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287 lines
12 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 3 StR 117/11
  5. vom
  6. 30. Juni 2011
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen Betruges u.a.
  10. -2-
  11. Der
  12. 3. Strafsenat
  13. des
  14. Bundesgerichtshofs
  15. hat
  16. in
  17. der
  18. Sitzung
  19. vom
  20. 30. Juni 2011, an der teilgenommen haben:
  21. Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
  22. Becker,
  23. die Richter am Bundesgerichtshof
  24. von Lienen,
  25. Dr. Schäfer,
  26. Mayer,
  27. Richterin am Bundesgerichtshof
  28. Dr. Menges
  29. als beisitzende Richter,
  30. Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
  31. Staatsanwalt (GL)
  32. - bei der Verkündung -
  33. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  34. Justizangestellte
  35. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  36. für Recht erkannt:
  37. - in der Verhandlung - ,
  38. -3-
  39. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
  40. Landgerichts Osnabrück vom 31. August 2010 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
  41. - im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen A. II. 1. a) ii)
  42. und b) dd) Nr. 2, 3, 6, 8 und 10 der Urteilsgründe,
  43. - in den Aussprüchen über die Gesamtfreiheitsstrafe und die Gesamtgeldstrafe.
  44. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
  45. und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und
  46. die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  47. Von Rechts wegen
  48. Gründe:
  49. 1
  50. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 20 Fällen [A. II.
  51. 1. a) ii) Nr. 1 bis 8; b) dd) Nr. 1 bis 12 der Urteilsgründe] zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung
  52. ausgesetzt hat. Wegen Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln
  53. ohne Verschreibung an Verbraucher in 90 Fällen (A. II. 2. der Urteilsgründe) hat
  54. -4-
  55. es daneben auf eine Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen erkannt. Die
  56. Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer zum Nachteil des Angeklagten eingelegten, auf die Rügen der Verletzung des materiellen und des formellen Rechts
  57. gestützten Revision die Bemessung der Einzelstrafen in 13 der Betrugstaten
  58. [A. II. 1. a) ii); b) dd) Nr. 2, 3, 6, 8 und 10 der Urteilsgründe] und der Gesamtfreiheitsstrafe. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensrüge kommt es nicht mehr an.
  59. 2
  60. 1. Das Landgericht hat, soweit die Anfechtung reicht, folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
  61. 3
  62. a) Der seinerzeit als selbständiger Apotheker tätige Angeklagte fasste
  63. Anfang des Jahres 2006 den Entschluss, sich durch betrügerische Rezeptabrechnungen gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen aus wiederholter Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang
  64. zu verschaffen. Zu seinen Kunden gehörte Y.
  65. S.
  66. , Ah.
  67. und A.
  68. Z.
  69. , dessen Kinder
  70. von Kinderärzten des Universitätsklinikums M.
  71. seit Januar 2006 regelmäßig das täglich zu spritzende wachstumsfördernde
  72. Hormonpräparat "Humatrope" verschrieben bekamen. Das Präparat wird von
  73. L. -Pharma für den europäischen Markt hergestellt und zum NettoVerkaufspreis von 5.566,13 € je Zehnerpackung Ampullen à 12 mg vertrieben.
  74. Statt von L. -Pharma oder von zugelassenen Pharmagroßhändlern bezog der
  75. Angeklagte seinem Tatplan entsprechend das von ihm an die Familie
  76. Z.
  77. abgegebene (Original-)Präparat aber in der überwiegenden Anzahl der Fälle für
  78. 1.200 bis 1.500 € je Zehnerpackung auf dem grauen Arzneimittelmarkt. Die von
  79. ihm dort erworbenen Produkte waren uneingeschränkt tauglich; ihr günstiger
  80. Preis erklärte sich aus einem teilweisen Verstreichen der Verfallsfrist und aus
  81. der "rechnungslosen" Lieferung.
  82. -5-
  83. 4
  84. Von der zuständigen AOK N.
  85. ließ sich der Angeklagte die
  86. Abgabe dieser Präparate indes - abzüglich der anfallenden Rabatte und Skonti - in allen Fällen nach Maßgabe des Verkaufspreises der L. -Pharma erstatten. Ihm war bekannt, dass die Abgabe von Medikamenten, die ohne Rechnung auf dem grauen Markt erworben waren, nach den sozialrechtlichen Vorschriften von vornherein keinen Anspruch des Apothekers gegen die gesetzlichen Krankenkassen auslöst. Zur Täuschung der für die Auszahlungsanordnung zuständigen Kassenmitarbeiter, die, wie er wusste, die Berechtigung von
  87. Ansprüchen auch manuell zumindest stichprobenartig anhand der eingereichten Rezepte überprüfen, nutzte er den Umstand aus, dass auf den ärztlichen
  88. Verordnungen die an L. -Pharma für deren Direktlieferungen vergebene sogenannte Pharmazentralnummer bereits aufgedruckt war. Wie dem Angeklagten
  89. bewusst war, gingen die Mitarbeiter der Kasse bei Einreichung einer solchen
  90. Verordnung davon aus, dass der Apotheker das Präparat auch auf dem entsprechenden vorschriftsmäßigen Wege beschafft hatte.
  91. 5
  92. Auf diese Weise rechnete der Angeklagte gegenüber der AOK N.
  93. in den Jahren 2006 und 2007 - verteilt auf acht einzelne Abrechnungsmonate - die Abgabe von insgesamt 18 Packungen "Humatrope" an die
  94. Familie
  95. Z.
  96. mit dem Direktverkaufspreis der L.
  97. -Pharma ab, obwohl er die-
  98. se tatsächlich auf dem grauen Arzneimittelmarkt bezogen hatte [Fälle A. II. 1. a)
  99. ii) der Urteilsgründe]. Nach Abzug der anfallenden Rabatte und Skonti entstand
  100. der AOK N.
  101. 6
  102. hieraus ein Gesamtschaden von 103.685 €.
  103. Entsprechend rechnete der Angeklagte in fünf Abrechnungsmonaten des
  104. Jahres 2008 fünf weitere Verschreibungen des Präparats ab [Fälle A. II. 1. b)
  105. dd), Nr. 2, 3, 6, 8 und 10 der Urteilsgründe]. In diesen Fällen reichte er die Rezepte zwar jeweils zusammen mit Verordnungen ein, auf die er - wie in den üb-
  106. -6-
  107. rigen sieben Taten - keine Medikamente an Patienten abgegeben hatte, sei es
  108. im Einvernehmen mit diesen, sei es aufgrund fingierter Rezepte eines mit ihm
  109. zusammenwirkenden Arztes. Die Höhe des den Krankenkassen hieraus entstandenen Schadens wird indes auch hier maßgeblich durch das teure, von der
  110. AOK N.
  111. erstattete Präparat "Humatrope" bestimmt; er beträgt ins-
  112. gesamt 58.219 €.
  113. 7
  114. b) Bei der Bemessung der Einzelstrafen für die dargestellten 13 Betrugstaten hat das Landgericht unter anderem strafmildernd berücksichtigt, dass es
  115. sich bei den Abrechnungen für die vom Angeklagten auf dem grauen Markt bezogenen Einheiten des Präparats "Humatrope" lediglich um sozialrechtliche
  116. Formalverstöße gehandelt habe. Bei deren Einkauf über L. -Pharma oder zugelassene Großhändler hätte die AOK N.
  117. die betrügerisch erwirk-
  118. ten Zahlungen leisten müssen. Medizinische Nachteile seien durch die Taten
  119. nicht entstanden. Weder habe der Angeklagte den Kindern der Familie
  120. Z.
  121. das von ihnen benötigte Medikament (im Zusammenwirken mit dem Vater) vorenthalten noch hätten gegen die auf dem grauen Markt beschafften Präparate
  122. aus medizinischer Sicht Bedenken bestanden.
  123. 8
  124. c) Die Feststellung, der Angeklagte habe das der Familie
  125. Z.
  126. ver-
  127. schriebene Präparat, soweit er es nicht von L. -Pharma oder zugelassenen
  128. Großhändlern bezogen habe, jeweils auf dem grauen Arzneimittelmarkt eingekauft, stützt das Landgericht auf dessen geständige Einlassung, von deren Unrichtigkeit in diesem Punkt es sich nicht hat überzeugen können.
  129. Z.
  130. und
  131. die Kinder hätten in der Hauptverhandlung von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Die Befragung der Mitarbeiter des Angeklagten sei
  132. insoweit unergiebig geblieben. Aufgezeichnete Telefongespräche, in denen
  133. sich
  134. Z.
  135. mit dem Angeklagten und dem früheren Mitangeklagten C.
  136. -7-
  137. über die Abgabe von "Spritzen" und Geldzahlungen des Angeklagten unterhalten habe, ließen keinen eindeutigen Schluss darauf zu, dass die Abgabe des
  138. Präparats lediglich vorgetäuscht worden sei, zumal
  139. Z.
  140. an Diabetes gelitten
  141. habe. In dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren habe dieser derartige Vorwürfe bestritten. Der Angeklagte habe bereits im Ermittlungsverfahren bei der
  142. Polizei als Beschuldigter ausgesagt; zwischen seiner Einlassung in der Hauptverhandlung und seinen Angaben im Ermittlungsverfahren seien "keine wesentlichen Widersprüche festzustellen".
  143. 9
  144. 2. Die Beschwerdeführerin rügt zu Recht, dass die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe die den Kindern der Familie
  145. Z. verordneten
  146. Medikamente, soweit er sie nicht von L. -Pharma direkt bezogen habe, auf
  147. dem grauen Arzneimittelmarkt eingekauft und tatsächlich an die Patienten abgegeben, einer sie tragenden lückenlosen Beweiswürdigung entbehrt.
  148. 10
  149. Wie das Urteil mitteilt, hat sich der Angeklagte bei der oben erwähnten
  150. polizeilichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren dahin eingelassen, er habe
  151. "etwa Mitte 2006" Besuch von einem Pharmavertreter erhalten. Dieser habe ihn
  152. darauf hingewiesen, aus einer Datenbank werde ersichtlich, dass in seiner
  153. - des Angeklagten - Apotheke "regelmäßig" das Medikament "Humatrope" verkauft werde. Er könne ihm das Medikament, allerdings mit einer geringeren
  154. Haltbarkeitsdauer, zu einem deutlich günstigeren Preis beschaffen. Andererseits hat das Landgericht festgestellt, dass den Kindern der Familie
  155. Z. die-
  156. ses Präparat seit Januar 2006 regelmäßig verschrieben wurde und dass den
  157. vom Angeklagten abgerechneten Verordnungen vom 17. Januar und 18. April
  158. 2006 über insgesamt fünf Einheiten "Humatrope" zu je 6.659,80 € [Fälle A. II.
  159. 1. a) ii) Nr. 1 und 2 der Urteilsgründe] gerade kein Direktbezug des Medikaments von L. -Pharma zuzuordnen ist. Von einem (teilweisen) Direktbezug
  160. -8-
  161. geht das Landgericht vielmehr erst in Bezug auf die Folgeverordnung vom
  162. 11. Juli 2006 aus. Mit diesem Widerspruch hätte sich das Landgericht auseinandersetzen müssen, denn er ist geeignet, grundsätzliche Zweifel an der
  163. Glaubwürdigkeit der Einlassung des Angeklagten zu erwecken.
  164. 11
  165. Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich das Landgericht bei Beachtung dieses Widerspruchs in den Aussagen des Angeklagten von der Unglaubhaftigkeit seiner Angaben über den Bezug des Medikaments überzeugt
  166. und infolgedessen in den fraglichen Fällen auf höhere Einzelstrafen erkannt
  167. hätte, da ein von ihm als bestimmend erachteter mildernder Strafzumessungsgesichtspunkt nicht vorgelegen hätte. Dies führt zur Aufhebung dieser Einzelstrafen sowie der Gesamtfreiheitsstrafe.
  168. 3. Der Aufhebung unterliegt auch die vom Landgericht wegen der 90 Fälle
  169. der Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln verhängte Gesamtgeldstrafe. Zwar hat die Beschwerdeführerin ihr Rechtsmittel auf den Ausspruch über die Einzelstrafen in den 13 Betrugsfällen und die Gesamtfreiheitsstrafe beschränkt. Diese Beschränkung ist insoweit jedoch unwirksam und damit unbeachtlich, denn die genannten Einzelstrafen und die hierauf beruhende
  170. Gesamtfreiheitsstrafe stehen mit der gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB gesondert festgesetzten Geldstrafe in einem untrennbaren Zusammenhang, der eine
  171. losgelöste Beurteilung in rechtlicher und in tatsächlicher Hinsicht ausschließt.
  172. Erwüchse die Verurteilung zu Geldstrafe unabhängig von den Strafaussprüchen im Übrigen in Rechtskraft, so könnten die weggefallenen Strafen nicht
  173. neu bemessen werden, ohne das Urteil insgesamt der Gefahr innerer Widersprüche auszusetzen. Deutlich wird dies schon dadurch, dass der neue Tatrichter aus Rechtsgründen nicht gehindert wäre, insoweit ebenfalls auf Geldstrafe
  174. zu erkennen, was entgegen § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB eine Mehrzahl isolierter
  175. -9-
  176. (Gesamt-)Geldstrafen zur Folge hätte. Vor allem aber hat der Tatrichter seine
  177. Entscheidung, ob er nach dieser Vorschrift gesondert auf Geldstrafe erkennt,
  178. danach zu treffen, welche Ahndung der Taten er insgesamt für schuldangemessen hält (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 1998 - 1 StR 132/98, StV 1999,
  179. 598; Urteil vom 27. Juni 1990 - 3 StR 169/90, NJW 1990, 2897; Urteil vom
  180. 17. Januar 1989 - 1 StR 730/88, BGHR StGB § 53 Abs. 2 Einbeziehung 1).
  181. 12
  182. Ob die rechtskräftig verhängten Einzelgeldstrafen in eine Gesamtstrafe
  183. einzubeziehen sind, bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung.
  184. Becker
  185. von Lienen
  186. Mayer
  187. Schäfer
  188. Menges