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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 2 StR 320/04
  4. vom
  5. 15. März 2005
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen Zuhälterei u. a.
  9. -2-
  10. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 15. März 2005 gemäß
  11. § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
  12. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
  13. Frankfurt am Main vom 1. Dezember 2003 wird als unbegründet
  14. verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.
  15. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
  16. der Nebenklägerin O.
  17. im Revisionsverfahren entstande-
  18. nen notwendigen Auslagen zu tragen.
  19. Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts merkt der
  20. Senat an:
  21. 1. Die Verfahrensrügen (§ 244 Abs. 2 und 3 StPO) haben keinen Erfolg.
  22. Unter Beweis gestellt wurde nur, daß die Zeugin A.
  23. anderen Zeugen mitge-
  24. teilt hat, daß sie freiwillig der Prostitution nachging und der Angeklagte nicht
  25. auf sie eingewirkt hat, um sie zur Fortsetzung der Prostitution zu bestimmen.
  26. Diese Äußerungen der Zeugin durfte die Kammer als bedeutungslos ansehen,
  27. da sie davon ausging, daß die Zeugin A.
  28. freiwillig und ohne einwirkendes
  29. Bestimmen des Angeklagten der Prostitution nachging. Soweit in der Revisionsbegründung als Beweisthema nachgeschoben wird, daß es auch um ein
  30. "Dazubringen" im Sinne des § 180 b Abs. 2 Nr. 2 StGB a.F. und die Glaubwürdigkeit der Zeugin gegangen sei, kann sie damit nicht gehört werden.
  31. -3-
  32. 2. Der Schuldspruch ist im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden. Der
  33. Tatrichter durfte hinsichtlich des Menschenhandels das Tatzeitrecht (§ 180 b
  34. Abs. 2 Nr. 2 StGB) zugrundelegen. Durch das 37. Strafrechtsänderungsgesetz
  35. (vom 11. Februar 2005; in Kraft seit 19. Februar 2005) wurde § 180 b StGB
  36. aufgehoben. Dies ist im Revisionsverfahren gemäß § 354 a StPO, § 2 Abs. 3
  37. StGB zu beachten. Doch sind §§ 232, 233, 233 a und 233 b StGB gleichzeitig
  38. neu eingefügt worden, wodurch das Verhalten des Angeklagten jetzt erfaßt
  39. wird. § 232 StGB (Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung)
  40. stellt im Sinne notwendiger Unrechtskontinuität eine Nachfolgeregelung zu
  41. § 180 b StGB dar.
  42. Es liegt nahe, daß der Angeklagte hier die Voraussetzungen nicht nur
  43. des § 232 Abs. 1 StGB n.F., sondern auch die der Qualifikation des § 232
  44. Abs. 3 Nr. 3 StGB n.F. (gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich
  45. zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat) erfüllt hat. Danach
  46. kann ausgeschlossen werden, daß der Tatrichter einen minder schweren Fall
  47. gemäß § 232 Abs. 5 StGB n.F. angenommen hätte. Somit ist das neue Recht
  48. nicht das mildere Recht (§ 2 Abs. 3 StGB) und es bleibt beim Tatzeitrecht.
  49. 3. Dadurch, daß das Landgericht im Falle II 5 der Urteilsgründe (= Anklagepunkt 7) nur eine Freiheitsstrafe von vier Monaten statt von sechs Monaten (oder mehr) wie für die Fälle II 14 (= Anklagepunkt 19) und II 17 (= Anklagepunkt 24) verhängt hat, ist der Angeklagte nicht beschwert.
  50. 4. Das Revisionsgericht hat von Amts wegen einen Verstoß gegen Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 MRK zu berücksichtigen, der nach Verkündung des angefochtenen Urteils eingetreten ist.
  51. -4-
  52. Eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung, die eine Strafmilderung nach sich zieht, liegt hier jedoch nicht vor.
  53. Ein derartiger Verstoß ist durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Februar 2005 (2 BvR 109/05) nicht festgestellt. Zum einen
  54. befaßt sich dieser Beschluß nicht entscheidungserheblich mit dem Problem
  55. einer Strafmilderung, sondern mit Fragen der Haftfortdauer (u.a. §§ 120, 121
  56. StPO), zum anderen geht das Verfassungsgericht bei seinen Berechnungen
  57. davon aus, daß der Senat erst am 15. Juni 2005 über alle Revisionen entscheiden wird und nicht wie jetzt bereits am 15. März 2005 über die Angeklagtenrevision.
  58. Bei der Frage, ob eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vorliegt, sind insbesondere die Art und Schwere des Tatvorwurfs, die Art und Weise der Ermittlungen, die Komplexität des Sachverhalts, das Verhalten des Beschuldigten sowie die durch das Verfahren entstehenden Belastungen für den
  59. Beschuldigten zu berücksichtigen (vgl. u.a. BGH, wistra 2004, 140). Nach der
  60. Rechtsprechung des EGMR und des Verfassungsgerichts (vgl. u.a. EGMR in
  61. EUGRZ 1983, 371 f., 379; EGMR in EUGRZ 2001, 299 f., 301 = auszugsweise
  62. in NJW 2002, 2856 f.; BVerfG NJW 1993, 3254, 3255; NJW 2003, 2225 f. und
  63. 2228 f.; BVerfG JZ 2003, 999 ff. und BVerfG, Beschluß vom 21. Januar 2004
  64. - 2 BvR 1471/03) sind Faktoren, die regelmäßig von Bedeutung sind, insbesondere der durch die Verzögerungen der Justizorgane verursachte Zeitraum
  65. der Verfahrensverlängerung, die Gesamtdauer des Verfahrens, die Schwere
  66. des
  67. Tatvorwurfs,
  68. der
  69. Umfang
  70. und
  71. die
  72. Schwierigkeit
  73. des
  74. Ver-
  75. fahrensgegenstandes sowie das Ausmaß der mit der Dauer des schwebenden
  76. Verfahrens für den Betroffenen verbundenen besonderen Belastungen. Entscheidend ist hierbei auch, ob die Sache insgesamt in angemessener Frist verhandelt worden ist, wobei eine gewisse Untätigkeit innerhalb einzelner Verfah-
  77. -5-
  78. wobei eine gewisse Untätigkeit innerhalb einzelner Verfahrensabschnitte dann
  79. nicht zu einer Verletzung von Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 MRK führt, wenn dadurch
  80. die Gesamtdauer des Verfahrens nicht unangemessen lang wird.
  81. Gemessen an diesen Grundsätzen scheidet hier ein zur Strafmilderung
  82. führender Verstoß gegen Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 MRK aus.
  83. Hierbei ist auch zu sehen, daß es sich um eine - von Amts wegen zu
  84. prüfende - 255 Seiten lange Anklageschrift gegen elf Beschuldigte handelt,
  85. denen in verschiedener Beteiligung insgesamt 26, teilweise schwerwiegende,
  86. Taten vorgeworfen wurden. Im Revisionsverfahren lagen zum Zeitpunkt der
  87. Terminsbestimmung vier Revisionen der Staatsanwaltschaft und vier Revisionen von Nebenklägern sowie eine Angeklagtenrevision vor, die eine umfassende Überprüfung des gesamten Sachverhalts schon im Hinblick auf § 301
  88. StPO und § 357 StPO erforderte. Hinzu kommt die am 19. Februar 2005 in
  89. Kraft getretene Aufhebung des § 180 b StGB mit der Frage der Ersetzung
  90. durch § 232 ff. StGB n.F.
  91. In Anbetracht aller Umstände des vorliegenden konkreten Einzelfalles,
  92. insbesondere auch der vertretbaren Gesamtdauer des Verfahrens ist keine
  93. Verletzung des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 MRK zu sehen; nicht jede
  94. - geringfügige - Verzögerung stellt sich als eine rechtsstaatswidrige dar.
  95. -6-
  96. Unabhängig davon hält der Senat sowohl die ausgeworfenen Einzelstrafen als auch die Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten ohne weiteres für tat- und schuldangemessen (§ 354 Abs. 1 a und Abs. 1 b
  97. StPO).
  98. Rissing-van Saan
  99. Bode
  100. Rothfuß
  101. Otten
  102. Roggenbuck