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- BUNDESGERICHTSHOF
- BESCHLUSS
- 1 StR 503/07
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- 19. Februar 2008
- in der Strafsache
- gegen
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- 1.
- 2.
- 3.
- 4.
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- wegen zu 1. bis 3.: Betruges u.a.
- zu 4.:
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- Beihilfe zum Betrug
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- Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Februar 2008 beschlossen:
- 1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 27. April 2007 aufgehoben, soweit
- festgestellt ist, dass der Wertersatzverfall wegen entgegenstehender Rechte der Verletzten unterbleibt, und der Umfang des
- aus den Taten Erlangten bezeichnet ist (Ziff. 6 des Tenors).
- Diese Feststellungen entfallen.
- 2. Im Übrigen werden die Revisionen der Angeklagten gegen das
- vorbezeichnete Urteil verworfen.
- 3. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
- tragen.
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- Gründe:
- 1
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- Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Betrugstaten zu mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt. Die Angeklagten hatten als Täter und Gehilfen für (vermeintliche) ausländische Finanzgesellschaften gegen eine Vorauszahlung Verträge über selbsttilgende Darlehen vermittelt; während die Darlehnsvaluta niemals ausgekehrt worden war, hatten die Angeklagten die Zahlungen der Darlehnsnehmer "abgeschöpft".
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- 1. Die Revisionen der Angeklagten haben mit der Sachbeschwerde den
- aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Es entspricht zwar § 111i Abs. 2 StPO nF, dass der Tatrichter im Urteil feststellen
- kann, dass nur deshalb nicht auf Verfall erkannt worden ist, weil Ansprüche des
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- Verletzten nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB einer solchen Anordnung entgegenstehen, und er in diesem Fall das aus der Tat Erlangte oder dessen Wert im
- Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1, § 73a StGB zu bezeichnen hat. Diese Regelung
- ist durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 24. Oktober 2006 (BGBl I 2350) geschaffen worden und am 1. Januar 2007 in Kraft getreten. Ihrer Anwendung auf bereits zuvor beendigte Taten steht jedoch § 2 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 StGB entgegen, wonach insoweit das mildere alte Recht gilt (vgl. schon den Hinweis in
- BGH NStZ 2006, 621). Denn der Auffangrechtserwerb nach § 111i Abs. 5 StPO
- nF hat trotz der systematischen Verortung in der Strafprozessordnung materiell-rechtlichen Charakter; die Feststellungsentscheidung nach § 111i Abs. 2
- StPO nF stellt die Grundentscheidung für den Auffangrechtserwerb dar und
- kommt somit einer aufschiebend bedingten Verfallsanordnung gleich. Eine allein auf die Anordnung nach § 111i Abs. 3 StPO nF (Aufrechterhaltung von der
- Rückgewinnungshilfe dienenden Maßnahmen um drei Jahre) gerichtete, beschränkte Feststellungsentscheidung ist dem Tatrichter in Altfällen nicht möglich. Nach dem Gesetzeszweck sind nämlich die verlängerte Rückgewinnungshilfe nach Absatz 3 und der Auffangrechtserwerb nach Absatz 5 gerade aufeinander bezogen (ausführlich zum Ganzen, BGH, Urt. vom 7. Februar 2008
- - 4 StR 502/07 m.w.N.). Auch nach dem Willen des Gesetzgebers bilden die
- neu eingefügten Absätze 2 bis 8 von § 111i StPO im Hinblick auf § 2 StGB ein
- einheitliches Regelungsgefüge mit auch materiell-rechtlichem Charakter. Er
- führt diesbezüglich aus, hinsichtlich der "sich aus § 111i Abs. 2 bis 8 StPO-E
- ergebenden möglichen Belastungen (sei) für den Verurteilten § 2 StGB anwendbar und … es (handele) sich ansonsten um Änderungen des Verfahrensrechts" (BTDrucks. 16/700 S. 20).
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- 2. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen aus den in den Antragsschriften des Generalbundesanwalts
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- vom 29. Oktober 2007 dargelegten Gründen keinen weiteren Rechtsfehler zum
- Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Anlass zu ergänzenden
- Ausführungen besteht nur hinsichtlich des Vorgehens der Strafkammer im Zusammenhang mit der nachträglich erhobenen Anklage gegen die Angeklagten
- R.
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- und S.
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- (Anklageschrift vom 28. Februar 2007):
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- a) Folgender Verfahrensgang liegt zugrunde:
- Am 18. Hauptverhandlungstag war gegen die Angeklagten R.
-
- 4
- S.
-
- und
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- Nachtragsanklage erhoben worden. Diese betraf den Vorwurf der räu-
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- berischen Erpressung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung. Laut Anklageschrift
- vom 28. Februar 2007 hätten die beiden Angeklagten den Mitangeklagten
- W.
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- in einer Hotelsuite festgehalten und ihn dazu gezwungen, eine Vollmacht
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- zu unterzeichnen, die der Angeklagte R.
- angeklagten Wa.
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- dem Tatplan entsprechend der Mit-
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- vorgelegt und so von dieser 1.017.000,-- € aus betrügeri-
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- schen Geschäften der B.
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- erhalten habe. Die Angeklagten stimmten aller-
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- dings einer Einbeziehung der Nachtragsanklage nicht zu. Daraufhin wurde in
- einem neu eingeleiteten Verfahren die Anklageschrift vom 28. Februar 2007
- zugestellt und "das Hauptverfahren eröffnet", die Anklage "zur Hauptverhandlung zugelassen" und dieses Verfahren "zur gemeinsamen Verhandlung und
- Entscheidung zu dem … anhängigen Verfahren … verbunden".
- Am 20. Hauptverhandlungstag verzichteten die Angeklagten und ihre
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- Verteidiger auf Einhaltung einer Ladungsfrist zu der weiteren Anklage und der
- Vertreter der Staatsanwaltschaft verlas den Anklagesatz. Am 22. Hauptverhandlungstag erteilte die Strafkammer unter anderem folgenden Hinweis: "Die
- Angeklagten
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- S.
-
- und
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- R.
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- werden darauf hingewiesen, dass
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- anstelle einer Verurteilung wegen einer mittäterschaftlichen Beteiligung bezüglich B.
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- … bzw. einer Verurteilung wegen räuberischer Erpressung bzw.
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- Erpressung (Anklageschrift vom 28.02.2007) gegebenenfalls auch eine Verurteilung der Angeklagten
-
- S.
-
- und
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- R.
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- wegen Beihilfe zum Be-
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- trug - in einem besonders schweren Fall - gemäß §§ 263 Abs. 1 und Abs. 3
- Nr. 1 und 2, 27 StGB in Betracht kommt, und zwar aufgrund der Entgegennahme der von der Angeklagten Wa.
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- bis 14.09.2006 für B.
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- eingezogenen
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- Vorauszahlungen." Am 24. Hauptverhandlungstag erging nach der Urteilsverkündung folgender Beschluss: "Das Verfahren gegen die Angeklagten R.
- und
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- S.
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- wird hinsichtlich der Anklage vom 28.02.2007 abgetrennt."
-
- Das Urteil wertet die in der Anklageschrift vom 28. Februar 2007 geschilderte prozessuale Tat für beide Angeklagten als Beihilfehandlung zum Betrug.
- Die Strafkammer hat die "Einzelheiten" des Geschehens in der Hotelsuite nicht
- aufzuklären vermocht. Ebenso wenig hat sie sich eine Überzeugung davon bilden können, "welche im Hintergrund wirkenden Personen als verantwortliche
- Organisatoren der Firma B.
- Angeklagten R.
-
- und S.
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- … fungierten" (UA S. 102). Zu Gunsten der
- hat die Kammer angenommen, dass es sich hierbei
-
- nicht um diese selbst handelte, jedoch die - revisionsrechtlich nicht zu beanstandende - Feststellung getroffen, dass sie, um selbst finanziell zu profitieren,
- jedenfalls fördernde Beiträge zu den Betrugstaten der für die B.
-
- Verant-
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- wortlichen leisteten, indem sie das Bargeld bei der Mitangeklagten Wa.
-
- ab-
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- holten (UA S. 102 f., 171 f.).
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- b) Das Vorgehen der Strafkammer im Zusammenhang mit der nachträglich erhobenen Anklage begründet kein Verfahrenshindernis (nachfolgend aa);
- auch die Beanstandungen in der Revision des Angeklagten S.
-
- bleiben ohne
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- Erfolg (nachfolgend bb).
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- aa) Stimmt in der Hauptverhandlung der Angeklagte der Einbeziehung
- einer Nachtragsanklage nicht zu (vgl. § 266 Abs. 1 StPO), so steht es dem Tat-
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- richter grundsätzlich im Rahmen pflichtgemäßer Ermessensausübung frei, in
- Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft die zusätzlichen Vorwürfe nach Erhebung einer hierauf bezogenen weiteren Anklage durch Eröffnung und Verbindung zum Gegenstand einer einheitlichen Hauptverhandlung zu machen. So ist
- dies hier geschehen, wobei die Verbindung, da sie auch auf "eine gemeinsame
- Entscheidung" zielte, gemäß §§ 3, 4 StPO - nicht gemäß § 237 StPO - erfolgte.
- Das Hauptverfahren wurde auch in Bezug auf die weitere Anklage, was von
- Amts wegen zu prüfen ist, ordnungsgemäß eröffnet.
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- Ob der Tatrichter gehalten ist, mit der Hauptverhandlung neu zu beginnen, wenn er bei fehlender Zustimmung zur Einbeziehung einer Nachtragsanklage die zusätzlichen Vorwürfe - wie hier - durch Eröffnung der "herkömmlichen" Anklage mit inhaltsgleichem Anklagesatz und durch Verfahrensverbindung zum Gegenstand dieser Hauptverhandlung macht (so BGH [5. Strafsenat]
- NStZ-RR 1999, 303 [nichttragend]), braucht der Senat nicht zu entscheiden.
- Denn die Beschwerdeführer haben insoweit keine Verfahrensrüge erhoben; in
- der Hauptverhandlung verzichteten sie sogar auf die Einhaltung von Ladungsfristen.
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- bb) Entgegen der in der Revision des Angeklagten S.
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- geäußerten Auf-
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- fassung bedurfte es hinsichtlich der nachträglich erhobenen Anklage keines
- Teilfreispruchs. Ein solcher hat zu unterbleiben, wenn die angeklagte Tat nur
- rechtlich anders gewürdigt wird (Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 260 Rdn. 10).
- Dies ist hier der Fall: Zu der in der Anklageschrift vom 28. Februar 2007 geschilderten prozessualen Tat im Sinne von § 264 Abs. 1 StPO gehörte auch das
- Abholen der 1.017.000,-- € bei der Mitangeklagten Wa.
- Mitangeklagten W.
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- auf Grund der vom
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- erteilten Vollmacht. Die - von der Strafkammer abwei-
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- chend von der unverändert zugelassenen Anklage als Beihilfe zum Betrug beurteilte (vgl. § 264 Abs. 2 StPO) - Tat war somit Gegenstand der Urteilsfindung;
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- der Urteilsspruch hat auch insoweit die Anklage erschöpfend erledigt. Der nach
- der Urteilsverkündung ergangene Abtrennungsbeschluss geht freilich ins Leere;
- der Fortführung des abgetrennten Verfahrens stünde das Verfahrenshindernis
- des Strafklageverbrauchs entgegen.
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- Auch die vom Angeklagten S.
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- erhobenen übrigen verfahrensrechtli-
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- chen Beanstandungen (unzutreffender rechtlicher Hinweis, fehlendes rechtliches Gehör, Verletzung der Aufklärungspflicht wegen der Gefahr nochmaliger
- Verurteilung) dringen nicht durch, wie schon der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat. Zwar war der Abtrennungsbeschluss verfahrensfehlerhaft;
- er ist jedoch gegenstandslos und kann auf Grund des Zeitpunkts seiner Verkündung das Verteidigungsverhalten zuvor nicht beeinflusst haben.
- 3. Der nur geringfügige Teilerfolg der Revisionen rechtfertigt es nicht, die
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- Beschwerdeführer - teilweise - von den durch ihre Rechtsmittel entstandenen
- Kosten und Auslagen freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO).
- Nack
-
- Wahl
- Kolz
-
- Boetticher
- Elf
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