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19 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 2 StR 585/05
  5. vom
  6. 22. März 2006
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen Mordes
  10. -2-
  11. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. März
  12. 2006, an der teilgenommen haben:
  13. Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
  14. Dr. Rissing-van Saan,
  15. die Richterin am Bundesgerichtshof
  16. Dr. Otten,
  17. der Richter am Bundesgerichtshof
  18. Prof. Dr. Fischer,
  19. die Richterin am Bundesgerichtshof
  20. Roggenbuck,
  21. der Richter am Bundesgerichtshof
  22. Dr. Appl,
  23. Bundesanwalt
  24. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  25. Rechtsanwalt
  26. ,
  27. Rechtsanwalt
  28. ,
  29. Rechtsanwalt
  30. als Verteidiger,
  31. Rechtsanwalt
  32. als Vertreter der Nebenkläger Aytac S. , Fatma K.
  33. K.
  34. und Nurdan K. ,
  35. Rechtsanwalt
  36. als Vertreter des Nebenklägers Ertac K. ,
  37. Justizangestellte
  38. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  39. für Recht erkannt:
  40. , Aydin
  41. -3-
  42. 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 1. April 2005 mit den Feststellungen
  43. aufgehoben.
  44. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
  45. über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht
  46. zuständige Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main
  47. zurückverwiesen.
  48. Von Rechts wegen
  49. Gründe:
  50. 1
  51. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger
  52. Freiheitsstrafe verurteilt. Seine auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte
  53. Revision führt zur Aufhebung des Urteils.
  54. 2
  55. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war ein Sohn des Haydar
  56. B. , des Onkels des Angeklagten, bei dem dieser zur Tatzeit lebte, zu einem
  57. früheren Zeitpunkt erschossen worden. Man machte dafür Personen im Umfeld
  58. des späteren Tatopfers Ali K.
  59. verantwortlich; dies führte zu einer feindse-
  60. lig gespannten Lage zwischen beiden Familien.
  61. 3
  62. Am Tatabend wollte der Angeklagte zusammen mit einem weiteren Neffen des B.
  63. , Deniz Sa.
  64. , eine Diskothek in W.
  65. den dort nicht eingelassen, weil Sa.
  66. in der Diskothek Ali K.
  67. aufsuchen. Sie wur-
  68. mit Hausverbot belegt war und weil sich
  69. mit einigen seiner Freunde aufhielt. Es kam des-
  70. halb zu einer Schlägerei mit den für das Sicherungsunternehmen des Zeugen
  71. -4-
  72. N.
  73. tätigen Türstehern; Sa. wurde hierbei verletzt. In Anwesenheit der her-
  74. beigerufenen Polizeibeamten, die die Lage zu klären versuchten, drohte der
  75. Angeklagte den Türstehern mit den Worten: "Das gibt Rache; wir kommen wieder“; ihm wurde daraufhin ein Platzverweis erteilt. Der Angeklagte fuhr auf telefonische Aufforderung des Haydar B.
  76. zunächst wieder zu dessen Wohnung.
  77. Deniz Sa. wurde ambulant im Krankenhaus behandelt und begab sich dann
  78. gemeinsam mit seinem Bruder Hakan Sa. ebenfalls zu B. .
  79. Als man B.
  80. 4
  81. von dem Vorfall berichtete, beschloss dieser, zu der Dis-
  82. kothek zu fahren; dort sollten die Türsteher verprügelt werden. B.
  83. legte eine
  84. schusssichere Weste an und nahm eine Baseball-Keule mit; der Angeklagte
  85. bewaffnete sich mit einer Pistole Beretta 7,65 mm; gemeinsam mit den Brüdern
  86. Sa.
  87. , dem Kickbox-Veranstalter T.
  88. rufenen Ka.
  89. und dem ebenfalls telefonisch herbeige-
  90. , der aber nur vermitteln wollte, fuhr man zur Diskothek. Auf
  91. der Fahrt dorthin vereinbarten B.
  92. und der Angeklagte, "dieser solle auf B. s
  93. Aufforderung hin von der Schusswaffe Gebrauch machen und mit ihr nicht etwa
  94. nur drohen, sondern tödliche Schüsse abfeuern" (UA S. 12).
  95. Vor der Diskothek stieß man - möglicherweise zufällig - auf Ali K.
  96. 5
  97. der telefonierte. Nachdem Ka.
  98. zeug des B.
  99. ihn begrüßt hatte, ging K.
  100. und fragte diesen, was los sei. B.
  101. ,
  102. zum Fahr-
  103. stieg nun, ohne die Base-
  104. ball-Keule mitzunehmen, aus dem Fahrzeug aus, ging sofort aggressiv auf
  105. K.
  106. zu und beschimpfte diesen, wobei er ihn möglicherweise auch für den
  107. Tod seines Sohnes verantwortlich machte. K.
  108. beschwichtigend auf B.
  109. der Sa. ; T.
  110. und Ka.
  111. ein. Bei B.
  112. standen der Angeklagte und die Brü-
  113. hielten sich im Hintergrund. Aus der Diskothek
  114. liefen Brüder und Freunde von K.
  115. Es entstand ein Gerangel; Hakan Sa.
  116. wendete sich B.
  117. wich zurück und redete
  118. auf die Straße, um diesem beizustehen.
  119. wurde zu Boden geschlagen. Nun
  120. zu dem hinter ihm stehenden Angeklagten und richtete an
  121. -5-
  122. diesen in türkischer Sprache die Aufforderung: "bash, bash!", was "mach,
  123. mach!", aber auch "zieh, zieh!" bedeuten kann. Hierauf zog der Angeklagte seine Pistole hervor, lud sie durch und schoss in Tötungsabsicht dreimal auf K.
  124. . Dieser wurde aus kurzer Entfernung zunächst von vorn und, nachdem er
  125. sich abgewandt hatte, zweimal von hinten getroffen. Der Angeklagte gab mindestens einen weiteren Schuss auf einen Bruder von Ali K.
  126. ab und traf ihn
  127. in den Oberarm. Sodann wandte er sich zur Flucht. In dem unmittelbar anschließenden Kampfgeschehen wurde auch B.
  128. von einem bislang unbe-
  129. kannten Täter erschossen, möglicherweise von Ali K.
  130. . Dieser war nach
  131. den Schüssen des Angeklagten zunächst zusammengesackt, stand aber wieder auf und lief eine Strecke von 20 bis 25 Metern hinter dem Angeklagten her;
  132. dann brach er erneut zusammen. Er verstarb kurz darauf infolge der Verletzung, die er durch den zweiten Schuss erlitten hatte.
  133. Der Angeklagte begab sich zu einem Platz in der Innenstadt und rief von
  134. 6
  135. dort aus einen Bekannten an, von dem er sich abholen und zur Wohnung des
  136. B.
  137. fahren ließ. Ihm gegenüber erwähnte er den Vorfall nicht. Als er eine
  138. Stunde nach der Tat die Wohnung des B.
  139. nach kurzem Aufenthalt verließ,
  140. wurde er festgenommen. Eine Waffe wurde bei ihm nicht gefunden; eine Untersuchung auf Schmauchspuren ergab, dass sich an dem Angeklagten keine
  141. Schmauch-Anhaftungen fanden, wie sie bei einem Schützen zu erwarten sind,
  142. sondern nur solche, die bei Personen gegeben sind, die sich im weiteren Ausbreitungsbereich einer Schmauchwolke aufgehalten haben.
  143. 7
  144. 2. Jedenfalls zwei der vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen
  145. sind begründet.
  146. -6-
  147. a) Zutreffend rügt die Revision, dass das Landgericht einen Antrag der
  148. 8
  149. Verteidigung, den rechtsmedizinischen Sachverständigen Prof. Dr. B.
  150. nochmals ergänzend zu vernehmen, zu Unrecht abgelehnt hat.
  151. 9
  152. aa) Der Sachverständige, der die Sektion der Leiche des getöteten Ali
  153. K.
  154. vorgenommen hatte, hatte bei seiner Vernehmung ausgesagt, der Tod
  155. sei infolge eines Schusses eingetreten, der das Tatopfer von hinten getroffen
  156. und eine Hauptschlagader eröffnet hatte. Nach diesem Treffer sei Ali K.
  157. angesichts des sofortigen massiven Blutverlusts allenfalls noch sechs bis zehn
  158. Sekunden bei Bewusstsein und handlungsfähig gewesen und habe allenfalls
  159. noch eine Strecke von zehn Metern laufen können.
  160. Zu einem späteren Zeitpunkt in der Hauptverhandlung wurde der Sach-
  161. 10
  162. verständige Dr. Sch.
  163. vernommen; dieser sagte aus, Blutspuren des Getö-
  164. teten seien in einer Entfernung von 20 bis 25 Metern von dem Ort aufgefunden
  165. worden, an dem K.
  166. sich nach den Feststellungen zum Zeitpunkt der
  167. Schussabgabe durch den Angeklagten befand. Zeugen hatten darüber hinaus
  168. unterschiedliche Abläufe dargestellt, aus denen sich nach Auffassung der Verteidigung ein Laufweg von Ali K.
  169. nach der Schussabgabe durch den An-
  170. geklagten von ca. 40 Metern ergab. Mit ihrem Antrag beantragte die Verteidigung, den Sachverständigen Prof. Dr. B.
  171. ständigen Dr. Sch.
  172. im Hinblick auf die vom Sachver-
  173. dargelegten neuen Tatsachen nochmals zu verneh-
  174. men. Der Antrag führte aus, das ergänzende Gutachten werde ergeben, dass
  175. Ali K.
  176. nach dem zur Aufreißung der Brustarterie führenden tödlichen Tref-
  177. fer weder in der Lage gewesen sei, noch einmal aufzustehen, noch dazu, die
  178. genannte Strecke zurückzulegen.
  179. 11
  180. Das Landgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen,
  181. der Sachverständige sei zu dem Beweisthema bereits vernommen worden; es
  182. -7-
  183. sei nicht zu erwarten, dass eine ergänzende Befragung zu neuen Erkenntnissen führen werde. In den Urteilsgründen hat es ausgeführt, tödlich sei der zweite vom Angeklagten abgegebene Schuss gewesen; dieser habe Ali K.
  184. bei
  185. einer Ausweichbewegung von hinten getroffen. Das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. B.
  186. stehe den Feststellungen zum Tatablauf nicht ent-
  187. gegen. Seine Ansicht, Ali K.
  188. habe nach dem tödlichen Treffer nicht mehr
  189. weiter als 10 Meter laufen können, sei "nicht absolut zu sehen", denn Haltung
  190. und körperliche Bewegung des Tatopfers seien nicht rekonstruierbar. Die
  191. Schlagader sei möglicherweise erst durch die Laufbewegung weiter aufgerissen; überdies sei Ali K.
  192. ein durchtrainierter Sportler gewesen. Der tödli-
  193. che Schuss könne das Tatopfer nach dem Ergebnis des rechtsmedizinischen
  194. Gutachtens nicht erst beim Laufen getroffen haben (UA S. 42, 43).
  195. 12
  196. bb) Mit der zitierten Begründung durfte der Antrag der Verteidigung nicht
  197. abgewiesen werden. Dabei kann dahinstehen, ob im Hinblick auf die durch das
  198. Gutachten des Sachverständigen Dr. Sch.
  199. eingeführten neuen Anknüp-
  200. fungstatsachen ein Beweisantrag vorlag, der nur aus den Gründen des § 244
  201. Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 StPO hätte abgelehnt werden können. Jedenfalls gebot
  202. hier die Aufklärungspflicht, deren Verletzung die Revision hilfsweise rügt, die
  203. Erhebung des Beweises. Bei den durch das Gutachten des Sachverständigen
  204. Dr. Sch.
  205. eingeführten Tatsachen handelte es sich um wesentliche neue
  206. Anknüpfungstatsachen, zu denen der Sachverständige Prof. Dr. B.
  207. noch
  208. nicht gehört worden war. Dem steht nicht entgegen, dass er bereits allgemein
  209. zu dem Beweisthema befragt worden war.
  210. 13
  211. Soweit das Landgericht den Widerspruch zwischen den Ergebnissen
  212. beider Gutachten dahin gehend relativiert hat, der Befund des Sachverständigen Prof. Dr. B.
  213. sei "nicht absolut" zu sehen, der Sachverständige könne
  214. sich bei seiner Bewertung somit auch geirrt haben, weil für die Beurteilung rele-
  215. -8-
  216. vante Tatsachen wie Körperhaltung und Blutdruck nicht rekonstruierbar seien,
  217. schöpft dies die Beweisbehauptung des Antrags nicht aus. Die Begründung
  218. übersieht auch, dass der Sachverständige die Obduktion des Tatopfers selbst
  219. vorgenommen hatte. Die Lage der Verletzungen und der Verlauf der Schusskanäle sowie die hieraus möglichen Rückschlüsse auf die Körperhaltung des Opfers und die Position des Schützen bei der Schussabgabe waren ihm daher
  220. ebenso bekannt wie der Umstand, dass es sich bei dem Tatopfer um einen
  221. sportlich durchtrainierten jungen Mann handelte. Soweit das Landgericht erwogen hat, die von dem Schuss getroffene Schlagader könne erst infolge der
  222. Laufbewegung des Tatopfers "weiter aufgerissen" sein, setzte die Ablehnung
  223. der Beweiserhebung mit dieser Begründung voraus, dass eine solche nachträgliche Erweiterung der Verletzung für den obduzierenden Sachverständigen nicht
  224. erkennbar gewesen wäre. Es ist nicht ersichtlich, auf Grund welcher Sachkunde
  225. das Landgericht mit der erforderlichen Sicherheit zu dieser Annahme gelangen
  226. konnte.
  227. 14
  228. Auch angesichts der sonstigen Beweislage, insbesondere der Unzuverlässigkeit der miteinander vielfach unvereinbaren Aussagen von Zeugen, die
  229. überwiegend einem der beiden "Lager" zuzuordnen waren, und des Mangels an
  230. objektivierbaren Beweisergebnissen, hätte sich dem Tatrichter aufdrängen
  231. müssen, den beantragten Beweis zu erheben, zumal eine ergänzende Befragung des Sachverständigen unschwer möglich gewesen wäre.
  232. 15
  233. Ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler kann nicht ausgeschlossen werden. Hätte der Sachverständige bei Vorhalt der Ergebnisse des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Sch.
  234. mit überzeugender oder nicht wider-
  235. legbarer Begründung an der Beurteilung festgehalten, das Tatopfer habe nach
  236. dem tödlichen Schuss keinesfalls noch weiter als 10 Meter laufen können, so
  237. wäre hiermit, da das Landgericht auch das Gutachten des Sachverständigen
  238. -9-
  239. Dr. Sch.
  240. für überzeugend gehalten hat, jedenfalls der vom Landgericht
  241. festgestellte Tatablauf nicht vereinbar.
  242. 16
  243. b) Auch die Rüge einer Verletzung von § 261 StPO greift durch, weil das
  244. Landgericht rechtsfehlerhaft das Schweigen des Angeklagten während des Ermittlungsverfahrens zu seinen Lasten gewertet hat.
  245. 17
  246. Der Angeklagte hatte - nach seinem Bekunden (UA S. 20) - bei seiner
  247. Festnahme nur pauschal geäußert, er habe "mit dem Vorfall nichts zu tun". Im
  248. Ermittlungsverfahren machte er unter Berufung auf sein Schweigerecht keine
  249. Angaben. In der Hauptverhandlung ließ er sich erstmals zur Sache ein und erklärte, nicht er selbst, sondern Haydar B.
  250. habe auf Ali K.
  251. geschossen
  252. (UA S. 20). Das Landgericht hat seine Überzeugung, diese Einlassung sei unzutreffend, unter anderem auf die Erwägung gestützt, wenn die Einlassung zuträfe, sei es "nicht zu erklären, weshalb der Angeklagte nicht den wahren Ablauf
  253. offenbarte, nachdem er von B.
  254. s Tod erfahren hatte, und stattdessen weiter
  255. in der Untersuchungshaft verblieb" (UA S. 47). Das war rechtsfehlerhaft, denn
  256. es darf nicht als Beweisanzeichen gegen den Angeklagten gewertet werden,
  257. dass er sich erst in der Hauptverhandlung zur Sache eingelassen hat (vgl.
  258. BGHSt 38, 302, 305 m.w.N.; st. Rspr.). Die pauschale Äußerung des Angeklagten nach seiner Festnahme, er habe "mit dem Vorfall nichts zu tun", war keine
  259. Teileinlassung, an welche eine zulässige Verwertung des nachfolgenden
  260. Schweigens hätte anknüpfen können.
  261. 18
  262. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht. Zwar hat das Landgericht seine Überzeugung von der Täterschaft
  263. des Angeklagten auch auf andere Beweisergebnisse gestützt. Diese waren jedoch ihrerseits in ihrer verfahrensrechtlichen Grundlage oder in ihrem inhaltlichen Ergebnis unsicher. Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass die
  264. - 10 -
  265. tatrichterliche Gesamtwürdigung der Beweislage ohne den Rechtsfehler für den
  266. Angeklagten günstiger ausgefallen wäre.
  267. 19
  268. 3. Auf die weiteren Verfahrensrügen kommt es nicht an. Das betrifft insbesondere auch die Rüge eines Verstoßes gegen § 174 Abs. 1 Satz 3 GVG
  269. i.V.m. § 338 Nr. 6 StPO. Insoweit kann es dahin stehen, ob in dem Beschluss
  270. des Landgerichts, mit dem die Öffentlichkeit entgegen § 174 Abs. 1 Satz 3 GVG
  271. ohne ausdrückliche Begründung ausgeschlossen worden ist, eine konkludente
  272. Bezugnahme auf die unmittelbar vorausgehende und protokollierte Mitteilung
  273. des Vorsitzenden zu sehen ist, der Zeuge A.
  274. habe erklärt, er fühle sich
  275. bedroht und bitte daher um Ausschluss der Öffentlichkeit für die Dauer seiner
  276. Vernehmung, denn hieraus ergab sich für alle Verfahrensbeteiligten und Zuschauer zweifelsfrei der Grund für die Ausschließung. Auf die von der Revision
  277. aufgeworfenen Abgrenzungsfragen zu dem absoluten Revisionsgrund des
  278. § 338 Nr. 6 StPO, die in dem der Entscheidung des 1. Strafsenats vom 9. Juni
  279. 1999 - 1 StR 325/98 (BGHSt 45, 117) vorausgehenden Anfrageverfahren von
  280. den Strafsenaten erörtert worden sind, kam es hier letztlich nicht an. Es kann
  281. daher dahin stehen, ob vorliegend ein vergleichbarer Ausnahmefall gegeben
  282. war.
  283. 20
  284. Die Revision sowie der Generalbundesanwalt haben auch zu Recht darauf hingewiesen, dass das Landgericht mit der durch Gerichtsbeschluss angeordneten Vereidigung des Zeugen N.
  285. gegen § 60 Nr. 2 StPO verstoßen hat.
  286. Ob das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht, kann hier aber gleichfalls im Ergebnis offen bleiben. Das gilt weiterhin auch, soweit das Landgericht einen Hilfsbeweisantrag der Verteidigung auf Vernehmung eines Sachverständigen für
  287. Ethnopsychologie in den Urteilsgründen zu Unrecht mit der Begründung zurückgewiesen hat, das Beweismittel sei völlig ungeeignet (UA S. 52). Offen
  288. - 11 -
  289. bleiben kann schließlich auch, ob der von der Revision gerügte Verstoß gegen
  290. § 265 Abs. 3 StPO vorliegt.
  291. 21
  292. 4. Auch unter sachlichrechtlichen Gesichtspunkten begegnet das angefochtene Urteil rechtlichen Bedenken. Der neue Tatrichter wird dies gegebenenfalls zu beachten haben.
  293. 22
  294. a) Zutreffend hat der Generalbundesanwalt darauf hingewiesen, dass die
  295. Erörterung des Spurenbildes im Hinblick auf die am Angeklagten gefundenen
  296. Schmauchspuren Lücken aufweist. Der Befund, dass sich Schmauchspuren,
  297. wie sie nach Abgabe von mindestens vier Schüssen durch ihn selbst zu erwarten waren, bei seiner Festnahme eine Stunde nach der Tat am Angeklagten
  298. nicht fanden, stand nach Ansicht des Landgerichts seiner Täterschaft nicht entgegen, weil der Angeklagte "Zeit und Gelegenheit genug hatte, intensivere
  299. Schmauchspuren, wie sie beim Schützen selbst auftreten, durch Abwaschen zu
  300. beseitigen" (UA S. 17, 46). Dies liegt für die Hände oder sonstige unbedeckte
  301. Hautpartien nahe. Das Urteil enthält aber keine Feststellungen zum Zustand der
  302. Oberbekleidung des Angeklagten. Wenn auch diese zwar unspezifische, aber
  303. gerade nicht solche Spuren aufwies, "wie sie beim Schützen selbst auftreten",
  304. wäre zu erörtern gewesen, ob der Angeklagte auch die Kleidung gewaschen
  305. hatte und ob dies bei der kurz darauf erfolgenden Festnahme festgestellt wurde.
  306. 23
  307. b) Die Begründung, auf welche das Landgericht die Feststellung des
  308. Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe gestützt hat, ist nicht frei von Widersprüchen.
  309. 24
  310. Zur Motivation des Angeklagten hat das Landgericht ausgeführt, der Angeklagte habe sich, als er auf Grund der vorausgegangenen Absprache auf das
  311. Tatopfer schoss, "die feindselige Gesinnung B.
  312. s dem Ali (K) gegenüber zu
  313. - 12 -
  314. eigen (gemacht) und … das Lebensrecht des von ihm Angegriffenen hintan
  315. (gestellt)" (UA S. 14). Es müsse dabei "offen bleiben, ob der Angeklagte
  316. wissentlich in einen von B.
  317. langfristig geplanten Rachefeldzug eingebunden
  318. war, ob Anlass des Vorgehens von B.
  319. die Verletzung von Deniz Sa.
  320. und
  321. die Anwesenheit von Ali in der Diskothek als Grund für den Streit mit den
  322. Türstehern war oder ob sich die Tat aus einem zufälligen Zusammentreffen mit
  323. Ali K.
  324. 25
  325. und dabei aufflackernder Wut bei B.
  326. ergeben hat" (ebd.).
  327. Die Annahme niedriger Beweggründe hat das Landgericht darauf gestützt, der Angeklagte habe aus der Situation ersehen können, "dass es B.
  328. nicht um die Ausführung eines mit vernünftiger Überlegung und kaltblütig geplanten Racheaktes ging", sondern dass er sich aus einem aktuellen Anlass in
  329. Wut geredet hatte (UA S. 50). Er habe davon ausgehen müssen, dass das Zusammentreffen mit Ali K.
  330. zufällig erfolgte; es sei "fraglich, ob bei dem An-
  331. geklagten das Motiv der Blutrache für D.
  332. s Tod bei der Tat eine Rolle ge-
  333. spielt hat" (ebd.). Der Angeklagte habe "aus nichtigem Anlass, um B.
  334. zu sein, das Lebensrecht des Ali K.
  335. gefällig
  336. missachtet" (UA S. 50). Er habe "er-
  337. kennen können, auf welch tiefer Stufe in Deutschland die vorsätzliche Tötung
  338. eines Menschen ohne triftigen Grund angesiedelt wird, und ebenso, dass auch
  339. Blutrache keineswegs als ein derartiger Grund anerkannt wird" (UA S. 51).
  340. 26
  341. Diese Erwägungen sind schon in sich nicht bedenkenfrei und auch nicht
  342. ohne Weiteres miteinander vereinbar. Die Annahme, der Angeklagte habe mit
  343. B. , obgleich möglicherweise nur das Verprügeln der Türsteher geplant war,
  344. die Tötung eines (beliebigen) Gegners auf entsprechenden Befehl vereinbart,
  345. hat das Landgericht ohne Begründung auf die Behauptung gestützt, dies sei
  346. "ersichtlich" (UA S. 47); es verstand sich in diesem Fall aber gerade nicht von
  347. selbst. Im Übrigen fehlte es, da es das Landgericht für möglich gehalten hat,
  348. dass sich der Tötungsentschluss des B.
  349. aus einer spontanen Zornaufwal-
  350. - 13 -
  351. lung ergab, für Erwägungen zu einer "kaltblütigen Planung" oder zur "Blutrache"
  352. an einer Grundlage.
  353. 27
  354. c) Der neue Tatrichter wird auch - unabhängig davon, ob er eine Beteiligung des Angeklagten an der Tötung von Ali K.
  355. als erwiesen ansieht - zu
  356. prüfen haben, ob sich der Angeklagte der Beteiligung an einer Schlägerei gemäß § 231 Abs. 1 StGB schuldig gemacht hat.
  357. 28
  358. 5. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung. Im Hinblick auf
  359. die Besonderheiten des Verfahrens hat der Senat die Sache an eine als
  360. Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main
  361. zurückverwiesen.
  362. Rissing-van Saan
  363. Otten
  364. Roggenbuck
  365. Fischer
  366. Appl