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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 2 StR 59/09
  5. vom
  6. 29. April 2009
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen Vergewaltigung u. a.
  10. -2-
  11. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. April
  12. 2009, an der teilgenommen haben:
  13. Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
  14. Dr. Rissing-van Saan
  15. und die Richter am Bundesgerichtshof
  16. Rothfuß,
  17. Dr. Appl,
  18. Cierniak,
  19. Prof. Dr. Schmitt,
  20. Staatsanwalt
  21. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  22. Justizangestellte
  23. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  24. für Recht erkannt:
  25. -3-
  26. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 12. November 2008 im Strafausspruch mit den
  27. zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
  28. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
  29. und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  30. Von Rechts wegen
  31. Gründe:
  32. 1
  33. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern zu einer Freiheitsstrafe
  34. von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt
  35. hat; ferner hat es eine Entscheidung im Adhäsionsverfahren getroffen. Mit dem
  36. wirksam auf den Strafausspruch beschränkten, zu Lasten des Angeklagten eingelegten Rechtsmittel rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen
  37. Rechts. Die Revision hat Erfolg.
  38. 2
  39. 1. Nach den Feststellungen begab sich der Angeklagte am 22. August
  40. 2008 auf Grund eines spontan gefassten Entschlusses in die Mädchentoilette
  41. des Förderzentrums in S.
  42. , um sich einer der jüngeren Schülerinnen in se-
  43. xueller Weise zu nähern. Als die am
  44. Se.
  45. 1999 geborene Geschädigte
  46. die Toilettenkabine verlassen wollte, ergriff er das völlig über-
  47. -4-
  48. raschte Mädchen an beiden Armen, drückte es in die Kabine zurück und veranlasste es, sich auf die Toilette zu setzen. Er öffnete seine Hose, holte seinen
  49. Penis hervor und forderte das verängstigte Kind, das keine Möglichkeit hatte,
  50. sich aus der engen Toilettenbox zu entfernen, auf, "ihm einen zu blasen". Das
  51. Mädchen ergriff den Penis des Angeklagten und steckte dessen vorderen Teil nicht von einem Kondom geschützt - für wenige Augenblicke in ihren Mund; zu
  52. einer Ejakulation gelangte der Angeklagte nicht. Als er bemerkte, dass das Kind
  53. zu weinen begann, ließ er sofort von ihm ab.
  54. Das Landgericht hat die Strafe gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB dem
  55. 3
  56. Strafrahmen des § 176 a Abs. 4 Fall 2 StGB entnommen; die Voraussetzungen
  57. des Regelbeispiels in § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB hat das Landgericht verneint, weil der erzwungene Oralverkehr das Opfer nicht besonders erniedrigt
  58. habe; insoweit liege ein minder schwerer Fall gemäß § 177 Abs. 5 Fall 1 StGB
  59. vor.
  60. 4
  61. 2. Die Strafrahmenwahl des Landgerichts begegnet durchgreifenden
  62. rechtlichen Bedenken.
  63. 5
  64. a) Die Begründung, mit der das Landgericht die Voraussetzungen des
  65. Regelbeispiels in § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB verneint hat, ist nicht frei von
  66. Rechtsfehlern. Nach dieser Vorschrift liegt ein besonders schwerer Fall unter
  67. anderem dann in der Regel vor, wenn der Täter mit dem Opfer den Beischlaf
  68. vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt, die dieses
  69. besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den
  70. Körper verbunden sind (Vergewaltigung). Dem das Regelbeispiel einschränkenden Merkmal der "besonderen Erniedrigung" kommt in Fällen des Oral- und
  71. Analverkehrs regelmäßig keine eigenständige Bedeutung zu, weil sich hierbei
  72. der erniedrigende Charakter der sexuellen Handlung im Regelfall von selbst
  73. -5-
  74. versteht; der Gesetzgeber wollte neben dem Beischlaf als Regelbild besonders
  75. schwerer Fälle die orale und anale Penetration erfassen (BGH NJW 2000, 672,
  76. 673). Jedenfalls in den Fällen des Anal- und Oralverkehrs ist eine ausdrückliche
  77. Erörterung der besonders erniedrigenden Wirkung im tatrichterlichen Urteil entbehrlich (vgl. BGH NStZ 2000, 254, 255; Fischer, StGB 56. Aufl. § 177
  78. Rdn. 68).
  79. 6
  80. Anhaltspunkte, die dem erzwungenen Oralverkehr hier die erniedrigende
  81. Wirkung nehmen könnten, ergeben sich aus dem angefochtenen Urteil nicht. Im
  82. Gegenteil belegt das festgestellte Tatbild, dass der Angeklagte die Geschädigte
  83. zum bloßen Objekt seiner sexuellen Willkür herabgewürdigt hat (vgl. auch
  84. Schönke/Schröder-Lenckner/Peron/Eisele, StGB 27. Aufl. § 177 Rdn. 20): Er
  85. überfiel sein kindliches Opfer an einem Ort, wo es sich keines Angriffs versah
  86. und zwang es dort zur Vornahme des ungeschützten Oralverkehrs. Die von der
  87. Strafkammer angeführten Umstände - die geringe Tiefe des Eindringens, dessen kurze Dauer sowie das Ausbleiben eines Samenergusses - sind nicht geeignet, dem Tatgeschehen die erniedrigende Wirkung für das Tatopfer zu nehmen. Der von der Strafkammer zum Beleg seiner gegenteiligen Auffassung herangezogene Beschluss des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom
  88. 20. März 2001 (NStZ 2001, 369) betraf den Fall eines grundsätzlich gegen Entgelt zu sexuellen Handlungen bereiten Tatopfers. Schon diese Auffassung teilt
  89. der Senat nicht (vgl. Senat, Beschl. vom 10. Dezember 2008 – 2 StR 517/08);
  90. ein Vergleich mit der hier gegebenen Konstellation eines sexuell motivierten
  91. Überfalls auf eine neunjährige Schülerin in der Toilettenanlage ihrer Schule erscheint dem Senat darüber hinaus unangebracht.
  92. 7
  93. b) Zwar kann der Tatrichter auch dann, wenn die Voraussetzungen für
  94. die Annahme des Regelbeispiels der Vergewaltigung in § 177 Abs. 2 Satz 2
  95. Nr. 1 StGB erfüllt sind, ausnahmsweise nach umfassender Prüfung des gesam-
  96. -6-
  97. ten Tatbilds einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit von der Regelwirkung abweichen; eine solche Ermessensentscheidung
  98. (vgl. BGH, Beschl. vom 30. Oktober 2008 – 3 StR 375/08 Tz. 18) hat der Tatrichter hier jedoch nicht getroffen. Der Senat kann sie als Revisionsgericht nicht
  99. nachholen. Nur in einem solchen Fall, in dem ausnahmsweise die Regelwirkung
  100. des § 177 Abs. 2 StGB entfällt, kann sich die weitere Frage eines minder
  101. schweren Falles nach § 177 Abs. 5 Fall 1 StGB überhaupt stellen (vgl. BGH StV
  102. 2000, 557; 2008, 81; Urt. vom 26. Oktober 2000 – 4 StR 319/00; Fischer aaO
  103. Rdn. 74). Daher beruht die Annahme des Landgerichts, es sei in Anwendung
  104. des § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB der Strafrahmen des § 176 a Abs. 4 Fall 2 StGB
  105. zu Grunde zu legen, auf einem zum Strafausspruch durchgreifenden Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten.
  106. Rissing-van Saan
  107. Rothfuß
  108. Cierniak
  109. Appl
  110. Schmitt