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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 2 StR 285/03
  4. vom
  5. 20. August 2003
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes u.a.
  9. -2-
  10. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 20. August 2003 gemäß § 349
  11. Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
  12. 1.
  13. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
  14. Landgerichts Kassel vom 6. März 2003 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
  15. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
  16. Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  17. 2.
  18. Die weitergehende Revision wird verworfen.
  19. Gründe:
  20. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen
  21. Mißbrauchs von Kindern in zwei Fällen und sexuellen Mißbrauchs von Kindern
  22. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt
  23. (Einzelfreiheitsstrafen: ein Jahr; ein Jahr und sechs Monate sowie zwei Jahre),
  24. im übrigen hat es ihn freigesprochen. Die gegen die Verurteilung gerichtete auf
  25. die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zur
  26. Aufhebung des Strafausspruchs, im übrigen ist sie unbegründet im Sinne von
  27. § 349 Abs. 2 StPO.
  28. Im Falle 1 (Verurteilung wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes nach
  29. § 176 Abs. 1 StGB: Streicheln des 12jährigen Tatopfers an der Scheide) hat
  30. -3-
  31. die Strafkammer zur Begründung der Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr ausgeführt:
  32. „Der Regelung des § 176 StGB liegt die entwicklungspsychologische
  33. Annahme zugrunde, dass sich die sexuelle Identität einer Person und
  34. damit ihre Fähigkeit, über ihr Sexualleben zu bestimmen, als untrennbarer Teil der Gesamtpersönlichkeit entwickelt und dass äußere, fremdbestimmte Eingriffe in die kindliche Sexualität in besonderer Weise geeignet sind, diese Entwicklung zu stören. Auch wenn bislang keine negativen Auswirkungen bei der Geschädigten erkennbar wurden, so ist die
  35. abstrakte Gefahr sehr groß, dass ein Opfer durch die im oben genannten Fall 1 vorgenommenen Handlungen in seiner Entwicklung nachhaltig
  36. beeinflusst werden könnte. Auch im konkreten Fall liegt das Tatgeschehen bislang erst ein Jahr zurück, so dass nicht ausgeschlossen werden
  37. kann, dass zukünftig noch erheblich Folgewirkungen eintreten. Der Angeklagte hat die Geschädigte wie eine erwachsene Freundin behandelt.
  38. Außerdem bestand in der Beziehung zwischen dem Angeklagten und
  39. der Geschädigten ein von J. H. selbst empfundenes erhebliches Ungleichgewicht, da sie sich auf Grund ihrer sexuellen Unerfahrenheit in
  40. der Beziehung zum Angeklagten gehemmt fühlte und befürchtete, sich
  41. ihm gegenüber sexuell nicht richtig zu verhalten“.
  42. Diese Ausführungen lassen besorgen, daß das Landgericht dem Angeklagten unzulässigerweise (§ 46 Abs. 3 StGB) den Strafzweck des § 176 StGB,
  43. der in dem Schutz der ungestörten sexuellen Entwicklung des Kindes liegt (st.
  44. Rspr. vgl. BGH StV 2002, 74; Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 176 Rdn. 2),
  45. strafschärfend angelastet hat. Im übrigen lassen diese Ausführungen auch
  46. -4-
  47. noch besorgen, daß die Strafkammer verkannt hat, daß der Zweifelssatz uneingeschränkt auch für die Strafzumessung gilt (vgl. BGH StV 1983, 456; 1986,
  48. 5). Kann das Gericht - wie hier nach einem Jahr - keine sicheren Feststellungen über Folgen der Tat treffen, darf sich dies nicht zu Lasten des Angeklagten
  49. auswirken. Eine zum Nachteil des Angeklagten auf bloße Vermutungen hinsichtlich möglicherweise auftretender Spätfolgen der Tat gestützte Strafzumessung ist unzulässig (vgl. BGH NStZ 1997, 336, 337; StV 1998, 656, 657; vgl.
  50. auch Tröndle/Fischer aaO § 176 Rdn. 22).
  51. Die im Fall 1 verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr kann somit keinen Bestand haben. Die Aufhebung dieser Einzelstrafe führt auch zur Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen 2 und 3 sowie der Gesamtfreiheitsstrafe,
  52. da der Senat nicht ausschließen kann, daß sich der Rechtsfehler auch auf die
  53. Höhe dieser Strafen ausgewirkt hat.
  54. Rissing-van Saan
  55. Detter
  56. Rothfuß
  57. Bode
  58. Roggenbuck