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- BUNDESGERICHTSHOF
- IM NAMEN DES VOLKES
- URTEIL
- 2 StR 59/09
- vom
- 29. April 2009
- in der Strafsache
- gegen
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- wegen Vergewaltigung u. a.
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- Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. April
- 2009, an der teilgenommen haben:
- Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
- Dr. Rissing-van Saan
- und die Richter am Bundesgerichtshof
- Rothfuß,
- Dr. Appl,
- Cierniak,
- Prof. Dr. Schmitt,
- Staatsanwalt
- als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
- Justizangestellte
- als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
- für Recht erkannt:
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- Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 12. November 2008 im Strafausspruch mit den
- zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
- Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
- und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
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- Von Rechts wegen
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- Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern zu einer Freiheitsstrafe
- von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt
- hat; ferner hat es eine Entscheidung im Adhäsionsverfahren getroffen. Mit dem
- wirksam auf den Strafausspruch beschränkten, zu Lasten des Angeklagten eingelegten Rechtsmittel rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen
- Rechts. Die Revision hat Erfolg.
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- 1. Nach den Feststellungen begab sich der Angeklagte am 22. August
- 2008 auf Grund eines spontan gefassten Entschlusses in die Mädchentoilette
- des Förderzentrums in S.
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- , um sich einer der jüngeren Schülerinnen in se-
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- xueller Weise zu nähern. Als die am
- Se.
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- 1999 geborene Geschädigte
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- die Toilettenkabine verlassen wollte, ergriff er das völlig über-
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- raschte Mädchen an beiden Armen, drückte es in die Kabine zurück und veranlasste es, sich auf die Toilette zu setzen. Er öffnete seine Hose, holte seinen
- Penis hervor und forderte das verängstigte Kind, das keine Möglichkeit hatte,
- sich aus der engen Toilettenbox zu entfernen, auf, "ihm einen zu blasen". Das
- Mädchen ergriff den Penis des Angeklagten und steckte dessen vorderen Teil nicht von einem Kondom geschützt - für wenige Augenblicke in ihren Mund; zu
- einer Ejakulation gelangte der Angeklagte nicht. Als er bemerkte, dass das Kind
- zu weinen begann, ließ er sofort von ihm ab.
- Das Landgericht hat die Strafe gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB dem
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- Strafrahmen des § 176 a Abs. 4 Fall 2 StGB entnommen; die Voraussetzungen
- des Regelbeispiels in § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB hat das Landgericht verneint, weil der erzwungene Oralverkehr das Opfer nicht besonders erniedrigt
- habe; insoweit liege ein minder schwerer Fall gemäß § 177 Abs. 5 Fall 1 StGB
- vor.
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- 2. Die Strafrahmenwahl des Landgerichts begegnet durchgreifenden
- rechtlichen Bedenken.
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- a) Die Begründung, mit der das Landgericht die Voraussetzungen des
- Regelbeispiels in § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB verneint hat, ist nicht frei von
- Rechtsfehlern. Nach dieser Vorschrift liegt ein besonders schwerer Fall unter
- anderem dann in der Regel vor, wenn der Täter mit dem Opfer den Beischlaf
- vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt, die dieses
- besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den
- Körper verbunden sind (Vergewaltigung). Dem das Regelbeispiel einschränkenden Merkmal der "besonderen Erniedrigung" kommt in Fällen des Oral- und
- Analverkehrs regelmäßig keine eigenständige Bedeutung zu, weil sich hierbei
- der erniedrigende Charakter der sexuellen Handlung im Regelfall von selbst
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- versteht; der Gesetzgeber wollte neben dem Beischlaf als Regelbild besonders
- schwerer Fälle die orale und anale Penetration erfassen (BGH NJW 2000, 672,
- 673). Jedenfalls in den Fällen des Anal- und Oralverkehrs ist eine ausdrückliche
- Erörterung der besonders erniedrigenden Wirkung im tatrichterlichen Urteil entbehrlich (vgl. BGH NStZ 2000, 254, 255; Fischer, StGB 56. Aufl. § 177
- Rdn. 68).
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- Anhaltspunkte, die dem erzwungenen Oralverkehr hier die erniedrigende
- Wirkung nehmen könnten, ergeben sich aus dem angefochtenen Urteil nicht. Im
- Gegenteil belegt das festgestellte Tatbild, dass der Angeklagte die Geschädigte
- zum bloßen Objekt seiner sexuellen Willkür herabgewürdigt hat (vgl. auch
- Schönke/Schröder-Lenckner/Peron/Eisele, StGB 27. Aufl. § 177 Rdn. 20): Er
- überfiel sein kindliches Opfer an einem Ort, wo es sich keines Angriffs versah
- und zwang es dort zur Vornahme des ungeschützten Oralverkehrs. Die von der
- Strafkammer angeführten Umstände - die geringe Tiefe des Eindringens, dessen kurze Dauer sowie das Ausbleiben eines Samenergusses - sind nicht geeignet, dem Tatgeschehen die erniedrigende Wirkung für das Tatopfer zu nehmen. Der von der Strafkammer zum Beleg seiner gegenteiligen Auffassung herangezogene Beschluss des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom
- 20. März 2001 (NStZ 2001, 369) betraf den Fall eines grundsätzlich gegen Entgelt zu sexuellen Handlungen bereiten Tatopfers. Schon diese Auffassung teilt
- der Senat nicht (vgl. Senat, Beschl. vom 10. Dezember 2008 – 2 StR 517/08);
- ein Vergleich mit der hier gegebenen Konstellation eines sexuell motivierten
- Überfalls auf eine neunjährige Schülerin in der Toilettenanlage ihrer Schule erscheint dem Senat darüber hinaus unangebracht.
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- b) Zwar kann der Tatrichter auch dann, wenn die Voraussetzungen für
- die Annahme des Regelbeispiels der Vergewaltigung in § 177 Abs. 2 Satz 2
- Nr. 1 StGB erfüllt sind, ausnahmsweise nach umfassender Prüfung des gesam-
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- ten Tatbilds einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit von der Regelwirkung abweichen; eine solche Ermessensentscheidung
- (vgl. BGH, Beschl. vom 30. Oktober 2008 – 3 StR 375/08 Tz. 18) hat der Tatrichter hier jedoch nicht getroffen. Der Senat kann sie als Revisionsgericht nicht
- nachholen. Nur in einem solchen Fall, in dem ausnahmsweise die Regelwirkung
- des § 177 Abs. 2 StGB entfällt, kann sich die weitere Frage eines minder
- schweren Falles nach § 177 Abs. 5 Fall 1 StGB überhaupt stellen (vgl. BGH StV
- 2000, 557; 2008, 81; Urt. vom 26. Oktober 2000 – 4 StR 319/00; Fischer aaO
- Rdn. 74). Daher beruht die Annahme des Landgerichts, es sei in Anwendung
- des § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB der Strafrahmen des § 176 a Abs. 4 Fall 2 StGB
- zu Grunde zu legen, auf einem zum Strafausspruch durchgreifenden Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten.
- Rissing-van Saan
-
- Rothfuß
- Cierniak
-
- Appl
- Schmitt
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