2 StR 320/15, BGHSt 61,
- 188). Gleiches muss für die Bestimmung der Höhe der Jugendstrafe gelten.
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- Während allerdings die Entscheidung, überhaupt Jugendstrafe zu verhängen, nicht auf der Annahme der Schuldschwere beruht, weil die Jugendkammer zugleich rechtsfehlerfrei schädliche Neigungen im Sinne von § 17
- Abs. 2 Alternative 1 JGG bejaht hat, lässt sich nicht ausschließen, dass sie auf
- eine geringere Jugendstrafe erkannt hätte, wenn sie den Angeklagten der Sache nach nicht einseitig als Wiederholungstäter unter dem Gesichtspunkt eines
- Raubdelikts betrachtet hätte, sondern das freiwillige Abstandnehmen von der
- weiteren Tatausführung ebenfalls berücksichtigt hätte.
- Becker
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- Spaniol
- Berg
-
- Tiemann
- Hoch
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